Fortsetzung

Das vorliegende Gutachten eines Mitgliedes (A.) hatte ein unmittelbareres praktisches Eingreifen vorgeschlagen; der gleichfalls beigefügte schriftliche Vortrag eines anderen Mitgliedes (B.) bezweifelt das Wohnungsbedürfnis wenigstens in Berlin.

Gegen ein direktes Eingreifen des Zentralvereins traten sofort erhebliche Bedenken auf. Unter Anderem wurde von verschiedenen Seiten bemerkt: In Frage käme, ob es an Orten, wo sich Wohnungsnot zeige„ absolut an Wohnungen oder ob es den Arbeitern entweder am Gelde oder selbst am Bestreben für Beschaffung guter Wohnungen fehle. Die erwünschteste Art, das Wohnungsbedürfnis zu befriedigen, sei der Erwerb eines eigenen Grundeigentums und Hauses vermittelst Baugenossenschaften, wie sie im betreffenden Hefte des Arbeiterfreundes und in der besonderen Schrift (dem Separatabdruck aus demselben) beschrieben, Die allmähliche Erwerbung von Grundeigentum bilde zugleich eine vortreffliche Form des Sparens. Dafür könne indes der Zentralverein als solcher an Stelle einer überdem fehlenden Baugenossenschaft keine den Erfolg verbürgende Vermittlung übernehmen.


Anderseits wurde entgegnet: Wenn die hiesige gemeinnützige Baugesellschaft durch die von ihr aufgestellten Zahlen zu beweisen versucht habe, dass das Wohnungsbedürfnis für Arbeiterfamilien gedeckt sei, so sei dem entgegenzuhalten: wie dieserhalb vielmehr eine sorgfältige, von der Zählungskommission pro 1861 ausgearbeitete Statistik keineswegs günstige Ergebnisse liefere; denn ein großer Teil der leerstehenden kleineren Wohnungen und Werkstätten liege an den äußersten Enden des Weichbildes und biete keine angemessene und genügende Kommunikation mit Kunden und Arbeitsstätten; ein anderer Teil aber sei zu schlecht beschaffen, um nicht sogar das Zusammenwohnen der einen Familie mit einer anderen noch vorteilhafter erscheinen zu lassen, als das Ermieten solcher Quartiere. Auch deute schon die seit einigen Jahren wahrgenommene Steigerung der Mieten von 6, 8 auf 9 und mehr Prozent des Versicherungs-, resp. Baukapitalwertes der Häuser auf ein Übergewicht der Nachfrage über das Angebot hin, und es sei gerade die Miete der kleinen Quartiere am stärksten gesteigert. Schlimm stehe es namentlich um die trotz ihrer häufig feuchten und ungesunden Beschaffenheit keineswegs wohlfeilen Kellerwohnungen. Noch traurigere Zustände in Hamburg, Magdeburg und anderswo dürften nicht abhalten, eine Wohnungsreform auch am hiesigen Orte anzustreben.
Bei aller Anerkennung der Bestrebungen der hiesigen gemeinnützigen Baugesellschaft werde doch zugestanden werden, dass der Erwerb eines Anteils am gemeinschaftlichen Eigentum eines größeren Hauses mit gemeinsamer Verwaltung und Nutzung unpraktisch und nur insofern von Wert sei, als die Zulässigkeit der Abtretung des werdenden Eigentums gegen bares Geld an Andere oder an die Gesellschaft ein Sparsystem enthalte und begünstige. Der wünschenswerten Eigentumserwerbung eines Grundstücks und besonderen Hauses für den Arbeiter und die einzelne Familie trete in größeren Städten freilich die Teuerung des Bodens, wie die Abneigung gegen weite Wege entgegen. Es fehle noch am Verlangen danach, wie es hingegen z. B. in England durch hergebrachte Sitte und Gewohnheit befördert werde, indem dort jede Familie möglichst ein eigenes Haus, sei es miets- oder eigentumsweise, zu bewohnen bestrebt ist. Wohnhäuser für je einzelne Familien seien in Berlin selbst, wie in ähnlichen großen Städten innerhalb der Ringmauern, wie der nächsten Umgebung nach den obwaltenden Verhältnissen und der Baurichtung nach und nach beinahe unmöglich geworden. Es bleibe fraglich, ob die Arbeiter selber gewillt feien, eine viertel oder halbe Meile weit von ihrer Wohnung zur Arbeitsstätte hinzugehen. Jedenfalls müssten, um solche kleinen Familienhäuser mit Nutzen herzustellen, ihrer Hunderte gleichzeitig oder doch bald nacheinander errichtet werden. Fände sich nun aber eine hinreichende Zahl von Arbeitern etc. zu einer Baugenossenschaft bereit, und böte sie Bürgschaft für Ausdauer und allmähliche Verwirklichung, und sei, wie man annehmen könne, ein nicht zu entferntes, größeres Stück Land um billigen Preis zu haben, so könne alsdann erst der Sache auch durch Vermittlung oder Förderung von Vereinen nähergetreten werden.

Der Antragsteller wies diesen Bedenken gegenüber darauf hin, dass man passende Ackerstücke in unmittelbarer Nähe der Eisenbahnen zur Zeit noch erheblich wohlfeiler als zu l.000 Thalern pro Morgen erwerben könne, und dass es zweifellos in der Bevölkerung Berlins genug Familien gebe, welche sich mit dauerndem Eifer an einer Baugenossenschaft beteiligen würden. Dennoch verkennt der Antragsteller das Gewicht der erhobenen Einwände nicht und zieht deshalb den zweiten Teil seiner Anträge, in Erwartung einer Initiative aus den Arbeiterkreisen selbst, für jetzt zurück.

Die Kommission wendete sich hierauf zur Beratung der zu empfehlenden indirekten Mittel.

Die Ansicht, „dass es umfassender statistischer Erhebungen über den gegenwärtigen mangelhaften Zustand der Arbeiterwohnungen in den verschiedenen Gegenden und Örtlichkeiten von Stadt und Land bedürfe, um danach die Wohnungsnot und deren Abhilfe mit Rücksicht auf die abweichenden Bedürfnisse und Verhältnisse der landwirtschaftlichen, der gewerblichen oder der Fabrikbevölkerung zu ermessen“, wurde von der Kommission nicht geteilt. Anerkannt wurde allerdings, dass man unterscheiden müsse zwischen großen Städten, kleineren Städten, dem platten Lande mit vorwiegend industrieller Betriebsamkeit und den rein landwirtschaftlichen Gegenden, ferner dass die Abhilfe wesentlich durch dergleichen örtliche Verschiedenheiten bedingt sei und sich selber innerhalb der einzelnen Provinzen bald so, bald anders zu gestalten habe. Es sei - wurde ferner bemerkt - nicht bloß die Beschaffung von Arbeiterwohnungen als Eigentum ihrer Bewohner, sondern auch die Errichtung von Mietswohnungen in Städten, wie in Fabrikdistrikten und namentlich auch für landwirtschaftliche Arbeiter ins Auge zu fassen. Wenn die Kommission auch den veredelnden und wohltätigen Einfluss eines eigenen Hauses auf die Arbeiter und deren Angehörige sehr hoch anschlägt und den Nutzen nicht gering achtet, welchen große Guts- oder Fabrikbesitzer selber daraus gewinnen, dass sich ein tüchtiger selbständiger Arbeiterstamm auf eigenem Grunde, in eigenen Wohnungen, ansiedelt, so werde man doch anderseits auf die vielfach vorherrschende Abneigung, besonders bei großen Grundeigentümern gegen die Ansiedlung von Tagelöhnern in festem Eigentumsbesitz, auf das Missraten mancher Kolonien neben dem trefflichen Gedeihen anderer und auf die Unmöglichkeit, dass alle Familien in eigenem Hause wohnen können, Rücksicht zu nehmen haben. Deshalb einigt sich die Kommission in der Ansicht:

A. dass man sich nicht auf Erbauung kleiner Wohnhäuser als Eigentum der Bewohner zu beschränken, sondern gleichzeitig auch die Abhilfe des Bedürfnisses durch gute Mietswohnungen zu empfehlen und für letztere zu wirken habe.

Zudem die Kommission ferner darüber einverstanden ist, dass sowohl in größeren und kleineren Städten, als in ländlichen Orten, in Fabrik-, wie in landwirtschaftlichen Gegenden die hohe Bedeutung der Wohnungsfrage für die sittliche, wie für die materielle Wohlfahrt der Arbeiterfamilien noch keineswegs allgemeiner begriffen, dass namentlich auch von den Arbeitgebern auf größeren Gütern usw. dieser Frage vielfach noch nicht die gebührende Beachtung zugewendet wird, einigt sich die Kommission
B. auch darüber:
dass es nicht sowohl auf eine statistische Erhebung der mangelhaften Zustände der Arbeiterwohnungen, sondern vielmehr auf eine Erforschung und Bekanntwerdung der, besonders in den letzten Jahren, hier oder dort bewirkten Verbesserungen und zweckmäßigen Einrichtungen von Arbeiterwohnungen ankommt.

Wie sehr Guts- und Fabrikbesitzer zu dergleichen Verbesserungen nicht bloß durch einen höheren Beruf, sondern selbst durch ihr unmittelbares eigenes Interesse veranlasst seien, darüber wurde mehrseitig bemerkt:

Es mangele in den allermeisten Geschäftszweigen an Arbeitern. Das Bedürfnis vermehrter Arbeitskräfte, eins der besten Anzeichen gesunder Zustände und wachsenden Wohlstandes im Lande, gebe sich in allen Provinzen kund. Wo die Großindustrie überwiegen ständen sich die Fabrikherren nicht selten feindlich gegenüber - , nicht aus Konkurrenzneid, sondern weil jeder trachte, seinen tüchtigen Arbeiterstamm zu erhalten und zu vermehren. Diese Absicht müsse von selbst dazu führen, durch den Arbeitern günstigere Verhältnisse dieselben an die Fabrikstätte möglichst zu fesseln. Man biete auch wohl Prämien für längeres Verbleiben bei der Fabrik. Das beste Mittel aber sei, wie schon jetzt Erfahrungen lehrten, die Gewährung von Garten- und Gemüseland und die Errichtung und Herstellung einer Anzahl möglichst guter menschenwürdiger Wohnungen. Dass dies Mittel am wirksamsten sei, zeuge von dem fortschreitenden sittlichen und Bildungszustande der Arbeiter, wie es anderseits auf denselben am entscheidendsten zurückwirke.

Wenn es mehr noch der Landwirtschaft an Arbeitern fehle, so sei dabei nicht außer Acht zu lassen, dass die jungen Soldaten, mit dem städtischen Leben und dessen intensiveren Verkehrs- und Erwerbsverhältnissen bekannt geworden, dasselbe der ländlichen Arbeit vorzögen. Deshalb beginne sich die Erkenntnis geltend zu machen, dass Ansiedlungen von Arbeitern zu Eigentumsbesitz, wenigstens Wohnungsverbesserungen, dem Mangel am wirksamsten abhelfen würden. Der Vorgang gelungener Versuche, besonders in besser kultivierten Gegenden, werde auch in den zurückgebliebenen Landesteilen zur Nachfolge veranlassen.

von Zeit zu Zeit bearbeiten, lassen und für deren möglichst allgemeine Bekanntmachung an geeigneter Stelle in angemessenster Weise sorgen.“

Zu l sind vollständige Notizen über das zur Beurteilung der Bauten wissenswürdige Detail (Preis des Baugrundes, Art und Preis des Materials, Konstruktion, Benutzung der Gelasse, Verzinsung des Baukapitals etc.) erwünscht.

Mit Rücksicht darauf, dass die Ausführung der Bauten, namentlich auf dem platten Lande, öfter durch Bauhandwerker geschieht, welche mit den Fortschritten der Bauwissenschaft und Gewerbe nicht so bekannt sind, kann die Sammlung und Bekanntwerdung guter Pläne und Kostenanschläge von ganz besonderem Nutzen sein, zumal wenn dabei auf die abweichenden Gewohnheiten und Bedürfnisse der verschiedenen Landesteile Rücksicht genommen wird.
Ein Mitglied überreichte sofort ein Blatt Zeichnungen von zweckmäßig eingerichteten Tagelöhner-Häusern zu den Akten.

Dr. Lette. v. Prittwitz. K. Brämer.
L. Parisius (Gardelegen). Jürst. Wehrmann.