Berliner Bilder
Hundert Momentaufnahmen.
Autor: Trojan, Johannes (1837-1915) deutscher Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1903
Themenbereiche
Inhaltsverzeichnis
- Beschäftigung auf der Stadtbahn
- Die Berliner Kochfrau
- Es lebe der Spielmann
- Aberglaube in Berlin
- Die Zither im Hause
- Etwas vom Staube
- Der galante Schutzmann
- Blumen zum Tanz
- Kalte Tage
- Der kleine Zigarrenladen
- Der Klingelzug
- Es wird gebaut
- Das Fund-Bureau
- Zwischen sieben und acht im Fleischwarengeschäft
- Vor Ostern
- Der Wirt im Hause
- Erster Frühling
- Die Krokuswiesen im Tiergarten
- Der Aufsagetag
- Die Sonne kommt wieder
- Der Mädchenwechsel
- Unbefindlichkeit auf den Bahnhöfen
- Der Telegraphenbote
- Die verlassene Eisbahn
- Farcierte Schnecken
- Frühlingsanfang
- Veilchen
- Die Osterhasen
Vorwort
Vorwort.
Diese hundert Berliner Bilder sind eine Auswahl von Momentaufnahmen, die ich in den letzten Jahren für die „National Zeitung“ gemacht habe. Dabei war ich darauf bedacht, das auszuwählen, was Aussicht zu haben schien, für einige Zeit noch Interesse zu behalten.
Die Aufnahmen sind meist auf der Straße gemacht. Man geht so hin, da fällt einem dies und das von selbst in die Augen, oder es kommt einem auch vor, als würde man von jemand, der unsichtbar neben einem herschreitet, angestoßen mit den Worten. ,,Sieh, das ist gut aufzunehmen!“ Wenn die Aufnahme, für die bekanntlich ein verschwindend kleiner Teil einer Sekunde genügt, gemacht ist, dann handelt es sich darum, das Bild rasch zu entwickeln, weil es sonst bald undeutlich wird, sich verschleiert oder auch ganz verschwindet. So habe ich denn auch das Entwickeln gewöhnlich schon auf der Straße vorgenommen, und dabei ist man einigen Misslichkeiten ausgesetzt von der Art, wie sie dem begegnen, der auf den Weg nicht achtet, weil er seine Gedanken anderswo hat. Man biegt auch in einem Stadtrevier, in dem man sich wohl auskennt, in eine falsche Straße ein und aus dieser wieder in eine falsche Straße, ohne es zu merken. Oder man geht in ein unrichtiges Haus und steigt in diesem so viel Treppenstufen empor, als überhaupt da sind, bis man seinen Irrtum gewahr wird. Dann ist es einem sehr lieb, man beim Hinuntersteigen keinem begegnet, der einen fragen könnte: „Was haben Sie hier zu suchen?“ Das alles ist nicht schlimm, schlimmer stellt sich die Sache, wenn man Radfahrer in die Gefahr bringt, einen umzuradeln. Plötzlich vernimmt man einen in überaus unmutigem Tone gehaltenen Ausruf, und hurtig zur Seite springend gewahrt man einen Radler, der einen mit ingrimmigen Worten anschnauzt. Lange vernimmt man sein Zürnen nicht, weil er rasch davon saust, so lange er aber noch zu sehen ist, bemerkt man, daß er wieder und wieder sich umdreht und schimpft. Das nimmt man nicht weiter übel und verdenkt es ihm nicht. Wenn man ehrlich ist, muss man sich ja doch sagen, man ist wirklich Schuld daran gewesen, daß er sich einer großen Unannehmlichkeit ausgesetzt gesehen hat.
So sind diese Momentaufnahmen gemacht, entwickelt und fixiert worden, um endlich vervielfältigt zu werden. Der sie gemacht hat, wird sich freuen, wenn er zu hören bekommt, daß eine oder die andere gelungen sei. Freut sich doch jeder Photograph, wenn ihm gesagt wird. ,,Das Bild ist ähnlich.“
Berlin, im August 1903.
Johannes Trojan.
Nur für Herrschaften!
Nur für Herrschaften! ruft gewöhnlich dem Eintretenden ein Anschlag an der Vordertreppe unserer Häuser in Berlin W. zu. Es macht mich jedesmal verstimmt, wenn ich das lese. Es hat etwas Protziges und Aufreizendes an sich, und ich persönlich mache mir aus dem Titel „Herrschaft“ gar nichts. Aber in Berlin ist das Wort ,,herrschaftlich“ sehr beliebt; „herrschaftliche Wohnungen“ werden vorzugsweise solche genannt, die mit einem Schein von Vornehmheit ausstattet sind, mit Marmor aus Stuck, mit Holzgetäfel aus Papier und anderer lieblicher Augenverblendung. Das stolze Werk ,,herrschaftlich“ genügt nicht einmal, man hat davon eine greuliche Steigerung „hochherrschaftlich“ gebildet, die in das Gebiet des groben Sprachunfugs fällt.
Wie gesagt, ich mag das Wort ,,Herrschaft“ nicht, und ich sage mir: selbst wenn man einen gewissen Sinn damit verbindet, ist es im einzelnen Fall schwer zu entscheiden, wer zur Herrschaft gehört und wer nicht. Freilich brauchte ich mir deshalb keine Sorge zu machen, denn im Hause habe ich nicht darüber zu entscheiden, sondern der Portier, dessen Sache es ist, „Herrschaften“ vorn hinaufzulassen, Nichtherrschaften auf die Hintertreppe hinzuweisen. Aber trifft der Portier auch immer das Richtige? Ist er Menschenkenner genug, um zwischen „Herrschaften“ und solchen Personen, die es nicht sind, unterscheiden zu können? Nein, in den meisten Fällen ist er es nicht. Lediglich nach einigen äußeren Merkmalen richtet er sich und urteilt danach. Schnorrer und noch viel schlimmere Leute lässt er ruhig vorn hinaufspazieren, wenn sie nicht ganz zerlumpt sind und nichts in der Hand haben als einen Stock oder Regenschirm.
Kommt aber einer, der ein Paket trägt oder sonst etwas, aus dem anzunehmen ist, daß er den arbeitenden Klassen angehört, und will vorn hinauf, so stürzt der Portier sich auf ihn wie ein Berserker und schleift ihn nach der Hintertreppe. Man lässt manchmal einen Mann vorn hinaus aus Bequemlichkeit oder um es ihm leichter zu machen, wenn er etwas zu tragen hat, weil die Hintertreppe häufig steil ist, und man denkt, vielleicht sieht es der Portier nicht, aber er sieht es doch und wütend kommt er herausgestürmt, um sich über Verletzung der Hausordnung zu beklagen. Wie viel Lärm und Unruhe entsteht dadurch im Hause! Man kam früher ohne so rigorose Bestimmungen in Bezug auf die Benutzung der beiden Treppen aus. Dass diejenigen, die in den hinteren Räumen der Wohnung zu tun haben, die Hintertreppe benutzen ist ja selbstverständlich. Ein endloser Korridor pflegt in den neuen „herrschaftlichen“ Häusern von Berlin W. die Vorderräume, wo die ,,Herrschaft“ sich aufhält, von der Küche und dem hinteren Eingang zu trennen, was von hinten herauskommt, entzieht sich fast gänzlich der Kontrolle der Hausfrau. Aus diesem Grunde hat alles, was mit dem Gesinde zu tun hat oder sich zu tun macht, schon von selbst ein großes Interesse daran, die Hinterkreppe zu benutzen. Deshalb hat der Portier es gar nicht nötig, so sehr peinlich auf die Beobachtung der Treppenordnung zu halten. Er zeigt sich aber meistens überaus strenge darin. In einem Hanse des Westens, in dem ich wohnte, wurden meine eigenen Kinder, wenn sie zum Bäcker geschickt waren und mit Brot zurückkehrten, vom Portier angehalten und von der Vordertreppe weggewiesen auf die Hintertreppen. Lieber Himmel, konnte irgend eine der im Hause wohnenden Parteien daran Anstoß nehmen, daß ihr auf der Treppe ein Kind mit einem Brote begegnete? Ein kleines Mädchen, das ein großes Brot - so groß die Bäcker in dieser teuern Zeit es backen - in den Händen trägt - ist, ich meine, etwas, das selbst ein Wirklicher Geheimer Rat freundlich anblicken kann, ohne sich dadurch zu erniedrigen. Da ich nun die Gewohnheit habe, selbst dieses und jenes auf Märkten einzukaufen und nach Hause zu tragen, so bin ich immer in großer Sorge, daß der Portier mir einmal die Vordertreppe verbieten wird. Nun, am Ende mache ich mir nichts daraus. - Und diese Portiers, die häufig Schuhflicker oder Flickschneider sind, wollen für Freiheit und Gleichheit schwärmen und stimmen bei den Wahlen für den sozialdemokratischen Kandidaten. Es ist doch schwer, den knechtischen Sinn aus den Menschen auszutreiben.
Diese hundert Berliner Bilder sind eine Auswahl von Momentaufnahmen, die ich in den letzten Jahren für die „National Zeitung“ gemacht habe. Dabei war ich darauf bedacht, das auszuwählen, was Aussicht zu haben schien, für einige Zeit noch Interesse zu behalten.
Die Aufnahmen sind meist auf der Straße gemacht. Man geht so hin, da fällt einem dies und das von selbst in die Augen, oder es kommt einem auch vor, als würde man von jemand, der unsichtbar neben einem herschreitet, angestoßen mit den Worten. ,,Sieh, das ist gut aufzunehmen!“ Wenn die Aufnahme, für die bekanntlich ein verschwindend kleiner Teil einer Sekunde genügt, gemacht ist, dann handelt es sich darum, das Bild rasch zu entwickeln, weil es sonst bald undeutlich wird, sich verschleiert oder auch ganz verschwindet. So habe ich denn auch das Entwickeln gewöhnlich schon auf der Straße vorgenommen, und dabei ist man einigen Misslichkeiten ausgesetzt von der Art, wie sie dem begegnen, der auf den Weg nicht achtet, weil er seine Gedanken anderswo hat. Man biegt auch in einem Stadtrevier, in dem man sich wohl auskennt, in eine falsche Straße ein und aus dieser wieder in eine falsche Straße, ohne es zu merken. Oder man geht in ein unrichtiges Haus und steigt in diesem so viel Treppenstufen empor, als überhaupt da sind, bis man seinen Irrtum gewahr wird. Dann ist es einem sehr lieb, man beim Hinuntersteigen keinem begegnet, der einen fragen könnte: „Was haben Sie hier zu suchen?“ Das alles ist nicht schlimm, schlimmer stellt sich die Sache, wenn man Radfahrer in die Gefahr bringt, einen umzuradeln. Plötzlich vernimmt man einen in überaus unmutigem Tone gehaltenen Ausruf, und hurtig zur Seite springend gewahrt man einen Radler, der einen mit ingrimmigen Worten anschnauzt. Lange vernimmt man sein Zürnen nicht, weil er rasch davon saust, so lange er aber noch zu sehen ist, bemerkt man, daß er wieder und wieder sich umdreht und schimpft. Das nimmt man nicht weiter übel und verdenkt es ihm nicht. Wenn man ehrlich ist, muss man sich ja doch sagen, man ist wirklich Schuld daran gewesen, daß er sich einer großen Unannehmlichkeit ausgesetzt gesehen hat.
So sind diese Momentaufnahmen gemacht, entwickelt und fixiert worden, um endlich vervielfältigt zu werden. Der sie gemacht hat, wird sich freuen, wenn er zu hören bekommt, daß eine oder die andere gelungen sei. Freut sich doch jeder Photograph, wenn ihm gesagt wird. ,,Das Bild ist ähnlich.“
Berlin, im August 1903.
Johannes Trojan.
Nur für Herrschaften!
Nur für Herrschaften! ruft gewöhnlich dem Eintretenden ein Anschlag an der Vordertreppe unserer Häuser in Berlin W. zu. Es macht mich jedesmal verstimmt, wenn ich das lese. Es hat etwas Protziges und Aufreizendes an sich, und ich persönlich mache mir aus dem Titel „Herrschaft“ gar nichts. Aber in Berlin ist das Wort ,,herrschaftlich“ sehr beliebt; „herrschaftliche Wohnungen“ werden vorzugsweise solche genannt, die mit einem Schein von Vornehmheit ausstattet sind, mit Marmor aus Stuck, mit Holzgetäfel aus Papier und anderer lieblicher Augenverblendung. Das stolze Werk ,,herrschaftlich“ genügt nicht einmal, man hat davon eine greuliche Steigerung „hochherrschaftlich“ gebildet, die in das Gebiet des groben Sprachunfugs fällt.
Wie gesagt, ich mag das Wort ,,Herrschaft“ nicht, und ich sage mir: selbst wenn man einen gewissen Sinn damit verbindet, ist es im einzelnen Fall schwer zu entscheiden, wer zur Herrschaft gehört und wer nicht. Freilich brauchte ich mir deshalb keine Sorge zu machen, denn im Hause habe ich nicht darüber zu entscheiden, sondern der Portier, dessen Sache es ist, „Herrschaften“ vorn hinaufzulassen, Nichtherrschaften auf die Hintertreppe hinzuweisen. Aber trifft der Portier auch immer das Richtige? Ist er Menschenkenner genug, um zwischen „Herrschaften“ und solchen Personen, die es nicht sind, unterscheiden zu können? Nein, in den meisten Fällen ist er es nicht. Lediglich nach einigen äußeren Merkmalen richtet er sich und urteilt danach. Schnorrer und noch viel schlimmere Leute lässt er ruhig vorn hinaufspazieren, wenn sie nicht ganz zerlumpt sind und nichts in der Hand haben als einen Stock oder Regenschirm.
Kommt aber einer, der ein Paket trägt oder sonst etwas, aus dem anzunehmen ist, daß er den arbeitenden Klassen angehört, und will vorn hinauf, so stürzt der Portier sich auf ihn wie ein Berserker und schleift ihn nach der Hintertreppe. Man lässt manchmal einen Mann vorn hinaus aus Bequemlichkeit oder um es ihm leichter zu machen, wenn er etwas zu tragen hat, weil die Hintertreppe häufig steil ist, und man denkt, vielleicht sieht es der Portier nicht, aber er sieht es doch und wütend kommt er herausgestürmt, um sich über Verletzung der Hausordnung zu beklagen. Wie viel Lärm und Unruhe entsteht dadurch im Hause! Man kam früher ohne so rigorose Bestimmungen in Bezug auf die Benutzung der beiden Treppen aus. Dass diejenigen, die in den hinteren Räumen der Wohnung zu tun haben, die Hintertreppe benutzen ist ja selbstverständlich. Ein endloser Korridor pflegt in den neuen „herrschaftlichen“ Häusern von Berlin W. die Vorderräume, wo die ,,Herrschaft“ sich aufhält, von der Küche und dem hinteren Eingang zu trennen, was von hinten herauskommt, entzieht sich fast gänzlich der Kontrolle der Hausfrau. Aus diesem Grunde hat alles, was mit dem Gesinde zu tun hat oder sich zu tun macht, schon von selbst ein großes Interesse daran, die Hinterkreppe zu benutzen. Deshalb hat der Portier es gar nicht nötig, so sehr peinlich auf die Beobachtung der Treppenordnung zu halten. Er zeigt sich aber meistens überaus strenge darin. In einem Hanse des Westens, in dem ich wohnte, wurden meine eigenen Kinder, wenn sie zum Bäcker geschickt waren und mit Brot zurückkehrten, vom Portier angehalten und von der Vordertreppe weggewiesen auf die Hintertreppen. Lieber Himmel, konnte irgend eine der im Hause wohnenden Parteien daran Anstoß nehmen, daß ihr auf der Treppe ein Kind mit einem Brote begegnete? Ein kleines Mädchen, das ein großes Brot - so groß die Bäcker in dieser teuern Zeit es backen - in den Händen trägt - ist, ich meine, etwas, das selbst ein Wirklicher Geheimer Rat freundlich anblicken kann, ohne sich dadurch zu erniedrigen. Da ich nun die Gewohnheit habe, selbst dieses und jenes auf Märkten einzukaufen und nach Hause zu tragen, so bin ich immer in großer Sorge, daß der Portier mir einmal die Vordertreppe verbieten wird. Nun, am Ende mache ich mir nichts daraus. - Und diese Portiers, die häufig Schuhflicker oder Flickschneider sind, wollen für Freiheit und Gleichheit schwärmen und stimmen bei den Wahlen für den sozialdemokratischen Kandidaten. Es ist doch schwer, den knechtischen Sinn aus den Menschen auszutreiben.