Bericht über die Cholera-Epidemie in Stettin im Jahre 1866

Autor: Goeden, Adolph Ludwig Friedrich Dr. (1811 Friedland-1888 Stettin) Königlicher Medizinal-Rat und Physikus in Stettin, Erscheinungsjahr: 1867

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Cholera-Epidemie, Stettin, Krankheit, Sanitätsverhältnisse, Wohnungen, Feuchtigkeit, Nässe, Latrinen, Rinnsteine, Brunnen, Gräben, Wasser, Abwasser, Niederschlag, Luft, Lüftung, Trockenlegung, Desinfektion, Sauberkeit, Keller
Der Ausbruch der Cholera in dem südlichen und östlichen Teile Europas im vorigen Jahre gab mir Veranlassung, mich unterm 23. September pr. in einem ausführlichen Bericht über die Sanitätsverhältnisse der Stadt Stettin an die städtischen und königlichen Behörden zu wenden, um für das auch hier zu befürchtende Auftreten der Krankheit einen, wenn möglich, milden Verlauf vorzubereiten. Die Behörden sind bereitwillig auf die gemachten Vorschläge eingegangen, massenweise sind Wohnungen, Höfe, Latrinen, Gräben, Dämme, Rinnsteine, Brunnen u. s. w. untersucht und wenn mangelhaft, einer Verbesserung unterzogen worden; was der Letzteren noch entbehrt, z. B. die Zuschüttung der Gräben im schwarzen Damm, die Regulierung des Grabens auf der Nordseite der Lastadie, die Anlegung zweckmäßiger Cholera-Lazarette, die Trockenlegung der ganzen Lastadie durch eine umfangreiche Drainierung, die Beteiligung der Bürgerschaft in Beaufsichtigung der Wohnungen und rechtzeitiger Durchführung ärztlicher Vorschriften und Hilfe u. s. w., bedarf allerdings neuer Anregungen.
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Die Aufsicht auf die Erhaltung und Herstellung einer gesunden Luft, gesunden Wassers und gesunder Esswaren, die Unschädlichmachung nachtheiliger Gase durch die umfangreichsten Desinfektionen, Ermahnungen über das Verhalten während einer Cholera-Epidemie, Verabreichung passender Nahrungsmittel mit der ausgiebigsten Unterstützung an Arme u. s. w. sind, hier vor und während der diesjährigen Epidemie in einem Umfange ausgeführt worden, wie nie zuvor. Dennoch hat der Erfolg den Erwartungen und Bemühungen nicht entsprochen, wir sind im Gegenteil von einer Epidemie heimgesucht worden, die an Bösartigkeit und Verbreitung alle Leiden weit übertrifft, die je früher nach dieser Richtung hin von der Stadt zu tragen gewesen sind.

Das Tatsächliche der Epidemie von 1866 ist Folgendes: Als die ersten Cholerafälle im Mai v. J. hier auftraten, erfreuten wir uns eines guten Gesundheitszustandes. Die Witterung war der Jahreszeit angemessen, kühl, hell, stark windig und rau. Die Krankheiten waren catarrhalischen Charakters mit Affektion der Atmungsorgane, Gastricismus [Begriffe, die sich auf Störungen in der Verdauung beziehen] hatte sich zuletzt in den Sommermonaten des Jahres 1865 gezeigt, Wechselfieber - Epidemien waren schon in vielen Jahren nicht mehr gewesen und nichts deutete hier auf die herannahende Entwickelung einer Epidemie hin. Die Befürchtungen vor Letzterer lagen umso ferner, als der Norden und Osten Europas frei von jeder Cholera war und letztere Krankheit nur inselartig im Luxemburgischen, dem Regierungsbezirke Trier und an der Dalmatischen Küste sich fristete. Die ersten Erkrankungen hier trafen am 19. Mai er. den Chauseearbeiter William und seine Tochter im Verbindungswege No. 6 der Pommerensdorfer Anlagen. Das Haus steht vereinsamt in gesunder Lage, auf der Höhe, auf sandigem mit Lehm durchmischten Boden und mit einem, in bedeutender Tiefe sich erst bemerkbar machenden Grundwasser. Die Familie bewohnte seit 6 Jahren das reinlich gehaltene Quartier zur ebenen Erde, führte einen geordneten, regelmäßigen Lebenswandel und war in keiner Weise mit fremden Personen oder Effekten in Berührung gekommen. Der Mann, von schwächlicher Körperbeschaffenheit, war in einem auf keine Gesundheitsstörungen hindeutenden Zustande am 19. früh zu seiner Arbeit gegangen, hatte am Mittage indes schon wenig gegessen, am Nachmittage seine Arbeit wieder aufgenommen und war am Abend um 6 Uhr unter den Erscheinungen einer heftigen Choleraerkrankung nach Hause zurückgekehrt. Der Tod erfolgte in der Nacht vom 19. auf den 20. Mai. Die Witterung am Tage war kalt, trocken und hell, die Winde waren scharf, fast sturmartig.

Stettiner Haff

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Stettin, Das Herzogsschloss

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