Einleitung.
Das lebhafte Interesse, das Baumeister und Bauherren gegenwärtig der deutschen Baukunst vom Ausgang des 18. Jahrhunderts entgegenbringen, entspringt einer inneren Notwendigkeit. Gleichzeitig mit der Wiedererstarkung des architektonischen Empfindens ist das Verständnis für die natürliche baukünstlerische Entwicklung des 18. Jahrhunderts erweckt worden. In Berlin, wo der Gründerstil in den beiden letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts die üppigsten Blüten getrieben hatte, ist durch Messels Schaffen in seiner letzten Periode das Gefühl für die Werke der deutschen Baukunst gerade vom Ende des 18. Jahrhunderts lebhafter als irgendwo anders rege geworden. Der Anschluss an die abgebrochenen Überlieferungen der heimischen Kunstweise ist durch ihn glücklicher und tiefer als durch irgend einen anderen Baumeister hergestellt worden. Aber auch nur in Berlin konnte sich dieser Prozess so natürlich und erfolgreich vollziehen. Hier nämlich hatte sich allein in Deutschland unter dem Schutze der an die Spitze der deutschen Fürsten gelangten Hohenzollern am Ausgang des 18. Jahrhunderts eine wirkliche Bauschule, ein geschlossener Stil in der Architektur herausgebildet. Für den Architekten unserer Zeit haben diese Schöpfungen ein so großes Interesse, weil sie auf der einen Seite noch in dem sinnlich architektonischen Empfinden des Barock wurzeln, auf der anderen Seite aber bereits Keime des modernen Empfindens in sich tragen.
Drei Hauptmomente der architektonischen Kunst waren in dieser Zeit noch lebendig, das Gefühl für Raumgestaltung, das nicht nur die äußere Masse und die Innenräume der einzelnen Gebäude, sondern ihre Einordnung in die Straßen und Plätze, in das gesamte Raumbild der Stadtanlage betrifft, zweitens das Gefühl für Proportionen, und drittens für die plastische Behandlung der Fläche, das heißt für das richtige Verhältnis der Plastik zur Mauer. Diese Grundelemente der Architektur, die eine unlösbare Einheit bilden, und auf das gesamte Gebiet des architektonischen Schaffens bis in den kleinsten Zweig der schmückenden Künste hinein von entscheidendem Einfluss sind, waren in dem Verlauf des 19. Jahrhunderts mehr und mehr verloren gegangen. Wie nun das Gefühl für das, was die Architektur mit ihren räumlichen linearen und plastischen Mitteln auszudrücken imstande ist, wieder erwachte: da erschloss sich der Blick auch für die Meister vom Ausgang des 18. Jahrhunderts, die als letzte jene obengenannten Eigenschaften besaßen. In dem Organischen also, dem Sinnlich-Architektonischen, nicht in einzelnen Ornamentmotiven und Sentimentalitäten beruht der Wert dieser Kunst für uns. Dass sie in der Tat am Ende der großen Barockentwicklung steht, daß ihre Schöpfungen mit den großartigen Werken der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, mit den Arbeiten Neumanns, Fischers, Pöppelmanns usw. nicht in Vergleich zu setzen sind, ist eine Frage, die dabei außer Betracht bleiben kann.
Ein Hauptzug der Architektur um 1800, wodurch sie für uns weiterhin von Interesse ist, ist das Vorherrschen des bürgerlichen Elementes im Gegensatz zum Schloss-, Kirchen- und Repräsentationsbau des Barock. Die allgemeinen Grundriss- und Aufrisslösungen folgen zwar auch damals noch in Deutschland den Regeln der fürstlichen französischen Bauweise des 18. Jahrhunderts. Dabei bildeten sich aber doch und gerade in dem zur ersten Stadt Deutschlands aufsteigenden Berlin wertvolle Ansätze praktisch bürgerlicher Bauweise her aus; speziell dem städtischen Wohnhause, dem Nutzbau, vor allem dem Landhausbau kamen sie zu gute. Die Inneneinrichtung des bürgerlichen Wohn- und Landhauses ist damals in Berlin mit der größten Feinheit und Gemütlichkeit durchgebildet worden; ihr ist denn auch in unserer Publikation ein großer Raum gegönnt.
Zwei Schlagworte sind es vor allem, die die unbefangene Wertung der deutschen Baukunst um 1800 lange Zeit verhindert haben und die deshalb einer eingehen den Klarstellung bedürftig wären: Nachahmung der Antike und Klassizismus. Mit diesen Schlagworten wird in den Lehrbüchern eine Kunst erledigt, deren reizvolle Schöpfungen auf unseren Tafeln zusammengestellt sind. Unmöglich können diese Bezeichnungen etwas Wesentliches über den künstlerischen Gehalt aussagen. Schon die spärlichen Äußerungen dieser Baumeister selbst über ihre Kunst, so die des Langhans über den Theaterbau, die des Erdmannsdorff über die antiken Vorbilder, die der beiden Gilly über den Bau der Landhäuser, die des Gentz über sein Münzgebäude, lassen darüber keinen Zweitel walten, daß diese Meister etwas anderes wollten, als die Antike nachahmen; ja, daß sie die schärfsten Gegner antiker, wie überhaupt von Stilnachahmungen gewesen sind, sobald darunter die sachliche und lebendige Gestaltung ihrer Bauten Schaden litt. Zu sehr bestrebt, die Kunstgeschichte auf eine Linie zu bringen, übersehen wir, dass es damals große Künstlergruppen gab, die in der Baupraxis groß geworden, von den Theorien Winckelmanns und der sächsischen Akademiker unberührt geblieben sind, und unter diesen ist die Berliner Künstlergruppe die erfreulichste; in Berlin erhob sich ja damals auch der lebensvollste deutsche Bildhauer der Zeit, Gottfried Schadow, um das Studium der Natur und der heimischen Umgebung gegen die sklavische Antikenverehrung Goethes und der Weimarer Propyläen zu verteidigen. Allerdings bedienten sich diese Meister der antiken Bauformen, wie dies seit der Renaissance selbstverständlich war, aber in ihrem eigenen Sinne, um daraus das zu schaffen, was uns auf den ersten Blick als ihr eigentümlicher Stil erscheint.
Der andere Begriff, unter dem die Architektur um 1800 in die geschichtliche Entwicklung eingeordnet wird, ist der des Klassizismus. Man sucht seine Entstehung vor der Mitte des 18. Jahrhunderts, als Reaktion gegen den Barock. Aber auch hier wird der lebendige Sachverhalt durch die Begriffe zugunsten der historischen Systematik getrübt. Denn die klassische Richtung, das heilet, die das Struktursystem in den Vordergrund stellende Bauweise, die ihren Ausgangspunkt in dem 15. Jahrhundert in Toskana hat, geht ohne Unterbrechung neben der barocken her. Diese letztere, die barocke, die das malerisch plastische Element in der Architektur zu überwiegender Geltung bringt, hat ihren Hauptstrom von Rom aus über Italien, Österreich, Süddeutschland und die Rheinlande, vereinzelt auch nach Norddeutschland (Schlüter in Berlin) gesendet. Michelangelo, Bernini und Borromini sind ihre Führer. Aber die klassische strenge Richtung verbreitet sich inzwischen in gleicher Stärke über Oberitalien, Frankreich, England, Holland und vereinzelt in Deutschland. Ihr Losungswort ist Palladio. Wenn wir nun auch beide Richtungen hie und da feindlich zusammenstoßen sehen, so bei den Gegensätzen zwischen der klassisch geschulten Pariser Akademie und Bernini, bei der Feindseligkeit des Blondel gegen Perrault, so kann daraus doch nicht eine prinzipielle, sich ausschließende Gegensätzlichkeit beider Richtungen gefolgert werden. Gedeiht doch in Rom die strenge Richtung des Vignola neben Michelangelos Schule, geht in Paris doch die strenge Außenarchitektur Blondels mit den freier bewegten Innendekorationen Meissoniers zusammen; in Dresden arbeitet Longuelüne aus der strengen Schule Blondels neben Pöppelmann, dem Schüler der italienischen Barockstuckatoren; ja den größten deutschen Barockbaumeister Balthasar Neumann sehen wir in freundlicher Verbindung mit Blondel, der die Grundrisse zum Würzburger Schlossbau überarbeitet. Ist nicht endlich Bernini, so barock als Bildhauer er ist, in seiner Architektur, wie den Peterskolonnaden, in vieler Hinsicht klassisch? Und umgekehrt: hat nicht Palladio, dieser ,,Vater des strengen Dogmatismus“ in seinen Bauten ein starkes plastisch malerisches barockes Moment? Die Stilbegriffe sind bei der historischen Darstellung unentbehrlich; mit der Wertung der Bauwerke haben sie gar nichts zu tun; hier ist die Frage allein, ob ein Werk gute oder schlechte Architektur ist. Und prüfen wir so, unbeeinflusst von den theoretischen Streitigkeiten der Kunst; Schriftsteller des 17. bis 19. Jahrhunderts, die Schöpfungen der Baumeister selbst auf ihren sinnlichen architektonischen Gehalt, nicht auf ihre Richtung hin, so wird sich die ganze Baukunst der Renaissance bis in den Ausgang des 18. Jahrhunderts als eine Einheit zusammenschließen.
Das Vorstehende bestätigt sich nirgendwo deutlicher als bei Betrachtung desjenigen Meisters, der von den Theorikern bereits seiner eigenen Zeit als ,,der Wiederhersteller des antiken Geschmacks“, als der Bahnbrecher des ,,Klassischen“ in der Architektur gefeiert wurde, Knobelsdorff.
015 Fr. Gilly, Skizze zum Münzfries von Schadow. Detail
016 Opernhaus und Hedwigskirche 1747. Kupferstich von Legeay.
Drei Hauptmomente der architektonischen Kunst waren in dieser Zeit noch lebendig, das Gefühl für Raumgestaltung, das nicht nur die äußere Masse und die Innenräume der einzelnen Gebäude, sondern ihre Einordnung in die Straßen und Plätze, in das gesamte Raumbild der Stadtanlage betrifft, zweitens das Gefühl für Proportionen, und drittens für die plastische Behandlung der Fläche, das heißt für das richtige Verhältnis der Plastik zur Mauer. Diese Grundelemente der Architektur, die eine unlösbare Einheit bilden, und auf das gesamte Gebiet des architektonischen Schaffens bis in den kleinsten Zweig der schmückenden Künste hinein von entscheidendem Einfluss sind, waren in dem Verlauf des 19. Jahrhunderts mehr und mehr verloren gegangen. Wie nun das Gefühl für das, was die Architektur mit ihren räumlichen linearen und plastischen Mitteln auszudrücken imstande ist, wieder erwachte: da erschloss sich der Blick auch für die Meister vom Ausgang des 18. Jahrhunderts, die als letzte jene obengenannten Eigenschaften besaßen. In dem Organischen also, dem Sinnlich-Architektonischen, nicht in einzelnen Ornamentmotiven und Sentimentalitäten beruht der Wert dieser Kunst für uns. Dass sie in der Tat am Ende der großen Barockentwicklung steht, daß ihre Schöpfungen mit den großartigen Werken der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, mit den Arbeiten Neumanns, Fischers, Pöppelmanns usw. nicht in Vergleich zu setzen sind, ist eine Frage, die dabei außer Betracht bleiben kann.
Ein Hauptzug der Architektur um 1800, wodurch sie für uns weiterhin von Interesse ist, ist das Vorherrschen des bürgerlichen Elementes im Gegensatz zum Schloss-, Kirchen- und Repräsentationsbau des Barock. Die allgemeinen Grundriss- und Aufrisslösungen folgen zwar auch damals noch in Deutschland den Regeln der fürstlichen französischen Bauweise des 18. Jahrhunderts. Dabei bildeten sich aber doch und gerade in dem zur ersten Stadt Deutschlands aufsteigenden Berlin wertvolle Ansätze praktisch bürgerlicher Bauweise her aus; speziell dem städtischen Wohnhause, dem Nutzbau, vor allem dem Landhausbau kamen sie zu gute. Die Inneneinrichtung des bürgerlichen Wohn- und Landhauses ist damals in Berlin mit der größten Feinheit und Gemütlichkeit durchgebildet worden; ihr ist denn auch in unserer Publikation ein großer Raum gegönnt.
Zwei Schlagworte sind es vor allem, die die unbefangene Wertung der deutschen Baukunst um 1800 lange Zeit verhindert haben und die deshalb einer eingehen den Klarstellung bedürftig wären: Nachahmung der Antike und Klassizismus. Mit diesen Schlagworten wird in den Lehrbüchern eine Kunst erledigt, deren reizvolle Schöpfungen auf unseren Tafeln zusammengestellt sind. Unmöglich können diese Bezeichnungen etwas Wesentliches über den künstlerischen Gehalt aussagen. Schon die spärlichen Äußerungen dieser Baumeister selbst über ihre Kunst, so die des Langhans über den Theaterbau, die des Erdmannsdorff über die antiken Vorbilder, die der beiden Gilly über den Bau der Landhäuser, die des Gentz über sein Münzgebäude, lassen darüber keinen Zweitel walten, daß diese Meister etwas anderes wollten, als die Antike nachahmen; ja, daß sie die schärfsten Gegner antiker, wie überhaupt von Stilnachahmungen gewesen sind, sobald darunter die sachliche und lebendige Gestaltung ihrer Bauten Schaden litt. Zu sehr bestrebt, die Kunstgeschichte auf eine Linie zu bringen, übersehen wir, dass es damals große Künstlergruppen gab, die in der Baupraxis groß geworden, von den Theorien Winckelmanns und der sächsischen Akademiker unberührt geblieben sind, und unter diesen ist die Berliner Künstlergruppe die erfreulichste; in Berlin erhob sich ja damals auch der lebensvollste deutsche Bildhauer der Zeit, Gottfried Schadow, um das Studium der Natur und der heimischen Umgebung gegen die sklavische Antikenverehrung Goethes und der Weimarer Propyläen zu verteidigen. Allerdings bedienten sich diese Meister der antiken Bauformen, wie dies seit der Renaissance selbstverständlich war, aber in ihrem eigenen Sinne, um daraus das zu schaffen, was uns auf den ersten Blick als ihr eigentümlicher Stil erscheint.
Der andere Begriff, unter dem die Architektur um 1800 in die geschichtliche Entwicklung eingeordnet wird, ist der des Klassizismus. Man sucht seine Entstehung vor der Mitte des 18. Jahrhunderts, als Reaktion gegen den Barock. Aber auch hier wird der lebendige Sachverhalt durch die Begriffe zugunsten der historischen Systematik getrübt. Denn die klassische Richtung, das heilet, die das Struktursystem in den Vordergrund stellende Bauweise, die ihren Ausgangspunkt in dem 15. Jahrhundert in Toskana hat, geht ohne Unterbrechung neben der barocken her. Diese letztere, die barocke, die das malerisch plastische Element in der Architektur zu überwiegender Geltung bringt, hat ihren Hauptstrom von Rom aus über Italien, Österreich, Süddeutschland und die Rheinlande, vereinzelt auch nach Norddeutschland (Schlüter in Berlin) gesendet. Michelangelo, Bernini und Borromini sind ihre Führer. Aber die klassische strenge Richtung verbreitet sich inzwischen in gleicher Stärke über Oberitalien, Frankreich, England, Holland und vereinzelt in Deutschland. Ihr Losungswort ist Palladio. Wenn wir nun auch beide Richtungen hie und da feindlich zusammenstoßen sehen, so bei den Gegensätzen zwischen der klassisch geschulten Pariser Akademie und Bernini, bei der Feindseligkeit des Blondel gegen Perrault, so kann daraus doch nicht eine prinzipielle, sich ausschließende Gegensätzlichkeit beider Richtungen gefolgert werden. Gedeiht doch in Rom die strenge Richtung des Vignola neben Michelangelos Schule, geht in Paris doch die strenge Außenarchitektur Blondels mit den freier bewegten Innendekorationen Meissoniers zusammen; in Dresden arbeitet Longuelüne aus der strengen Schule Blondels neben Pöppelmann, dem Schüler der italienischen Barockstuckatoren; ja den größten deutschen Barockbaumeister Balthasar Neumann sehen wir in freundlicher Verbindung mit Blondel, der die Grundrisse zum Würzburger Schlossbau überarbeitet. Ist nicht endlich Bernini, so barock als Bildhauer er ist, in seiner Architektur, wie den Peterskolonnaden, in vieler Hinsicht klassisch? Und umgekehrt: hat nicht Palladio, dieser ,,Vater des strengen Dogmatismus“ in seinen Bauten ein starkes plastisch malerisches barockes Moment? Die Stilbegriffe sind bei der historischen Darstellung unentbehrlich; mit der Wertung der Bauwerke haben sie gar nichts zu tun; hier ist die Frage allein, ob ein Werk gute oder schlechte Architektur ist. Und prüfen wir so, unbeeinflusst von den theoretischen Streitigkeiten der Kunst; Schriftsteller des 17. bis 19. Jahrhunderts, die Schöpfungen der Baumeister selbst auf ihren sinnlichen architektonischen Gehalt, nicht auf ihre Richtung hin, so wird sich die ganze Baukunst der Renaissance bis in den Ausgang des 18. Jahrhunderts als eine Einheit zusammenschließen.
Das Vorstehende bestätigt sich nirgendwo deutlicher als bei Betrachtung desjenigen Meisters, der von den Theorikern bereits seiner eigenen Zeit als ,,der Wiederhersteller des antiken Geschmacks“, als der Bahnbrecher des ,,Klassischen“ in der Architektur gefeiert wurde, Knobelsdorff.
015 Fr. Gilly, Skizze zum Münzfries von Schadow. Detail
016 Opernhaus und Hedwigskirche 1747. Kupferstich von Legeay.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Berliner Baumeister vom Ausgang des Achtzehnten Jahrhunderts.
BB 000 Gilly, Friedrich. Marmorbüste von Gottfried Schadow 1802
BB 012 Berliner Baumeister
BB 013 Berlin, Opernhausplatz nach dem Stich von Fünck 1743
BB 015 Berlin, Fr. Gilly, Skizze zum Münzfries von Schadow. Detail
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