Literatur und deren Schöpfer

Einer, der nicht Katharinas Lobredner wurde, war d'Alembert, obgleich er einer der ersten Männer der Feder war, den die Kaiserin auszuzeichnen wünschte. Bereits im August 1762, wenige Wochen nach ihrer Thronbesteigung, liess sie an den berühmten Enzyklopädisten schreiben, er möge nach Petersburg kommen. Ein Jahresgehalt von 10 000 Rubel erwarte ihn mit der Erlaubnis, die Enzyklopädie, die in Frankreich verboten worden war, in Petersburg weiterzuführen. Als Gegendienst verlangte Katharina von d'Alembert nur, dass er den Grossfürsten Paul in der Mathematik unterrichte.

Aber weder Katharinas beginnende Grösse, noch die Pension, die sie verdoppelte, als sie seinen Widerstand sah, vermochten den Pariser Gelehrten zu locken. Er liebte seine Unabhängigkeit mehr als allen Glanz an einem grossen Hof. D'Alembert blieb in Paris. In Petersburg, sagte er zu seinen Freunden, stürben die Leute zu leicht an Kolik! Auch der Rang eines Gesandten, den Katharina ihm anbot, und ein prächtiges Haus, schienen ihm nicht der Mühe wert zu sein, seine Freiheit aufzugeben. Was aber schadete dieser eine! Katharina hatte ja einen ganzen Tross von Lobrednern hinter sich. Der eifrigsten einer war Diderot. Ihre gegenseitigen literarischen Beziehungen begannen ebenfalls gleich nach dem Regierungsantritt der Kaiserin. Sie wusste, dass sich der Gelehrte, der übrigens ein grosser Verschwender war, in Not befand und überdies durch das Druckverbot der Enzyklopädie von einem empfindlichen Schlage getroffen worden war. Katharina gedachte sogleich, die Gelegenheit zu benutzen und diesen bedeutenden Mann, der bereits 6 Bände des gewaltigen Werkes vollendet hatte und 50 Jahre alt war, an ihren Hof zu ziehen. Er war also kein armer Anfänger, wie es die Legende will. Die Unterhandlungen führten jedoch damals zu nichts. Diderot wollte sich und sein Werk nicht dem Unbekannten ausliefern. Russland war damals noch ein halb barbarisches Land, und der Thron, auf dem die neue Kaiserin sass, stand noch auf schwankenden Füssen.




Da Diderot schliesslich gezwungen war, seine Bibliothek zu verkaufen, um leben und arbeiten zu können, bot sich für Katharina bald eine gute Gelegenheit, sich edel und wohltätig zu zeigen. Und sie tat es auf wirklich feinsinnige Weise. Sie kaufte Diderot seine Bibliothek im Jahre 1765 für 15 000 Franken ab. Er durfte sie bis an sein Lebensende behalten. Katharina setzte ihn zu seinem eigenen Bibliothekar mit einer Pension von 1000 Franken im Jahr ein. Durch einen Zufall wurde es jedoch vergessen, dieses Gehalt ihm zwei Jahre lang auszuzahlen. Als er dann die Kaiserin auf Umwegen daran erinnerte, machte sie ihre Vergesslichkeit dadurch wieder gut, dass sie ihm die Pension auf 50 Jahre vorausbezahlte. Er erhielt also 50 000 Franken und hätte hundert Jahre alt werden müssen, um für dieses Geld zu arbeiten.

Diderot zahlte mit singendem Lob zurück. Nie hatte Katharina einen grösseren Bewunderer und Schmeichler als ihn. Damals schrieb er jenen begeisterten Brief, in welchem er sie mit einer Göttin vergleicht. Von diesem Augenblick an war er ihr eifrigster Diener. Und Katharina wusste ihn zu verwenden. Seine Kenntnisse in den Künsten waren ihr besonders von grossem Nutzen. Viele bedeutende und grosse Künstler und Gelehrte des alten Frankreichs sind auf Diderots Veranlassung hin nach Russland gegangen, um am Hofe Katharinas ihr Wissen und ihre Talente zu entfalten und der grossen Kaiserin zu dienen. Grimm, der bevorzugteste und vertrauteste von allen, verdankte seinen Aufenthalt in Petersburg eigentlich seinem Freunde Diderot, dem Kommissionär der russischen Kaiserin. Er war zu allem zu gebrauchen. Er kaufte wertvolle Bilder und Skulpturen für ihre Galerien, Münzen für ihre Sammlungen, wählte Schauspieler und Musiker für ihre Theater aus, kurz, sie gab ihm niemals vergebens einen Auftrag; er war stets bereit, ihr nützlich zu sein. Dafür geizte Katharina dann auch nicht mit Anerkennung und Geschenken.



Es war kein Wunder, dass die Philosophen diese Weltbeglückerin wie ein höheres Wesen verehrten. Ihre persönliche Liebenswürdigkeit, die vollständige Natürlichkeit im Verkehr mit den meisten ihrer Briefschreiber, ihr glänzender Geist und Witz, ihr köstlicher Spott über die Grossen der Welt, zu denen sie selbst gehörte, besonders aber ihre ungeheuren Aufmerksamkeiten gegen die führenden Geister, eroberten ihr im Sturme die Herzen aller grossen Denker. Diesen Männern erschien Katharina sogar in ihrer äusseren Politik als eine Iphigenie, die die Zivilisation nach Tauris brachte, als eine Vorkämpferin der Aufklärung.

An diesen deutschesten der Franzosen hatte sich, schon ehe Diderot den Glanz des russischen Hofes kennenlernte, der französischste Deutsche, Baron Grimm, angeschlossen. Gewissermassen infolge dieser Freundschaft war er der Vertrauteste unter den Vertrauten des geistigen Lebens Katharinas geworden. Mit keinem anderen wie mit Grimm gab sie sich so ungezwungen, so ganz menschlich. Ihr Briefwechsel mit ihm füllt zwei starke Bände und erstreckt sich auf einen Zeitraum von 20 Jahren. Wie viele Blätter und Briefe dieser interessanten Korrespondenz mögen jedoch in den geheimen Archiven von Petersburg begraben worden sein! Wieviel mag verlorengegangen sein, denn der Gedankenaustausch mit Grimm ward ihr zur unentbehrlichen Gewohnheit. Sie schrieb ihm, so oft sie konnte, in tagebuchartigen Blättern. Von Politik ist in diesen Briefen wenig die Rede. Erst später, vom Jahre 1787 an, werden politische Ereignisse des öftern erwähnt. Namentlich spielt dann die französische Revolution in diesen Meisterstücken der Briefschreibekunst Katharinas eine grosse Rolle.

Grimms Bekanntschaft machte Katharina durch seine literarischen Berichte, die «Correspondance littéraire», die er an die meisten deutschen und an einige auswärtigen Höfe schickte. Die russische Kaiserin war seit dem Jahre 1764 eine seiner ersten Abonnentinnen, und zwar eine sehr freigebige, denn sie bezahlte dafür 1500 Rubel im Jahr, während Friedrich der Grosse gar nichts und der König Stanislaus von Polen nur 400 Franken bezahlte. Im Laufe der Zeit entpuppte sich der in allen literarischen und künstlerischen Fragen wohlunterrichtete Grimm als ein sehr brauchbares Faktotum Katharinas, wie er sich später selbst zu nennen pflegte. Die enge Freundschaft, die ihn mit ihr wirklich jahrelang verband, datiert jedoch erst vom Jahre 1773.

Um diese Zeit erschien Grimm im Gefolge der Grossen Landgräfin, deren Tochter den Grossfürsten Paul heiratete, am Hofe in Petersburg. Er machte Eindruck auf Katharina, aber sie hielt ihn damals noch nicht an ihrem Hofe zurück. Er selbst spürte nicht die Lust und das Verlangen, sich in Petersburg niederzulassen, denn er liebte Paris über alles. Aber er gedachte sich von dort aus ganz dem Dienste der russischen Kaiserin zu widmen, um so mehr, da sie ihm gestattet hatte, direkt an sie zu schreiben, eine Gunst, deren sich nur wenige Auserlesene erfreuten.

Für Katharina war Grimm sehr nützlich; sie legte den grössten Wert auf seine Freundschaft. Er war ihr Agent in Westeuropa. Er verwaltete für sie bedeutende Summen, kaufte Bilder und Kunstgegenstände, Karten, Bücher, Reisewerke für sie ein, zahlte manchem armen Künstler, Schriftsteller oder Royalisten die bestimmte Pension aus, und war der Zarin stets mit seinem Rate zur Hand. Ferner liebte Katharina ausserordentlich, brieflich zu plaudern. Mit niemand konnte sie das besser als mit Grimm. Für dieses verständnisvolle Eingehen auf ihre langen Briefe ist sie ihm unendlich dankbar und behauptet, niemand wäre imstande, so auf ihre Ideen einzugehen als Grimm. Weil sie ihn fast mit Briefen bombardiert, gibt sie ihm den Namen «Souffre-douleur», wie jeder, der mit ihr in Berührung kommt, einen Spitznamen haben muss. Sie selbst nennt sich «schwatzsüchtig». «Wir sind Schwätzer», schreibt sie, oder: «Es ist nun einmal mein Beruf, zu kritzeln ... ich glaube, wir beide sind geschaffen, fortwährend die Feder in der Hand zu haben, um uns endlose Briefe zu schreiben.» «Sie brauchen ja meine Briefe nicht zu lesen», empfiehlt sie ihm ein andermal. «Ich sage Ihnen, werfen Sie sie ins Feuer.» Ueberhaupt liebt sie es, über ihren Briefwechsel zu scherzen. «Wenn Sie sich verheiraten», spottet sie, «so können Sie lange Zeit die Frau Liebste gratis mit Haarwickeln versehen, denn Sie brauchen nur diese schönen Briefe dazu zu verwenden.» Und so durchzieht ein köstlicher Humor diesen ganzen Briefwechsel. Sie war glücklich, sich gegen Grimm ganz natürlich geben zu können, während sie sich mit Voltaire immer etwas zusammennehmen musste, weil sie in ihm den Beherrscher der Geisteswelt erblickte. In weit stärkerem Masse wie mit ihm witzelte sie mit Grimm über die Grossen der Welt. «Wissen Sie, warum ich den Besuch der Könige fürchte?» fragt sie ihn und gibt sofort die Antwort: «Weil sie gewöhnlich langweilige, fade Personen sind, und man sich mit ihnen steif und gerade halten muss. Auch berühmte Leute halten meine Natürlichkeit in Respekt. Ich will witzig sein, ‹comme quatre›. Und oft brauche ich diesen Witz ‹comme quatre›, sie anzuhören; und da ich zu schwätzen liebe, langweilt es mich, zu schweigen.» Und Grimm selbst musste sich oft den grössten Spott gefallen lassen. Sie nennt ihn bisweilen «Du» oder gibt ihm die drolligsten Beinamen «Monsieur le hérétique», «George Dandin», «Monsieur le Freiherr», «Heraklit», «Monsieur le philosophe» und andere. Kurz, in diesen Briefen ist sprudelnder Humor und unverwüstliche Heiterkeit.



Als Grimm im Jahre 1776 zur Heirat Pauls nach Petersburg kam, war er persona grata. Katharina konnte stundenlang mit ihm schwatzen, und diese langen «Audienzen» erregten natürlich den Neid und die Aufmerksamkeit der fremden Diplomaten. Grimm war eine Persönlichkeit. Aber er missbrauchte seine bevorzugte Stellung nicht. Er nahm keinen der hohen Posten an, die ihm Katharina in Russland anbot. Als er, nach einem Jahre Aufenthalt, im August 1777 aus Petersburg schied, setzte ihm die Kaiserin ein Jahresgehalt von 2000 Rubel aus. Später, als er in der Revolution einen grossen Teil seines Vermögens und Einkommens verlor, machte sie ihm verschiedene Geldgeschenke. Sie beliefen sich im ganzen auf 60 000 Rubel.

Nach dem zweiten Aufenthalt Grimms in Petersburg wurde seine Freundschaft zur Kaiserin noch vertrauter, ihr Briefwechsel noch lebhafter als zuvor. Sie hatten beide den grössten Gefallen aneinander gefunden. Vielleicht hätte Katharina aus ihrem Freunde einen Minister gemacht, aber Grimm wollte nur ihr «Faktotum» sein, ihr «Souffre-douleur».

Es war kein Wunder, dass Grimm während der siebenundzwanzigjährigen Freundschaft mit einer solchen Frau ganz in ihr aufging. Katharinas Individualität war viel stärker als die seine. Sie absorbierte ihn schliesslich vollkommen. «Dieser Briefwechsel», schrieb er, als er ein alter Mann und dem Tode nahe war, «ist die einzige Wohltat, der einzige Schmuck meines Lebens geworden, die Hauptstütze meines Glücks und dermassen wesentlich zu meinem Leben, dass mir das Atmen weniger zu seiner Erhaltung scheinen würde ... Ich war dazu gelangt, mir fern von ihr (Katharina) eine Art Religion zu schaffen, die nur sie und den Kultus zum Gegenstand hatte, mit dem ich sie umgab. Der Gedanke an sie war mir so zur Gewohnheit geworden, dass er mich weder am Tage noch des Nachts verliess und alle meine Ideen sich darauf konzentrierten ... Ob ich spazieren ging, ob ich reiste, mich irgendwo aufhielt, ob ich sass, lag oder stand – mein Dasein war vollkommen mit dem ihrigen verschmolzen.» Und schliesslich kam er so weit, dass er überhaupt nur noch für sie lebte und dachte. Kurz vor ihrem Tode ernannte ihn Katharina noch zum russischen Ministerresidenten in Hamburg, und Paul I. bestätigte den Freund der Mutter in diesem Amte.



Grimm verdiente das Wort «Freund» im wahren Sinne. Nie hatte Katharina einen treueren, ergebeneren und ehrlicheren Ratgeber und Diener. Sie brauchte nie eine Indiskretion und Ungeschicklichkeit bei ihm zu befürchten; er war beinahe der einzige unter ihren Bewunderern und Freunden, der die hohe Gunst, mit der sie ihn auszeichnete, nicht missbrauchte. Ihr Tod riss eine grosse Lücke in sein Leben. Obwohl er sechs Jahre älter war als Katharina, überlebte er sie noch elf Jahre und starb als 84jähriger Greis in Gotha.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Berühmte Frauen der Weltgeschichte