Übersicht über die allgemeine Geschichte

Es ist mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Juden als Kaufleute mit den Römern auf den heute deutschen Boden kamen; ihre Festsetzung mag wohl entsprechend dem Vordringen römischer Kultur und ihrer Begleiterscheinungen zuerst im Gebiete der Alpen vor sich gegangen sein. Doch während für Deutschland der erste sichere Nachweis von Juden auf das 4. Jahrhundert zurückgeht, *) gilt als ältester Beleg für die Anwesenheit von Juden auf österreichischem Boden die Zollordnung von Raffelstätten (etwa 906). **)

Für Steiermark sind es vorerst Ortsnamen, deren Bildung auf frühe jüdische Ansiedlungen schließen lassen: Judenburg urkundlich erstmalig nachweisbar 1080 (Judinburch), Judendorf bei Graz 1147 (villa que nuncupatur ad Judeos), Judendorf bei Murau 1120 (Judindorf). ***)


Im 13. Jahrhundert kam den Juden im Lande auf wirtschaftlichem Gebiete bereits Bedeutung zu: bei Aufnahme von Darlehen kamen sie, wie aus Urkunden ****) und aus Belegstellen zeitgenössischer Dichter *****) ersichtlich, als die selbstverständliche, ja wiederholt geradezu als die einzige Geldquelle in Betracht.

*) Bestimmungen des Kaisers Konstantin für die Juden von Köln vom 11. Dezember 321; Aronius, Nr. 1 u. 2.
**) Urkundenbuch des Landes ob der Enns, II, 54ff. ; vgl. Aronius, Nr. 122.
***) Zahn, UB. I, 91, 272; II, 129. — Außer den angeführten Ortsnamenverzeichnet Zahn, Ortsnamenbuch, 286 f., noch eine Reihe steirischer Ortsbezeichnungen aus späterer Zeit, die auf Anwesenheit von Juden schließen lassen.
****) Die Brüder Ulrich, Friedrich und Heinrich von Stubenberg schließen 1292 einen Familienvertrag; sie treffen darin Bestimmungen für den Fall des Ablebens eines der Brüder und sehen namentlich etwaige hinterlassene Schulden bei Juden oder Christen vor (LA. 1428). — Weiters vgl. bes. Beilage Nr. 2.
*****) Ulrich von Liechtenstein (nach Beckh-Widmanstetter in den „Mitt. d. Hist. Ver. f. St.“, XIX, 223, im Jahre 1275 oder 1276 verstorben) findet es selbstverständlich, dass die gefangenen Ritter nach einem Turnier zu Friesach (Mai 1224; wegen des Datums vgl. Jaksch, Mon. hist. ducatus Carinthiae, IV, 143 f., Klagenfurt 1906), um sich aus der Verlegenheit zu befreien, Geld gegen Pfänder bei Juden aufnehmen; dô muosten dan ze den Juden varn — si al di dâ gevangen wârn — man sach si setzen al zehant — vil maneger hand kostlichez pfant (ed. Lachmann, 96, Berlin 1841). — Wenn auch bei dem steirischen Dichter der Schauplatz dieses Turniers Friesach (Kärnten) ist, so kann seine Auffassung doch ohne weiteres auch als für die steirischen Verhältnisse geltend angesehen werden. — Geringere örtliche Bedeutung allerdings nimmt Walter von der Vogelweide (nach Paul, 2 ff., etwa von 1160—70 bis 1230) für sich in Anspruch; auch für Walter, der sich seiner Kenntnis der Lebensweise von der Seine bis zur Mur rühmt (ed. Paul, 124, Halle 1905), ist der Jude die selbstverständliche Geldquelle: ê ich im lange schuldic waere, ich wolt ê zeinem Juden borgen (ed. Paul, 151).

Aus diesem Jahrhundert stammen auch die ersten bekannten gesetzlichen Bestimmungen für die Juden des Landes. Herzog Friedrich IL, durch die steten Kämpfe im Innern wie nach außen in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage, *) suchte einen Rückhalt an den damals bereits reichen **) Juden seines Landes. Nachdem er ihnen früher schon Einfluss eingeräumt und sie begünstigt hatte ***) erließ er am 1. Juli 1244 eine Judenordnung, ****) durch die er ihnen Sicherheit der Person und des Eigentums zu verschaffen wie auch ihren Kultus zu schützen suchte, vor allem aber ihnen das Geldleihgewerbe sicherstellen wollte. Das Privileg erteilte Friedrich zwar als Herzog von Österreich und Steiermark und Herr von Krain, doch „iudeis universis et in districtu Austrie constitutis“; demzufolge ist es neuerdings bestritten worden, ob als Geltungsgebiet dieser Bestimmungen auch Steiermark anzusehen sei.

*) Vgl. Ficker, 16, 29, 33.
**) So war zu Zeiten seines Vaters Leopold VI. der Jude Techanus, der als Geldleiher auch zu Friedrichs Zeiten nachweisbar ist (Zahn, UB. II, 423), mit Rücksicht auf seinen Reichtum alleiniger Bürge für die Zahlung der von Leopold VI. dem König Andreas II. im Frieden vom 6. Juni 1225 zugesicherten Kriegsentschädigung (Aronius, Nr. 429).
***) Über den Rat von Juden verhängte Friedrich II. 1235 die Getreidesperre über Österreich (Ann. S. Rudberti Salisburgensis; M. G., SS., IX, 786 ; vgl. dazu Ficker, 44). — Auch in der Dichtung spiegelt sich ein günstiges Verhältnis wieder; sein Zeitgenosse Tanhûser singt: Mit im so varnt Juden, Kristen, Kriechen, Valwen, beiden vil-Unger, Polan, Riuzen, Behein, swer eht schone leben wil (ed. Hagen, II, 81).
****) Die Urkunde ist oft abgedruckt (vgl. Aronius, Nr. 547); gleichwohl ist dieselbe auch hier (als Beilage Nr. 1) nach dem Abdruck bei Scherer, 179 ff., wiedergegeben, da in der späteren Darstellung wiederholt auf den Inhalt dieses Privilegs Bezug genommen wird (mit F., Fridericianum zitiert).

Das Privileg Herzog Friedrichs H., originär und angepasst den Bedürfnissen der Juden, günstig aber durch die Hebung des Geldleihgewerbes und damit der Steuerkraft der Juden, wie mit seinen hohen Strafgeldern, *) vor allem dem Landesherrn, wurde in der Folge von einer Reihe benachbarter Fürsten teils unverändert übernommen, teils als Grundlage einer neuen Judenordnung benützt.

Von diesen Nachahmungen kommen für Steiermark die Privilegien Belas IV. vom 5. Dezember 1251 und vom 22. März 1256 in Betracht, deren Geltungsgebiet sich in der Zeit der ungarischen Herrschaft in Steiermark (3. April 1254 bis 12. Juli 1260), wohl auch auf dieses Land erstreckte. Wichtiger ist für Steiermark das Privileg Premysl Ottokars II. vom 29. März 1254, bzw. dessen nahezu gleichlautende Erneuerung vom 23. August 1268, weil Ottokar diese Privilegien als König von Böhmen, Herzog von Österreich und Steiermark **) und Markgraf von Mähren allen Juden seines Reiches verlieh und diese Gesetzesbestimmungen demnach die ersten bekannten darstellen, deren Geltungsgebiet Steiermark zweifellos einbegreift. Hingegen enthält ein Privileg, das Rudolf I. am 4. März 1277 unter Berufung auf Herzog Friedrich II. erteilte, ebenfalls nur die Bestimmung für die Juden in Österreich (judeis universis in districtu commorantibus Austrie).

*) Die Strafgelder bei Verbrechen an Juden waren meist höher als jene, die für Verbrechen an Christen festgesetzt erscheinen; vgl. Wertheimer, 48ff.
**) Ottokar war vorwiegend im Besitze der Regierungsgewalt in Steiermark vom Jahre 1253 bis zum Frieden von Ofen vom 3. April 1254 und später meist nahezu unbestritten Herrscher seit der Schlacht von Kroissenbrunn, 12. Juli 1260, bis zum Frieden von Wien mit Rudolf I. vom 21. November 1276. Vgl. Krones, Die Herrschaft König Ottokars II. von Böhmen in Steiermark, Graz 1874.

Spätere Bestimmungen der weltlichen Gesetzgebung, soweit sie sich erhalten haben, *) betreffen das Rechts- und Wirtschaftsleben der Juden und konnten so dem eigentlichen Inhalte der vorliegenden Darstellung eingegliedert werden.

Die inneren Verhältnisse der Juden und namentlich die Berührungspunkte, die sich im Verkehr zwischen Juden und Christen ergaben, beleuchten die Beschlüsse des Wiener Konzils vom 10. bis 12. Mai 1267, dessen Bestimmungen die Kirchenprovinz Salzburg, demnach einen Teil Steiermarks mit einbegreifen sollten.

Die blutigen Verfolgungen von Juden, die unter dem Vorwand der Verunehrung geweihter Hostien, der Ermordung von Christen zur Verwendung des Blutes für rituelle Zwecke, der Vergiftung von Brunnen, um die Pest herbeizuführen, seit dem Zeitalter der Kreuzzüge durch Jahrhunderte periodisch wiederkehrten und dem selbstverständlichen Hasse des Schuldners gegen seinen Gläubiger religiöse Leidenschaft und Aberglauben als Nahrung zuführten, verschonten auch Steiermark nicht. — Ungefähr um 1310 scheint es in verschiedenen Orten des Landes zu blutigen Verfolgungen gekommen zu sein. **)

*) Auf ein Judenprivileg unter Albrecht III. und Leopold III. das jedoch verloren gegangen ist, kann aus der wiederholten Erwähnung eines solchen geschlossen werden. Vgl. Scherer, 394 ff.
**) Der Zisterzienserbruder Ambrosius von Heiligenkreuz, ein Zeitgenosse (ed. Karajan, 9), verlegt einen Judenmord in das Jahr 1310. — Das Chron. Leob. (ed. Zahn, 32) berichtet die Ermordung „beinahe aller Juden in Steiermark und Kärnten“ im Jahre 1312. — Sagenhaft ausgeschmückt ist ein Bericht von der Ermordung aller Juden in Judenburg 1312 bei Caesar, II, 412; vgl. Il wof.

Über eine Gefangensetzung und Beraubung aller Juden in den Ländern der Herzoge Albrecht III. und Leopold III. berichten mehrere Chronisten, allerdings mit widersprechenden Zeitangaben. *) — Von einer Verfolgung im Jahre 1397 erzählen die Wiener Annalen. Im allgemeinen scheinen jedoch die Verfolgungen nie jene Bedeutung erreicht zu haben wie in anderen Gegenden. Zweifellos ist dies zum Teil auf das kraftvolle Eintreten der Landesherren zurückzuführen, die aus Gründen politischer und materieller Konvenienz selbst Hass und Gespött der übrigen Bevölkerung nicht scheuten, wenn es galt, die Juden gegen Übergriffe anderer zu schützen. **)

*) Die Wiener Annalen (ed. Seemüller; M. G., Deutsche Chroniken, VI, 231) berichten von einer Gefangennahme im Jahre 1370. — Im Fragmentum historicum (ed. Pez, II, 383) wird erzählt, dass 1370 die Juden aller Länder der Herzoge an einem Tage gefangengesetzt und aller ihrer Güter beraubt worden seien. — In das Jahr 1377 verlegt die Kleine Klosterneuburger Chronik (ed. Zeibig im A. f. K. ö. Gqu., XIII, 235) das Ereignis. — Belege für das Übergreifen der Bewegung nach Steiermark sind mir nicht bekannt; allerdings berichtet Muchar (VI, 381) (und andere nach ihm) nach einer nicht vorhandenen Stelle bei Kurz hiervon. — Jedenfalls aber beweisen zahlreiche Urkunden aus diesen Jahren (vgl. z. B. Exk. Nr. VI und VII), die dartun, dass steirische Juden eben damals bedeutende Darlehen gewährten, dass zumindest der Bericht von einer gänzlichen Beraubung alles Eigentums stark übertrieben ist.
**) Von den zahlreichen Belegstellen aus Chroniken seien einige hier herausgegriffen: Der Verfasser der Österreichischen Chronik (ed. Seemüller; M. G., Deutsche Chroniken, VI, 183) schreibt wegen des Eintretens Albrechts I. für die Juden: Laider ich besorg, daz darumb Christus, des veinde die Juden sind, hat hincz im (Albrecht I.) den pitterleichen tod verhenget, daz er von seinem aigen plut alz jemerleich ward getötet. — Die Continuatio Zwetlensis tertia (M. G., SS., IX, 658) sagt nach dem Bericht von der 1293 in Krems angeblich erfolgten Ermordung eines Christen durch Juden: In quo facto nefario deprehensi nichil ultionis pertulerunt preterquam quod in principio duo judei pauperes rotati sunt, ceteris omnibus per pecuniam copiosam sibi favorem et pacem tam apud ducem quam apud terre magnatas comparantibus, qui ipsos judeos fovebant et a vulgi iusta iracundia, si fas est veritatem dicere, non pietate misericordie, sed impietate avaritie ducti, per exosam violentiam in scandalum christiane fidei, tuebantur. — Da wegen der Ermordung der Juden in St. Polten 1306 Albrecht I. und sein Mitregent Rudolf II. an der Stadt ein Strafgericht vollziehen wollten, schreibt dieselbe Chronik (S. 663): Sed inter hec non . . . — Der Zisterzienserbruder Ambrosius äußert sich in seiner Schrift „De actis judaeonam sub duce Rudolpho“ (ed. Karajan, H), 1312 im Kloster zu Heiligenkreuz geschrieben: . . . — Da die 1397 aus Steiermark geflohenen Juden beim „herczog und rat ze Wienn“ (es regierten Albrecht IV. 1305 — 1404, und Wilhelm 1395—1406) Schutz fanden, klagen die Wiener Annalen (ed. Seemüller; M. G., Deutsche Chroniken, VI, 2.38): Also ist Österreich der Juden verhaissen und gesegent land. — Von Friedrich III. berichtet sein Zeitgenosse Matthias Döring (SS. rer. Ger., ed. Mencken, III, 10): ... — Bezeichnend sagt die Chronik der Grafen von Cilli (ed. Krones. II, 75): . . . denn ich kann nicht wohl verstehen, welcher ein grösser wuecherer sey, der jud (der) auff gesuch leihet, oder herr oder fürst, der den gesuch vestigklich schafft einzubringen.

Ausweisungen sind im Verlaufe des 15. Jahrhunderts festzustellen: aus dem Gebiete der Grafen von Cilli durch den Grafen Hermann II. im Jahre 1410 und aus Graz durch Friedrich III. (vor 1439); doch wurden Juden hier 1447 wiederum angesiedelt, *) Aber schon häuften sich unter der Herrschaft Friedrichs III. die Forderungen der Stände nach einer Ausweisung der Juden, die als eine der Vorbedingungen für die wirtschaftliche Gesundung des arg daniederliegenden Landes angesehen wurde. Die Verhandlungen wurden nach Friedrichs Tode mit Maximilian I. geführt: auf den Landtagen zu Marburg vom 27. April 1494, vom 25. November 1494 wurde verhandelt und schließlich auf dem Landtag zu Graz am 28. August 1495 eine endgültige Vereinbarung getroffen; es wurde bestimmt, dass das Land dem König Maximilian I. eine Entschädigung von 38.000 Pfd. Pfg. in drei Terminen zu bezahlen habe, wogegen die Juden für ewige Zeiten aus Steiermark, Wiener-Neustadt und Neunkirchen zu verweisen seien. Die erste Rate des Landes im Betrage von 14.000 Pfd. Pfg. wurde am 27. Jänner 1496 bezahlt, der Ausweisungsbefehl sodann am 18. März 1496 in Schwäbisch-Werda ausgefertigt; er erstellte, ohne jedoch an den materiellen Rechten der Juden einen wesentlichen Eintrag zu tun, eine Frist zur Auswanderung bis zum 6. Jänner 1497. Der größere Teil der Juden hatte in der Tat bis zu dieser Frist das Land verlassen; die übrigen folgten in den nächsten Jahren.

*) Seit 1439 sind Schenkungen und Verkäufe Friedrichs III. von Häusern nachzuweisen, „zu Gretz in der gassen, da die Juden ettwenn innegewonet haben“ und die ihm als Landesfürsten wegen Verschulden der Juden zu Graz zugefallen waren (vgl. Chmel, Friedrich IV., 386 f.; weitere Belege bei Muchar, VIII, 39, und LA. 5719, 5722). — Mit der Einbringung der Forderungen der Ausgewiesenen wurde der Jude Meisterl in Bruck betraut (LA. 7257). — Am 2. Dezember 1447 bestimmte Friedrich III., dass bei Streitfällen der Juden mit Angehörigen des Adels und der Geistlichkeit das Gericht des Landeshauptmannes, bzw. des Verwesers zu Graz von nun ab zuständig sein sollte; da hierdurch aber den Juden, die nach Graz zu kommen genötigt wären, „swer wer, ze solchem rechten ir zerung und aufhaltung zehaben“, verordnet Friedrich gleichzeitig die Ansiedlung einiger Juden, „daz die da sein und irn handel getreiben und dapey die andern Juden ir zerung und aufhaltung zu solhem obberürten rechten und tegen dester fügleicher gehaben mugen“ (LA., landschaftl. A. 13a).
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Beiträge zur Geschichte der Juden in Steiermark