Aberglaube in Berlin

Dass man in der Weltstadt Berlin nicht ganz frei von Aberglauben ist, beweist ein Inserat in einer hiesigen Zeitung, worin eine zu vermietende Wohnung in dem Hause Friedrichstraße 242, nahe der Puttkamerstraße, mit der Bemerkung empfohlen wird: ,,In dieser Wohnung wurde während eines Zeitraums von fünf Jahren dreimal das große Los gewonnen.“ Das Haus also ist ein Glückshaus und im besonderen die Wohnung eine Glückswohnung, wie es dergleichen in Berlin gibt und in anderen Städten, umgekehrt aber auch Unglückshäuser und Unglückswohnungen vorkommen, in denen niemals einer auch nur mit dem Einsatz herauskommt. Vielleicht trägt zu dem Glück etwas die Hausnummer bei. 3 ist eine Glückszahl, 3 mal 3 ist 9, 9 mal g ist 81, und 3 mal 81 ist 243. 243 also wäre die Glücksnummer, das Glück aber, das bekanntlich blind ist, geht nur zu häufig in seiner Blindheit nicht in das Haus, wohin es gehört, sondern ins Nebenhaus, kehrt in diesem Fall also in Nr. 242 statt in Nr. 243 ein. Nun, jedenfalls ist die Wohnung eine Glückswohnung, und der Hausbesitzer nimmt offenbar an, dass sie es bleiben wird. Mir erscheint das nicht ganz unzweifelhaft. Von erfahrenen Spielern habe ich gehört, es komme vor, dass einer dreimal hintereinander im Roulette auf dieselbe Nummer setzt und alle dreimal gewinnt, mehr als dreimal aber käme das nicht vor. Wer daher, wurde mir gesagt, dreimal mit derselben Zahl Glück gehabt hat, springt dann auf eine andere über oder geht, was noch besser ist, nach Hause. So verhält es sich gewiss auch mit der Lotterie. Nachdem dreimal während eines Lustrums das große Los in dasselbe Haus gefallen ist, besinnt sich Fortuna, verlässt vielleicht ganz die Friedrichstraße und begibt sich nach der Marburger oder sonstwohin, wo sie noch nicht gewesen ist. Mag sie das tun oder nicht tun, das Inserat ist charakteristisch für unsere Zeit und außerdem lehrreich. Man erfährt daraus, dass es nicht verborgen bleibt, wenn einer das große Los gewonnen hat. Wie wäre das auch denkbar? Das Mädchen erlauscht das ja doch, vom Mädchen aber hören es die Portiers, und durch die Portiers erfährt es das ganze Haus. Auch macht sich das Gewinnen des großen Loses durch das Benehmen der davon Betroffenen bemerkbar. Der Hausherr tritt mit mehr Würde als früher auf, wirft mit Trinkgeldern um sich und raucht nur Importierte; Frau und Töchter werden auf den Treppen in neuem Staat beobachtet; die Köchin kommt jeden Tag fast mit Truthühnern und Spickaal vom Markt, und wenn in der Familie Gesellschaft ist, hört das knallen der Champagnerkorken, das man auf der ganzen Etage vernimmt, sich wie Pelotonfeuer an. Dass auch der Hauswirt von den in einer Wohnung seines Hauses vorgekommenen Glücksfällen gehört hat, geht mit größter Deutlichkeit aus dem Inserat hervor, und dass er daraufhin den Glückspilz gesteigert hat, lässt sich annehmen. Sonst aber wird manches, was man gern wissen möchte, durch das Inserat nicht aufgeklärt. Ist es, möchte man fragen, derselbe Mieter gewesen, dem dreimal hintereinander das große Los zugefallen ist? Ich halte es für wahrscheinlich, dass es immer derselbe war, nach dem Sprichwort dass Tauben demjenigen zufliegen, der Tauben hat. Dass er es über sich bringt, die Glückswohnung zu verlassen, erklärt sich wohl zur genüge durch das, was oben über die Dreizahl der Glücksfälle gesagt worden ist. Er glaubt nicht daran, dass es zum viertenmal bei ihm einschlagen könnte, deshalb wird er gekündigt haben und bezieht jetzt das Schloss, das er von Fortunas Segen in paradiesischer Landschaft am Golf von Neapel oder auf der Kurischen Nehrung sich gebaut hat. Sollte die Glücksgöttin, wenn nicht bei seinem Nachfolger in der Wohnung, so doch aus alter Gewohnheit in demselben Hause noch einmal einkehren, so besucht sie. vielleicht den Schuhmacher oder die Kochfrau, die dort wohnen, falls diese überhaupt in der Lotterie setzen. Zu gönnen wäre es ihnen doch auch einmal.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Berliner Bilder