Berlin

Berlin im Oktober 1834.

Berlin ist eine Stade, das heißt ein aus schönen und schlechten Häusern, aus offnen Plätzen und Winkeln, aus Straßen, Gassen und Gässchen, kleinen Toren und langen Mauern umgebener Erdfleck.


Frau von Staël sagt mit Recht: „C’est une ville, qui ne laisse pas de souvenir“, denn wenn auch dagegen der Fürst von Pückler im Tutti frutti, eifert und den großen Friedrich als schlagendes Beispiel gegen diesen Satz anführt, so irren Sr. Erlaucht doch, denn es wird Hochdenselben wohl bekannt sein, dass der große Fritz mehr in seinem Sans souci bei Potsdam als in Berlin war. Wir wüssten wahrhaftig kein einziges Andenken, das historisch wäre. In anderer Beziehung werden wir freilich Berlin nie vergessen, weil wir uns hier rasend in ein dunkles Lockenköpfchen verliebt haben, allein dies ist nichts Weltgeschichtliches, und interessiert bloß uns. —

Friedrich sagt in seinen satyrischen Feldzügen mit vollem Recht: Berlin sei ein großer Dintenklex, um den ein Haufe Sand gestreut wäre.

In Berlin wohnen sehr viele Menschen, d. h. Soldaten und Zivilisten, Tänzerinnen und Eckensteher, Hofräte und Straßenjungen. — Die Religion ist geteilt, doch die meisten Menschen — haben gar keine Religion.

Dass viel Wind in Berlin gemacht und den Leuten viel Sand in den Augen gestreut werde, das sieht Jeder, der zum ersten Male nach Berlin kommt, schon vor dem Tore an den vielen Windmühlen und dem ellenhoch liegenden Sande. — Sonst erblickte man in den Straßen viele vierbeinige Hunde, doch hat die Hundesteuer ihre Anzahl bedeutend geschwächt. — Schade, dass die zweibeinigen Hunde nicht auch besteuert werden — wir glauben, dass mancher von dieser zahlreichen Rasse sich selbst abschaffen d. h. sich in die Unterwelt verfügen würde, da er selbst seinen Wert nicht auf 3 Thlr. anschlagen kann.

Der Verfasser des Tutti frutti will eine Art Schilderung des Berliner Volkscharakters geben, aber .... Sr. Erlaucht suchen den Volkscharakter und das Berliner Leben in den Gräflich Brühl'schen Bällen. Ja, lieber Herr, da finden Sie wohl Offiziere und Stifts- und courfähige Damen, aber der Nervus, die Bürgerklasse kann sich ja nicht so hoch erheben. Sr. Erlaucht hatten als gewissenhafter Berichterstatter es nicht verschmähen sollen, einmal den adeligen Nimbus abzuwerfen, und sich dahin zu begeben, wo nach dem Sprichwort Confluxus Canaillorum sich vereinigt. — Dort finden Sie den Charakter der Berliner und ihre Volkstümlichkeit, dort, wo der Venus vulgivaga und dem Bachus geopfert wird in Tanzboden und Trinkstuben, denn dort schöpfte der große G—r, der berühmte dramatische Schriftsteller, der Verfasser des „Berlin wie es ist — und trinkt“ seine klassischen Witze.

„Ei wat braucht man um glücklich zu sind?“

singt der andere Heros: Angely. — Hat der Berliner des Abends seine 2 1/2 sgr. zu einer kühlen Blonden und vielleicht noch einige Groschens, da die Tänze groschenweise nach einem Zeichen mit der Klingel bezahlt werden — so steckt er die Pfeife in die Tasche, geht zu seiner Hulda, die langst aufgescheuert und seiner mit Sehnsucht harrt, und wandelt an ihrem kirschbräunlichen Arme in die Tabagie.

Ach, der Berliner hat im Jahre 1834 zwei furchtbare Verluste erlitten.

Wegner in der französischen und Geyer in der Königsstraße schlossen ihre heiligen Hallen — wie es heißt, auf Befehl der Polizei. Da fällt nun natürlich jedem denkenden, gefühlvollen Wesen der Gedanke bei, warum die Polizei nicht auch das non plus ultra aller Kneipen: den Berliner Saal, von - -, vulgo - - in der **straße so wie die **sche Tabagie auf der **Chaussee, und des Altmeisters in der **gasse gelegenen Tempel
zerstört hat. Woher kommt dies:
„Erkläret mir, Graf Orindur,
Diesen Zwiespalt der Natur!“

Der Berliner Saal war früher in **s Händen. Auf dem Hofe befindet sich ein kleiner Saal mit Spiegelwänden, und längs derselben laufen oben Logen hin. In diesen Logen — relata refero — soll früher der Venus mit Begleitung der Tanzmusik geopfert sein. —

Jetzt findet dies nicht mehr statt, wohl aber kann man aus der Flora der sich hier versammelnden Schneider- und Knippermamsells, die von ihren Leibrenten leben, sich ein Pflänzchen von beliebigen Kaliber aussuchen.

Ein Schneiderlein gibt hier die Touren an. Das männliche Personale besteht aus Kutscher, Bedienten, Gesellen, Handlungsdiener und .... hauptsächlich Studenten. Freilich ist Letzteren den Besuch dieser Hallen verboten, aber: verbotene Frucht schmeckt am süßesten. Natürlich gibt es hier oft Reibungen, denn Studenten vertragen sich nicht gerne mit Gnoten und Philistern, und es setzt oft blutige Köpfe. Wir haben Menschen, NB., die auf Bildung, hinsichtlich ihres Standes Anspruch machen konnten, alle Abend hierher gehen sehen, und - - -

Von etwas noch gemeineren Genre ist die ***sche Bude, indem sich dort Improvisatoren herumtreiben. Welche Gesellschaft sich hier versammelt, beweist folgende Anekdote, die als wahr erzählt wird. — Als nämlich einmal einige fein gekleidete Herren hierher kamen, soll der Improvisator geschrieen haben: ,,Ihr Gnoten, schmeißt den Anstand 'naus!“ — Früher soll hier auch eine Tafel mit der Inschrift gewesen sein: „Bei etwa vorkommenden Prügeleien möge man gefälligst die Tisch- und Bankbeine in Ruhe lassen, da für diesen Fall .... Stöcke hinter dem Ofen standen!“ Diese beiden Anekdoten trägt Fama in Berlin herum, jedoch können wir die Wahrheit nicht verbürgen.

Auf gleicher Stufe mit F.... standen Wegner und Geyer. Keinesweges sind aber diese Häuser Bordelle — sondern bloß ein Sammelplatz zur Revue der Schneider-, Stick-, Strick-, Schuheinfassungs- und Knippermamsells. Hier und da kömmt wohl auch ein mitleidiges Kammerkätzchen herbei. — Der Ton ist völlig frei; wer sich zwei oder dreimal in einer solchen Tabagie befand und (NB. die Hauptsache) getanzt hat, der wird von allen Nymphen mit dem zutraulichen Du beehrt. Ja wir haben gesehen, dass bei Prügeleien die Dirnen gleich Furien Teil nahmen und ihren s. g. Freunden halfen.

Besser sind die Tabagien von Letze und Kühne (in der Sebastianskirchgasse), denn hier kommen vorzüglich des Sonntags die in der Nähe wohnenden Bürger mit ihren Familien zusammen, und da beide Etablissements mit Gärten versehen sind, so ist es im Ganzen recht hübsch. Jedoch in den Wochentagen kommen die Nymphen (die Sonntags bei Frank sind) und tanzen mit obligater Prügelei.

Das Kolosseum, vielleicht das prächtigste Etablissement Berlins, machte anfangs viel Aufsehens, man ging aber —

„Es liebt die Welt das Strahlende zu schwärzen
Und das Erhabene in den Staub zu ziehen.“

Jetzt sieht man dort vorzüglich Donnerstags, dieselben Gesichter, wie bei Franks und weiland Wegners. Es hat auch schon oft derbe Prügelsuppen gegeben.

Als eine merkwürdige Erscheinung ist wohl zu bemerken ... dass in dem Kühneschen Lokale sich ein Lesekabinett findet und dass es dort eine Auswahl recht schöner Blätter gibt. In dieser Hinsicht steht also bemeldete Tanzkneipe weit über mancher höchst anständigen Konditorei, in denen man kaum 6 Blätter zusammen finden kann. Wir werden hierüber später noch ausführlicher sprechen.

Es gibt nun noch unterschiedliche Tanzkneipen, .... der Römersaal, der Apollosaal u. a. m., sie stehen aber sämtlich mit der Frank'schen auf gleicher Stufe und ist über diese Örter nichts Besonderes zu sagen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Berlin und Hamburg oder Briefe aus dem Leben Bd1