Die Berliner Kochfrau

Es ist die Zeit der häufigen Toaste. Man würde staunen darüber, wenn es ermittelt würde, an wie vielen Stellen von Berlin um diese Zeit an einem einzigen Abend ein Hoch auf die Frauen ausgebracht wird. In manchen Häusern geht es durch alle Stockwerke. In keiner Gesellschaft, in der ein Braten aufgetragen wird, unterbleibt so leicht ein Toast auf die Frauen. Ich rede von Frauen in der alten auch die Fräulein umfassenden Bedeutung des Wortes, die jetzt wieder mehr zu ihrem Recht kommt, wenn auch viele Tafelredner noch es für gebildeter und vornehmer halten, ,,Damen“ zu sagen. Außer diesem allgemeinen Toast auf das ganze schöne Geschlecht wird häufig noch ein Sondertoast auf eine bestimmte Angehörige desselben ausgebracht. Man lässt die Hausfrau leben, die Haustochter auch, zumal wenn sie sich eben verlobt hat. Der Täufling, der eben den Namen Else oder sonst eine schöne Bezeichnung bekommen hat, wird natürlich leben gelassen. Man erinnert sich der Großmutter, ja der Tante sogar, wenn sie anwesend sind, und stößt auf ihr Wohl an. Es kommt in guten Häusern vor, daß ein Hoch auf die Schwiegermutter, die als Logierbesuch aus der Provinz gekommen ist, ausgebracht wird. Nur von einer Frau, die auch im Hause weilt und zu dem Ganzen in ziemlich enger Beziehung steht, ist selten oder nie die Rede Ich meine die Kochfrau. In dem Teil der Wohnung, die hinter dem Speisezimmer liegt und von ihm durch den bekannten langen Flur getrennt ist, wirkt und schafft sie, und wenn eine behagliche Stimmung sich der Gäste bemächtigt, so ist das zu nicht geringem Teil ihr Verdienst. Seit ich zum erstenmal eine Kochfrau gesehen habe, bin ich gewohnt, zu aller ihrer Art mit Ehrfurcht aufzublicken. So manche habe ich kennen gelernt, aber eine schien mir der andern sehr ähnlich zu sein. Ich kenne die Kochfrau als eine Matrone von ungemein gewinnendem Aussehen. Sie lächelt gern, aber ihr Lächeln hat nichts Gezwungenes wie das der Tänzerin; es ist keine künstlich getriebene Blume, es blüht freiwillig auf wie das Waldveilchen. Ein gutes Herz und ein überlegener Geist geben sich auf ihrem Antlitz kund. Auf äußerlichen Prunk gibt sie nichts. Wie auch die Nachtigall ist sie einfach gekleidet. Was sie am meisten schmückt, ist die Sauberkeit, die man so besonders gern an denen wahrnimmt, die mit der Bereitung der Speisen zu tun haben. Der Verkehr mit ihr ist überaus wohltuend. Er beginnt damit, daß sie beschickt, oder daß brieflich bei ihr angefragt wird, ob sie den Tag, der für die Gesellschaft ausersehen ist, noch frei hat. Stellt sich heraus, daß sie gerade an diesem Tage kommen kann, so hat man das Gefühl, als hätte man das große Los in der Klassenlotterie gewonnen oder eine Auszeichnung von seiten der Regierung erhalten. Denn sie ist vielbegehrt und häufig vergriffen. Es folgt nun die Vorbesprechung, zu der mitunter, weil die Kochfrau es verlangt, der Hausherr hinzugezogen wird. Während er am Pult bei der Arbeit steht, ergeht die Einladung an ihn, sich zu zeigen und sich über das Vorgericht zu äußern. Eiligst legt er die Feder hin, fährt ein paar Mal mit der Bürste über den Rock, legt die Zigarre in den Aschbecher, setzt ein heiteres Gesicht auf und erscheint in der guten Stube, wo er die Gattin und die Kochfrau versammelt findet. Die letztere begrüßt er, drückt ihr die Hand und spricht aus, wie glücklich es ihn mache, sie in seinem bescheidenen Heim zu sehen. Nun soll er ein Vorgericht vorschlagen. Er setzt sich nieder, macht ein nachdenkliches Gesicht und schlägt endlich Haifischflossen in Aspic oder Spickaal mit Schlagsahne vor. Darüber muss die Kochfrau herzlich lachen. Nachdem er noch verschiedene törichte Vorschläge gemacht hat, erklärt er, von vornherein mit allem einverstanden zu sein, was die Frauen für gut befinden würden, und wären es geschmorte Eulen oder gespickte Fledermäuschen, empfiehlt sich der Kochfrau mit verbindlichen Worten und entfernt sich mit dem Gefühl, daß er einen sehr guten Eindruck gemacht habe. Lieber Gott, eitel sind wir ja mehr oder weniger alle. Selbst ein armer Teufel und dürftiger Geist kann sich in seiner Verblendung einbilden, hier und da einmal einen leidlichen Einfall gehabt zu haben. Nun nimmt die Sache ihren regelrechten Verlauf. Die Kochfrau besorgt in den Markthallen die Einkäufe für den Tag des Festes und besorgt sie gut. Sie hat nicht Ornithologie studiert, aber in der Geflügelkunde ist sie, was die wichtigste Eigenschaft des Geflügels, die Essbarkeit, anbetrifft, mindestens so bewandert wie Naumann und Brehm zusammen. Der stumme Fisch muss ihr Rede stehen, sie sieht dem Wildbraten an, was in ihm vorgeht. Die ganze Welt der Gemüse liegt offen und klar vor ihr. Was aber beim Einkaufen die Hauptsache ist, sie besitzt Menschenkenntnis, Die Schmeichelreden der Händlerin gleiten von ihr ab, und den listigen Händler durchschaut sie mit dem ersten Blick.

Nachdem sie verschiedenes vor sich her in das Haus gesendet hat, erscheint sie selbst, freudig begrüßt. Und nun zeigt sie sich in ihrem ganzen Wert. Mit welcher Umsicht, mit welchem Verständnis ordnet sie alles! Sie stellt die Mägde an ihren Platz, und sie folgen ihr gern. Man merkt es dem Feuer an, daß es ihr mit Vergnügen dient. Dabei verfährt sie mit so viel Ruhe. Wenn ein Koch im Hause ist, so hört man ihn schon reden, wenn man die Tür nach dem Flur aufmacht; die Kochfrau wirkt und schafft geräuschlos wie ein milder Frühlingstag. Und was ist ihr Lohn? Sie entfernt sich endlich mit einem Honorar, wie es einem Dichter für eine weit geringere Arbeit nicht genügen würde, und mit einer Flasche Wein, die sie sich - sie hat es ausdrücklich so gewünscht - aus Neigen zusammengegossen hat. Selten kommt es vor - aber es kommt doch vor, und ich habe es selbst erlebt - daß sie auf Wunsch der Gäste ins Speisezimmer gerufen wird, und daß dann ein wackerer Mann eine kurze Rede hält, die mit den Worten schließt: ,,Es lebe die Kochfrau!“



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Berliner Bilder