Siebente Fortsetzung

Bei den Massenerkrankungen in den einzelnen Straßen kommt, wie z. B. auf der Lastadie die Feuchtigkeit der Wohnungen, die Nähe der Wiesen und großer Wassermassen in den Flüssen, die Ausdünstungen schädlicher Gase aus dem die Lastadie umgebenden Graben, aus schlecht gereinigten Höfen, Kanälen und aus nicht desinfizierten Abtritten, der Mangel eines guten Trinkwassers u. s. w. in Betracht. Diese selben nachtheiligen Einflüsse wiederholen sich zum Teil für die Galgwiese, die Oberwyk, die Papenstraße, Fortpreussen, Mittwochstraße, Fuhrstraße, Splittstraße, Pelzerstraße u. s. w. Doch muss auch hervorgehoben werden, dass die Cholera sich in Wohnungen und Straßen, die zu den bestgelegenen und reinlichsten gehören, arg verbreitet hat. Es beweist dies zwar, dass gesunde Wohnungen für sich nicht ausreichend sind, um unter allen Fällen Schutz gegen die Cholera zu gewähren, wenn man aber berücksichtigt, dass das II. Revier, zu dem die gut gelegene und erbaute Neustadt gehört, bei 20.004 Einwohnern nur 635 Erkrankungen mit 459 Todesfällen gehabt hat, gegen 654 Erkrankungen mit 435 Todesfällen, die auf die 11.862 Einwohner des I. Reviers, der Lastadie, fallen, so folgt hieraus, dass gesunde Wohnungen sich doch bedeutend schützender gegen die Cholera verhalten, als ungesund gelegene. Die massenweise Erkrankung in dem Hause No. 3 des schwarzen Dammes (auf etwa 60 Bewohner 15 Erkrankungen und 9 Todesfälle) erklärt sich aus seiner Lage in der Nähe der stinkenden Gräben, sowie aus der Feuchtigkeit in dem neu erbauten, zu früh bezogenen Hause. In dem Hause No. 41 in Züllchow, wo 14 Personen erkrankten und 12 starben, ferner in den Häusern 10 und 11 und 60 und 61 in Bredow, in denen 46 Personen erkrankten und 38 starben, musste der Grund der Massen-Erkrankungen in dem Genuss des mit organischen Stoffen geschwängerten Trinkwassers gesucht werden. Die Erkrankungen hörten auf, nachdem die Brunnen geschlossen waren. Die vielen Erkrankungen in den Weissig’schen Häusern, mit gutem trockenen Untergrunde und einer Brunnentiefe von 36 Fuß, haben meines Erachtens nach ihren Grund in der durch die Lage derselben, zwischen dem Festungswall und der Festungsmauer, behinderten Luftventilation, sowie in den Ausdünstungen des nahen Festungsgrabens. Die 15 Erkrankungen in den Weissig’schen Häusern, von denen 10 tödlich verliefen, ereigneten sich in zwei Tagen vom 8. bis 10. Juli. Die vielen Erkrankungen in dem von mir bewohnten Hause (9 mit 6 Todesfällen) haben ihren Grund zum Teil in Erkältungen, zum Teil in einem Kanale des Nachbarhauses, der den Schmutz des Hofes nicht auf den Rinnstein abzuführen vermag, weil der Hof niedriger liegt, wie die Straße. Diese zuletzt genannte Haus-Epidemie dauerte vom 30. Juni bis zum 6ten Juli, überhaupt sind alle hier vorgekommenen großen Haus-Epidemien in einer sehr kurzen, acht Tage nicht übersteigenden Zeit verlaufen. In dem Gefängnis des hiesigen Königl. Kreisgerichts brach die Cholera gleich Anfangs im Juni bei vier Personen unter 181 Gefangenen aus. Ich riet, Letzteren den Genuss des kalten, übrigens sehr guten und gesunden Trinkwassers zu untersagen und nur Wasser mit etwas Cognac oder Rum untermischt zu geben. Nach Befolgung dieses Rates haben weitere Erkrankungen in dem gesund gelegenen und vorzüglich verwalteten Gebäude nicht mehr stattgefunden.

Die angeführten Tatsachen und Erläuterungen erlauben folgende Schlüsse. Ich glaube zunächst die Ansicht aussprechen zu dürfen, dass nicht sowohl das Grundwasser für sich, als überhaupt große Wassermassen, mögen sie sich nun als Grundwasser, als Seen, als Flüsse und Ströme oder in Wiesen u. s. w. geltend machen, den höchsten und wesentlichsten Einfluss auf die Entstehungsweise und den Entwickelungsgang der Cholera ausüben. Jeder Arzt weiß hier, dass, wenn nach langer Überschwemmung der Wiesen des Odertals sich die Wasser wieder verlaufen haben und die abgestorbenen Tiere der Fäulnis verfallen sind, die Lastadie von Wechselfiebern heimgesucht zu werden pflegt. Jeder Arzt kennt hier den mangelhaften Gesundheitszustand der Lastadie und ist nicht im Zweifel darüber, dass die stete Feuchtigkeit, die dem beinahe die äußere Bodenfläche berührenden, auf und nieder schwankenden Grundwasser entströmt, so wie die aus den stehenden Gewässern aufsteigenden Gase, den wesentlichsten Anteil an dem schlechten Gesundheitszustand dieses Stadtteils tragen, dennoch erachte ich die Pettenkofer’schen Ansichten über die hervorragende Wirkung des Grundwassers auf die Cholera für nicht umfassend genug. Hier fing das Grundwasser erst Ausgangs Juli an zu fallen, also zu einer Zeit, wo die Cholera schon in bedeutender Abnahme begriffen war. Die Neustadt, in der die Krankheit diesmal äußerst heftig grassierte, ist, wie schon oben bemerkt, frei von jeder möglichen Einwirkung des Grundwassers, und in Finkenwalde, wo letzteres bis Ende Juli an der äußersten Bodenschicht weilte, sind nur sehr wenige Cholerafälle vorgekommen. In Hohenselchow, wo die Epidemie bedeutend war, es erkrankten von 987 Einwohnern 110 und es starben 68, haben die von Quellen gespeisten Brunnen eine Tiefe von 38 Fuß und das Grundwasser liegt in den aus Lehm und Sand bestehenden Bodenschichten 80 bis 100 Fuß tief. In Pencun, wo von 2.122 Einwohnern sogar 417 erkrankt und 164 gestorben sind, sind die ein sehr gutes Wasser liefernden Brunnen ebenfalls in einer Tiefe von 30 Fuß und das Grundwasser macht sich 40 bis 60 Fuß tief geltend. Es folgt hieraus, dass Ortschaften mit dem tiefsten Grundwasser heftig von der Cholera ergriffen werden und ferner, dass Ortschaften, bei denen das Grundwasser an der Oberfläche des Bodens weilt, steigt und sinkt durch Einflüsse, die die nachteiligen Wirkungen desselben zu neutralisieren vermögen, gegen ein starkes Auftreten dieser Krankheit geschützt sind. Erwägt man dagegen, dass hier stets diejenigen Personen, deren Lebensberuf die Arbeit auf den Strömen ist, Bootsfahrer und Schiffer, am meisten von der Krankheit ergriffen werden, dass in der letzten Epidemie wieder von den zum Hafenamte gehörenden 361 Personen 97 erkrankt und 43 gestorben sind, dass ferner die Lastadie als der wasserreichste Teil der Stadt, mit 5,38 Prozent der Erkrankungen und mit 3,67 Prozent der Todesfälle an der Epidemie Theil hat, dass Pencun, Hohenselchow, Nadrense, Lebehne u. s. w., also Ortschaften, die sich durch einen Reichtum stehenden Wassers auszeichnen, noch mehr von der Cholera zu leiden hatten, wie Stettin, erwägt man endlich, dass selbst der Genuss eines reinen, gesunden Wassers auch in dieser Epidemie sich als schädlich und den Ausbruch der Cholera vermittelnd erwies, so darf gefolgert werden, dass das die Cholera erzeugende Agens überhaupt mit dem Wasser, sei es fließendes oder stehendes, sei es auf oder in der Erde, in nächster und erfolgreichster Verbindung steht. Wenn in dem bedeutenden Wasserreichtum der Stadt Stettin der Hauptgrund der Häufigkeit der Epidemie gesucht werden kann, so hat ferner die außerordentliche Ungunst der Witterung dieses Sommers den wesentlichsten Anteil an der so großen Verbreitung derselben.


In sehr vielen Fällen brachte Erkältung die Cholera zum Ausbruch. Als besonders wirksam zur Herbeiführung derselben zeigten sich demnächst Diätfehler, ferner der Aufenthalt in einer verdorbenen Luft und zuletzt erst Verschleppung von einem Hause zum andern. So sehr ich auch die Verdienste von Dietl, Meyer und Schmidt in der Ergründung der Frage über die Ansteckung der Cholera anerkenne, so halte ich dieselbe doch noch nicht für geschlossen und bin besonders noch darüber im Zweifel, ob die Ansteckung allein von den Auswurfstoffen und den mit ihnen in Berührung gekommenen Effekten ausgehe.