Die Belagerung von Stralsund Kapitel 1 Band 2

Die Unterhandlungen über die Forderungen des Obersten Sparr zwischen Arnim und der Stadt Stralsund nahmen auf beiden Seiten einen fast erbitterten Charakter an. Sparr war kühn genug, zu erklären, dass die widerspenstige Stadt, die sich, angefeuert von ihrem halsstarrigen Bürgermeister Steinwig, nicht scheue, dem eigenen Landesfürsten, sondern auch der kaiserlichen Armee, ja dem Kaiser selbst zu trotzen, binnen wenig Tagen erfahren solle, wie es ihr ergehen werde; indes von der anderen Seite die Bürger durch Herrn Jusquinus Gosen dem Rat erklären ließen: „sie drängen endlich darauf, das kaiserliche Mandat zu sehen, vermöge dessen man die in Rede stehende Kontribution zu fordern sich ermächtigt glaube; die zu Franzburg geschlossenen Verhandlungen ließen keine willkürlichen Abänderungen zu, und es sei Zeit, den Herzog zu erinnern, dass, wenn Ihro fürstliche Gnaden Geld forderten, sie die Untertanen auch verteidigen müssten. Im Geldfordern habe man einen Fürsten und Landesherrn, aber in anderen Fällen werde ihm die Hand gebunden. Mit den Festungswerken gehe es nächstdem viel zu langsam vorwärts; die Palisaden und das Stacketwerk auf dem Küterdamme blieben unvollendet, und drängen die Bürger darauf, die Scheunen auf dem Knieperdamme abzubrennen, so blieben sie ohne Bescheid, obgleich sie sich erboten hätten, sobald Gott den Frieden beschere, sie auf ihre Kosten wieder aufbauen zu lassen.“

Die Herren des Rats mussten ihre volle Mäßigung aufbieten um die unruhigen Köpfe in die gebührenden Schranken zurück zu weisen und das Vertrauen in die Notwendigkeit ihrer Handlungsweise herauf zu beschwören, indes sie durch erneute Vorstellungen mit den Behörden des Landes wie mit den feindlichen sich in ein erwünschtes Verhältnis zu stellen suchten. Das Letztere schien ihnen plötzlich über Erwarten zu gelingen. Arnim sandte durch den kaiserlichen Rittmeister von Streithorst die Versicherung nach Stralsund, dass er die Wünsche und Erklärungen der Stadt zur Genehmigung an Wallenstein abgesandt habe, und bestimmte einen Tag, wo er in Greifswald anzutreffen sei und etwaige Abgeordnete dort empfangen könne, indem er den genannten Rittmeister als seinen Bevollmächtigten zur Empfangnahme der dreißigtausend Thaler erklärte. Eben war man dabei, sie aufzuzählen, als Alf mit den Worten in die Ratsstube drang:


„Halten Sie ein, hochweise Herren, bevor Sie das Blutgeld an die Verräter auszahlen! So eben erfahre ich, dass die Herren von Arnim, Sparr und Götze sich gestern ein Rendez-vous auf dem Dänholm gaben, und die zur Stadt gehörende und ihren Hafen beherrschende Insel so schön geeignet für ihre Absichten fanden, dass sie bereits in diesem Augenblicke eine große Anzahl von Böten und Fahrzeugen bei dem Grahl versammeln und vor aller Augen damit umgehen, sich der Insel zu bemächtigen!“

„Entbieten Sie sogleich die Hauptleute Volckmann und Chemnitz hierher in die Versammlung, Herr Aldermann Tessin!“ erwiderte der Konsul auf die empfangene Botschaft, indes die Übrigen nach Worten haschten, ihren Unwillen über diese neue Treulosigkeit der kaiserlichen Anführer kund zu geben. Im Laufe von Minuten traten die Hauptleute ein.

„Was ist hier zu tun, meine Herren, glauben Sie, dass es noch Zeit ist, den Dänholm unsererseits zu besetzen, und dass wir Mittel haben, ihn zu befestigen und zu behaupten?“ fragte Herr Steinwig, nachdem er ihnen die Sachlage vorgestellt, die Eingetretenen.

„Im Augenblick nicht, Herr Konsul! Wir brauchen zur Behauptung der Insel mindestens fünfhundert Mann, die wir im Dienste der Festung nicht entbehren können; doch halten wir den Dänholm blokiert, wozu Herr Peter Blum der Mann und völlig darauf eingerichtet ist, so wird er dem Feinde nicht viel helfen; ja, haben wir durch eigene Mittel oder fremde Hilfe erst Mannschaft genug, wird's immer noch Zeit sein, ihn hinaus zu werfen!“

Hauptmann Chemnitz stimmte dem Gefährten bei, und von ihren Gründen überführt, blieb den bestürzten Ratsherren nichts übrig, als an Herrn Peter Blum den Befehl zu erlassen, sogleich mit den erforderlichen Schiffen sich zwischen die Stadt und den Dänholm zu legen und jegliches fremde Fahrzeug, welches sich einer oder dem andern nähern wolle, abzuwehren; das Militär erhielt Befehl, die Wachen zu verstärken; die Bürger: die den Festungswerken hinderlichen Scheunen in Brand zu stecken. Ein neuer Kriegsrat sollte mit dem früheren verschmolzen, und, ohne Rücksicht auf die Unterhandlungen, mit den Schanzarbeiten fortgefahren werden, die man, den hämischen Auslegungen des Oberst Sparr auszuweichen, in den letzten Tagen weniger eifrig betrieben hatte.

Noch war man mitten in den genannten Anordnungen begriffen, als schon wieder ein Abgesandter Arnims in der Person eines kaiserlichen Oberstwachtmeisters eintraf. Er brachte ein Schreiben des Feldherrn, gefüllt mit zweideutigen Auseinandersetzungen, an dessen Schlusse Arnim sogar den Rat ersuchte, es sich nicht wundern zu lassen, wenn strenge Notwendigkeit und eingegangene Kundschaft ihn veranlasse, zur eigenen Sicherheit einige Baulichkeiten in der Nähe anzulegen und sich des Dänholms zu bemächtigen, wobei jedoch nicht die geringste Feindseligkeit zum Grunde liege, wie deutlich es auch zwischen den Zeilen zu lesen war, dass alles Dieses nur geschehe, um die Stadt immer enger einzuschließen, ihren Handel zu sperren und sie endlich durch List oder Gewalt einzunehmen. Mündlich verlangte der Oberstwachtmeister noch in Arnims Namen, die Stadt solle die über ihren Etat angeworbenen Offiziere und Soldaten abdanken, nicht nur mit den laufenden Befestigungen inne halten, sondern selbst die älteren demolieren; achtzig neuerdings angekaufte Stück Geschütze, außerdem noch mehrere tausend Ellen Tuch, Samt, Atlas und dergleichen abliefern und der schleunigen Abtragung der noch in Rede stehenden Kontribution eingedenk bleiben.

Es wurden der Anstürmungen zu viele, um mit der Feder darauf einzugehen, und Doktor Krauthof, die Ratsverwandten Wessel und Bestenböstel, der Aldermann Tessin und Advokat Rostock entschlossen sich, nach dem Dänholm überzusetzen, wo sie Arnim noch zu treffen hofften, um ihm Auge in Auge das Unstatthafte seiner Forderungen auseinander zu setzen und die Auszahlung der schon bereit gehaltenen dreißig tausend Thaler nur gegen die sofortige Räumung der widerrechtlich eingenommenen Insel zu verheißen. Arnim war nach Rügen abgesegelt; doch fanden sie den Obersten Götze, dem er Befehl gegeben hatte, etwaige Abgesandte an seiner Statt zu empfangen. Der letztere, als er ihre Aufträge vernahm, wagte es nicht, eine so energische Sprache an Arnims Stelle zu beantworten und sandte unter Begleitung eines Oberstwachtmeisters die Herren Wessel, Bestenböstel und Rostock dem Feldmarschall nach, indes er Krauthof und Tessin als Geißeln auf dem Dänholm zurück behielt und sie wie Gefangene bewachen ließ. Wilde Gährung bemächtigte sich indes des Volkes; vor Anderen waren es die Schiffer der Vorstädte, welche sich nicht länger halten ließen. Vom Ziegelhofe flogen Kugeln auf den Holm. Selbst von den Fahrzeugen wurden Schüsse ausgesandt, wodurch drei Kaiserliche von der Wache getötet und Mehrere verwundet wurden. Während alle andern Forderungen der kaiserlichen Befehlshaber ihren vollen Anlauf nahmen, ward die Abführung der Schisse vom Dänholm bald die dringendste. Erfüllte man das Verlangen, so konnte der Feind sich ohne große Anstrengung der Vorstädte bemächtigen und durch diesen Vorteil mit leichter Mühe den Untergang der Stadt herbei führen. Der Kriegsrat, Hauptmann Volckmann an der Spitze, widersetzte sich der Abführung der Schiffe, meinend: es hätten die Kaiserlichen schon genug feindliche Demonstrationen gemacht, um die notwendigen Gegenmaßregeln ohne Einwand hinnehmen zu müssen, während den übrigen Verhandlungen damit kein Riegel vorgelegt werde; und so vereinigte man sich endlich dahin, dem Vorschlage Herrn Steinwigs Gehör zu schenken, die Schiffer im Dienste der Stadt zu behalten, die Kriegsfahrzeuge ein wenig zwar vom Dänholm zurück, aber nur so weit in die Nähe der Stadt zu bringen, dass sie Alles gut übersehen und die Zufuhr von Kriegsgerätschaften und Munition nach dem Dänholm abwehren sollten.

Die nächste Verhandlung zwischen Arnim und den Vertretern der Stadt fand, als die nach dem Dänholm und von dort nach Rügen abgesandten Deputaten nach Stralsund zurückgekehrt waren, unter Vermittlung der herzoglichen Bevollmächtigten, Präsidenten von Usedom und des Freiherrn von Putbus, in Greifswald statt. Unter elf Punkten, welche dieser Vergleich stipulierte, wurden keine den Stralsundern schwerer zu genehmigen, als die Zumutung, von der augenblicklichen Rücknahme des Dänholm abzustehen, und die Erneuerung des Versprechens, nach Zahlung der bereits akkordierten dreißigtausend Thaler allmählich noch fünfzigtausend nachzuzahlen. Doch Opfer mussten gebracht und augenblickliche Ruhe selbst um den höchsten Preis erkauft werden, sollten nicht alle noch schwebenden Unternehmungen in wilde Dissonanzen übergehen, die aufgelockerte Eintracht zwischen Rath und Bürgerschaft vollends zerstört und jede Rettung unmöglich werden. Arnim selbst war schlau genug gewesen, jene Spalte dadurch tiefer zu reißen, dass er die zahlreichen Besitzungen des Rates in der Umgegend von Einquartierung und Abgaben frei ließ und so in den Seelen der listig aufgewiegelten Bürger den Verdacht nährte, er stehe auf ihre Kosten mit dem Magistrat im heimlichen Bündnis, bereit, nur ihnen allein das Blut aus den Adern zu zapfen.

Die Gährung stieg. Am 22. Februar ließen die Bürger durch ihre vier Quartiermeister dem versammelten Rate erklären: dass von guten und zuverlässigen Leuten berichtet sei: „Es könne in den Ratssitzungen nichts geschehen noch beschlossen werden, ohne dass Arnim es zu wissen bekäme und sein Gutachten dazu tue; daher die Bürger dem Gedanken Raum gäben, es gehe solches von denen aus, welche vielleicht schon Salvegardia hätten; bekäme man indes dafür Bestätigung, so möchten sich derlei Leute wohl vorstellen, wie es mit ihnen ausfallen könne ... wenn andernteils die Bürger nicht vorzögen, sich aller ihrer Eide und Verpflichtungen entbinden zu lassen und in der Fremde ihr Glück zu versuchen.“ Der Rat ließ die Verblendeten bedeuten, dass man in wenig Tagen ihren Wünschen nachkommen und alle Zweifel lösen werde, welche Irrtum und Böswilligkeit zwischen diejenigen ausgesät, die nie größere Ursache gehabt hätten, vertrauend auf einander zu blicken, als eben jetzt. Wie wirkungslos indes Vernunft an die erhitzten Schädel wilder Rohheit klopft, das sollte Stralsund schon am folgenden Tage erfahren.

Im Greifswalder Vergleich hatte sich Arnim auch die Ablieferung von zwei zwölfpfündigen Geschützen ausbedungen, die er einem Herrn von Osten-Sacken abgekauft hatte; sie gehörten früher den Bürgern Picht und Preuß, die sie vielleicht in früherer Zeit gekapert hatten; ein Geschäft, dem kühne Schiffsherren aus den Seestädten nicht durchgängig abhold waren. Mehrmals hatten sie diese Geschütze zur unpassenden Zeit der Stadt angeboten und endlich dem „von Osten“ verkauft, der sie seinerseits an Arnim verhandelte. Schon einige Tage vor ihrer Abholung verbreitete sich das Gerücht: man habe dem Martin Preuß geschrieben: „es würden diese Stücke bald ihre Mäuler gegen die Stadt aufsperren“, und als Oberst Sparr Befehl gegeben hatte, sie abzuholen und ein ansehnliches Kommando von der Stadtmiliz sich anschickte, sie bis vor das Thor zu geleiten, da rottete sich der Pöbel zusammen und fiel die Bedeckung mit Schimpfworten, Knitteln und Steinwürfen an. Das Militär, empört durch den Angriff, machte Miene, sich zur Wehr zu setzen und ein unnützes Blutbad schien unvermeidlich; da drangen die Kommandolaute der beiden Hauptleute Volckmann und Chemnitz durch den Lärm, und die Soldaten, ihrer Pflicht gehorchend, schwenkten ab, und überließen der tobenden Menge den Schauplatz. Diese besetzte alsbald nach Gutdünken Wall und Tor, nachdem sie die Geschütze zwischen zwei Wassergräben in den Kot geworfen hatte. Nur durch Einschreiten der Bürgervorsteher und vieler Wohlgesinnter gelang es endlich, die Ordnung herzustellen, indes die Herren des Rates Mühe hatten, die beleidigten Offiziere und Soldaten zu besänftigen, welche in der ersten Aufwallung ihre Entlassung begehrten, erklärend: einer Stadt nicht länger dienen zu wollen, die mit solchem Undank ihren Eifer lohne. Alf, der sich ihrer Zuneigung bemeistert hatte, war nicht der Letzte, welchem es gelang, ihren Unwillen zu brechen und sie im Interesse von Männern festzuhalten, die selbst bereit waren, Leben, Glück und Eigentum für das Gemeinwohl der bedrängten Stadt zu lassen; doch als der Sturm sich gelegt hatte und er am Abend beim knisternden Kaminfeuer neben den geliebten Pflegeeltern saß, da brach er selbst in die Worte aus:

„Das war ein heißer Tag — und mir ist's eben als sollte ich Euch beschwören: „Verlasst die undankbare Stadt, wo böse Ränkeschmiede und wüstes Gesindel Eurer Opfer spotten! übergebt sie ihrem wohlverdienten Schicksale, nehmt Eure Dokumente und Kostbarkeiten mit und folgt mir nach Schweden, wo stiller Friede Euch umschirmen soll und Alf Nordenskiöld, der keine andere Liebe mehr begehrt als die Eurige, Euch auf Händen tragen und Euch mit jedem Atemzuge dartun wird, dass Ihr in ihm Euch einen Sohn erzogen habt!“

„Was würdest Du von einem Hirten halten, Alf, der seine Schafe im Stiche lässt, wenn sie der Wirbelwind erfasst hat und wie toll im Kreise herum dreht? — muss er nicht geduldig zusehen, bis das Wetter ausgerast hat und die Tiere zu sich selbst gekommen, seine Stimme wieder erkennen und ihrer Führung gehorchen, statt dass sie im andern Falle wild in den Strom hinein rennen, der sich unterdes zu ihren Füßen bildete und in seinen Fluten verderben? — Lass mich gewähren! ... Es liegt Schweres vor mir, das weiß ich — und gleich morgen habe ich einen harten Gang anzutreten — aber er will getan sein. Außerdem muss viel Anderes vollbracht werden ... Ein wichtiger Punkt drängt sich den andern voran. Es ist die Aufgabe: die Mittel aufzubringen, welche die zur Verteidigung der Stadt erforderlichen und täglich sich mehrenden Geldkosten erheischen. Lübeck hat uns Vorschuss versprochen; nach Dänemark sandten wir zu gleichem Zwecke heimlich Unterhändler, aber der Erfolg ist noch ungewiss, während das Bedürfnis; drängt ... aus Danzig verschrieben wir einen Stückgießer, indes es uns an Metall fehlt. Kräfte sind allenfalls vorhanden, doch werden sie von zähen Fasern gehalten, während Alles darauf ankommt, sie flott zu machen! Die Stadt wimmelt von reichen Flüchtlingen, doch wollen wir sie besteuern, so machen sie Flausen; die Geistlichen und eine Menge von Beamten tun dasselbe, indes wir Ratsherren gleichfalls frei von Abgaben sind. Da muss ich schon mit gutem Beispiele voran gehen und mich freiwillig zur reichlichen Beisteuer für alle vorkommenden Abgaben melden. Metall wird auch zu finden und umzuschmelzen sein; sei's zu Dukaten oder Mörsern; gelingt es uns nur erst, es aus seinen Schlupfwinkeln heraus zu locken — und mit diesem Verlangen, Reginchen, rücke ich zuerst in Dein Bereich, da wir Männer von dergleichen nicht viel aufzuweisen haben!“ wandte sich der Konsul erst an Alf, zuletzt an seine Gattin.

„Das sollst Du mir nicht zwei Mal sagen ... und von der güldenen Kette hier an meinem Halse und den Brillanten dort im Spind bis zum Küchen-Mörser sollst Du Alles haben, was in meinem Reiche glänzt und flimmert, sobald das allgemeine Beste diese Sachen fordert. Gefalle ich Dir nur, selbst ohne Schmuck, was mich mein eitles Herz ja hoffen lässt, so bin ich schon zufrieden — und wird aus dem Küchenmörser ein Stück von einem Wallmörser, so mahlen wir den Pfeffer zwischen ein paar Steinen und kommen auch zurecht!“ versetzte Frau Regina und umhalste den Gatten, der sie gerührt an das Herz drückte; dann aber reichte sie Alf die Hand und versprach ihm aus dem befreiten Stralsund einen Besuch in Westmannland, wenn sie ihr Lambert aus dem bedrohten nun einmal nicht hinaus lassen wolle. So schwand der Abend, und matte Stille folgte dem Lärm des Tages.

                              Ende des Kapitel 1 Band 2
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Belagerung von Stralsund. Band 1 und 2