Brief. — Mein süßes Püppchen

Berlin im Januar 1833.

Mein süßes Püppchen!


Also Du willst, dass ich Dir schreibe, und machst mir seit dritthalb Jahren bereits Vorwürfe, dass ich's nicht tue! — Gut, Dein Wunsch soll erfüllt werden, aber erst musst Du die Ursachen und die Verteidigung meines Stillschweigens hören.

Du glaubst ich habe Dich vergessen; aber auf Dichterehre und Journalisten-Seeligkeit, oder was gleichviel ist, auf Rezension und Pränumeranten, schwöre ich Dir, ich habe Dich so wenig hier vergessen, wie ich die Repetier-Uhr, die Du mir geschenkt, täglich aufzuziehen vergesse. — Glaube mir, beim jedesmaligen Aufziehen dieses Kleinods, das mir theurer ist, als alle Haarlocken und Cadeaux, die ich jemals erhalten, habe ich an Dich, Du mein süßes Kind gedacht!

Beim jedesmaligen Umdrehen des Schlüssels, dreht sich mein Herz vor Wehmut herum, und beim Schnurren der Feder, murrt meine ganze Seele über das Schicksal, das mich von Dir getrennt! Ach, und wenn mir einmal die Kette springt, bin ich außer mir, über den Hamburger Senat, der die heilige Kette, die unsere liebende Herzen umschlungen, zerrissen, wie über die 25 sgr. die ich meinem Uhrmacher zahlen muss.

Noch als Schulknabe, als ich zum ersten Mal „das milchweiße Mäuschen“ auswendig lernte, habe ich nicht so viel an das arme Mauschen, das die garstige Eule so appetitlich aufgefressen hat, gedacht, als ich jetzt an Dich, mein milchweißes Mäuschen denke.

Weiß ich nur Dein Herz mir zugetan, dann fürchte ich keinen Exekutor, keinen Manichäer, ja, selbst keinen wütenden Sänger, keine eifernde, getadelte Schauspielerin!

Aber schreiben? — ja schreiben, siehst Du, das kann ich nicht. Wenn ich die Feder eintauche, steht der schwarze Druckerbursche vor mir, wie weiland der Teufel vor Doktor Luther, und da hilft es nicht, wenn ich ihm das Tintenfass an den Kopf werfe. — Der arme Junge will nicht meine Seele, denn diese ist schon unter der Presse gewesen, und hat nicht nur manchen Zensorstrich erhalten, sondern auch manche konfiszierte Stelle findet sich darin, und der arme Druckerbursche würde vor Angst nicht wissen, was er mit meiner Seele anfangen soll! —

Er will nichts, als eine und eine halbe Spalte zum künftigen Blatt, und nun muss ich armer Mann mich niedersetzen und zusammenschreiben, was ich nur irgend auftreiben kann, um nur meine Abonnenten zu befriedigen.

Weiß der Himmel, Du und meine Abonnenten oder meine Abonnenten und Du, Ihr seid meine Leidenschaft! — Zwei Stellen sind in meinem Herzen verwundbar; bis zu diesen dringt keine menschliche Hand, das ist meine Liebe und meine Abonnentenliste, oder meine Abonnentenliste und meine Liebe.

Wenn mich die Hand des Schicksals niederdrückt, das heißt, wenn mich ein langweiliger Mensch ennuirt hat, aber wenn ich die Verse eines armen jungen Mannes anhören müsste, die ich in meine Pandora nicht aufnehmen kann, oder wenn ich in einer Gesellschaft gewesen bin, wo sich ein gewisser Mops von Rezensent befindet, oder ein semmelweißer und milchblauer blonder Humorist Witze gerissen hat, und ich nicht Lust hatte, mich über sie lustig zu machen, oder wenn sich aus Versehen ein Blatt des Gubitz'schen Gesellschafters in meinen Makulatur-Korb geschlichen, — dann — dann nehme ich mir Deine Briefe und meine Abonnentenliste vor. — In Deinen Briefen lese ich nur einen Namen und in meiner Abonnentenliste, Himmel, welch eine Masse! Da halte ich sie dann beide in den Händen und fühle, wie mein Herz geteilt ist zwischen Dir und meinen Abonnenten; Dir gehört die diskrete, den Abonnenten die indiskrete Seite meines Herzens. Darum schweige ich so sehr von meiner Liebe und kann an Dich nicht schreiben, während ich für meine Abonnenten ungeheuer viel zusammenschreibe.

Indessen, da Du mir so viele Vorwürfe machst, so muss ich an Dich auch einmal schreiben und tue es jetzt. — Aber ich habe ein gutes Mittel ersonnen, Dich und die Lesewelt zu befriedigen. Höre, ob Dir’s gefallt:

Ich gedenke nämlich aus der Geschichte meines Lebens manche interessante Seite der Welt zu übergeben, und da ich weiß, wie sehr Du meine Briefe aufbewahrst, will ich das Interessanteste in Briefen an Dich richten. — Du wirst nicht nur manche bekannte Stelle darin finden, sondern auch manche, die über Dich, mein milchweißes Mäuschen spricht. Du besorgst dann von den Briefen außer den Stellen, die nur Dich interessieren, ein Abschrift und übergibst dieselbe alsdann dem Drucke.

Auf diese Weise, mein Püppchen, sind beide Leidenschaften meines liebenden Herzens, Du und meine Leser befriedigt! — Ja, wir können uns von dem Vorwurf manches Uninteressanten in diesem Werke reinigen; indem ich die Schuld auf Dich und Du auf mich schiebst.

Über dem werden die Rezensenten, wie die Leser nachsichtig sein; — schon aus Galanterie für Dich; und wenn ich mich gelobt sehen werde, so werde ich immer und ewig an Dich denken müssen.

Zum Lohne für Deine Treue, Deine Liebe und Deine Mühe, sollst Du auch den Schatten meines Lorbeerkranzes mit mir teilen, den man mir unstreitig aufsetzen wird; und wenn die Welt jubelnd einst meinen Namen ausruft, so wirst Du das freudige Gefühl haben, dabei denken zu können: Ich, sein milchweißes Mäuschen, sein süßes Püppchen u. s. w., habe Teil an diesem Heil, das der Welt für die Herausgabe dieser Blätter widerfahren. Welch ein süßes Gefühl für Dich!

Ich bitte Dich daher, die Abschrift recht sauber besorgen zu lassen und sie mir so bald wie möglich zurückzusenden, da mein Verleger auf das Manuskript dringt.

Und so hoffe ich, wirst Du nie an meiner Liebe zweifeln, wie Du nicht zweifelst an der Unsterblichkeit
Deines Dich verehrenden u. s. w.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Berlin und Hamburg oder Briefe aus dem Leben Bd1