Das Ende einer großen Frau und Kaiserin

Überblickt man das Leben der Kaiserin, so muss man feststellen, dass Katharina als Frau und als Herrscherin auf eine aussergewöhnliche Reihe von Erfolgen zurückblicken konnte. Und doch hatte sie manche Enttäuschungen erlebt, wenn sie es auch nicht zugeben wollte. Wie hätte eine so kluge Frau, ein so grosses Genie nicht bemerken sollen, dass es ihr besonders in den letzten Jahren an fähigen Feldherren, getreuen und gewissenhaften Verwaltern fehlte, dass sich infolge des zunehmenden Luxus und der ungeheuren Verschwendung Zubows und seiner Kreaturen, aber auch infolge ihrer eigenen grenzenlosen Verschwendungssucht ein grosser Geldmangel bemerkbar machte, dass die Zerrüttung der Verwaltung und Finanzen, sowie die Armut des Volkes nicht im richtigen Verhältnis zu ihrem glänzenden Hofe stand? Es gab für Katharina Momente der Abspannung. Das Gelingen ihrer Unternehmungen war ihr unentbehrlich; jeder Misserfolg traf sie um so schwerer. Dann klagte sie gegen die ihr Nahestehenden, aber nie kam ein Wort des Vorwurfs oder der Sorge gegen Zubow über ihre Lippen. Ihm verschwieg sie ihren Kummer. Für ihn musste sie fröhlich und heiter sein, um ihm zu gefallen.



Ein Zeichen ihres Alters war es auch, dass sie, die sonst Klarsehende, sich einem Quacksalber, einem Abenteurer, dem berüchtigten Lambro Cazzioni, in die Hände gab. Er hatte ihr eingeredet, er könne ihre offenen Aderbeine heilen, wenn sie täglich eiskalte Seewasserfussbäder nehme. Um seiner Heilmethode mehr Gewicht zu verleihen, holte er das Wasser dazu selbst aus dem Meere herbei. Anfangs bekam ihr die Kur nicht schlecht, und sie spottete mit Lambro über die Aerzte und ihre Heilmethoden. Bald jedoch stellten sich Blutstauungen und Koliken bei ihr ein, und sie musste mit den Bädern aufhören. Von Tag zu Tag wechselte ihr Befinden; einmal war es gut, einmal schlecht. Manche Tage konnte sie sich nur mit grösster Mühe von der Stelle bewegen; sie hing am Arme Zubows und wurde von einem Diener oder einer Kammerfrau noch gestützt. Dann kamen wieder Tage des völligen Wohlbefindens. Am 5. November 1796 hatte sie einen besonders guten Tag. Es war kleine Eremitage, und Katharina lachte fröhlicher denn je. Leo Narischkin hatte sich als Trödler verkleidet und feilschte mit der Kaiserin um allerhand Kram und Spielsachen, die er aus seinen unerschöpflichen Taschen hervorbrachte. Solche Scherze liebte Katharina ausserordentlich. Sie war äusserst gut aufgelegt an jenem Abend, denn sie hatte die gute Nachricht erhalten, dass der General Moreau gezwungen worden war, über den Rhein zurückzugehen. Sie setzte auch gleich ein scherzhaftes Schreiben an den österreichischen Gesandten Cobenzl auf, worin es hiess: «Je m'empresse d'annoncer à l'excellente Excellence que les excellentes troupes de l'excellente cour ont complètement battu les Français.» Plötzlich jedoch zog sie sich etwas früher als gewöhnlich mit Zubow zurück, und zwar mit der bezeichnenden Bemerkung, sie habe Leibschmerzen, weil sie zu viel gelacht habe.

Am nächsten Morgen erhob sich Katharina zur gewohnten Stunde um 6 Uhr. Sie liess Zubow zu sich rufen, arbeitete mit ihren Sekretären und erledigte verschiedene Geschäfte. Dann drückte sie den Wunsch aus, einen Augenblick allein zu bleiben, bis sie ihren Geheimsekretär rufen werde. Dieser wartete einstweilen im Vorzimmer. Es verging jedoch eine geraume Zeit, ohne dass die Kaiserin wieder etwas von sich hören liess. Man wurde unruhig, lauschte an den Türen; nichts regte sich in den Gemächern Katharinas. Aber weder der Sekretär noch die andern Personen ihrer Umgebung wagten, ihrem Befehl zuwiderzuhandeln und in ihre Zimmer einzudringen, wenn sie allein bleiben wollte. Als sie jedoch noch eine gewisse Zeit gewartet hatten, wagte es endlich der Kammerdiener Zotoff, ihr Schlafzimmer zu öffnen. Die Kaiserin war nicht darin, auch nicht in ihrem Ankleidezimmer. Zotoff ging weiter – plötzlich stiess er einen gellenden Schrei aus – die Kaiserin lag in einem Gang, der nach ihrer Toilette führte, bewusstlos am Boden, mit Schaum vor dem Munde.

Man brachte die bewusstlose Kaiserin sofort in ihr Schlafzimmer. Da sie jedoch sehr schwer war, vermochte man sie nicht aufs Bett zu heben, sondern legte sie auf eine in der Eile herbeigeschaffte Matratze zu ebener Erde. Alles war in heftigster Bestürzung. Die Aerzte erklärten, es sei keine Hoffnung mehr, ein Schlaganfall habe Katharina überrascht. Der Todeskampf währte indes noch 37 Stunden, ohne dass sie die Sprache wiedererlangte. Man meinte, für Paul sei das ein Glück gewesen, denn sie würde ihm den Thron entzogen haben.



Eine reichangelegte Natur, vom Schicksal wie keine andere begünstigt, ein mit allen Vorzügen und Fehlern begabtes Genie schied mit Katharina II. aus der Welt und liess ihre engere Umgebung in der grössten Fassungslosigkeit zurück. Am meisten litt Zubow unter dem Ereignis. Der Tod Katharinas stürzte ihn in ein Nichts zurück, denn von Pauls Regierung hatte er nichts zu hoffen. Zubow hatte nicht allein den Grossfürsten mit der grössten Verachtung und Arroganz behandelt, sondern Paul liebte überhaupt seine Mutter und ihre Umgebung nicht. Es genügte, mit seiner Mutter auf gutem Fusse gelebt zu haben, um ihn sich zum ewigen Feind zu machen. Zubow sah alles vor sich in Trümmer fallen. Er weinte heisse Tränen, nicht um den Verlust der Geliebten, sondern um den der Wohltäterin, der mächtigen Beschützerin, der Spenderin all seines Glücks und Reichtums. Zehn Tage lang schloss er sich bei seiner Schwester, der Gräfin Jerebzoff, ein, empfing niemand, ging nicht aus, wollte mit keinem Menschen sprechen. Mit Bangen sah er seinem Schicksal entgegen, das in des neuen Kaisers Händen lag. Nie hatte er Paul geliebt und geehrt. Jetzt fürchtete er dessen Rache. Alle seine Schmeichler hatten den einst so mächtigen Günstling verlassen. Man hasste ihn, man brauchte ihn nicht mehr; er war eine abgetane Grösse. Die Kaiserin lag noch auf dem Paradebett des Todes, und schon richteten sich alle Blicke auf den neuen Zaren, und alle bemühten sich, ihm angenehm zu sein.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Berühmte Frauen der Weltgeschichte