In Bayern war inzwischen trotz der königlichen Proklamation vom 6. März

In Bayern war inzwischen trotz der königlichen Proklamation vom 6. März, trotz der Entlassung des Ministeriums Berks-Wallerstein und der Berufung des Märzministeriums die Ruhe nicht wiedergekehrt. Die radikale Presse kann den stürmischen Jubel nicht begreifen, dem man sich seit dem Erlasse der Proklamation vom 6. März in fast allen Städten Bayerns hingegeben habe. Sie sieht wesentliche Volkswünsche nicht erfüllt. Sie bangt selbst für die erfüllten. Sie ist mißtrauisch gegen den König: „Was jetzt vor allem not tut, ist Wachsamkeit, unausgesetzte Wachsamkeit und Ausharren auf dem eingeschlagenen Wege eines entschiedenen Auftretens.“ Die Münchener Radikalen setzen sich noch vor dem Zusammentritt des Landtags mit den inzwischen eingetroffenen gesinnungsverwandten Abgeordneten aus der Provinz, namentlich aus der Pfalz und Franken, in Verbindung. Das Gerücht, daß die landesverwiesene Gräfin Landsfeld zurückgekehrt sei, gibt ihnen die erwünschte Handhabe. Um dem Ansehen der Krone einen neuen Schlag zu versetzen, erzwingen sie am 16. März den Erlaß eines königlichen Dekrets, das die Gräfin des bayerischen Indigenats verlustig erklärt. Eine Maßnahme, die den König zugleich verwunden und diskreditieren soll, von der er selbst unmittelbar vorher geäußert hatte: er vermöchte, wenn er ein solches Dekret vollzöge, sich selbst nicht mehr zu achten! Abgerungen einem König, der vor nicht langer Zeit geschrieben: „Nachgeben hätte ich nicht können, es wäre gegen meine Natur gewesen!“ Das neue Märzministerium mit dem Minister des Innern Freiherrn von Thon-Dittmer an der Spitze zeigte sich schon jetzt seiner Aufgabe nicht gewachsen. In München herrschten anarchische Verhältnisse; Bluntschli hat sie uns in seinen Denkwürdigkeiten geschildert.

In diesen schweren Stunden des bayerischen Königtums tritt die Notwendigkeit einer neuen Entscheidung heran. Mit der Ablehnung des Kongresses war der Grundgedanke der Mission Radowitz, das Projekt einer Bundesreform von Regierungswegen vermittelst eines Fürstenkongresses, begraben. Bereits hatte die Bewegung eine andere Macht in die Hand genommen — das deutsche Volk. Es gedachte sie zu lösen nicht auf dem Wege über die Regierungen, sondern vermittelst eines Nationalparlaments; nicht auf dem Wege einer Bundesreform, sondern auf der Grundlage der Staatstheorien, wie sie seit den dreißiger Jahren im Südwesten Deutschlands für den Nationalstaat aufgestellt worden waren.


Am 5. März 1848 hatten sich zu Heidelberg 51 deutsche Männer versammelt, Männer aus Bayern, Württemberg, Baden, beiden Hessen, Frankfurt, Rheinpreußen, liberale wie radikale, fast alle Mitglieder von Ständekammern. Die Liberalen empfahlen die Aufrichtung eines preußischen Erbkaisertums, die Radikalen die Einführung der Republik. Die Versammlung einigte sich schließlich in der Forderung nach einer aus dem gesamten deutschen Volke zu wählenden National-Vertretung, nach einem Nationalparlament. Eine vorbereitende Versammlung von Männern des Vertrauens aller deutschen Volksstämme sollte nach Frankfurt berufen werden, um „diese wichtigste Angelegenheit weiter zu beraten und dem Vaterlande wie den Regierungen ihre Mitwirkung anzubieten“. Die Bildung eines Vorparlaments wurde also beschlossen, dem das Nationalparlament folgen sollte, und zur Vollziehung dieses Beschlusses eine Siebener-Kommission niedergesetzt1).

Bevor das Parlament zusammentrat wurde der Versuch gemacht, einer der alten Mächte, Preußen, wenigstens die Leitung der Versammlung in der Form einer interimistischen Zentralgewalt in die Hand zu spielen.

Die beiden Brüder Gagern, Max von Gagern, der durch die jüngsten Ereignisse zu einer führenden Stellung in Nassau gelangt war, und Heinrich von Gagern, der leitender Minister in Hessen-Darmstadt geworden war, hatten sich mit der Überzeugung erfüllt, daß sich die Regierungen der populären deutschen Bewegung, wenn sie ihnen nicht über den Kopf wachsen sollte, bemächtigen müßten, einerseits durch Zusammengehen mit dem Siebener-Ausschuß bei der Berufung des Nationalparlaments, anderseits durch eine engere Verbindung unter sich und durch Übertragung der Leitung der Verhandlungen an eine von ihnen. Sie einigten sich unter Zustimmung ihrer Fürsten, daß Max von Gagern als Gesandter Nassaus und der hessische General Graf von Lehrbach als Gesandter Hessen-Darmstadts die durch die Revolution eingeschüchterten Höfe zunächst Südwestdeutschlands für ihr nationales Programm gewinnen sollten. In der Tat schloß sich Baden an, auch Württemberg, letzteres mit der ausdrücklichen Erklärung, daß nur Preußen die Oberleitung der deutschen Angelegenheiten übernehmen könne, vorausgesetzt, daß es zum konstitutionellen System übergehe. Man einigte sich schon jetzt auch über die Fundamente einer bundesstaatlichen Verfassung: über die Einrichtung eines deutschen Parlaments mit freier Wahl des deutschen Volkes, über die Bestellung eines monarchischen Oberhauptes mit verantwortlichen Ministern, über die Zuweisung der Diplomatie, des Heeres und der Marine, des Handels, des Zoll- und Verkehrswesens an das Reich, über Einrichtung eines Bundesgerichts, über Sicherung und Vermehrung der volkstümlichen Freiheitsrechte. Das Programm ging schon damals, da von Österreich so weitgehende Zugeständnisse an den KonstitutionaHsmus nicht zu erwarten waren, auf den engeren Bundesstaat unter preußischer Führung hinaus.

Von Südwestdeutschland begab sich Max von Gagern, teils begleitet teils gefolgt von den übrigen Bevollmächtigten der südwestdeutschen Staaten, nach München, wo eben Ludwig von Öttingen-Wallerstein des Ministeriums des Äußern enthoben worden war2). In einem Promemoria und einem Begleitschreiben schilderte Max von Gagern dem bayerischen Könige die Macht, aber auch die Gefahr der populären Bewegung: der Gedanke eines deutschen Parlamentes sei geboren und werde nicht wieder untergehen; ein Parlament ohne Oberhaupt sei ein Ungeheuer, sei die Republik und die Anarchie; da man auf Österreich weder hoffen noch volle Rücksicht nehmen könne, müsse das übrige Deutschland sich selbst helfen.

Der König von Bayern war ein Gegner des Heidelberger Programms wegen seines demokratischen Charakters und seiner Gefahr für das monarchische Prinzip.

Er war aber auch ein Gegner des Gagernschen Programms. Er war gegen die Zusammensetzung und die Befugnisse des künftigen Parlaments, wie die Deputation sie vertrat: „Deutsche Volksvertretung am Bundestage habe stattzufinden, das sei keine Frage, aber das Wie, damit die Fürsten nicht unterdrückt werden. Der vorgeschlagenen Skala stimme ich nicht bei, da gibt es ein Regiment von Abgeordneten, die leicht das Regiment an sich reißen dürften.“ „Die Wahl zur Nationalvertretung sowohl als die Kompetenz derselben habe sich nach den bereits beschworenen Landesverfassungen zu richten und dürfte sich vorderhand nicht auf Gegenstände erstrecken, deren Erledigung schon durch die Landesverfassungen bestimmt sei.“ Er war gegen einen Sonderbund: „alles müsse nur durch und mit dem Bunde, und zwar am Mittelpunkt in Frankfurt geschehen;“ „nichts dürfe außerhalb der Bundesversammlung erledigt werden.“ Er hielt sich streng an die Proklamation vom 6. März. Er war ebenso gegen einen Ausschluß Österreichs, gegen eine preußische Hegemonie, wiewohl er im Grunde keineswegs preußenfeindlich war3). „Nicht ohne Österreich!“ Das waren die ersten Worte, die aus dem Munde des Königs entgegenklangen.

Was der König wollte, das hat mit seiner Zustimmung am 16. März der neue Ministerverweser, Graf von Waldkirch, in einer Instruktion an die Bundestagsgesandtschaft ausgesprochen: „Jeder deutsche Staat mit ständischer Verfassung hat bereits für sich eine Nationalrepräsentation in den Kammern; dieselbe Nationalvertretung soll alsdann auch in allgemeiner deutscher Nationalvertretung repräsentiert werden. Es kann daher keine allgemeine Wahlordnung für alle deutschen Staaten bestimmt, vielmehr muß den speziellen Kammern, die aus den Partikular-Wahlordnungen hervorgegangen sind, die Wahl der zum Deutschen Bund zu sendenden Vertreter aus sich selbst überlassen bleiben.“ „Da in den meisten Staaten des konstitutionellen Deutschlands das Zweikammersystem obwaltet, so soll auch dieses am Bunde beibehalten und die Nationalvertretung daselbst aus zwei Kammern gebildet werden, wovon die eine aus Delegierten der ersten Kammer, die andere aus denen der zweiten Kammer zusammengesetzt ist. Diesen beiden Kammern gegenüber würden die jetzt bestehenden aus tüchtigen Vaterlandsfreunden von den Bundesfürsten abgeordneten Bundesgesandten ein Kollegium zu bilden haben . . . Die Stellung der beiden Kammern zum gesamten Kollegium soll die der jetzt bestehenden konstitutionellen Kammern in den Einzelstaaten gegenüber ihrer Regierung sein.“ Die künftige allgemeine deutsche Nationalvertretung sollte also eine Delegiertenversammlung von Vertretern der Kammern der Einzellandtage sein. Ihre Zuständigkeit sollte mit dem Bundeszweck in Übereinstimmung gebracht werden. Immerhin wurde in derselben Instruktion ausdrücklich zugestanden, daß der Bundeszweck erweitert werden dürfte auf den Schutz der Nationalität, auf den Schutz der Verfassungen, auf gemeinsame Gesetze über bürgerliches und peinliches Recht, über Handels- und Wechselrecht, auf eine allgemeine deutsche Wehrverfassung, auf ein Merkantil- und Zollsystem. Das Bundespräsidium sollte abwechselnd von den größeren Staaten Deutschlands geführt und mit angemessenen Attributen ausgestattet werden.

Der Bescheid, den Graf von Waldkirch am nämlichen 16. März der südwestdeutschen Abordnung erteilte, ging denn auch im wesentlichen auf eine Ablehnung hinaus: der König von Bayern habe in seiner Proklamation vom 6. März deutlich zum Ausdruck gebracht, daß alles nur durch und mit dem Bunde am Frankfurter Bundestage geschehen müsse; Deutschlands Einheit könne durch nichts besser erwiesen werden als durch gemeinschaftliches öffentliches Handeln mit Ausschluß jedes Separatbündnisses; die geplante Nationalvertretung sei mit den bestehenden Bundesformen in Einklang zu bringen, die Wahl zur Nationalversammlung wie ihre Befugnisse den beschworenen Landesverfassungen anzupassen. Die Bevollmächtigten der südwestdeutschen Staaten erklärten ausdrücklich, daß sie in dem bayerischen Bescheid eine Ablehnung erblickten. Die „Allgemeine Zeitung“ brachte schon am 16. März die Meldung, daß die Mission der südwestdeutschen Bevollmächtigten gescheitert sei.

Allerdings wurde diese Nachricht am folgenden Tage von der bayerischen Regierung dementiert und gleichzeitig mitgeteilt, daß inzwischen eine Verständigung erfolgt sei. In der Tat lud Graf Waldkirch nach Einholung der königlichen Genehmigung am Morgen des 17. März die Mitglieder der südwestdeutschen Mission zu einer neuen Besprechung ein und erklärte ihnen, der König habe seine Absicht geändert und sei geneigt, einen Bevollmächtigten Bayerns in der Person des Legationsrates Freiherm von Verger an die Höfe von Dresden und Berlin mitzugeben. Aber das geschah nur in Rücksicht auf die prekäre Lage des Königtums, um nicht der eigenen Bevölkerung, zumal dem bayerischen Landtage, der sich eben zu der berühmten Frühjahrstagung versammelte, Anlaß zu dem Verdachte und den Gegnern des Königs Handhabe zu der Anklage zu geben, „als wolle die bayerische Regierung das am 6. März in der deutschen Frage gegebene Versprechen nicht einlösen.“ Auf Veranlassung des Fürsten Ludwig von Öttingen-Wallerstein scheint auch der aus Würzburg eingetroffene Kronprinz Maximilian Vorstellungen bei seinem Vater erhoben zu haben.

Noch fehlte gleichwohl eine bayerische Zusage bezüglich der Leitung der deutschen Angelegenheiten durch Preußen. Am 18. März, unmittelbar vor ihrer Abreise, erschienen die südwestdeutschen Bevollmächtigten neuerdings im Ministerium und erklärten „auf eine kategorische Weise“, daß sie willens seien, sofort nach ihrer Ankunft in Berlin dem Könige von Preußen die Kaiserkrone anzutragen. Sie fragten an, wie sich Bayern dazu verhalten werde. Der Ministerverweser erwiderte: wegen der Leitung der deutschen Angelegenheiten durch Preußen könne sich die bayerische Regierung für jetzt nicht aussprechen, ohne jedoch diese Idee, unter der Voraussetzung konstitutioneller Einrichtungen in Preußen, von der Hand zu weisen. Sie werde ihrem Gesandten nähere Instruktion erteilen. Der Ministerverweser gab, wie er dem König entschuldigend schrieb, diese Erklärung zu dem Zwecke, um zu verhüten, daß Bayern „aus der Beratung ausgeschlossen werde.“ Er tröstete seinen König damit, daß diese „Spezialkommission“ nur zu einer vorläufigen Besprechung, zu einem Ideenaustausch diene und Bayern sich wohl nicht so rasch unter eine Kaiserkrone zu beugen haben werde.

Von München eilten die Bevollmächtigten der südwestdeutschen Staaten über Sachsen nach Berlin. Am Berliner Hofe4) hatten zwei preußische Staatsmänner, der Bundestagsgesandte Graf Dönhoff und der Minister Bodelschwingh, der Deputation vorgearbeitet. Sie hatten den König überzeugt: daß nur das konstitutionelle System Schutz gegen das Einströmen republikanischen Geistes gewähre, daß Preußen, wenn es sich selbst erhalten und zugleich Deutschland zur Stütze werden sollte, dem eigenen Staate eine Verfassung geben, am Bundestage aber den Antrag auf Berufung einer Bundesrepräsentation stellen müsse, um in Übereinstimmung mit den deutschen Fürsten eine Bundesreform zu beraten und zu beschließen. Der Preußenkönig war im Prinzip für beides gewonnen: für eine preußische Verfassung wie für eine Bundesrepräsentation. Am Morgen des 18. März legte Bodelschwingh seinen Entwurf dem Könige zur Vollziehung vor. Am nämlichen Tage versammelte sich eine große Volksmenge vor dem Berliner Schlosse, um dem König ihre freudige Anerkennung zum Ausdruck zu bringen.

Wieder kam die Revolution dazwischen — die Berliner Märzunruhen.

Der König glaubt nicht an den Ernst der Unruhen. Er vermutet ein Mißverständnis. Er verliert unter dem Einflusse einer nervösen Abspannung die königliche Haltung. Er diskreditiert das Königtum. Schrittweise, von der schwächlichen Proklamation an seine „lieben Berliner“ bis zum selbstentmannenden Rückzugsbefehl an seine Truppen, bis zur Selbstdemütigung vor den Opfern der Barrikaden, bis zur Selbstverhöhnung auf jenem lächerlichen Zuge durch die Straßen Berlins. Er hat später wiederholt bekannt: „Damals lagen wir alle auf dem Bauche.“ Demjenigen, dem er das gestand, Leopold von Ranke, machte er, als er ihn im Sommer des Jahres 1848 zum erstenmal wieder sah, den Eindruck eines jungen Mannes voll von Geist und Kenntnissen, der aber durch irgendwelche Zufälligkeiten im Examen durchgefallen wäre.

Gleichwohl glaubte Friedrich Wilhelm IV. in seiner deutschen Politik da wieder anknüpfen zu können, wo er durch die Katastrophe des 18. März unterbrochen worden war. Es war, wie der bayerische Bundestagsgesandte richtig bemerkte, ein „Anachronismus“. „Die Nachrichten von den blutigen Ereignissen in Berlin“, schrieb dieser am 24. März aus Frankfurt, „hatten wohl jedermann betrübt, aber niemand überrascht; denn ein mörderischer Konflikt war vorherzusehen. Anders verhält es sich mit der K. preußischen Proklamation vom 21. März, sie war in der Tat eine große Überraschung. Ich will mir darüber keine Bemerkungen erlauben, aber sie kommt mir jedenfalls vor wie ein Anachronismus. Solange Österreich in einem unglücklichen politischen System verfahren und in einem hartnäckigen Kampfe gegen die Bestrebungen der Zeit seine Kraft verzettelte, mochte solche Sprache große Bedeutung haben. Jetzt bricht sich ihre Kraft an dem Widerstände Österreichs und wohl auch an den inneren Zuständen Preußens.“

Der Aufruf des Preußenkönigs an die deutsche Nation vom 21. März verhallte ungehört. Schon auf der Reise nach Dresden vernahm Max von Gagern die erste Kunde von den Berliner Märzvorgängen, die seiner Gesandtschaft die Spitze „wenn auch nicht abbrechen, so doch sehr krümmen sollte“. Als dann die Verhandlungen in Berlin begannen, war der bayerische Bevollmächtigte noch nicht eingetroffen, der badische und der sächsische ohne Vollmacht. Selbst Max von Gagern wich jetzt einer bestimmten Erklärung gegenüber dem Preußenkönig aus: „Was Ew. Majestät für die Rettung Deutschlands aus drohender Gefahr in den letzten Tagen getan und ausgesprochen haben, würde vor dem 18. März uns alle vereinigt und gegen jede Bewegung von außen und innen sichergestellt haben. Wie die letzten Ereignisse von Berlin in unseren Landen aufgenommen werden, können wir von hier aus nicht beurteilen.“ Die radikale Partei vollends, auch die bayerische Demokratie, hatte durch die Vorgänge in Berlin eine Handhabe bekommen, um in tausend Zeitungsartikeln, Flugschriften, Karrikaturen, Plakaten und Klubreden5) ihren mächtigsten Gegner mit Schimpf und Hohn zu übergießen, ihn, „den feigen Tyrannen, der sein Volk erst habe niederkartätschen lassen, dann besiegt und elend um Gnade gebeten habe und jetzt die ehrlose Stirn mit der deutschen Kaiserkrone habe schmücken wollen“. Es gab kein Äußerstes, kein Wort des Hasses oder der Mißachtung, das man ihm nicht entgegenschleuderte. Der „Fränkische Merkur“ ist erstaunt über die Keckheit und Anmaßung, mit der der Preußenkönig sich an die Spitze des deutschen Freiheitsdranges stellen wolle; es müßten reine Hände das Banner schwingen, seine Hand triefe von Volksblut. „Wir bedanken uns für das Geschenk der Königlich preußischen Freiheit.“ Womöglich noch schärfer verwahrt sich und zugleich ganz Süddeutschland der Herausgeber des Nürnberger „Freien Staatsbürgers“, Gustav Diezel, gegen die „angemaßte Hegemonie des Königs von Preußen“, gegen die Ehre, von diesem König sein Heil erwarten zu müssen: „Nichts kann der Überraschung gleichen, mit welcher die Nachricht, daß der König von Preußen die Leitung der deutschen Angelegenheiten übernommen, hier aufgenommen wurde“, „mit welcher sie überall in Deutschland aufgenommen werden muß, wo noch deutsche Ehre und Schamgefühl, wo deutsche Gesinnung noch nicht leere Theaterphrasen geworden sind.“ Die Erbitterung gegen Friedrich Wilhelm IV. von Preußen macht sich in München Luft in einem Autodafé mit dem Bilde des Königs vor dem Hause des preußischen Gesandten. Die kirchlich-konservative Augsburger Postzeitung mißbilligt solche Exzesse, aber auch sie ist unangenehm berührt von dieser „angemaßten Hegemonie, dieser anmaßlichen Kaisermummerei“; „die Sache sei beinahe zu ärgerlich, wenigstens echt preußisch“. „Brauchen wir wirklich einen deutschen Kaiser, dann sei es der würdigste, nicht der mächtigste!“ Sie empfiehlt dem Könige von Preußen eine neue Proklamation zu erlassen, „worin er erklärt, daß er nur an Eifer und Aufopferung für das Wohl des Gesamtdeutschlands als den Ersten sich zu erweisen wünsche, keineswegs aber aus eigener Macht seine Person als Oberhaupt an die Spitze des Bundes stellen oder gar die Kaiserkrone mit eigener Hand sich aufsetzen wolle.“ In diese Zurückweisung der preußischen Proklamation vom 21. März, der preußischen Hegemonie, dieser „Albernheit Ostpreußens, sich für das auserwählte Volk unter den deutschen Stämmen zu halten und deshalb Preußen mit Deutschland, Deutschland mit Preußen zu verwechseln“, stimmen auch gemäßigtliberale Blätter ein wie die „Augsburger Allgemeine Zeitung“ und der „Nürnberger Korrespondent“. Die im Grunde auch gemäßigtliberale „Regensburger Zeitung“ aber schrieb: „Berliner, begrabt [eure Toten] auf dem Platz vorm Schloß, baut ein Denkmal darüber und setzt darauf: Dem Sieg der Wahrheit über den Trug, der Freiheit über das Unrecht! Aber dann seht zu, Berliner, Preußen, Deutsche, daß man Euch nicht wieder eine Nase dreht!“

Man hat mit Recht gesagt: „Preußen hatte eine Weile aufgehört, Großmacht zu sein.“ Die Berliner Märzvorgänge wirkten bis tief in den Sommer hinein und noch darüber hinaus. Als bei der Beratung über die Schaffung einer provisorischen Zentralgewalt ein pommerischer Abgeordneter den Preußenkönig nennt, schallt ihm höhnendes Gelächter entgegen.

Inzwischen war König Ludwig I. von Bayern Schritt für Schritt so weit gebracht worden, daß er zum letzten, schwersten Opfer seines Lebens sich entschloß — zur Abdankung.

Ludwig I. hatte mit dem Erlasse vom 6. März Verpflichtungen übernommen, die mit seinen Grundsätzen, seinem politischen Glaubensbekenntnis in Widerspruch standen, sein ganzes inneres Sein aus der gewohnten Bahn hoben. Dazu kam die persönliche Demütigung, die ihm namentlich am 16. März abgenötigt worden war. Ein Fürst mit so selbstherrlichem Willen, dem es so schwer geworden war, sich in das von ihm mitgeschaffene Verfassungsleben zu finden, konnte sich kaum in einen zeitgemäßen Ausbau der Verfassung schicken. „Aufgehört zu regieren habe Ich in jedem Fall, mag Ich die Krone behalten oder niederlegen“, schrieb er in sein Tagebuch. Er zog am 20. März die Folgerung aus dieser Erkenntnis. Das ist auch von der gemäßigten Presse richtig aufgefaßt worden zugleich mit tiefer Achtung vor der Überzeugung des Königs. So vom Nürnberger Korrespondenten: „Es war die Zeit, welche gebot, sich als Erster der neuen Strömung zu bemächtigen oder das Steuer niederzulegen . . . Politische Ansichten zeigen sich in gewissem Lebensalter nicht fügsamer als früher eingenommene Glaubenssätze. Man will sich am Ende ebensowenig aus seiner Richtung bringen lassen als andere hindern, eine andere Straße zu ziehen. Deshalb geht man lieber ganz aus dem Wege.“

Leicht ist dem Könige der Entschluß gleichwohl nicht geworden. „Die früheren Verhältnisse“, schreibt er, „alle gebrochen, kein Freund, gegen den ich mich ausschütten könnte, aus den Ministerien entfernt, zu denen ich mich vertrauensvoll fühlte, München empört, die Macht der Krone zerbrochen, als Mensch, als König das Gemüt zerrissen, vereinzelt stehe ich da im Schmerz.“

Wie man in den Kreisen, die ihm jahrelang zunächst gestanden, die aber durch die Gräfin Landsfeld aus dieser Stellung verdrängt worden waren, auch jetzt noch dachte, davon legt Zeugnis ab ein Brief Karl von Seinsheims an den früheren Minister des Innern Karl von Abel vom 23. März 1848: „Was ich Ihnen gestern als eine Vermutung, als ein Gerücht sagen wollte, ist nun Wahrheit geworden. König Ludwig hat der Krone entsagt, König Maximilian II. den Thron bestiegen. Wie es nun in meinem Herzen aussieht, können Sie sich denken. Ich habe in meinem ganzen Leben nicht so viel Thränen vergossen als in diesen paar Tagen. Einen solchen Mann wie König Ludwig, der bei allen seinen großen Fehlern doch ein großer Regent war, von jener Bahn scheiden zu sehen, zu der er von der Vorsehung berufen schien, das ist ein Ereignis, das jedes fühlende Herz brechen muß . . . Dabei ist der abtretende König so milde, so gut, daß einem das Herz im Leibe springen möchte. Seit Jahr und Tag war ich gestern wieder zum erstenmal zum Tee geladen. Er war nun gerade so, wie in jenen Zeiten, wo ich sein volles Vertrauen genoß. Gumppenberg und ich mußten sich ihm gegenüber setzen, und es war gerade so, als wenn die vergangenen 18 Monate mit ihren traurigen Ereignissen gar nicht gewesen wären. Mir war es, als erwachte ich aus einem schweren Traum, als eben die Königin Marie kam und die Majestät ihr entgegentönte. Da war es mir nun freilich klar, daß alles die volle Wirklichkeit sei.“

Was ein Teil der nationalen Kreise von dem bei allem dyniastischen und territorialen Ehrgeiz durchaus deutschgesinnten König erhofft hatte, dem hat ein zeitgenössischer Dichter bewegten Ausdruck verliehen:

„Als König ersehnt trotz der dunklen Macht,
die ihn trieb, dem Thron zu entsagen,
hätt’ er, kühn erneuernd des Reiches Macht,
eine stolzere Krone getragen.
Doch hat ihn auch nie die Krone geschmückt,
die einst Ludwig und Karl besessen,
sein Bild hat er Deutschland ins Herz gedrückt,
sein Volk wird ihn nimmer vergessen.“

Ludwig I. selbst schritt durch ein innerlich zerstörtes Leben nicht ohne Klage, aber ohne Gebrochenheit dahin.




1) Vgl. L. Bergsträßer, Die parteipol. Lage bei Zusammentritt des Vorparlaments in: Zeitschr. f. Pol. Bd. VI, 594 ff.; U. Freyer, Das Vorparlament zu Frankfurt 1848, Diss. Greifswalde (1913).
2) Das Folgende gründet sich auf M. St. A. MA II, 94 u. 95. Vgl. dazu Beilagen IV, V, VI u. VII und Pastor, Leben des Freiherrn Max v. Gagera (1912).
3) Signate des Königs vom 13. und 15. März.
4) Zum Folgenden vgl. F. Rachfahl, Deutschland, König Friedrich Wilhelm IV. und die Berliner Märzrevolution (1901). Derselbe, Österreich und Preußen im März 1848, aktenmäßige Darstellung des Dresden-Potsdamer Kongreßprojektes in: Hist. Vtjschr., Bd. VI u. VII, und die sich anschließenden Kontroversschriften.
5) Vgl. die Sammlungen des Hist. Vereins von Oberbayern und der Münchener Universitätsbibliothek.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Bayern und Deutschland