Cafe Stehely (1831)

Ob man bei Stehely einen Begriff von der Verberlinerung der Literatur bekommen kann--ganz gewiss, oder man müsste sich täuschen in dieser stummen Bewegungssprache, die einen Haufen von Zeitschriften mit wilder Begier und neidischem Blick zusammenträgt, ihn mit der Linken sichert und mit der Rechten eine nach der andern vor die starren, teilnahmslosen Gesichtszüge hält. Die Eisenstange und das Schloss des Journals scheint mit schwerer Gewalt auch seine Zunge zu fesseln--wer würde hier seinen Nachbar auf eine interessante Notiz aufmerksam machen? Ein feindliches Heer könnte eine Meile von Berlin entfernt sein, kein Mensch würde die Geschichte vortragen, man würde auf den Druck warten und auch dann noch ein Exemplar durch aller Hände wandern lassen--fast in der Weise, wie in Stralow die honetten Leute vor jeder lebhafteren Gruppe vorbeigehen mit dem tröstenden Zuruf, man würd’ es ja morgen gedruckt lesen.

Stehelys Besucher bilden natürlich zwei Klassen, die Jungen und die Alten, mit der näheren Bezeichnung, dass die Jungen ans Alter, die Alten an die Jugend denken. Jene sind Literaten in der guten Hoffnung, einst sich so zu sehen, wie man jetzt die Klassiker sieht, weihrauchumnebelt; diese sind Beamte, alte Offiziers, die in einem Atem von den politischen Stellungen des preußischen Staats, den Füssen der Elsler, den Koloraturen der Sontag, dem Spiel der Schechner sprechen! Nichts Unerbaulicheres! Vor dem Gespräch dieser alten Gecken möchte man sich die Ohren zuhalten, oder in die einsamere Klause des letzten Zimmers flüchten. Schon wenn sie angestiegen kommen, zumal jetzt im Winter; diese dummen, loyalen Gesichter, diese Socken und Pelzschuhe, deren Tritt nicht das leiseste Ohr erspähen könnte. Triumphierend rufen sie um die „Staatszeitung“, forschen nach den privatoffiziellen Erklärungen eines H., v. R., v. Wsn. Hierauf lesen sie die Berliner Korrespondenzen in der „Allgemeinen Zeitung“, die ja wohl der Ausdruck der Berliner öffentlichen Meinung, als wenn es eine solche gäbe, sein sollen, und wenn sie sich dann noch an den logischen Demonstrationen der Mitteilungen aus der „Posener Zeitung“ gestärkt haben, fallen sie übers Theater her und man muss sie verlassen. Ihnen am nächsten stehen einige langgestreckte Gardeleutnants und Referendare, die sich dadurch unterscheiden, dass die einen viel sprechen und wenig denken, die andern wenig denken und viel sprechen. Diese geben den Übergang zu den schon vorhin bezeichneten Jüngeren, auf die wir unten des breiteren zurückkommen müssen.


Es fehlt hier also durchaus nicht an den Mitteln und Elementen, sich ein Bild der Berlinerei vorzuführen. Man verlasse das Lokal und bei jeder Aussicht wird man für sein Bild noch immer treffendere und bezeichnendere Züge finden. Sogleich die Ansicht einer Kirche, die ausserdem, dass sie eine Kirche ist, auch keine ist. Wie ein Luftball, der unten einen Fallschirm zur Sicherheit trägt, erhebt sich die stolze Vorderseite dieses Domes, leere Steinmassen und hohler Prunk, und hinten dann das geschmackloseste Anhängsel einer kappenförmigen Kuppel, die doch das Wahre an dem ganzen Lärm ist in ihrer sonntäglichen Bestimmung. Wiederum vom Opernplatz aus furchtbare Steinmassen, Urkunden des Ungeschmacks aus dem 16ten und 17ten Säkulum, Hunderte von Fenstern erinnern an die Zeiten der Aufklärung und der Illuminaten, die kahlen Kulturversuche finden sich wieder in diesen leeren Wänden, die sich ohne Unterbrechung 80-90 Fuß in die Höhe glätten. Gilt dies freilich mehr gegen eine vergangene Zeit, so hält es doch nicht schwer, das alles wiederzufinden in der Galanteriewarenmanier der neuesten Bauten, wo der Ernst nur ein übertünchter ist ...

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Berlin - Panorama einer Weltstadt