Lücke.

Daß eine solche hier einfällt, möchte wohl kein Wunder sein. Jede Stunde war unglücksträchtig; man sorgte jeden Augenblick für seinen verehrten Fürsten, für die liebsten Freunde, man vergaß an eigene Sicherheit zu denken. Von der wilden, wüsten Gefahr angezogen, wie von dem Blick einer Klapperschlange, stürzte man sich unberufen in die tödlichen Räume, ging, ritt durch die Trancheen, ließ die Haubitzgranten über dem Kopfe dröhnend zerspringen, die Trümmer neben sich niederstürzen; manchem Schwerblessierten wünschte man baldige Erlösung von grimmigen Leiden, und die Toten hätte man nicht ins Leben zurückgerufen.

Wie Verteidiger und Angreifende nunmehr aber gegeneinander standen, davon wäre im allgemeinen hier so viel zu sagen. Die Franzosen hatten bei androhender Gefahr sich zeitig vorgesehen und vor die Hauptwerke hinaus kleinere Schanzen kunstgemäß angelegt, um die Blockierenden in gewisser Ferne zu halten, die Belagerung aber zu erschweren. Alle diese Hindernisse mußten nun weggeräumt werden, wenn die dritte Parallele eröffnet, fortgesetzt und geschlossen werden sollte, wie im nachfolgenden einzeln aufgezeichnet ist. Wir aber indessen, mit einigen Freunden, obgleich ohne Ordre und Beruf, begaben uns an die gefährlichsten Posten. Weißenau war in deutschen Händen, auch die flußabwärts liegende Schanze schon erobert; man besuchte den zerstörten Ort, hielt in dem Gebeinhause Nachlese von krankhaften Knochen, wovon das Beste schon in die Hände der Wundärzte mochte gelangt sein. Indem nun aber die Kugeln der Karlsschanze immer in die Überreste der Dächer und Gemäuer schlugen, ließen wir uns durch einen Mann des dortigen Wachtpostens, gegen ein Trinkgeld, an eine bekannte bedeutende Stelle führen, wo mit einiger Vorsicht gar vieles zu übersehen war. Man ging mit Behutsamkeit durch Trümmer und Trümmer und ward endlich eine stehen gebliebene steinerne Wendeltreppe hinauf an das Balkonffenster eines freistehenden Giebels geführt, das freilich in Friedenszeiten dem Besitzer die herrlichste Aussicht gewährt haben mußte. Hier sah man den Zusammenfluß des Main- und Rheinstroms, und also die Main- und Rheinspitze, die Blei-Au, das befestigte Kastel, die Schiffbrücke und am linken Ufer sodann die herrliche Stadt: zusammengebrochene Turmspitzen, lückenhafte Dächer, rauchende Stellen untröstlichen Anblicks.


Unser Führer hieß bedächtig sein, nur einzeln um die Fensterpfosten herumschauen, weil von der Karlsschanze her gleich eine Kugel würde geflogen kommen, und er Verdruß hätte, solche veranlaßt zu haben.

Nicht zufrieden hiermit schlich man weiter gegen das Nonnenkloster, wo es freilich auch wild genug aussah, wo unten in den Gewölben für billiges Geld Wein geschenkt wurde, indes die Kugeln von Zeit zu Zeit rasselnde Dächer durchlöcherten.

Aber noch weiter trieb der Vorwitz; man kroch in die letzte Schanze des rechten Flügels, die man unmittelbar über den Ruinen der Favorite und der Kartause tief ins Glacis der Festung eingegraben hatte und nun hinter einem Bollwerk von Schanzkörben auf ein paar hundert Schritte Kanonenkugeln wechselte; wobei es denn freilich darauf ankam, wer dem andern zuerst Schweigen aufzulegen das Glück hatte.

Hier fand ich es nun, aufrichtig gestanden, heiß genug, und man nahm sich's nicht übel, wenn irgend eine Anwandlung jenes Kanonenfiebers sich wieder hervortun wollte; man drückte sich nun zurück, wie man gekommen war, und kehrte doch, wenn es Gelegenheit und Anlaß gab, wieder in gleiche Gefahr.

Bedenkt man nun, daß ein solcher Zustand, wo man sich, die Angst zu übertäuben, jeder Vernichtung aussetzte, bei drei Wochen dauerte, so wird man uns verzeihen, wenn wir über diese schrecklichen Tage wie über einen glühenden Boden hinüber zu eilen trachten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Belagerung von Mainz