Dumme Jungen

Berlin .... 1838.

Ja, ja! siehst Du, mein Zuckerpüppchen. So geht es! Ach, was bist Du für ein glückliches Kind! — Du sitzest in Hamburg in der Dammtorstraße und besiehst Dir die Eleganz der schönen Welt, die Theaterbesucher, und in der Hand hältst Du vielleicht meinen „Courier“ oder meine „Pandora“ und lachst oder weinst — gleichviel, und denkst an mich zurück!


Ich aber muss mich täglich, wollte eigentlich sagen abendlich im Theater ennuyiren und oft so, dass ich capable bin das Gift meiner Gegner zu verschlucken und zu sterben; dass ich vor Verzweiflung im Stande bin, mich in das Wasser ,,Originalien“ zu stürzen, zu ertrinken, um von Herrn Georg Lotz wieder herausgezogen zu werden; oder 5 Blätter des „Gesellschafters“ zu lesen, auf dass mich ein wohltätiger Schlummer auf den Fittigen der Vergessenheit hinwegtrage über die Erde weit hinaus und nach Charlottenburg in das türkische Zelt, damit ich eine Tasse Kaffee trinke und dann noch, Gott weiß was, zu tun capable wäre! — Denn glaube mir, mein Marzipan-Engelchen, Feinde über Feinde habe ich hier und nicht zu jeder Stunde bin ich im Stande, mich über sie hinwegzusetzen. Ja, so dumm die Jungen, so erhärmlich oft die Streiche dieser Buben gegen mich sind, so viel Freude sie mir zu mancher Stunde machen, wenn ich ihr Geifern und Eifern betrachte, mich anzuschwärzen und in mir fühle, wie wenig mir ihre Niederträchtigkeit schaden kann, ja so himmlische Stunden mir diese dummen Jungen bereiten, so muss ich Dir doch gestehen, dass ich in manchen schwachen Stunden nicht im Stande bin, mich über sie so lustig zu machen, wie sichs gebührt.

Eine kleine Schilderung von dieser lustigen Rasse elender Buben, wird Dich überzeugen, dass bei allem Lächerlichen das die Sache enthält, doch immer etwas Tragisches dabei ist. —

Diese Buben sind Juste-Milieus zwischen Speichellecker und Satiriker (?). Sie kommen zu Einem etwa mit den Worten: „Ich habe heute in Ihrem Blatte den Aufsatz von Ihnen gelesen, wahrlich, Sie übertreffen Saphir, u. s. w.“

Was ist nun das, denkt sich der Angeredete, ist das Satire oder Speichelleckerei? — Man wird neugierig, dieses Geschöpf, das sich so rätselhaft darstellt, näher kennen zu lernen. Man lässt sich ein wenig in Gespräch ein — unter andern sagt so ein Geschöpf:

„Ich habe auch etwas über diesen Gegenstand geschrieben, aber Ihres ist göttlich dagegen!“

Nun weiß man wieder nicht, ob das Satire oder Speichelleckerei ist! — Wenn mir ein Gelehrter, ein Schriftsteller, oder ein Gebildeter, dem ich etwas zutraue, so etwas sagt, so komm' ich leicht in Versuchung es für Satire zu halten; gegen solch ein Geschöpf aber, bin ich wirklich wenigstens göttlich!

Was ist nun mit solchem Geschöpf anzufangen? Unter dem Schutze der Ironie und Persiflage, verschmäht der Kerl es nicht, um Einen herum zu kriechen und Speichel zu lecken, jedes unschuldige Wort zu applaudieren u. s. w.

Man sieht das ruhig an, ja, ist einmal schwach genug zu lächeln, und dieses Gewürm geht fort mit dem Gedanken einen Menschen persifliert zu haben, der doch wenigstens auf Achtung Ansprüche machen kann.

Doch fort von dieser tragischen Seite der dummen Jungen; ihre lächerliche Seite ist interessanter; — und wenn ich erwäge, welche Freuden mir ihr Kriechen, Lecken und Stolztun gewährt, nachdem ich sie zur Türe hinausgeworfen, als ich sie zum Portraitieren ihrer Erbärmlichkeit nicht mehr nötig hatte, welch eine Lust sie mir bereitet, so möchte ich sie alle küssen.

Weiß der Himmel! — Es gibt nichts Herrlicheres, nichts Schöneres auf Erden, als Redakteur eines vielgelesenen Journals zu sein; sich als solcher unter das Volk unerkannt zu mischen und dann die Urteile über sich selber, über die Mitarbeiter, über das Blatt, über andere Blätter mit eigenen, leiblichen Ohren anzuhören! —

Lobendes, oder Tadelndes, das bleibt sich ganz gleich, denn was man hört, belehrt und erfreut entweder, oder es ist so göttlich dumm, dass man sich vor Lachen walzen möchte!

Im Königstädter Theater hörte ich neulich, wie ein Ladendiener dem Andern unter dem Siegel der Verschwiegenheit vertraute, dass in einer Nummer meiner „Pandora“ eine grenzenlose Satire auf einen Minister gestanden, nur so versteckt, dass man es gar nicht merke. Er selbst aber, der es augenblicklich durchschaute, habe darüber so gelacht, dass er jetzt noch Stiche habe.

Ein anderer junger Mann erzählte wiederum, ein Aufsatz: ,,Angely und wider Angely“ mit A. unterzeichnet, sei von Angely selbst, und ich habe für die Aufnahme dieses Aufsatzes in meinem Blatte von Herrn Angely eine goldene Kette mit einer Lorgnette erhalten. Der Redakteur, dessen Bekanntschaft der junge Mann in einem Konzert mit demselben gemacht hat, habe es ihm cum sigillo erzählt und ihm Zugleich das Geschenk gezeigt. Denke Dir, liebes Kind, wie amüsant es für mich ist, so etwas zu hören, von dem ich selbst keine Silbe weiß! —

Nichts aber geht über meine Mittagsfreuden! An der table d’hôte wo ich speise, ist oft mein Blatt, meine Persönlichkeit der Gegenstand des Gesprächs. Ich sitze dann ganz ruhig und betrachte, wie die wenigen, die mich kennen, rot werden; die gutmütigen Narrchen vor Scham und die abgeschmackten Narren vor Schabenfreude. — Ich lächle dann und wann meinen wirklichen Freunden zu und gebe ihnen einen Wink mich nicht zu verraten. Die aber, welche über mich urteilen, machen eine ungeheuer wichtige Miene, werfen sich in einen vornehmen Ton und näseln Witze, über die eine ganze Welt jammern, ich aber mich tot lachen könnte, hätte ich mir das Lachen nicht abgewöhnt. Unter allen Narren aber, die mich amüsieren, ist ein Exemplar, dass ich mir, wenn es mein wäre, in Maroquin mit Goldschnitt binden ließe und als Rarität in ein besonderes Kabinett schenken möchte. Dieses Exemplar ist kein Berliner, sondern eine Personage aus einer freien Reichsstadt Frankfurt a. M. — Es sieht aus, wie ein transparentes Wetterglas. Eine schmachtende Quecksilberfarbe spielt in seiner armselig-wässerigbleichen Miene. Ein allerliebstes Stempelchen, das die Mutter Gemeinheit zum ewiglichen Andenken um Mund und Näschen ihm aufgedrückt, lässt gar nicht verkennen, dass er von allen irdischen Freuden des Lebens und Leibes selbst die Hefe ausgeschlürft, vielleicht auch nur die Hefe, denn sein blasses, schwindsüchtig aussehendes, blinzelndes Antlitz, so durchsichtig es scheint, sieht doch ganz so aus, als hätte es unter großen Revolutionen an zu mächtiger Expansivität gelitten. In das Wachs seiner schmalen Wängelein ist das Sündenregister seines ganzen Miniatur-Seelchens mit sinnbildlicher Schrift eingeprägt, und aus den stierlüsternen Augen glotzt der ganze unbedeutende Verstandsrest seines Diminutiv-Gehirnchens armselig hervor.

Aber sein spaßiges Antlitz ist nichts gegen seine drollige Reden. Tas keprochene Teutsch, wie hes ßein Mhunt hervorpringt, klingt wie eine stotternde Gitarrenseite auf ein Rollholz aufgespannt.

Aber Himmel! wenn diese Rede ein Kunsturteil enthält, wer beschreibt mein unendliches innerliches Lachen? — Mein Herz hält sich die Seiten, und meine Milz springt was man deckenhoch nennt. Wenn ich so Kunsturteile über Bellini, Donizetti, und über große Sängerinnen u.s.w., wenn ich den Stab über sämmtliche hiesige Blätter von dieser Personage brechen hörte, geistreich wie ein Auerhahn und geschmackvoll wie Seifenwasser mit Asche! — Nein, das ist zu viel Freude für einen Sterblichen!!!

Man kann sich denken, wie mir das Essen nach einer solchen innerlichen Lache schmeckt, ich habe nie im Leben solchen Appetit gehabt; wenn ich das freireichstädtliche Exemplar nicht aus Liebe, so möchte ich es schon aus Appetit aufessen, wie man sagt.

Dieses Exemplar ist mein bester Arzt, mein allerliebster Freund, ich möchte ihn küssen, wenn das Amüsement nicht verloren ginge, sobald ich mich zu erkennen gebe. Dieses freireichsstädtliche Exemplar möchte ich in Gold fassen und als miserable Merkwürdigkeit sehen lassen, als das beste Mittel wider Melancholie und Appetitmangel.

Möge es mir vergönnt sein, dieses Exemplar noch oft und lange an der table d’hôte zu finden, auf dass mir Appetit und Lachlust nicht vergehe.

Meinen Bekannten an derselben Tafel wünsche ich, dass sie nur eine Minute in mein jauchzendes Herz sehen könnten, das bei jedem Worte dieses freireichsstädtlichen Exemplars hell auflacht, während mein Äußeres scheinbar ganz gleichgültig ist, dann würden sie wohl auch erröten, aber nur vor Erstaunen, nicht vor lächerlichem Anteil und aus neidischer Bosheit.

Meinen wirklich guten Freunden aber wünsche ich meinen göttlichen Appetit und meine unaussprechliche Mittagsfreuden, die mir besagte Personage verursacht.

Dieses ist eine kurze Schilderung meines Prachtexemplars; andern Exemplärchen aber, werde ich vielleicht künftig meine Aufmerksamkeit widmen und mit meiner schwachen Feder versuchen, Dir, teure Laura, die Freuden die mir ihre Gegenwart verursacht, zu bezeichnen.

Ach Du, mein Gott! Was bist Du für ein herrlicher Schöpfer! Diese Menschen, die verachtungswürdigsten auf Deinem Boden, — jetzt weiß ich, warum Du sie erschaffen, rein, damit ich mich amüsiere; rein, damit mir eine Freude in meinem einsamen Leben bleibt! Ja, ja, mein Püppchen! damit ich ferne von Dir nicht zu sehr verzweifele, wirft mir das gütige Schicksal die Lumpen zu, die mich amüsieren, ja göttlich amüsieren; die mir das Leben verschönern, die mich erheben, die mich wieder mit Gott aussöhnen!

O, Himmel, wenn Du meine Dankbarkeit Dir erkaufen willst, so erhalte mir meine dummen Jungen, und dafür will ich Dich auch einige Male ganz gratis loben. — Halt! ich halte an gratis loben und muss einen neuen Brief anfangen; also künftig über dieses Kapitel mein Eau de mille fleure-Gesichtchen, und bleibe treu, wie Du es immer warst
Deinem Dich liebenden u. s. w.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Berlin und Hamburg oder Briefe aus dem Leben Bd1