Achte Fortsetzung

Zur Begründung dieser Zweifel nur zwei Beispiele aus einer früheren und der diesjährigen Epidemie. Nach Hohen-Reinkendorf kam zu einer Zeit, wo seit Wochen die Cholera hier und im Kreise überall erloschen war, eine Dame aus Prenzlau, um sich bei einer in diesem Dorfe wohnenden Schwester von den Anstrengungen und den Gemütsaffekten zu erholen, die ihr bei der Pflege einer zweiten in Prenzlau an der Cholera erkrankten und verstorbenen Schwester unterlegt worden waren. Die Effekten dieser Dame waren in keiner Weise mit den Auswurfstoffen der Cholerakranken Schwester in Berührung gekommen. Fünf Tage nach ihrem Aufenthalt in Hohen-Reinkendorf erkrankte zuerst an der Cholera die Schwester, bei der sie zum Besuch sich aufhielt, hierauf erkrankte das mit der Pflege dieser Kranken beauftragte Dienstmädchen und zwei Tage später erst die aus Prenzlau zum Besuch eingetroffene Dame. Sämtliche Erkrankte starben. — Nach Hohenfelde verzog im November d. J. ein Kuhknecht aus einem Hause in Boek, in dem die Cholera herrschte. Nach einem Aufenthalt von drei Tagen in Hohenfelde meldete sich derselbe als krank bei seinem Herrn und bat um die Erlaubnis, nach Boek zurückkehren zu dürfen. Er hatte weder Durchfall noch Erbrechen, sondern klagte nur über Schwindel, Kopfschmerz und große Müdigkeit. Die Rückkehr nach Boek wurde ihm gewährt und verstarb er daselbst kurze Zeit darauf an der Cholera. Drei Tage nach seinem Abzuge aus Hohenfelde brach bei drei Personen, mit denen er daselbst zusammen in einem Zimmer gewohnt, die Cholera aus und starben alle drei in kurzer Zeit.

Die Erscheinungen der Cholera weichen insofern von den in den früheren Epidemien beobachteten ab, als die Stimme nicht so rau und heiser und die Hautverfärbung nicht so dunkel wurde. Die Erkrankungen verliefen schneller in das asphyctische Stadium hinein und hierdurch in den Tod. Die Behandlung des letzteren Stadiums zeigte sich größten Teils erfolglos, die Behandlung des erethischen Stadiums der Krankheit lieferte dagegen sehr günstige Resultate. So hat z. B. Herr Dr. Wasserfuhr in dem von ihm geleiteten Cholera-Hospital von 52 im erethischen Stadium aufgenommenen Kranken 46 geheilt. Der Gebrauch der vielen gangbaren Choleratropfen, deren wesentlicher Bestandteil immer Opium ist, erwies sich in den heftigeren Formen als nachteilig, indem sie nur den Übergang in Lähmung beförderten.


Die Behandlung der Cholera hat hier daher keine besseren, aber auch keine schlechteren Resultate geliefert, wie an andern Orten. Eine heftige Infektion der Krankheit endete in der Regel tödlich, eine gelindere Infektion verlief in der Regel günstig, sobald nur rechtzeitig der Hinzutritt äußerer Schädlichkeiten abgehalten wurde. Die sofortige Aufsuchung des Bettes bei den ersten Krankheitserscheinungen, um eine gleichmäßige und erhöhte Temperatur zu gewinnen, das Reiben des Körpers mit nassen Tüchern und die demnächstige sorgfältige Abtrocknung desselben, das Tragen eines Senfpflasters zwischen Herzgrube und Nabel, die Verabreichung eines heißen Weines oder Bieres oder einer Tasse heißen Pfeffermünztees, der Genuss einer Wassersuppe von Gries mit etwas Rotwein und von Sodawasser mit etwas Rotwein in ganz kleinen, oft wiederholten Schlücken, kleine Stücken Eis und die Darreichung einer Mixtur mit Salzsäure reichten in der Regel aus, um in den meisten Fällen eine schnelle Genesung herbeizuführen.

Die scheinbare Resultatlosigkeit der vielen gegen eine Weiterverbreitung der Cholera von Privaten und Behörden aufgewandten Maßregeln erweckt in manchen Gemütern den Glauben, dass alles Tun gegen die Krankheit überhaupt ein überflüssiges sei und dass man daher weiter nicht hindernd dem Übel entgegentreten müsse. Dieser verzweifelnde Glauben muss bekämpft, die Maßregeln gegen die Cholera müssen im Gegenteil mit verdoppelter Energie, aber auch mit erweiterten Kräften in Angriff genommen werden. In den nicht entfernt von hier gelegenen Städten Prenzlau und Stargard mit 15.500 und 16.500 Einwohnern sind in der Epidemie dieses Sommers 900 und 500 Menschen an der Cholera gestorben, in einigen nahe gelegenen Ortschaften des Kreises selbst, z. B. in Pencun, sind 19,65 Prozent erkrankt, und 7,43 gestorben, in Pommerensdorf 12,57 und 4,54, in Nemitz 18,98 und 10,79, in Nadrense 26,42 und 10,70, in Battinsthal 46,93 und 16,76, in Lebehne 18,25 und 13,87, in Stettin dagegen sind nur 3,89 Prozent erkrankt und 2,55 Prozent gestorben.

Wenn man erwägt, dass Stettin mit manchen der angegebenen Ortschaften des Kreises eine gleiche Lage und gleiche Boden-Beschaffenheit teilt, so möchte man doch als Vermutung aussprechen dürfen, dass die gegen die Cholera aufgewendete Arbeit keine ganz vergebliche gewesen sei. Für diese Ansicht steht mir noch ein weiteres Beispiel zu Gebote. Schon in meinem September -Berichte vorigen Jahres über die Sanitätsverhältnisse der Stadt hatte ich darauf hingewiesen, dass die Zustände auf der Lastadie bessere geworden seien. Es lässt sich dies jetzt durch Zahlen nachweisen, wenn man die Anteile berechnet, die die Lastadie zu den Gesamt - Erkrankungen in den verschiedenen Epidemien gestellt hat. Es beteiligt sich die Lastadie an der Epidemie von 1831 mit 28,06 Prozent, an der Epidemie von 1853 mit 27,98 Prozent, an der Epidemie von 1855 mit 23,84 Prozent und an der diesjährigen Epidemie mit 19,14 Prozent.

Das dringendste Bedürfnis hier ist eine durchgreifende Verbesserung der zu nassen Bodenverhältnisse der Lastadie durch eine umfangreiche Drainierung dieses Stadtteils. Wie vorteilhaft eine derartige Trockenlegung der durch ein hohes und schwankendes Grundwasser zu stark durchfeuchteten Bodenfläche einer Stadt auf den Gesundheitszustand derselben einzuwirken vermag, zeigt das englische Salisbury, in dem vor der Drainierung von 1.000 Einwohnern jährlich 27, nach derselben nur noch 20 gestorben sind.

Von Neuem ist ferner unter Zugrundelegung der Hausepidemien in No. 2,8, 40 u. s. w. auf der Lastadie die Königliche Militär-Behörde um Abänderung der Graben-Verhältnisse dieses Stadtteils zu ersuchen, sowie mit Rücksicht auf die Hausepidemie in den Weissig’schen Häusern, um eine Abänderung des mit stehendem Wasser angefüllten Grabens bei der Eisenbahnbrücke. Der Magistrat würde um eine Verbesserung der Gräben zu beiden Seiten des schwarzen Dammes mit Rücksicht auf die Hausepidemie von No. 3 daselbst, und die Königliche Polizeidirektion um eine erneute sachverständige Untersuchung resp. Verbesserung der Abzugskanäle der Stadt, sowie der einzelnen Häuser zu ersuchen sein *).

*) Die Massenerkrankungen in dem Häuserviertel zwischen der Junker- und Baumstraße zeigen zur Genüge die nachtheiligen Einwirkungen des unter demselben weggeleiteten Schlossgrabens.