Erste Besiedelung

Erste Besiedelung — Kjökkenmöddinger — jüngere Steinzeit — Bronzezeit — Eisenzeit — Spinnwirtel — Lembecksburg — Moorleichen — prähistorische Wollgewebe — Hadeby — Gnidelsteine — Lavamühlen — Internationaler Handel in der Stein- und Bronzezeit — der Bernstein als Kulturbringer des germanischen Nordens.

Wann die ersten menschlichen Ansiedelungen auf Föhr stattfanden, ist unsicher. Sophus Müller setzt die erste Besiedelung der cimbrischen Halbinsel schätzungsweise in's 5. — 6. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung an.1) Er glaubt, daß die cimbrische Halbinsel nebst ihren Inseln erst mit dem Beginn der neolithischen Steinzeit (Zeit des nicht geschliffenen, bloß zugeschlagenen Beiles; also lange nach Frankreich, Belgien, Süd-England, welche schon aus der ältesten paläolithischen Zeit reiche Funde bieten) wohl nach dem Rückzug der Gletscher besiedelt wurden und zwar von Westen her. Föhr selbst hat keine Reste aus dem Beginn der neolithischen Zeit aufzuweisen; solche sind außer an einigen dänischen Fundstellen bekannt aus Kiel und Husum.2)


Die Kieler Fundstelle, der sogenannte „Ellerbecker Hacken“ hat sich seit der Zeit ihrer Besiedelung um 14 m gesenkt. In Husum brachte der Schleusenbau ebenfalls in beträchtlicher Tiefe diese ältesten Funde zu Tage. Die Fundstelle am Ellerbecker Hacken wurde von Herrn Dr. Weber von der Moorversuchsstation in Bremen hinsichtlich ihrer Vegetation untersucht.2) Aus diesen Untersuchungen interessiert uns folgendes:

1. Während der menschlichen Besiedelung: Eiche, Weißbirke, Erle, Hasel, Apfel, Föhre.
2. nach dem Verlassen der Wohnstätten entstanden in dem seichten Wasser, das den sich senkenden Wohnplatz überspülte, Erlenbruchwälder. (Bruchwaldtorf.)
3. Brackwasserablagerungen.
4. Meerlebertorf.


Ob Föhr damals noch nicht bewohnt war, ist indessen aus dem Mangel gleichzeitiger Funde nicht mit Sicherheit zu schließen. Es muss auffallen, daß gerade an Orten, wo eine intensive Kultur den Boden tief durchwühlte, ältere Funde zu Tage kamen, so daß sehr wohl auch hier noch Reste jener Zeit bloßgelegt werden können.

Auf die Kjökkenmöddinger-Zeit (zwischen älterer und jüngerer Steinzeit) können folgende Funde bezogen werden: Am Steilabfall des Geestufers bei Nieblum und Goting finden sich in Tiefen von 1/2 — 1 ½ m unter der heutigen Oberfläche — in Goting unter der sehr deutlich sichtbaren unverletzten Steinahl-Schicht — sehr zahlreiche „Muschelherde“, deren Alter nach Ansicht verschiedener Fachleute möglicherweise in die obengenannte Zwischenzeit gesetzt werden kann; jedoch mangels charakeristischer Stücke nicht mit Sicherheit bestimmbar ist. Es wären dann diese Wohnplätze in Parallele zu setzen mit den in Anm. 1 erwähnten Funden in Maglemose auf Seeland. (Mehrere dieser Muschelherde nebst Photographie ihrer Situation befinden sich im Friesen-Museum zu Föhr.) Sie enthalten Cardien (essbare Herzmuschel) und Mießmuschel. In weiteren Kreisen bekannt ist der Kjökkenmödding von Gr. Dunsum. Splieth4) glaubt, daß derselbe Reste aus verschiedenen Perioden enthielt; denn seine zahlreichen Werkzeuge aus Stein und Bein lassen sich nur schwer mit Bronzefibeln und farbigen Glasperlen zeitlich zusammenbringen.

Von sicher datierbaren Föhrer Funden stammen die ältesten aus der 2. neolithischen Periode. (Zeit des geschliffenen Beiles.) Diese wird von S. Müller5) auf das 3. Jahrtausend a. Chr. angesetzt. Die betreffenden Funde sind: geschliffene Äxte, Messer, Meißel, Dolche, Lanzen, Pfeilspitzen, Schmuckketten aus durchbohrten Zähnen und Bernstein etc. Von Kleidungsstücken ist nichts erhalten; es dürften Felle gewesen sein. Zwar konnte man anderwärts aus Pflanzenstoffen Fäden und Schnüre machen (Fischnetze); aber daraus ist auf Bekleidungstechnik (Spinnen und Weben) nicht zu schließen.6)

S. Müller 7) erwähnt einen vierzinkigen 6 cm langen Knochenkamm aus dem Meilgaard-Muschelhaufen (ältere neolithische Zeit). Er glaubt, aus den über den Zähnen eingedrückten Querfurchen schließen zu dürfen, daß diese „Kämme“ nicht bei der Toilette, sondern vielleicht beim Flechten von Tiersehnen Verwendung fanden. Das von ihm abgebildete Instrument hat viel Ähnlichkeit mit einem hier auf der Insel noch vor kurzem üblichen zweizinkigen, kammartigen Gerät 8), das auch dieselben Querfurchen zeigt. Auch der Anm. 2 erwähnte Führer nimmt pag. 6 an, daß die Menschen der jüngeren Steinzeit im Flechten und Weben wohl ebenso geschickt waren, als in Töpferei und Steinbearbeitung. Hier sei als kleine Abschweifung angefügt, daß Funde allerjüngster Zeit in der Nähe von Heidelberg bei einem Skelett aus der jüngeren Steinzeit eine Erkrankung der Wirbelsäule nachweisen ließen, welche mit größter Wahrscheinlichkeit als Tuberkulose anzusprechen ist, so daß diese furchtbare Seuche schon vor tausenden von Jahren in unserem Vaterlande geherrscht zu haben scheint.9)

Das Ende der neolithischen Zeit ist etwa auf 1500 a. Chr. anzusetzen.

Die bronzezeitlichen Funde (1500 — 500 a. Chr.) auf Föhr sind sehr zahlreich: Schwerter, Dolche, Lanzenspitzen, Armringe, Nadeln, Messer, Rasiermesser. Gewänder aus dieser Zeit sind hier nicht gefunden, wohl aber in Eichensärgen jütischer und schleswigscher Grabhügel. S. Müller 10) bemerkt hierzu: „Man kennt Fellkleider nicht aus der Bronzezeit, dagegen wurden wollene ganz allgemein getragen. Nirgends auf der Welt sind Männer- und Frauentrachten aus so alter Zeit bekannt. — Die Männer trugen runde hohe Wollmütze, Oberkörper eingehüllt in ein viereckiges Stück Zeug bis zu den Knieen reichend, oben an demselben Lederriemen angenäht als Schulterträger; um den Leib ein Ledergürtel oder ein gewebtes Band; über die nackten Schultern und Arme ein Mantel, oval, 1 m lang und sehr weit, so daß er vom zusammengezogen werden konnte; Fuß und Knöchel mit Zeugstücken umwunden; Lederschuhe. Frauentrachten: Fund von Borum-Eshoi: kunstvoll gearbeitetes Haarnetz mit Schnüren, Jacke von dickem Wollzeug bis zur Taille reichend aus einem Stück mit kurzen Ärmeln; weiter faltenreicher Rock, 115 cm lang, 2 Gürtel, der eine ein gewebtes und gemustertes Band, das in kunstvoll gearbeiteten Quasten endet; der andere nur eine breite Schnur. — Vorne in der Mitte des Gürtels eine große 19 cm breite Bronzeplatte mit weit vorstehender Spitze, 11) An den Armen Spiral-Bronzeringe, Ringe an den Fingern. — Zahlreiche in unserer Provinz aufgefundene Gussformen 12) für Bronze beweisen, daß man hier bald anfing, dieses wertvolle importierte Material selbst zu bearbeiten. Die Wolle zu den obigen Gewändern war von braunen und schwarzen Schafen, z. T. mit Hirschhaaren gemischt.13) In C. P. Hansen's Sammlung auf Sylt sind ebenfalls braune wollene Gewandreste aus Sylter Funden, jedoch ohne nähere Fundangabe.

Eisenzeit. — 500 a. Chr.— 1000 p. Chr. Die Föhrer Funde aus der Eisenzeit sind außerordentlich zahlreich: Viele Spinnwirtel, Scheren, Reibsteine zum Kornreiben, Schwerter, Lanzenspitzen, Messer, Teile von Pferdegeschirr, Nägel, Glasperlen, Pinzetten, Rasiermesser u. s. w. Der römische Einfluss zeigt sich an mehreren hiesigen Urnen, stark ausladende Becherform, einzelne mit scharfer Schulterkante. Ich möchte nicht unterlassen, hier auf eine leider unvollständige Notiz eines Föhrer Pastors aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts hinzuweisen; dort wird erwähnt, daß auf Föhr ein bleierner Sarg und eine Urne mit silbernem Deckel ausgegraben worden sei.

Der eindrucksvollste Zeuge aus Föhr's unbekannter Vergangenheit ist die Lembecksburg in Borgsum. Eine Zeitangabe über ihre Entstehung ist zur Zeit nicht zu machen. Der einzige Fund, der innerhalb dieses hoch aufgetürmten Ringwalles gemacht wurde, ist ein Spinnwirtel, von konischer Form aus gelbem Ton. Sach, einer der besten Kenner der schleswig-holsteinischen Kulturgeschichte, vermeidet eine Zeitangabe über die Entstehung dieser urg14). Sophus Müller 15) ist geneigt, diese Ringwälle einer späten Epoche zuzuweisen.

Die gleiche Unsicherheit herrscht bezüglich des langgestreckten ca. 3 — 4 Fuß hohen „Krummwalls“ auf Amrum.

Michelsen16) teilt eine Urkunde von 1360 mit, worin die Westerharde-Föhr bestätigt, daß die Gesamtbesitzer der Feldmark zu Utersum und Blegsum*) die Grundstücke, worauf die Burg zu Föhr, Hauptgebäude, Burgweg, Wälle und Gräben angelegt worden, an den Ritter Erich Ründ verkauft haben. Es war dies die Zeit, wo auch sonst in den Uthlanden Zwingburgen angelegt wurden.

Ranzau (1597) 17) erwähnt auf Föhr, die „arx lehenbecciae familie, cujus nunc tantum vallum et ruinae supersunt“.

Außerordentlich wertvoll sind auch die aus der Eisenzeit stammenden Moorleichenfunde von Rendswühren und Damendorf, deren Kleiderreste, insbesondere Lederschuhe, bemerkenswert sind.18) Von Mestorf wurde an mehreren Bändern und Gürteln von Moorleichen auch die „Brettchen-Weberei“ nachgewiesen (nicht zu verwechseln mit dem Webebrett). Im Friesen-Museum zu Föhr befindet sich ein solcher Apparat, der durch die Güte des Herrn Dr. Stettiner-Hamburg in seiner einstigen, jetzt in Deutschland gänzlich vergessenen Verwendungsart zusammengesetzt wurde.

Nicht ein einziger Spinnwirtel aus der Bronzezeit ist in Skandinavien und England gefunden, obwohl dieses kleine Werkzeug in Mittel-Europa schon zur Steinzeit übernommen worden war. Auf einem Tongefäß aus der Hallstatt-Zeit West-Ungarns (vor der Mitte des letzten Jahrtausend v. Chr.) sieht man eine Frau mit der Handspindel und eine andere vor dem Webstuhl, 18a) Plinius (50 p. Chr.) erzählt von den Chauken an der Weser und Ems, daß sie aus Schilf und Sumpfbinsen Stricke zu Netzen flochten.

*) „Blegsum“ offenbar ein Schreibfehler für Borgsum. (Sach II, 242.)

Ebenso wichtig wie die obengenannten Moorleichen sind die Funde im Thorsberger- und Nydamer-Moor, ca. 300 p. Chr. Die Thorsberger Leiche trägt lange Hosen. Reiche Aufschlüsse geben ferner die Ausgrabungen bei Hadeby (10. — 12. Jahrhundert), ein Ruhmesblatt der Kieler Archäologie.12) Wir erwähnen von diesen Funden Schmelztiegel aus Bronze, Gussformen aus Speckstein für Silberbarren, dazu auch Bronzebarren. Alle diese Fundstücke weisen auf einen ausgedehnten Handel von Haithabu hin; ebenso wie die dort zahlreich gefundenen „Pfeffermühlen“ aus rheinischer Lava. Solche höchst altertümlich aussehenden „Pfefferstößer“ sind zum Teil bis in die neueste Zeit auf Föhr in Gebrauch. — Endlich sei noch ein Fund aus einem Frauengrab bei Halsom in Norwegen aus der ältesten Eisenzeit erwähnt.19) Hier fand sich ein gläserner „Gnidelstein“. Auch in einem Grab von Björkö aus der jüngeren Eisenzeit fand sich ein solcher, zusammen mit arabischen Silbersachen. Diese gläsernen Geräte müssen durch Import, vielleicht aus den Mittelmeerländern nach dem Norden gekommen sein, da die Glasbereitung noch im ganzen Mittelalter den nordischen Völkern unbekannt war. Wir kommen auf die heute noch mancherorts gebräuchlichen Gnidelsteine zurtick.20)

Schon in der Steinzeit begann ein internationaler Handelsverkehr. Die erste Bronzezeit in England gab der Steinzeit im Norden ihre Formen.21) Auch auf Föhr finden sich schön gearbeitete Steindolche und Steinbeile, deren Formgebung nur in Anlehnung an metallene Erzeugnisse erklärt werden kann. Der Süden Europas befand sich im 2. vorchristlichen Jahrtausend in seiner Bronzezeit, während im Norden diese um 1000 Jahre später begann. Damit wuchs der Handel nach dem Norden bedeutend. Als Gegenwert gegen die vom Süden eingeführten Waren gab der Norden seinen Bernstein. (Der preußische Bernstein kam erst in der ersten Eisenzeit in den Handel.) So gaben die ausgedehnten Wälder der Bernsteinfichte, die am Ausgang des Eocän und zu Beginn des Oligocän sich über Seeland und Samland erstreckten, den Bewohnern des rauhen Nordens die Mittel, sich einen Kulturaufschwung von unabsehbarer Tragweite anzueignen. „Sehr innige und weitverzweigte Verbindungen zwischen den Völkern des Bronzezeitalters lassen sich aus zahlreichen Umständen erschließen: Nordische Bronzen finden sich in der Schweiz, britische in Skandinavien; ganz isolierte Völker gab es nicht.“21)

1) Sophus Müller, Urgeschichte Europas 1905, S. 16. — Mestorf, Wohnstätten der älteren neolithischen Periode in der Kieler Föhrde, Kiel 1904. — Sarauw, die Funde im Maglemose, Aarböger f. 1903, H. 4.

2) Mestorf, I. c. und Führer durch das schlesw.-holst. Museum vaterl. Altertümer, Kiel 1908.

3) Engler, Bot. Jahrb., 1904.

4)Splieth, Globus Bd. 70, 1896, S. 258.

5) Sophus Müller I. c. S. 30.

6) Sophus Müller nord. Altertumsk. Strassburg 1896 I, 150.

7) S. Müller, nord. Alt. S. 38.

8) Häberlin; „Flechten und Weben“ in Globus Nr. 21, 1907.
9) Dr. Paul Bartels in der „Umschau“, April 1908. S. Müller, nord. Alt. I. 266.

11) Solche Platten wurden früher „Tutuli“ genannt. (S. Müller, Nord. Alt. I 266) und als Kopfbedeckung missdeutet; zuerst von Rhode, cimbr. holst. Antiq. remark Hamburg 1720. Ihm folgen Westfalen, Mon. ined. II, 1740, präf. und Hottenroth, deutsche Volkstrachten V 1900. So wirft der Irrtum eines Gelehrten seine Schatten durch die Jahrhunderte. —

12) z. B. in Haithabu, Mitt. d. anthrop. Vers. f. Schlesw.-holst. Hft XV 1902.

13) Müller, nord. Alt. 1. 266.

14) Sach, das Herzogtum Schleswig, II, 241. Nord. Alt. II 226 u. 240.

15) Michelsen, Nordfriesland im Mittelalter, Schleswig 1828, S. 99 und 193.

16) Henr. Ranzau, Cimbr. Cherson. in Westfalen, mon ined I, 1739 p. 44. Bei Braun und Hohenberg, contra fact etc. IV 1608 ist dieselbe von Ranzau gelieferte Notiz : Von dem Schloss der Lembecker ist nur der Wall und etliche altes zerfallene Mauerwerk übrig.

17) Mestorf; Moorleichen Kiel 1900 — dieselbe, in 44 Bericht, des schlesw.-holst Mus., vaterl. Altert. 1907.

18) S. Müller Urgesch. S. 148, vgl. auch Buschan, über prähistorische Gewebe und Gespinnste. Arch. für Anthrop. 1889 — ders. Verh. d. Berliner-Anthrop. Ges. 1889 p. 327. Mit Handspindeln und Spinnwirteln wird noch jetzt von einigen wenigen alten Frauen des würtemb. Schwarzwaldes gesponnen. Die Spindeln sind aus Ulmenholz und wurden früher alljährlich zu Anfang November von herumziehenden Händlern verkauft, die mit dem Rufe „Ulma Spindla“ durch die Strassen zogen.

19) Vistrand, meddel. fr. nordisk. Mus. 1899—1900. Stockholm 1902.

20) Häberlin, Gnidelsteine, Globus Nr. 22, Juni 1906.

21) S. Müller. Urgesch. S. 152 ff.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Beiträge zur Heimatkunde der Insel Föhr