In den letzten Tagen des Monats Februar 1848

In den letzten Tagen des Monats Februar 1848 kam von Frankreich her die Nachricht vom Sturze des Julikönigtums. Am I. März berichtete der radikale „Frankfurter Merkur“ in Bamberg das Ereignis. Er ist überzeugt, daß die Umwälzung nicht auf Frankreich beschränkt bleiben werde: „Das Ereignis ist ein ungeheures, in seinen Folgen unberechenbares und das deutsche Vaterland wohl nicht das letzte, das von diesem moralischen Erdbeben durchzittert werden wird.“ Selbst der gemäßigt-liberale „Nürnberger Korrespondent“ schrieb: „Die Weltgeschichte ist emporgefahren. Die Reform durchzieht Europa mit steigender Macht. Die Völker haben es in der Hand, ob die Änderung der Dinge in Frankreich für Deutschland Feuersäule des Sieges oder des Unglücks werden wird.“

Auch der König von Bayern und seine amtlichen Organe besorgten ein Übergreifen der Bewegung nach den Nachbarländern, nach Italien, aber auch nach Belgien und Deutschland, weil kein Volk die Fähigkeit zu unbedingter Selbstbeherrschung so wenig bewährt habe wie das französische. Schon meldete der bayerische Geschäftsträger in Paris, von Wendland, 6000 bewaffnete französische Arbeiter seien auf dem Wege nach der deutsch-französischen Grenze. Schon begann es in München selbst, wo die Erregung über die spanische Tänzerin und über die Schließung der Universität von den ersten Wochen des Monats Februar noch nachzitterte, neuerdings zu gären. Schon schrieb ein höherer bayerischer Staatsbeamter: „Die neuesten Ereignisse in Frankreich und hauptsächlich in Paris haben in Deutschland nicht nur die Teilnahme an der Politik in früher ungeahnter Weise gesteigert, sondern auch in mehreren Ländern Rückwirkungen hervorgerufen, welche geeignet sind, das Band zwischen Fürsten und Völkern zu lockern oder gar zu lösen. Versuche solcher Art fanden in den jüngsten Tagen in der hiesigen Haupt- und Residenzstadt statt. Die Tumulte kommen nicht aus dem Kern der pflichttreuen Einwohnerschaft, sondern werden von mehreren aus Rache, Haß oder Freiheitsschwindel Verblendeten angestiftet und unterhalten.“ Eine Flut leidenschaftlich erhitzter Gedanken ergoß sich über Deutschland, aber nicht, wie in den Befreiungskriegen, in hoffnungsvoller Begeisterung, sondern in zornigem Ansturm.


Angesichts der inneren Verhältnisse Deutschlands und Bayerns, angesichts der Erfahrungen des Jahres 1792 wollte der König weder eine militärische Intervention noch eine militärische Demonstration zugunsten des französischen Königtums gegen die französische Republik: die inneren Verhältnisse der meisten europäischen Länder seien nicht derart, daß ihre Regierungen sich berufen fühlen dürften, den eigenen Herd zugunsten eines auswärtigen, langjährige Okkupationen nach sich ziehenden Krieges zu entblößen. Er wollte auch keine militärische Intervention zugunsten der italienischen Besitzungen des Hauses Österreich: der Geist der Wiener Schlußakte vom Jahre 1820 trenne die italienischen von den deutschen Angelegenheiten und lege den entschiedensten Wert darauf, daß Deutschland nicht als Wetterableiter des über der italienischen Halbinsel schwebenden Gewitters benutzt werde. Wohl aber erwartete er vom Bunde und von den einzelnen Bundesstaaten Schutzmaßnahmen, um die aufgeregten Elemente Frankreichs in ihrem Lande festzubannen und Übergriffe jeder Art abzuwehren: „Friedsamkeit gegen Frankreich, solange es friedlich gegen Deutschland und Belgien bleibt, aber Rüsten jeglichen europäischen und deutschen Bundesstaates in seinem Innern, soweit es nötig ist, damit seine Heere gegebenenfalls auf den ersten Wink schlagfertig erscheinen.“ In diesem Sinne gab der damalige Ministerverweser des Äußern, Fürst Ludwig von Öttingen-Wallerstein, dem Bundestagsgesandten von Gasser am 29. Februar Weisungen nach Frankfurt.

Der König und sein Minister waren sich in dieser kritischen Stunde aber auch bewußt der Unzulänglichkeit des Deutschen Bundes und der Notwendigkeit seiner Reform, wenn sich auch die Instruktion hierin noch einer Initiative enthielt. Wenige Tage später schrieb derselbe Minister an die nämliche Adresse: „Als im Jahre 1815 der Wiener Kongreß nach langem Beraten in sichtbarer Hast sein Werk vollendete, ward auch Teutschlands Gestaltung eine übereilte. Beherrscht von dem Eindrucke wiederkehrenden Krieges bildete sich ein Bundlediglich als Sicherheitsanstalt gegen äußere und innere Gefahr. Dieser Zweck bleibt offenbar ein unvollständiger. Für ein gemeinsames Vaterland haben sich die Teutschen aller Gaue damals erhoben, als einen echten Mittelpunkt nationaler Einheit, nationalen Ruhmes und nationaler Größe, als einen Hebel jeghchen Aufschwungs hat man sich dort den gemeinsamen Bundestag gedacht. Und dazu muß derselbe werden, soll Teutschland der riesenhaft bewegten Zeit auch riesenhaft entgegentreten“1). Eine Sprache oder Phraseologie, wie sie bisher den diplomatischen Aktenstücken der deutschen Bundesstaaten fremd war!




1) Nachlaß des bayerischen Geschäftsträgers am französischen Hofe V. Wendland, Beilagen I — III.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Bayern und Deutschland