Zweite Fortsetzung

Einmal im Besitze so starker Handhaben, war es den gewiegten Beamten leicht, die ganze Einbruchsbande in die Hände zu bekommen. Diese bestand, inklusive der Hehler, aus fünfzehn Personen, welche sich an den gedachten neun großen Einbrüchen beteiligt hatten. Fast alle Mitglieder dieser Genossenschaft wurden bei ihrer Verhaftung im Besitze scharfer Stichwaffen und geladener Pistolen gesunden. Die geraubten Gelder, so weit selbe noch vorrätig waren, wurden in den verschiedensten Verstecken aufgefunden, in Vogelbauern, unter Spielkarten, in der Erde der Blumentöpfe etc. Die meisten der Verbrecher gehörten dem feineren Mittelstande an und bekundeten dies durch die Eleganz ihrer Ausdrucksweise in den Verhören und auf der Anklagebank, bei welcher freilich manchmal auch viel Verschrobenheit und Afterbildung hörbar wurde. Als der Kriminal-Kommissär Pick — einer der tüchtigsten Beamten der hiesigen Sicherheitspolizei — u. A. den erwähnten Schlosser Arnold frug, warum er bei seinen Fähigkeiten nicht auf ehrliche Weise sein Brot verdienen wolle, entgegnete er ihm: „Ich stehe mit der Welt im Kriege und habe das Recht, zu nehmen, was ich bekommen kann, denn schon Moses sagte beim Auszug nach Canaan: „Nehmt Alles, was den Ungläubigen gehört." Auf die Frage, wie er es angestellt habe, das kreisrunde Loch aus dem eisernen Spinde herauszuschneiden, antwortete das Diebsgenie mit Stolz: „Archimedes schon machte sich anheischig, die Welt aus ihren Angeln zu heben, wenn man ihm einen festen Punkt gebe."

Wenn je das Sprichwort: „Wie gewonnen, so zerronnen", seine richtige Anwendung findet, so ist es bei diesem Gelichter. Nach den angestellten Ermittlungen hatten die Gauner das gestohlene Gut auf die tollste Weise verschwendet und zwar durchgehends mit den Damen ihrer Herzensneigung, welche alle der Demi-monde angehörten. Einer der Diebe jener Bande verschleuderte z. B. an einem Tage über tausend Thaler; unter anderen Gegenständen zarter Aufmerksamkeit hatte er seiner Geliebten zwei falsche Haarzöpfe für achtundzwanzig Thaler gekauft.


Das Drama hatte kaum mit der Verurteilung aller Beteiligten geendet und die Gemüter etwas beruhigt, als neue ununterbrochen stattfindende Einbrüche neues Entsetzen verbreiteten. Diesmal hatten sich die Gauner die am Tiergarten gelegenen vornehmen Straßen zum Schauplatz ihrer Tätigkeit ausersehen. Die Physiognomie der letzteren war stets dieselbe: Übersteigen der Balkons und Ausschneiden der Türenfüllungen. Endlich wurde indes auch diese saubere Sippschaft in einem Weinlokale in der Friedrichsgracht bei dem Hochzeitsfeste eines Spießgesellen überrascht, wo die Bande bereits für 125 Thaler Wein verzehrt hatte. Sämtliche Gäste dieses Freudenfestes hatten zusammen eine Zuchthausstrafe von 300 Jahren teils hinter sich, teils waren sie dem ans ihre Personen kommenden Anteil durch Flucht aus dem Wege gegangen.*

*) Die Verbrecher gegen das Eigentum zerfallen in verschiedene Abteilungen, von denen keine der anderen ins Handwerk greift. Die gefährlichste Sorte derselben, die Einbrecher, bilden die Aristokratie des Standes und befassen sich nie mit Taschen- oder Nachschlüsseldiebstählen. Zufallsgänger heißen in der Diebssprache die Gauner, welche eben ohne Plan und Vorausbeschluss das nehmen, was ihnen der Zufall in die Hände spielt; Kittenschieber sehen es auf Silberzeug in den unbewachten Küchen ab; der Flatterfahrer besucht die Böden, nach Wäsche fahndend; der Schlafstubendieb sucht den Bewohner entweder im Schlafe auf, um, dessen Überraschung benutzend, schnell Uhr und Börse an sich zu reißen, oder, sich mit irgend einer Frage um beliebige Auskunft eindrängend, die Gelegenheit zu einem Fang zu erspähen; die unterste Sorte, die Vlamdiebe, scheuen sich nicht, sich wegen eines Gewinnes von einigen Groschen zu blamieren - kurz, Jeder hat seinen streng abgezweigten Geschäftskreis im Diebeshaushalte.

Unterstandslose Diebe treiben sich in der Nacht im Tiergarten und zwischen dem Landsberger- und Königstor herum. Der Sommer ist die ersehnte Zeit für diese Strolche. Dann und wann liefert eine große, treibjagdartige Razzia der Berliner Polizei einen unheimlichen Beweis, wie viel obdachlose Personen die Residenz unsicher machen. Einen riesigen Heuhaufen im Freien fand man bei einem solchen Streifzug in Weißens« ganz durchwühlt von Dieben und Diebinnen, welche diese sonderbare Herberge zu Schlafstädten erwählt hallen, in die sie von allen Seiten hineingekrochen waren.

Wird es in Berlin zu unsicher, sieht das Auge der Polizei dem verpönten Treiben einmal zu scharf auf die Finger, so gehen die routinierten Verbrecher nicht selten auf Kunstreisen und verschwinden eine Zeit lang vom Schauplatz ihrer Tätigkeit, um in den Provinzialstädten ihr Talent zu verwerten und neue Opfer zu suchen.

Die Hehler sind fast noch gefährlichere Subjekte als die Diebe. Während letztere ihnen für verhältnismäßig kleinen Gewinn die Kastanien aus dem Feuer holen, mästet sich der Hehler mit dem Löwenanteil, sucht sich von allen Seiten, den Behörden gegenüber, schlau zu decken, die Beweismittel abzuschneiden und zieht sich nicht selten als wohlhabender Mann „von's Geschäft zurück". Freilich darf er die Frechheit nicht so weit treiben, wie der unlängst ertappte Besitzer eines solchen Hehlerlokals in der Gipsstraße, der in seiner Behausung vollständige Auktionen des gestohlenen Gutes veranstaltete und dies der Nachbarschaft bekannt machte.

Nach und nach beginnen jedoch, Dank der unermüdeten Sorgfalt der noch vom Direktor Stieber her vortrefflich organisierten Kriminalpolizei, die Verbrecherlokale in Berlin immer seltener zu werden; so ist auch der eigentlichste dieser Keller, in welchem fast nur bestrafte Personen verkehrten und der inmitten der Stadt — Königsstraße Nr. 36 — lag, vor Kurzem aufgehoben worden. Die geübten Beamten kennen durch ihre ununterbrochene Tätigkeit in ihrem Fach fast alle notorischen Diebe und wissen sie im geeigneten Moment zu finden, ohne einen besonderen Versammlungsort für dieselben tolerieren zu müssen, welcher immer der Residenz und den Behörden zur Unehre gereichen würde. Dilettanten und Anfänger im Geschäft fallen ohnehin dem Gericht bald in die Hände.

Schreiber dieses war einst Zeuge eines urgemütlichen Verhörs, welches der jüngst verstorbene Kriminal-Kommissär Roggenstein mit einem wieder rückfällig gewordenen alten Diebe hielt, der vorkurzem eine fünfjährige Zuchthausstrafe in Spandau verbüßt hatte.

Der Gauner, eine ausgeprägte Galgenphysiognomie mit verschmitzten kleinen Äugelchen, wurde Roggenstein vorgeführt der ihn lächelnd, einen Fuß auf dem Stuhl, den Ellenbogen in die Knie gestützt, wie einen alten Freund empfing und anredete:
„Na, alter Junge, wieder ein Mal abgefasst?"
„Ja, mein guter Herr Kommissär, habe Unglück gehabt", schlau mit den Augen blinzelnd: „Diesmal kann es wohl lange dauern?"
„Ja, wird wohl. Hast ja erst fünf Jahre abgesessen."
„Drei Jahre, Herr Kommissarius."
„Unsinn! Fünf Jahre!"
„Drei Jahre, Herr Kommissarius."
„Oler*) Sohn, mach mir nicht dumm. Hier liegen die Akten. Wegen schweren Diebstahls hast Du fünf Jahr „Spandau“ gehabt und bist vor vierzehn Tagen losgekommen."
„Wirklich", entgegnete der alle Sünder, scheinbar ganz erstaunt, „nee sehen Sie, Herr Kommissarius, wie die Zeit vergeht."

Auf die Frage, wie lange er eigentlich in seinem Leben eingesperrt gewesen, antwortete er mit einer Miene, als ob Roggenstein von ihm verlangt hätte, er solle den Mond vom Himmel herabholen: „Aber Herr Kommissarius, wie kann denn ich das wissen?"

Durch die scheinbar treuherzige, einfache Art und Weise, mit welcher er mit den Verbrechern verkehrte, wie ungefähr ein guter herablassender Herr mit seinen Dienern, brachte Roggenstein aus jenen Alles heraus. Als er einst einem leugnenden schweren Verbrecher auf den Kopf zusagte, dass er den Einbruch begangen habe, und frug, ob er sich nicht schäme ihn so zu belügen, antwortete dieser: „Nu ja, Herr Kommissär, ich will es Ihnen sagen, ich habe es getan, aber es bleibt unter uns."

Mit viel gewaltigeren Mitteln pflegte der bekannte Kriminaldirektor Stieber zu wirken. Lange Verhöre mit den schlau kombiniertesten Kreuz- und Querfragen verwirrten den Schuldigen und lockten ihm seine Geheimnisse heraus, ja es ist bekannt, dass Stieber die Mitgenossin eines Mordes dadurch zum Geständnis brachte, dass er sich die verhärtete Sünderin gegen 12 Uhr Nachts zum Verhör rufen ließ und, in feuriger Rede ihr das Bild des Ermordeten vor die Seele führend, sie frug, ob sie jetzt, wo der Zeiger auf Mitternacht weise, die Stunde, wo das Verbrechen begangen worden sei, den Muth habe, die Hände auf das Kruzifix zu legen und ihre Unschuld zu beteuern. Die Missetäterin fiel dem Richter schluchzend zu Füßen, bekannte die Tat und gab ihre Mitschuldigen und einen Kirchhof als den Ort an, wo die Früchte des Raubes vergraben lagen.

Gänzlich verborgen bleibt in Berlin ein großes Verbrechen selten. So wie jüngst bei dem am Eingang dieser Schilderungen erwähnten Mord an Gregy der Chemiker Sonnenstein die dunklen Flecken an der Wand mit Salzsäure berührte und für Menschenblut erklärte, Menschenblut, welches laut um Rache schreie, so verlangt jedes Verbrechen an der beleidigten Gesellschaft seine Sühne, und den Wächtern des Gesetzes stehen hundert Augen zu Gebote, die sich nie schließen und endlich in die Nacht eines jeden Verbrechens eindringen.

*) Roggenstein sprach bei Verhören mit Verbrechern stets den Berliner Dialekt der untersten Volksklasse verstand auch die Diebessprache vollkommen und war unter den Gaunern eine sehr beliebte und geachtete Persönlichkeit.
Berlin, Polizeigewahrsam

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Berlin, Rennbahn

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Berlin, Renntag in Charlottenburg (2)

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Berlin, Zentralmarkthalle 1897 (4)

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Der Zahlmoment auf der Berlin-Charlottenburger Pferde-Eisenbahn

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