Die Berliner Baukunst nach 1763. Gontard und Unger.

Auch die zweite Bauepoche der Regierung Friedrichs des Großen, die nach siebenjährigem Stillstand im Jahre 1763 mit noch größrer Fülle als die erste einsetzt, hat mit der Knobelsdorfs gemein, daß sie eine lebendige Verbindung von malerisch-plastischem Barockempfinden mit der strengeren klassischen Richtung darstellt. Auch Gontard und Unger, die dieser Epoche den Stempel aufgeprägt haben, sind von der antiken Manie der literarischen und theoretischen Kreise, die sich unterdessen verbreitet hatte, völlig frei geblieben. Inzwischen hatten ja deren Bestrebungen in den Schritten Winckelmanns einen beredten Ausdruck gefunden. Winckelmann, nicht weit von Berlin, in Stendal in der Altmark geboren, war in Dresden unmittelbar mit jenem schon genannten Kreise sächsischer Antikenschwärmer in Berührung gekommen; die entscheidenden Anregungen empfing er von Raffael Mengs. Die aus dem Hass gegen die Entartung des Rokoko geborene Antikenverehrung, die in Frankreich durch den Abbé Galiani und den Grafen Caylus vertreten ist, hat in Sachsen an der Leipziger Akademie ihren Sitz aufgeschlagen; Öser, Mengs, Hagedorn zählen hierher. Sie ging Hand in Hand mit der klassischen Architekturrichtung, der zuerst Krubsazius, in Dresden bei Longuelüne und in Paris bei Blondel gebildet, Ausdruck gab. Alle Forderungen des Krubsazius (1745) sind dem Blondel entlehnt: ,,die Proportionen sind die Hauptsache, verwerflich ist die Vermischung der Säulenordnungen“, vor allem das , Grillen- und Muschelwerk“, das bei Zimmerverkleidungen und Möbeln freilich gestattet wird. Auch die im folgenden Jahr 1746 erscheinende mehrfach aufgelegte „bürgerliche Baukunst“ des Kgl. Großbritann. Rates und Göttinger Bau-Inspektors Penther gibt nur Wiederholungen der Blondelschen Regeln: Regelmäßigkeit ist die erste Forderung, L. Batt. Alberti hat sie eingeführt, die gotische Barbarei verdrängt; in Italien, an der französischen Akademie, in England sei der klassische Stil zum Siege gelangt. ,,Der Periodus einer echten reinen gegründeten Architektur“ scheine aber wieder zu Ende zu gehen, anstatt der Alten führe man einen Libertinismus ein und begnüge sich mit allerhand Grottesquerien; gegen das römische und griechische Bauen sei das heutige Puppenwerk, dessen Hauptgestelle mit Harlekinsputz eingekleidet sei. ,,Wir müssen eine natürliche und beständige Bauart erwählen und der alten Griechen und Römer Architektur behalten.“ Hieraus wächst nun Winckelmanns Kunstlehre hervor; dieselben Schlagworte in den Anmerkungen über die Baukunst der Alten (Leipzig 1762): ,,In dem Zierrat der Alten herrschte die Einfalt, bei den neueren das Gegenteil, sie schweifen aus. Man hat sogar neuerfundene Schnirkel, mit welchen einige Zeit her Französische und Augsburgische Kupferstiche eingefasst wurden, an den Vorderseiten der Gebäude angebracht . . .

023 Spiegelwand. Kupferstich von J. W. Meil.


Michelangelo fing an auszuschweifen und Borromini führte ein großes Verderbnis in die Baukunst ein.“ Berninis Plastik wird verurteilt, ,,das freche Feuer“, die ,, Franchezza“. Wie diese negativen Lehren Winckelmanns völlig aus den einseitig klassizistischen Theorien der voraufgehenden Kunstschriftstellerei entstanden sind, ohne irgend etwas Neues zu enthalten, so er; hebt sich auch sein Kunsturteil nicht über die Modephrasen dieser literarischen Ästhetik. Öser und Mengs rechnet er zu den größten Meistern! Die Größe seiner Persönlichkeit bleibt deshalb unberührt, aber daß er auf die zeitgenössische deutsche Kunst, soweit sie wirklich lebendig ist, ohne Einfluss blieb, wie er zu ihr keine unbefangene innere Beziehung hatte, muss einmal betont werden. Denn gerade sein Name hat das Verständnis für die echte Kunst der nachfolgenden Epoche so lange verhindert.

024 Neues Palais bei Potsdam von Büring und Manger 1763—1770.

Die nach dem Hubertusburger Frieden (1763) neu einsetzende friderizianische Baukunst ist also, wie die Knobelsdorfsche, in lebendigster Verbindung mit dem kräftigen plastisch malerischen Architekturempfinden des Barock. Der Triumphbogen auf den Frieden selbst (im Stich von Fechhelm) zeigt die reiche korinthische und Karyatidendekoration mit bekrönten Attiken der Knobelsdorfschen Schule. Der Riesenbau des neuen Palais (1763—1770) von Büring und Manger in Anlehnung an englisch; holländische Backsteinarchitektur, die Kommuns nach Legeays Plänen von Gontard (1765—69) erbaut, mehr noch die Bauten Gontards selbst: die Königskolonnaden (1777-80), die Spittelkolonnaden (1777), das Militärwaisenhaus in Potsdam mit schlanker Kuppel, die zahlreichen Wohnhäuser, die der Künstler mit Unger zusammen im Auftrag des Königs von 1769—1786 an den neugegründeten Plätzen, am Hackeschen- und Gensdarmenmarkt, am Dönhofsplatz und den anstoßenden Straßen der Friedrichsstadt, sowie in Potsdam aufführte: alle diese Schöpfungen belebt ein starkes plastisch malerisches Leben; und gerade die letzten Bauten, die Gensdarmenkirchen, nach dem Vorbild der Kuppelkirchen auf der Piazza del Popolo in Rom 1781—85 errichtet, und Ungers abgebrochenes Kadettenhaus, Königl. Bibliothek (1777), Fassade des Exerzierhauses in Potsdam (1781), ja die Vorgebäude von Monbijou 1787!

025 Die Kommuns beim Neuen Palais nach Legeay von Gontard 1765— 69.

Bei alledem besteht zwischen dieser Baugruppe von 1763—1787 und der Knobelsdorfschen doch ein deutlicher Unterschied. Das klassische Element äußert sich jetzt in anderer Weise. Die gleichmäßige Aufreihung der Säulen und Pilaster schon beim neuen Palais und den Kommuns, bei den Gensdarmenkirchen, wo auch die Kuppelzylinder damit ummantelt sind, bei den meisten Hausfassaden, weicht ebenso wie die schwere Bildung der weniger ausladenden Gebälke von der plastischen Beweglichkeit und Gelenkigkeit Knobelsdorfs ab. Wie bereits Legeay, so sind auch Gontard und Unger von dem, seit den 50er Jahren von der Pariser Schule in Rom entwickelten klassizistischen Stile berührt, der auf die Verwendung der Säule ein Hauptgewicht legt; jener Stil, der erneut das Studium der Antike ergreift, der durch die Namen Soufflot, Leroi, Clérisseau charakterisiert wird. Antikisierende Ornamentformen, Festons, Tuch- und Lorbeergehänge, Porträtmedaillons, römische Waffentrophäen, Relieftafeln sind bezeichnende Einzelformen dieses frühen Louisseize. In der reichlichen Verwendung der Halbsäulen und Pilaster und der schweren Rustikabekleidung bei den Königlichen Immediatbauten äußert sich daneben die unter des Königs eigener Iniative erneut aufgenommene Beschäftigung mit den Werken Palladios. In Millenets kritischen Anmerkungen, den Zustand der Baukunst in Berlin und Potsdam betreffend, Berlin Himburg 1776, zeigt sich auch der starke Einfluss der französischen Theoretiker Blondelscher Observanz in Berlin, wie er auch in den Architekturabschnitten der 1771 erscheinenden Theorie der schönen Künste des Berliner Ästhetikers Sulzer tonangebend ist. Ordnung, Schicklichkeit der inneren Einrichtung, Regelmäßigkeit, guter Geschmack in den Verzierungen fordert Millenet; Rückkehr zur edlen Einfalt der Griechen, Abkehr von den ausgeputzten Fassaden. Von der Kenntnis der oben genannten neuklassischen römisch-französischen Richtung zeugt Millenets Empfehlung der Werke Lerois (Monuments de la Grèce — wovon Becherer, der ausführende Architekt der Gensdarmentürme, in seinen jungen Jahren eine erhaltene Kopie anfertigte), ferner werden Revetts Jonian Architekture, Piranesi und Soufflot von neueren Werken den Architekten empfohlen. Der breite malerische Effekt unterscheidet die Gontardbauten aber von der Klassik der Franzosen; die reichgeschmückten Attiken, die Vorliebe für altanartige Aufsätze mit Trophäen und Gruppen von Putten und allegorischen Figuren (Königs- und Spittelkolonnaden, Gensdarmentürme), die starke Plastik der Pilaster; und Gebälkgliederung, die häufige Anwendung von eingetieften stark modellierten Stuckreliefs, besonders bei den Potsdamer Bürgerhäusern, bekunden das Vorwalten des barocken Gefühles, fast noch stärker als bei den maßvoll komponierten Bauten Knobelsdorfs. Eine virtuose für dekorative Arbeiten überaus geschickte Bildhauerschule erwuchs gleichzeitig mit der friderizianischen Architektur nach dem siebenjährigen Kriege. Auf die älteren Rokokomeister Nahl, Adam, Michel folgen seit 1761 Friedrich Elias Meyer d. Ä., der aus Meißen an die Berliner Porzellanmanufaktur überging und in seinen ersten Modellen hierfür, Schäfern, Chinesen usw. dem Stile seines Lehrers Kändler folgt, dann sein Bruder Wilhelm Christian Meyer, der als Modelleur an der Porzellanmanufaktur eine überaus fruchtbare Tätigkeit entfaltete; der große, 1772 vom König der Kaiserin Katharina II. geschenkte Tafelaufsatz, ist sein Hauptwerk. Daneben fertigte er zahlreiche allegorische Gruppen (Symbole der Künste, antike Götter), die durch geschickte Komposition, langgezogene klassische Figuren in glatter Bewegung bezeichnend sind; von ihm die Steingruppen als Laternenträger auf dem Leipziger Platz von der Opernhausbrücke (1776). An den Brücken und Kolonnaden, die Friedrich seit den 70er Jahren über die alten Festungsgräben führen ließ, und an den Stadttoren entfaltete sich die Plastik der Meyers besonders. Neben diesen mehr barocken Meistern arbeiteten seit den 80er Jahren in schon fortgeschrittenem klassischen Sinne Bettkober, Bardou, Eckstein, Tassart u. a.

026 Der Gensdarmenmarkt Ende des 18. Jahrhunderts. Ölgemälde im Märkischen Museum.
027 Oranienburger Tor von Gontard 1788 (abgebrochen).

In den Innenräumen, soweit sie unter den Augen des Königs selbst entstehen, herrscht bis in den Anfang der 80er Jahre das schwere Rokokoornament mit gezackten muschelartigen Rocaillen, derb und schwer im Vergleich zur zierlich gegliederten Ornamentik Knobelsdorfs. Die reichvergoldeten Schnitzereien und Stuckarbeiten im neuen Palais entstanden von rund 1765—70. Das ovalrunde Theater hat Atlanten als Träger der korbbogig schließenden Logenöffnungen und Palmbäume als Einfassung des Triumphbogens. Vielfach herrscht hier der Rocaillestil, den die Augsburger Nilson, Habermann usw. in ihren Stichen verbreiteten; wogegen die Blondelianer schon seit den 40er Jahren scharf gemacht hatten. Hoppenhaupt und Meil, die bei den Zeichnungen für diese Dekorationen mitwirkten, haben Ornamente und Möbel dieses Stiles auch in Stichen veröffentlicht. Die Festsäle mit Pilasterstellungen im reichen römisch korinthischen Stile nehmen am frühesten antikisierende Ornamentmotive, Lorbeerfestons, Relieftafeln usw. auf (Saal im neuen Palais, besonders Aula der Universität von 1764); Anfang der 80er Jahre dringen diese Louis seize Motive — neben Festons auch umwundene Stabeinfassungen, Schleifen, Tüchergehänge (Belvedere 1770) — in die beruhigte und reduzierte Rokokovertäfelung der Wohnräume ein. Hauptbeispiele: ein schöner Saal in Marmorstuck im Schloss zu Rheinsberg 1769 nach Angaben von Langhans dekoriert, Reliefmedaillons mit Putten an Gehängen zwischen Rocaillekonsolen (die neuen Kammern bei Sanssouci 1774, die marmornen Wände mit Rokokoleisten umrahmt, in den Füllungen antike Marmorbüsten auf Louisseizesockeln.) Im weiteren Verlauf der 70er Jahre werden in Rheinsberg für den Prinzen Heinrich eine Reihe von Sälen im Schloss und das Theater im Kavalierhause durch Hennert im neuen Stile dekoriert. Das letztere, außen mit viersäuliger dorischer gelbgeputzter Giebelfronte, hat innen ein kreisförmiges aus bemaltem Holz gebautes Logengerüst. Im frühen Louisseizestil ist um 1785 das Vestibül und vor allem der Mittelsaal im Schlosse Quilitz, jetzt Neu-Hardenberg, für den General von Prittwitz, eingerichtet worden; der letztere mit abgerundeten Ecken und drei Flügeltüren nach dem Garten mit feiner blauweißgetönter Stuckdekoration im französischen Louisseizestil. Im Jahre 1785 ließ der Prinz Biron von Kurland nach Nicolai das Schloss Friedrichsfelde im Inneren umgestalten, hiervon hat sich die gemalte Tapetendekoration des Treppenhauses und der Festsaal erhalten; dieser mit korinthischer Säulenstellung und reicher Gebälk; und Deckenverzierung in Stuck vertritt mehr die römische Richtung des klassizistischen Stiles. Endlich sind als weitere Saaldekorationen des damals berühmt werdenden Breslauer Architekten Langhans zu nennen: im niederländischen Palais, das der Kronprinz Friedrich Wilhelm für die Gräfin v. d. Mark einrichten ließ, der langrechteckige Tanzsaal im linken Flügel, mit halbrundgestellten Säulen an den Schmalseiten, der ähnliche Saal im ehemal. Palais Dönhoff in der Wilhelmstraße, ein dritter nur in Nicolais Beschreibung erhaltener im Palais des Ministers von Zedlitz und der ovale Mittelsaal im Schlosse Bellevue, das von Boumann 1785 für den Prinzen Ferdinand erbaut worden war. Diese, mit feinem, silbergrauem, weißem und blassgelbem Stuckmarmor dekorierten Säle mit knappen geradlinigen Profilen, rechteckigen Füllungen, mit reliefierten Kreis- und Viereckstafeln stehen unter der Einwirkung der englischen Innendekoration, vor allem des Adams. Damit treten wir in die Epoche ein, die das Hauptthema des Buches ist.

028 Aufriss eines Kgl. Immediatbaus in Berlin 1776.
029 Floratempel im Park zu Wörlitz von Erdmannsdorff.


Kupferstich von Hoppenhaupt senior um 1750.

Kupferstich von Hoppenhaupt senior um 1750.

Spiegelwand. Kupferstich von J. W. Meil.

Spiegelwand. Kupferstich von J. W. Meil.

Neues Palais bei Potsdam von Büring und Manger 1763—1770.

Neues Palais bei Potsdam von Büring und Manger 1763—1770.

Die Kommuns beim Neuen Palais nach Legeay von Gontard 1765— 69.

Die Kommuns beim Neuen Palais nach Legeay von Gontard 1765— 69.

Der Gensdarmenmarkt Ende des 18. Jahrhunderts. Ölgemälde im Märkischen Museum.

Der Gensdarmenmarkt Ende des 18. Jahrhunderts. Ölgemälde im Märkischen Museum.

Oranienburger Tor von Gontard 1788 (abgebrochen).

Oranienburger Tor von Gontard 1788 (abgebrochen).

Aufriss eines Kgl. Immediatbaus in Berlin 1776.

Aufriss eines Kgl. Immediatbaus in Berlin 1776.

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