Preußen und die deutsche Krone (1848)

Man kann es vom höheren, vaterländischen Standpunkte aus nicht billigen, dass sich Süddeutschland aus den hiesigen Begebenheiten, die den gewaltigen Umschwung unserer Verhältnisse hervorriefen, nur die Ereignisse vom 18. und 19. März herausgreift und auf diese schmerzlichen Tatsachen hin bei der Wiedergeburt Deutschlands Preußen desavouiert. Denn was man gegen die Person des Königs sagt, trifft in diesem Falle das Land, trifft Preußen und viel empfindlicher Deutschland selbst.

Man berät eine Einigung Deutschlands auf den Grund eines zu wählenden kürzeren oder längeren Oberhauptes. Seit Pfizers „Briefwechsel zweier Deutscher“ steht es fest, dass selbst die freisinnige, deutsche, hochherzige Bewegungspartei für die Idee einer preußischen Hegemonie ist. Die süddeutschen Deputierten, die mit einem Doppelplane der Organisation, einem monarchischen und einem republikanischen, hierher kamen, vertraten anfangs denselben Geist, dieselbe Meinung, und noch am 18. und 19. März soll Preußen plötzlich „unmöglich“ geworden sein? Darin liegt eine politische Unklugheit und eine doppelte Ungerechtigkeit.


Um es ganz offen zu sagen, wonach streben wir? Wir möchten sämtliche deutsche Fürsten auf eine Art Standesherrenschaft zurückführen, ihnen in Frankfurt (einem nicht gut gewählten Orte; Leipzig, Gotha, Weimar, Nürnberg wären besser) eine ehrenvolle und würdige Vertretung ihrer Interessen und Erinnerungen geben und das ganze Reich durch ein temporäres oder dauerndes, erbliches oder nichterbliches Bundesoberhaupt regieren lassen. Ohne eine sehr bedeutende Nullifikation unserer Fürsten ginge es dabei nicht ab. Die kleineren scheinen nicht abgeneigt, solchen Wünschen sich zu fügen; ja sogar größere Fürsten, die Könige heißen, ob sie gleich wegen ihres Gebietes nur Herzöge oder Landgrafen heißen sollten, ich sage, selbst größere haben Wärme und Gefühl für das Gemeinsame genug, dass sie freiwillig ihre Souveränität angeboten und auf den Altar des Vaterlandes niederzulegen versprochen haben. Ein König sogar, der sich gegen diese Richtung anzustemmen nicht mehr kräftig genug fühlte, entsagte seinem Throne und trat ihn seinem Erben ab, der dieser idealen Richtung sich verwandter fühlt. Von Österreich würde man immer nur einzelne Teile seines Gebietes haben vertreten wissen wollen und wenn auch die Wiener Bewegung, der Sturz Metternichs eine augenblickliche Hingabe an das alte Kaiserhaus in uns erwachen ließ, sie kann nur vorübergehend sein. Warum nur vorübergehend? Weil einmal die Persönlichkeit des gegenwärtigen Kaisers keine ausreichende ist, zweitens der Wiener Aufschwung der rechten freiheitsgedüngten Grundlage im ganzen Reich ermangelt und drittens in Frankfurt nimmermehr gewünscht werden kann, dass Deutschland wieder in das Schlepptau der europäischen Politik des Hauses Habsburg genommen wird. Was man für [die] Reorganisation Deutschlands tut, muss ohne organische Aufnahme österreichischer Elemente geschehen. Österreich kann nur ehrenhalber dabei beteiligt sein.

So bliebe immer nur die preußische Anlehnung als die hauptsächlichste und entscheidendste übrig. Das schlechte Preußische ist ja im Innern zerstört und wird noch mehr zerstört werden durch Amalgamierung mit dem übrigen deutschen Stoff; das gute Preußische aber ist für Deutschland so wesentlich, dass es Torheit und Verblendung wäre, sollte sich auf ein einzelnes Faktum, über das wir noch später sprechen werden, auf eine einzige dem Königtume gegebene Lehre hin diese Idee der vollsten Aufnahme Preußens in die deutsche Sache zerschlagen. Welchen Ersatz wollt Ihr in Heidelberg und Mannheim bieten? Es ist sehr leicht, in tausendfacher Anzahl Versammlungen ausschreiben, sich in Drohungen und Verwünschungen ergehen, Lieder singen usw., aber die nüchterne Erwägung der Tatsachen sollte Euch zwingen, Euren Unmut zu beherrschen und über die Personen nicht die Sache zu verlieren!

Isoliert man Preußen, isoliert man die Empfindung seines jetzt sich zwar konstitutionell bindenden Königs, dessen Persönlichkeit indessen nicht so nach Gefallen zu beseitigen ist, so könnte der deutschen Wiedergeburt eine große Gefahr erwachsen. Der Provinzialgeist reagiert jetzt gegen die Hauptstadt Preußens, pommersche und uckermärkische Bayards wiegeln die unzurechnungsfähige altfränkische Loyalität der Bauern und den Ärger des Adels auf, das Heer ist verstimmt, viele seiner Führer sind geradezu verdächtig, die ganze Maschine der Verwaltung läuft noch in den alten Wellen und Rädern, Polen hofft auf friedliche, unblutige Wiederherstellung und lässt im Adressenrauschen und Fraternitätspredigen vielleicht den Moment der Tat vorübergehen, Russland, das gerüstete, einige, feste weiß, was es will, es trifft, ungehindert von Polen, Preußen unvorbereitet, uneins, zögernd, den König verstimmt, abgekühlt durch Eure Proteste, der Strom von Osten flutet heran ... und was dann? Süd- und Westdeutschland haben nur noch eine Einigkeit auf dem Papier und die Erinnerungen an die militärische Kraft des Reiches sind eben nicht erhebender und vertrauenerweckender Art.

Preußens historische Bestimmung ist die des Werdens, des Fließens, Wallens, sich Gestaltens und Ausdehnens. Deutschland, Preußen in sich aufnehmend, wird allein stark sein. Was weist Ihr Preußen zurück? Ist es nicht ein neues, das sich mit Euch verschmelzen will? Habt Ihr noch Misstrauen in das von Euch bespöttelte Berlin, dem Ihr in diesem Augenblick allein den kräftigsten Beweis einer in Deutschland doch möglichen Auflehnung gegen Übergriffe und Anmaßungen der Gewalt verdankt? Berlin hat sich nicht nur durch seinen persönlichen Mut zur geistigen Hauptstadt Deutschlands gemacht, sondern auch durch die Fülle von Fragen, die sich in politischer und sozialer Rücksicht hier allein aufgeworfen haben. Man kam fast nirgends über die patriotischen und liberalen Abstraktionen hinaus, in Berlin lodert es radikal vom Herd des Volkes auf.

Nenn’ ich die Isolierung Preußens in diesem Augenblicke unpolitisch, so ist sie auch ungerecht und zwar in doppelter Hinsicht. Ungerecht gegen das preußische Volk, ungerecht sogar gegen den Fürsten. Was am 18. März verbrochen wurde, ist das Verbrechen aller deutschen Fürsten. In Wien ist auf das Volk geschossen worden wie in Berlin, und das Blutbad würde ebenso groß geworden sein wie hier, wenn man dort nicht sogleich in der Absetzung Metternichs eine rasch ausführbare Konzession gehabt hätte. Metternich stand schon so schwankend, dass er durch eine Straßenbewegung fiel. In Berlin war der Kampf rein eine Schlacht, die man dem Militär als solchem lieferte, dem Militärstaat, dem Land der Polizeityrannei, kurz, es war ein fast persönlicher Vernichtungskampf. Jeder deutsche Fürst, umgeben von solchen Generälen, solchen militärisch gesinnten Prinzen, solchen militärischen jahrhundertalten Arroganzen, hätte ebenfalls feuern lassen. Der König braucht darum gar nicht persönlich der „Würger“ und Schlächter zu sein, für den ihn die Heidelberger Adresse erklärt. Er ist ganz einfach der Ausdruck seiner Standesvorurteile, seiner militärischen Erziehung, das Echo seiner Ratgeber, das weiche Wachs seiner Brüder und sogenannten Jugendfreunde, der Frömmlinge, der Volksverächter jeden Grades. Rechnet man noch hinzu, wieviel Unruhe und Unselbständigkeit er in sich selbst besitzt in dem Gefühl seiner nunmehr achtjährigen widerspruchsvollen Regierung, wo ihn, den romantisch gestimmten Epigonen vergangener Zeitrichtungen, der Sturmwind des Tages ewig im Kreise umherwirbelte und er bei dem unleugbaren Willen, gut, gerecht, weise, edel sein zu wollen, und dem Bewusstsein, gut, gerecht, weise, edel sich selbst zu erscheinen, doch der Welt gegenüber immer als das Gegenteil davon hervortrat: so ist es im höchsten Grade ungerecht, die völlige Umkehr und neue Geburt, zu der er am 20. März die Lust bezeugte, das Emporhalten des Reichsbanners und den Enthusiasmus eines neuen ihn innerlichst ergreifenden Menschen abzuweisen und seine warme Hingabe an die deutsche Sache zu erkälten. Noch bedürfen wir, um das, was in Frankfurt bezweckt wird, auszuführen, der Persönlichkeit unserer Fürsten. Noch kann die Reue, das Bedürfnis nach Popularität, der geweckte Enthusiasmus des preußischen Königs in die Waagschale der Frankfurter Entschlüsse das Gewicht der Entscheidung legen; warum festhalten an dem, was am 19. in Berlin geschah und wie es in München, Kassel, Karlsruhe, Hannover geschehen sein würde, wenn nicht das Volk gleich anfangs eine kräftige Miene gezeigt hätte! Mit Worten ist in Städten, die ich nicht nennen will, von unseren Fürsten mehr gemordet worden, als hier in Berlin mit Waffen.

Deutschlands Wiedergeburt unter dem preußischen Banner ist, so lange wir in der konstitutionellen Monarchie uns bewegen wollen, die einzige kraftvolle und Zukunft versprechende Lösung des Augenblicks. Wollt Ihr die Einigung Deutschlands in wahrer Vollendung, so könnt Ihr nur den Mächtigsten an die Spitze stellen und das, was Ihr an seiner Person vermissen wollt, durch den Genius seines Volks ersetzen!

Dringen diese Ansichten nicht durch, scheitern sie an einer unüberwindlichen persönlichen Abneigung, so treten folgende Fälle ein: Erstens werden wir um die Russland in Schach haltende polnische Insurrektion betrogen, da ein unter den Auspizien des Panslawismus friedlich geschaffenes Königreich Polen leicht mit dem Zaren friedlich sich abfinden dürfte. Zweitens hätten wir die russische Invasion, die ein innerlich zerworfenes, militärisch unorganisiertes Deutschland, ein für den Augenblick an sich selbst irrgewordenes Preußen vorfände. Drittens endlich, wer schützt uns--vor Verrat, vor einer tief angelegten, grauenerregenden.... Intrige? All’ diese Lose schlummern im Schoss der nächsten Zukunft, wenn Süddeutschland in seinen Ablehnungen und Protesten so fortfährt, wie es begonnen, es sei denn, dass der König von Preußen, der großen Mission seines Volkes sich unterordnend, den Wink verstände, den ihm Gervinus im neuesten Bulletin der „Deutschen Zeitung“ gegeben hat.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Berlin - Panorama einer Weltstadt