Wilhelm IX. in Cassel und die Franzosen.

In Cassel herrschte um diese Zeit Todesstille. Übrigens zeigte sich Landgraf Wilhelm IX. äußerst zufrieden mit der den Franzosen ungünstigen Wendung der Dinge, und der preußische Legationssekretär in Cassel, Hofrath Ludwig Pranz Greuhm, berichtete Max Joseph*), der Landgraf „könne seine lebhafte Freude über die Fortschritte der österreichisch-russischen Waffen oft weniger verbergen, als es vielleicht bis jetzt noch die Klugheit erforderte“. Besonders ausgezeichnet wurde am hessischen Hofe der russische Geschäftsträger Wukassowitsch behandelt. Rivals, der bevollmächtigte Minister der französischen Republik, lebte in dem ihm vom Landgrafen eingeräumten Sommerhause auf Wilhelmshöhe „ganz ruhig und genoss unter

*) Oassel, 4. August 1799. Original, deutsch. (Kasten grün 84/1. Bayrisches geheimes Staatsarchiv.)


allen Unfällen seiner Nation die Achtung und Theilnahme, welche ihm sein persönlicher Charakter erworben hat.“ Und bald darauf schrieb Greuhm dem Kurfürsten*):

„Die in der vorigen Woche hierher gekommene Nachricht vom Vorrücken der französischen Truppen in die Gegend von Frankfurt, von der Besetzung dieser Stadt und der Einforderung einer Kontribution**) hat den Herrn Landgrafen auf das Aeusserste befremdet und beunruhigt, besonders da der kommandirende General sein Hauptquartier in Bockenheim, einem zur Grafschaft Hanau gehörigen Orte, hatte nehmen wollen, wiewohl dieses auf die. dagegen gemachten Vorstellungen des dasigen Beamten unterblieben ist, und da von anderen hanauischen Ortschaften Lebensmittel und Fourage wiewohl gegen bare Bezahlung verlangt worden sind. Seine Durchlaucht ließen nicht allein über diese letzteren Gegenstände dem hiesigen französischen Gesandten Ihr Befremden in lebhaften Ausdrücken zu erkennen zu (sic!) geben, sondern schienen auch entschlossen zu sein, die Neutralität Ihres Landes allenfalls mit Gewalt gegen die französischen Truppen zu behaupten. Gleich am Morgen, nach welchem in der Nacht die Nachricht von dem Vorrücken der französischen Truppen hierher gekommen war, wurde der Befehl erlassen, dass alle hiesigen sowohl Infanterie als Kavallerie-Regimenter ihre sämmtlichen Beurlaubten einziehen und sich bereit halten sollten, auf die erste Ordre zum Teil in die Gegend von Ziegenhain, zum Teil hierher nach Cassel zum Herbstmanöver zu marschieren, selbst einige nur eben erst mit Urlaub nach entfernteren Gegenden gereiste ausländische Offiziere erhielten den Befehl, unverzüglich zu ihren Regimentern zurückzukommen, welches alles, da man die eigentliche Absicht und Veranlassung davon nicht kannte, in dem hiesigen Lande ein großes Aufsehen erregte. Dasselbe konnte jedoch nicht lange

*) Cassel, 16. Sept. 1799, Original, deutsch. (Ebenda.)
**) Häusser, Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs des Grossen bis zur Gründang des deutschen Bundes, 3. Auflage, 2. Band, S. 250. Berlin 1862.
dauern, da auf die bald nachher eingegangene Nachricht, dass die französischen Truppen jene Gegenden wieder verlassen hätten, die Compagniechefs von den Regimentskommandanten mündlich angewiesen wurden, die eingekommenen Beurlaubten im Stillen wieder zu entlassen und diesemnach die zum Schein angeordneten Herbst-Manoeuvres unterbleiben werden. Es hat sich auch aus den seitdem eingegangenen näheren Berichten der Hanauischen Beamten gezeigt, dass das Betragen der französischen Truppen in dem hiesigen Land nicht so unbescheiden gewesen ist, als man Anfangs versichert und der Herr Landgraf vermutet hatte. Sogar war ein französischer Offizier, welcher sich in einem Hanauischen Dorfe hatte einquartieren wollen, auf Befehl des kommandierenden Generals auf der Stelle arretiert worden.“ Wukassowitsch reiste nach St. Petersburg und nahm ein Glückwunschschreiben des Landgrafen zu den Siegen der russischen Heere an den Kaiser Paul mit, Paul aber behandelte ihn sehr ungnädig; Wukassowitsch war über seine Abberufung um so unglücklicher, als er befürchten musste, fortan ohne Stelle zu bleiben; da er kein Russisch verstand, konnte er im Inneren Russlands nicht dienen.

Als der kurmainzische Staatsminister Freiherr von Albini den Landgrafen um Erlaubniss bat, einen Teil des von ihm organisierten Mainzer Landsturms durch die Stadt Hanau durchziehen zu lassen, lehnte der Landgraf dies zwar ab, erlaubte ihm aber den Durchmarsch durch das platte Land. Greuhm erzählt weiterhin*): „Da der Herr Landgraf eine grosse Abneigung gegen die meisten jetzigen Moden und Kleidertrachten hat, indem Seine Durchlaucht dieselben in einer gewissen Verbindung mit den französischen Freiheitsgrundsätzen glauben, so war schon vor zwei Jahren ein sehr strenges Verbot**) gegen das Tragen von runden Hüten, langen Beinkleidern, kurzen Stiefeln und dgl. erlassen worden, jedoch bereits längst

*) 16. Sept. (s. oben).
**) Ein ähnliches Verbot erließ Kaiser Paul (Klein Schmidt, Drei Jahrhunderte russischer Geschichte. S. 193. Berlin 1898).

wieder insoweit in Vergessenheit gekommen, dass nur noch hauptsächlich die fürstlichen Diener dasselbe genau beobachteten, die übrigen Einwohner aber bei ihrer Kleidung mehr ihrem Geschmack folgten. Neuerlichst hat man nun ein anderes Mittel versucht, jene Kleidertrachten verhasst zu machen, indem man die mit Ketten beladenen Gefangenen, welche zur Reinigung der Strassen gebraucht werden, damit angeputzt und mit kurzgeschnittenen Haaren, runden Hüten, sehr dick angeschwollenen Halstüchern, langen Pantalons, kurzen Oberröcken und spitzigen Schuhen bekleidet hat. Es scheint aber nicht, dass diese Vorkehrung den gewünschten Eindruck gemacht habe und den beabsichtigten Erfolg hervorbringen werde. Dabei bemerkt man, dass das Costume, in welches die Gefangenen gekleidet worden sind, vielmehr englisch ist, während die Absicht war, blos die französischen Moden lächerlich und verächtlich zu machen.“ Der Landgraf liebte überhaupt scharfe Maßregeln, wie uns Greuhm berichtet. So wurde verboten, im Schauspielhause zu applaudieren, falls nicht die Höchsten Herrschaften das Beispiel gäben, und es wurde strengstens darauf gehalten; als einige Handwerksburschen von der Galerie aus applaudierten, half es ihnen nichts, sich mit Unkenntniss des Verbotes zu entschuldigen, sie wurden ins Zuchthaus gebracht und ausgepeitscht. Die Schauspieler selbst entbehrten sehr ungern den Applaus und die besten unter ihnen verließen Cassel.

Sehr erfreut war Wilhelm IX. über die glückliche Landung der Briten unter dem Herzoge von York in Holland; er war so überzeugt davon, die Verfassung daselbst werde bald geändert, dass er den bevollmächtigten Minister der batavischen Republik C. A. van Raet zu Bogelscamp bis auf weiteres nicht mehr zu Hof lud; als derselbe sich beklagte und man Wilhelm vorstellte, wie unklug er handele, lud er zwar den Gesandten wieder ein, doch blieb eine starke Verstimmung übrig und der Gesandte kannte fortan die wahre Gesinnung des Landgrafen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Bayern und Hessen 1799-1816.