Landgestaltung

Landgestaltung: — untergegangene Wälder der Postglacialzeit — Torf — Entstehung der Marsch — Sturmfluten — Durchbruch des englischen Kanals bei Dover — Säkulare Senkung.

Jede Landschaft trägt in ihrem Angesicht den Ausdruck, den ihre Lebensschicksale darauf eingegraben. Die wilde Wucht der Felsstürze, die schauerlichen Gewalten unterirdischer Glutherde schaffen Formen, die noch nach tausend und abertausend Jahren dem ersten flüchtigen Touristenblick offenbaren, welch ungezähmte Riesenkräfte hier den Hammer des Bildhauers schwangen.


Wer die Küsten unserer Nordsee sieht, dem werden die bildenden und zerstörenden Kräfte in ihrer ganzen Größe nicht so überwältigend offenbar und doch verkündet Sage, Geschichte und Naturforschung dieser Länder von einem unerhörten Ringen mit dem Wasser, das dieses Land erst schuf und dann stückweise wieder verschlang.1)

Dass das Landgebiet der nordfriesischen Inseln einst größer war, zeigt außer der historischen Überlieferung der Augenschein. — Fast auf allen Seiten ist vor diesen Inseln und Halligen das Meer seicht und weite Strecken laufen bei Ebbe trocken.2) Man findet dann weit seewärts vom jetzigen Uferrand Reste von Bauten, Brunnen, Hünengräbern, weite Torf strecken,*) dichte, untergegangene Wälder, die mit ihren zum Teil sehr dicken Stämmen im Schlick stecken. Prof. Gottsche, Hamburg (in seinen Vorlesungen über die Geologie von N. W.-Deutschland) führt ferner an: Hinter den Halligen kann man zur Ebbezeit in 1 km Entfernung im Wasser dunkle Streifen erkennen. Diese Streifen sind die Spuren von alten Gräben, die auf eine Feldeinteilung hinweisen, die vor einigen 100 Jahren üblich war.

*) Dieser Torf ist echter Land -Flachmoortorf. Gerät solcher Torf unter den Meeresspiegel, so nennt man ihn meist Seetorf oder Meertorf mit der leider auch in wissenschaftlichen Büchern zu findenden Vorstellung, dass er aus Meerespflanzen (Seegras, Tang) hervorgegangen sei Die Untersuchung der Torfe ergibt aber Landpflanzen-Reste als Constituentien (bei Gröde z. B. an einigen Stellen Heide). Herrn Professor Potonié-Berlin, der die hiesigen Torfe eingehend an Ort und Stelle untersuchte, bin ich für freundliche Mitteilung der obigen Bemerkungen zu großem Dank verpflichtet

Zwischen Utersum-Föhr und der Nordspitze Amrums fanden sich z. B. vor Jahren bei stärkster Ebbe nach dem Bericht noch lebender Augenzeugen weit draußen auf dem Watt die Reste eines bedeutenden Bauwerks: Große behauene Granitquadern und ungewöhnlich dicke Eichenbalken, deren einige noch in einem Hause von Utersum eingebaut sind. Diese Reste werden traditionell für „St. Annenkapelle“ in Anspruch genommen; die Existenz einer solchen wird von Sach3) wohl endgültig widerlegt. Könnte man da vielleicht eher an ein königliches „Hus“ denken, wie solche nach Waldemar's Erdbuch (anno 1230) auf Amrum, Föhr und den meisten übrigen Inseln vorhanden waren? Untergegangene Wälder finden sich bei Goting-Föhr, Sylt, Röm, Oland, Nordstrand. Auch vor Wyk-Föhr im Osten und Süden weit hinaus finden sich Baumstümpfe mit ihrem Wurzelgeflecht im Schlick festsitzend. Der Gotinger Wald zeigt Eichen, Birken, Erlen, Weiden, Eschen, Hasel, Fichten (Funde davon im Friesen-Museum). Ehe die Flora fachmännisch untersucht ist, kann ein Schluss auf das Alter dieses Waldes nicht gezogen werden. — Gräbt man auf den Marschen des Festlandes und der Inseln in die Tiefe (was zur Torfgewinnung in ausgedehntem Maße geschah), so zeigt sich dasselbe. In den untersten Lagen der verschieden dicken Torfschicht (1/2 — 1 ½ m auf Föhr und benachbartem Festland, dagegen am N. O. See-Kanal 20 — 24,6 m) kommen Zweige und Bäume, meist Eichen zum Vorschein, darunter Sand, seltener Klei, z. B. auf der Marsch von Föhr, bei Niebüll, Nordstrand, Husum. Dieselbe Erscheinung tritt uns an der ganzen Nordseeküste und den benachbarten Elbmarschen entgegen, hier liegen die Stämme immer N.W.— S.O.4) Weit draußen in der Nordsee, auf der fischreichen Doggerbank (berüchtigt durch Roschdjestwensky's Abenteuer mit den Huller Fischerbooten), die bei Ebbe 6 m unter Wasser liegt, fanden sich Mammut- und andere Knochen5).

Es wird meist als feststehend angenommen, dass nach dem endgültigen Rückzug der Eiszeitgletscher aus dem Nordseegebiet das vorhandene Land einer oder mehreren bedeutenden Senkungen unterworfen war, die große Strecken wieder unter Wasser verschwinden ließen.6) Dagegen spricht sich Gottsche in seinen oben zitierten Vorlesungen dahin aus, daß die Angaben der Lehrbücher über das Sinken der Nordseeküste nicht stichhaltig seien, daß vielmehr jene unzweifelhaften Niveauveränderungen durch Fortschreiten des Meeres erfolgt seien. Nach der Senkungshypothese hätten sich an den tieferen Stellen Süßwassersümpfe (Torf), an den höheren Randgebieten Waldflächen gebildet. Auf das gesenkte Gebiet seien dann Ablagerungen der von den Strömen herbeigeführten Schlickmassen erfolgt in den gesamten, von den Gestaden Hollands bis nach Jütland ununterbrochen sich hinziehenden, mit Diluvialgebilden, Dünenzügen und Morästen erfüllten Niederungen. Die so entstandenen Marschen wurden zum großen Teil nach Durchbrechung der Kreidefelsen bei Dover — Calais und durch Sturmfluten zu verschiedenen Zeiten wieder zerstört.7) Bezüglich des sagenumwobenen Durchbruchs der Kreidefelsen sei erwähnt, was Prof. Rys8)-Oxford über die gälische Einwanderung schreibt: „Die erste Einwanderung der Picten und Goidels nach England ca. 600 vor Chr. erfolgte zu Lande“. Den Resultaten der Geologie gegenüber hält diese Ansicht eines so späten Durchbruchs des englischen Kanals keineswegs stand. Das jetzt von den britischen Inseln eingenommene Gebiet war fast zu allen Erdepochen insular und seine Landmasse war erheblich geringer als heutzutage. Nur während der ersten Eiszeit bestand eine breite Landverbindung des Kontinents mit S. O. - England. Aber schon in der letzten Zwischen-Eiszeit war diese Landbrücke verschwunden und nichts weist darauf hin, daß sie später wieder hergestellt war.9)

Professor Gottsche-Hamburg hatte auf meine Anfrage die große Freundlichkeit, mir über die Kanalfrage folgendes zu schreiben, wofür ich auch hier meinen wärmsten Dank ausspreche: ,,Gewöhnlich wird angenommen, daß England seit dem Schluss der Diluvial-Zeit (Anthropologisch ausgedrückt, seit Beginn der Neolithischen Zeit), dauernd Insel geworden sei. Es muss aber darauf hingewiesen werden, daß sowohl während der Miocän-Zeit, als während des unteren und mittleren Diluviums direkte Verbindungen zwischen der Nordsee und dem Atlantischen Ocean bestanden haben; andererseits ist es sicher, daß sowohl zu Beginn, als gegen Ende der Diluvial-Zeit England mit dem Festland zusammen gehangen hat. Die englischen Geologen glauben sogar, in Suffolk und Norfolk den gewundenen Lauf eines ehemaligen Rheinarmes auf reichlich 100 km verfolgen zu können.

Ob der Durchbruch (der natürlich sich sehr langsam, kaum merkbar, vollzog) ein ungünstiges Resultat für unsere Provinz gehabt hat, ist zweifelhaft. Ich denke mir im Gegenteil, daß solange die Nordsee ein Meerbusen war, andauernder Nord, bzw. Nord-West-Wind im Innern Winkel starken Aufstau bewirkt hat, während nach dem Vorhandensein des Kanals viel leichter ein Ausgleich des Wasserniveaus zu Stande kam.“

Jedenfalls ist diese auf geologische Befunde gestützte Angabe weitaus wahrscheinlicher als alle anderen mehr oder weniger fabelhaften Ansichten. Was solche geologischen Zeiträume besagen, illustriert am besten die Feststellung des englischen Geologen und Astronomen Croll, daß seit der letzten Eiszeit im Minimum 90.000 Jahre verflossen seien, 10a)

Der Transport der Eismassen, welche aus Skandinavien kommend N. W. - Europa während der Eiszeit bedeckten, dauerte bis zu ihrer Ankunft im Nordseegebiet und berechnet nach der Geschwindigkeit des Grönland-Eises 924 Jahre, berechnet nach der Geschwindigkeit der Schweizer Gletscher 10.200 Jahre. Aus verschiedenen Gründen darf aber nur die Schnelligkeit der Schweizer Gletscher als Maßstab genommen werden, und auch die so gewonnenen 10.200 Jahre beziehen sich nur auf die Luftlinie, 10b)

Auch die Vertreter der obengenannten Senkungshypothese nahmen an, dass vor der Entstehung der Sumpf- und Marschlandschaft eine Meeresüberflutung stattfand; schon der alte Petrejus 4), der am Ende des 16. Jahrhunderts Pastor in Nordstrand war, schließt aus den auf Nordstrand bei tiefem Graben 2 — 4 Ellen tief allenthalben gefundenen Muschelbänken, auf eine marine Entstehung der unter der Marsch gelagerten Schichten. Auch im Untergrund der Föhrer Marsch finden sich Meeresmuscheln: Cardien und Scrobicularien (siehe Sammlung des Friesen-Museums). Gottsche 10c) bespricht die fruchtbaren Marschländereien der Nordseeküste eingehend. „Diese „Speckseite“, die Schleswig-Holstein an seinem Westrande umgibt, ist abgesetzt aus dem Schlammmaterial der Elbe. Jenseits der Elbmündung aber trägt die Marsch einen ausgesprochenen marinen Charakter. In den tieferen Schichten finden sich Cardien und Ostrea.“ Die Zerstörung dieses „Speckgürtels“, die von Grüner (siehe oben) auf die Durchbrechung der Kreidefelsen von Dover und Calais zurückgeführt wird, muss indessen nach der von Hull gegebenen Datierung dieses Durchbruchs nur durch Sturmfluten erfolgt sein.

Neuerdings hat H. Schütte11) darauf aufmerksam gemacht, daß er aus Befunden an verschiedenen Stellen der Nordseeküsten zu dem Schlusse kommen mußte, eine langsame säkulare Küstensenkung finde noch jetzt statt. Er glaubt, einen Senkungsbetrag von 70 cm im Jahrhundert feststellen zu können. Bei der außerordentlichen Schwierigkeit des Nachweises einer solchen Erscheinung muss diese Frage wohl noch offen bleiben. Professor Gottsche weist die Hypothese, die Nordseeküste sei noch jetzt eine sinkende, zurück, gestützt auf Messungen am Pegel von Amsterdam in den letzten 200 Jahren, der ein + oder — von 8 mm nicht überschritten hat.

Dass vulkanische Kräfte bei der jetzigen Landfiguration mit tätig gewesen seien, dürfte als ausgeschlossen gelten. Zwar hat der dänische Geologe Bóggild an verschiedenen Stellen Jütlands vulkanische Asche gefunden, doch ist der Geologie nur ein jütländischer Vulkan und zwar aus dem Eocän, also lange vor der Eiszeit, bekannt.

Charakteristisch ist die Erscheinung der zwischen den flachen Watten der Westküste tief eingeschnittenen schmalen Fahrrinnen, welche in plötzlichem Absturz bis 25 m tief scharf abgegrenzt in das flache Watt eingegraben sind. (Siehe Seekarte.)

Wahnschaffe12) gibt über die Küstenzerstörung an der Nordsee folgendes: „Die flachen Nordseeküsten, welche an einem mit Ebbe und Flut sowie mit starker Brandung versehenem Meer liegen, wurden in sehr bedeutendem Maße verändert (13. — 16. Jahrhundert Auswühlung des Dollart, 1218—1282 Verbindung des Zuidersees mit dem offenen Meere, 1218 Jadebusen).

Ursprünglich hat die langgestreckte Inselreihe, welche die holländische und deutsche Nordseeküste umgibt, mit dem Festlande in Zusammenhang gestanden. Auf mehreren derselben (Wieringen, Texel, Terschelling, Ameland) ist ein diluvialer Kern nachgewiesen worden. Ebenso besitzen auch von den nordfriesischen Inseln Amrum und Föhr einen diluvialen, sowie Sylt in seinem Glimmerton einen miocänen, sich über das heutige Meeresniveau erhebenden Kern. Durch die der Küste folgende Meeresströmung sind hier Nehrungen angeschwemmt worden, auf denen sich mächtige Dünenzüge entwickelten. Dieser Uferwall wurde dann durch die zerstörende Kraft der Nordseewellen mehrfach durchbrochen und das dahinter gelegene Marschland verwandelte sich in das sogenannte Wattenmeer mit seinen flachen, zur Ebbezeit zum Teil unbedeckten Sandbänken. Das Meer drang, nachdem der Schutzstreifen durchbrochen, oft weit in das Land ein und schnitt „tiefe Furchen“ ein, die dort den Namen „Balgen“ führten.

Unsere oben erwähnten tiefen Fahrrinnen würden darnach vielleicht solche „Balgen“ darstellen.

1) Eine erschöpfende Darstellung über Landverlust und Landgewinnung in Nordfriesland fehlt noch; eine höchst bedeutende Arbeit hierüber, die bislang im Arbeitsministerium ihrer Veröffentlichung harrte, wird im Laufe dieses Sommers zu erscheinen beginnen. — Vgl. auch Ottsen, die Nordseeküstenlinie in „Die Heimat“ Nr. 4 u. 5; Kiel 1906. — Die Sturmfluten sind von der Sage vielfach übertrieben, siehe hierüber die ausgezeichnet kritische Arbeit von Reimer Hansen, in Zeitsch. d. Ges. f. Schlesw. Holst Lauenb. Gesch. 24. Bd 1894.

2) Siehe die Seekarte der Nordsee-Westküste, herausgegeben vom Reichsmarineamt Berlin 1898. Nr. 70.

3) Sach, Das Herzogtum Schleswig II, 255 — auch ein im Jahre 1861 in Midlum-Föhr aufgefundenes Feldsteinfundament von großer Mauerdicke mit einigen Backsteinen wurde als „Kapelle“ gedeutet, ohne einen anderen Grund, als daß das benachbarte Geestland „Kabel-Ackerum“ heißt (Chronik des Kirchspiels St Nicolai zum Jahre 1861, Handschrift im Besitze der St Nicolaikirche).

4) Johann Petrejus, Nordstrand; in Camerer II 740. Heimreich-Falk I, 81 ff. (der finstere Damswold bei Niebüll) — Dankwert — Pontoppidan, Danske Atlas VII 363. Sach, I 86. —

5) Die Doggerbank zieht sich quer durch die Nordsee von der englischen Küste bei Hull auf die Südspitze Norwegens zu, in einer Breite von 12 Meilen. „Die Knochen werden als Ablagerungen des alten Rheinlaufs gedeutet, welche hier zur Ruhe gelangt sind“. (Haas, die deutsche Nordseeküste, Leipzig1900, S. 20.) Nach den Untersuchungen, von Judd (Addreß to the geolog. Section — Aberdeen, 1885 und A. Geikie, Textbook of Geolog. London 1885 p. 712, denen Süss (Antlitz der Erde Band II, 92 u. 100 u. III, 486) folgt bestand zu Ende der Tertiärzeit eine zusammenhangende Festlandsverbindung zwischen Schottland und Norwegen. Vermutlich sei der Mensch Zeuge des Verschwindens dieser Verbindung gewesen.

6) Holmboe (ref. in Globus Band 83, S. 130) wies für die S. W. Küste Norwegens eine Senkung von mindestens 8 Metern nach. W. Wolf (Dezembersitzung 1903 der deutschen geologischen Gesellschaft) konstatierte bei Helgoland an mehreren Stellen eine postglaciale Senkung von 5 Metern.

7) H. Grüner, Kaiserrede der landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin 1903 und Karl Förster, Programm der Realschule vor dem Lübecker Tor. Hamburg 1904.

8) Rys The Welsh people London 1900.

9) Hull, Physical History of the British Isles, London 1882. Kartenblatt der Lower-Glacial Epoch and epoch of Interglacial and of Upper-Glacial. —

10) a u. b. c nach den oben zitierten Vorlesungen von Professor Gottsche.

11) Schütte, in Jahrb. f. d Gesch. d. Herzogt. Oldenburg, Stalling 1906. n. Walther, Land u. See, Halle 1907.


12) Wahnschaffe, Ursachen der Oberflächengestaltung des norddeutschen Flachlandes, 1901, S. 251.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Beiträge zur Heimatkunde der Insel Föhr