Die Rechtsverhältnisse

Urkunden, geeignet über das strafrechtliche Verfahren gegen Juden Aufklärung zu geben, waren mir nicht auffindbar; groß ist hingegen die Zahl jener Urkunden, die die privatrechtlichen Verhältnisse der Juden in Steiermark im 14. und 15. Jahrhundert erschließen.

Aus der Durchsicht des gesamten Urkundenmaterials lässt sich der bestimmte Eindruck gewinnen, dass die Juden auf privatrechtlichem Gebiete im allgemeinen weder an Rechten der christlichen Bevölkerung nachstanden noch bei der Handhabung der Gesetzespflege benachteiligt wurden. *)


*) Im Widerspruch hierzu stünden jene Eingriffe der Landesfürsten, durch die Schuldforderungen jüdischer Gläubiger als ungültig erklärt wurden, vereinbarte Rückzahlungen hinausgeschoben, bedungene Zinsen gekürzt oder ganz aufgehoben wurden, wenn sich die bezüglichen Bestimmungen in der Tat als Vorgänge einseitiger Willkür gegen Juden erwiesen; den in diesem Sinne aufgefassten Beispielen über die Rechtsbehandlung der Juden auf deutschem Boden (vgl. bes. Stobbe, 133 ff.; Hoffmann, 103 ff.) werden wiederholt auch einige Belege aus Steiermark angegliedert (vgl. bes. Scherer, 470). Unter Berufung auf Lichnowsky. IV (S. DCL Nr. 793, S. DCLI Nr. 798, S. DCLII Nr. 804, 811, S. DCLXXI Nr. 1010) werden die dort im Auszug mitgeteilten Tötbriefe der Forderungen von Musch, Isserleins Enkel in Marburg, und der Brüder Musch von Marburg und Chatschim von Cilli, Söhne Schebleins von Cilli, (neben einem dritten Fall) als solche Akte willkürlicher Ungültigkeitserklärung jüdischer Forderungen angeführt. Die Überprüfung des Urkundenmaterials für die beiden obenerwähnten Fälle soll hier geschehen (für den dritten Fall, jenen des Häslein von Judenburg, war mir das Urkundenmaterial nicht zugänglich): Musch, Isserleins Enkel, war, wenigstens nach Angabe des Herzogs Rudolf IV., „an redlich sache“ geflohen (vgl. Beilage Nr. 10). — Die Brüder Musch (nicht zu verwechseln mit dem vorerwähnten Musch) und Chatschim waren „von purgelschaft und von anderen Sachen wegen“, ersterer aus Marburg dem Herzog, letzterer aus Cilli den Grafen von Cilli entwichen (HHStA., 3. Februar 1367). — Aus dem vorerwähnten Grunde nahm der Herzog die Beschlagnahme des Vermögens des Musch, Isserleins Enkel, vor, nachdem er sich diesbezüglich mit anderen Juden ins Einvernehmen gesetzt hatte (vgl. Beilage Nr. 10). — Die Forderungen Chatschims, eines Untertanen der Grafen von Cilli, waren den Grafen von Cilli zugefallen; Graf Ulrich I. von Cilli und der Jude Isserl von (?) Neuburg „markthalben“ nahmen die Liquidierung vor. Aber bereits am 24. Jänner 1368 (HHStA.) hatte sich Chatschim mit den Grafen von Cilli wieder versöhnt, ihnen einen „Bundbrief“ gegeben und dafür seine Schuldbriefe zurückerhalten. Auch sein Bruder Musch war bald zurückgekehrt. Zwischen den beiden Brüdern Musch und Chatschim, die die Geschäfte und das Vermögen gemeinsam verwaltet hatten, entstanden nun Streitfälle, zu deren Beilegung Graf Hermann I. von Cilli und Isserl von Neuburg als Schiedsrichter wirkten (vgl. Beilage Nr. 13). — Musch, Isserleins Enkel, auf seiner Flucht von Wilhelm von Schärfenberg aufgenommen (vgl. Senckenberg, IV, 188 f.), versöhnte sich ebenfalls bald wieder (1379/80) mit den Herzogen Albrecht III. und Leopold III., die ihm zusichern: Waz in heuser, Weingarten und anders irs erbes genomen ist und waz irs guts und ir habe verspart und verhelft ist, daz wir in daz alles sullen wider suchen ze geben und was man in in unsern landen und herrschaften gelten sol, darüber si brief und urchund habent, dasselb gelt sollen in unser houbtleut, phleger, richter und amptleut helfen in ze pringen . . . (Senckenberg, IV, 18-4 fF.), Es wäre ein Verkennen der Zeit, wollte man nicht annehmen, dass Macht und Gewalt in der Behandlung dieser beiden Rechtsfälle, deren Einzelheiten ja nicht immer klar begründet zutage liegen, von Einfluss gewesen sind. Andererseits aber muss eine Verallgemeinerung dieser Fälle unter bloßem Herausgreifen der Tatsache, dass Tötbriefe erteilt wurden, ohne Rücksicht darauf, dass diese eine strafweise und übrigens rückgängig gemachte Konfiskation darstellen, die ebenso unglückliche als missverständliche Auffassung der vollkommenen Rechtsunsicherheit der Juden in jener Zeit herbeiführen, die man so vielfach in Geltung findet. — Andere Fälle, in denen durch das Eingreifen der landesfürstlichen Gewalt privatrechtliche Abmachungen verschoben wurden, und zwar aus der durch Chmel so treulich erschlossenen Zeit Friedrichs III., sollen dartun, dass hierdurch Juden wie Christen begünstigt oder benachteiligt wurden: am 14. September 1435 erlässt Friedrich III. mit Rücksicht auf eine Feuersbrunst der Stadt Voitsberg die Steuern, den Bürgern gewährt er einen zweijährigen Zahlungsaufschub unter Aufhebung der Zinsen gegen christliche wie jüdische Gläubiger (Muchar, VII, 245). — Im Februar 1478 bestimmt Friedrich III. Jakob, Kefers Eidam, dem von Ulrich Gretzer für ein Darlehen von 10 Pfd. Pfg., 16 Pfd. Pfg. an Zinsen zukamen, sich um seinetwillen mit Zahlung des Kapitals zu begnügen, „das wir genediklich gen dir erkennen wellen“ (Mon. Habs., I. Abt. 2, S. 705 Nr. 605). — Im März (?) 1478 beauftragt Friedrich seine Behörden, dem Abraham, Mauls Sohn, Stundung oder Zahlungsnachlass bei seinen Gläubigern zu erwirken in gleicher Weise, als er es seinen Schuldnern einzuräumen gezwungen ist (ebenda S. 727 Nr. 689). — Ungefähr zur selben Zeit (?) erwirkt Friedrich dem Juden Mordehai in Radkersburg einen angemessenen Zinsennachlass bei seinem Gläubiger Aram, Meister Israels Sohn (ebenda S. 133 Nr. 711). — Am 30. Juni 1478 vermittelt Friedrich dem Jörg Layer von Strettweg bei dem Juden Muschmann von Judenburg einen Nachlass der Zinsen, da der Schuldner diese „an sein verderben nicht zu betzallen vermug“ (ebenda S. 797 Nr. 931).

In Streitfällen der Juden untereinander entschied das autonome Gericht der Judenmeister; in Streitfällen zwischen Juden und Christen war in den meisten (vgl. unten) Fällen das Judengericht zuständig, dessen Urteilerbank aus Juden und Christen bestand. Wiederholt wurden Streitfälle auch durch Schiedsgerichte ausgetragen, auf deren Zusammensetzung beide Teile Einfluss nahmen. *) — Das Interesse, das, wie später zu besprechen, die Landesherren an den Juden nahmen, war Ursache, dass die Fürsten über Beschwerde von Juden bei säumiger Behandlung des Rechtsverfahrens wiederholt selbst eingriffen. **)

*) Vgl. Abschnitt D, I; außer durch die dort angeführten förmlichen Schiedsgerichte sind in Streitfällen zwischen Juden und Christen beide Teile wiederholt „durch ehrbare Leute, mit beider Teile Willen und Wissen freundlich miteinander verrichtet und vereint worden“ (LA. 4838, 4777, 4309 a).
**) So geben für Friedrich III. die Mon. Habs, allein für das erste Halbjahr 1478 die folgenden Belege: Friedrich greift am 16. Februar über Beschwerde des Kaym in Judenburg beim Richter daselbst ein, am 30. März über Vorstellung des Abraham, Mauls Sohn, beim Verweser in zwei Fällen und ebenfalls beim Verweser über Veranlassung desselben Juden ein drittes Mal (März?), am 14. April über Vorstellung des Smerl, Müschleins Sohn, beim Verweser, am 11. April über Beschwerde des Gerschan in Graz beim Richter daselbst, am 29. Mai über Vorstellung des Nacham, Smoyels Sohn, beim Richter in Rottenmann, im Juni bei Hauptmann und Amtmann in Warburg über Veranlassung des Aram, Seldmanns Sohn, ebenda und am 3. Juli über Beschwerde desselben Juden bei Stadt- und Judenrichter in Marburg.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Beiträge zur Geschichte der Juden in Steiermark