Die Kandidaten der vakanten Ämter.

Einen rührend-komischen Anblick gewährt an jedem Morgen in den ersten Frühstunden ein Spaziergang durch die oberen Linden und die WilhelmStraße bis zur Leipziger Straße hin. Das ist nämlich die Zeit, wo die Kandidaten aller vakanten und nicht vakanten Ämter, die Kandidaten aus allen möglichen geistlichen, Schul-, Justiz- und Regierungsfächern den mächtigen Ministern und Räten ihre Aufwartung machen. Schwarz gekleidet, mit weißer Binde um den Hals, schießen sie an dir vorüber, plötzlich stehen sie still, überlegen eine erhaltene Antwort oder ein zu stellendes Gesuch, probieren die eingelernte Rede noch einmal, nähern sich der verhängnisvollen Tür, haben nicht das Herz, kehren noch einmal um, um sich zu erholen, und wagen es erst dann mit einem mutigen Entschluss. Andere wollen eben von der Rechten an die Tür eines Hotels treten, da begegnet ihnen ein anderer von der Linken. Und doch ist nur eine Stelle vakant! Jeder bildet sich ein, so früh zu kommen, dass er den mächtigen Mann, der sie vergibt, allein trifft, aber--entsetzliche Täuschung--schon ist das ganze Vorzimmer gefüllt und die eine Lebensfrage, auf deren Lösung eine seit sieben Jahren verlobte Braut und ein nachgerade ungeduldig werdendes Schwiegerelternpaar harrt, verschwimmt in den Lebensfragen von dreißig anderen Menschen, in den Hoffnungen von ebensoviel anderweitigen Bräuten! Geöffnet ist hier die geheime Werkstatt unserer Existenz, offen liegen sie da, die Gruben und Gänge, die der Fuchs oft schneller durchgräbt, als der still arbeitende Bergmann--ein Anblick, zugleich komisch und zum Weinen!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Berlin - Panorama einer Weltstadt