Es lebe der Spielmann

Es lebe der Spielmann! Damit ist nicht der Spielmann unserer Dichter Rudolf Baumbach und Julius Wolff gemeint, nicht der fidele fahrende Künstler, der nie Geld, aber immer Durst hat und mit seinen Weisen die Herzen schmucker und wohlhabender junger Wirtinnen gefangen nimmt. Nein, dieser Künstlertypus ist wohl in Wirklichkeit so ziemlich ausgestorben, unser Leierkastenmann wenigstens, wenn auch Heinrich Seidel in der ,,Musik der armen Leute“ sein Auftreten auf dem Hof mit poetischem Zauber zu umgeben gewusst hat, erinnert doch in seiner persönlichen Erscheinung nicht mehr an den deutschen Spielmann des Mittelalters, wie unsere modernen Dichter ihn uns wieder vor Augen geführt haben. Ich habe sie in Verdacht, dass sie ihn uns etwas reputierlicher darstellen, als er wirklich gewesen ist, doch das sei nebenbei bemerkt. Nein, der Spielmann, den ich leben lassen will, ist der moderne der prosaischen Wirklichkeit, der gewerbsmäßig auf den zahllosen Gesellschaften der Wintersaison zum Tanz aufspielt. Er tut es nicht zum eigenen Vergnügen, noch (er ist häufig verheiratet) um Herzen zu gewinnen, sondern er spielt für bares Geld. Soll man ihm einen Vorwurf daraus machen? Nein, die Zeit ist längst vorbei, da von den fahrenden Künstlern in etwas abfälligem Ton gesagt wurde, sie nähmen ,,Gut für Ehre“ (d. h. statt Ehre). Diesem herabsetzenden ,,Gut für Ehre“ ist durch das glücklich aufgefundene Wort „Honorar“ seit langer Zeit schon ein Ende gemacht worden. Und wer ist wohl eines Ehrensoldes würdiger als der wackere Spielmann, der bei unseren Tanzgesellschaften die Tasten schlägt.? Wie sehr vermehrt er das Vergnügen der jungen Welt, die freilich auch so schon zum Vergnügtsein aus- und angelegt ist. Denn die Streitigkeiten der Männer im Parlamente bekümmern und interessieren sie so wenig wie die Zukunft Kretas. Ihr ist es gleichgültig, ,,was die Welt morgen bringt“, wenn sie aber danach gefragt wird, antwortet sie mit den Versen:

,,Wer weiß, ob nicht die Welt
Morgen in Schutt zerfällt!
Wenn sie nur heut noch hält!


Das ist, ich gebe es zu, etwas leichtfertig gedacht; wer aber nicht einmal so gedacht hat, den beneide ich nicht um seine Jugendzeit. Die Jugend, wie gesagt, ist von vornherein zur Fröhlichkeit aufgelegt, aber ohne den Spielmann und das Tanzen wäre es doch nur das Halbe. Der lebendige Spielmann ist aber sehr viel besser als der mechanische. Mit dem Herophon, der verbesserten Drehorgel, muss man sich ja manchmal begnügen, aber es verfügt nur über wenige Tänze, und fordert außerdem, es kunstgerecht zu drehen, auch schon eine nicht gänzlich ungeschickte Hand. Der lebendige Spielmann aber weiß alle Tänze, die es gibt, auswendig, besonderen Wünschen fügt er sich gern, und unermüdlich vier, fünf und sechs Stunden, wenn es verlangt wird, bleibt er in Tätigkeit. Darum will ich am Schluss der kurzen Rede, die ich hier vor der Gesellschaft halte, dieses noch sagen: Der Spielmann, der so viel Vergnügen uns bereitet, soll nicht nur bezahlt, sondern auch geehrt sein. Auch der Dichter ist ja nicht mit dem Honorar, falle es auch noch so reichlich aus, zufrieden, er verlangt außerdem den Beifall des Publikums. Darauf kann auch der redliche Spielmann Anspruch machen. Man sehe ihn nicht, wie es manchmal geschieht, nur für eine Musik machende Maschine an! Es trete einmal einer auf ihn zu und sage zu ihm: ,,Maëstro, Ihr macht Eure Sache gut und bereitet uns großes Vergnügen. Habet Dank dafür!“ Und für gar nicht so ungeschickt würde ich es halten, wenn am Schluss des Ganzen einer ihm ein Glas Wein darböte und die andern aufforderte, auf sein Wohl zu trinken und mit ihm anzustoßen unter dem Ruf: Es lebe der Spielmann!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Berliner Bilder