Am 27. Februar traf die Nachricht in Berlin ein. König Friedrich Wilhelm IV.

Am 27. Februar traf die Nachricht in Berlin ein. König Friedrich Wilhelm IV. glaubte an eine Revolution auch in Deutschland und an einen Krieg mit Frankreich.

Am folgenden Tage trat ein preußischer Kronrat zusammen. Der König gab seiner Überzeugung Ausdruck, daß nur der feste Zusammenschluß der deutschen Regierungen Ruhe und Frieden zu erhalten vermöge. Er fügte aber auch hinzu: für die deutschen Fürsten sei der Augenblick gekommen, die schweren Versäumnisse der letzten 33 Jahre gutzumachen und die Nation zum aufrichtigen Verbündeten in dem bevorstehenden schweren Kampfe zu gewinnen.


Am 2. März reiste der persönliche Freund des Königs, General Joseph Maria von Radowitz, nach Wien ab mit der zweifachen Aufgabe: militärische Maßnahmen gegen die Revolution und gegen Frankreich sowie Mittel zur Neubelebung und Fortbildung des Deutschen Bundes, mit anderen Worten eine deutsche Bundesreform im Sinne der Denkschrift vom 20. November 1847, anzuregen. Diese beiden Gegenstände sollten einem in „kürzester Frist“ in Frankfurt zu versammelnden „deutschen Kongresse“, einer Versammlung der Bundesfürsten oder ihrer Bevollmächtigten, vorgelegt werden.

Der General fand das Wiener Kabinett „tief gedrückt und eigentlich ratlos“. Er einigte sich mit Metternich in kurzer Frist über die Berufung eines Kongresses, aber nicht nach Frankfurt, sondern nach Dresden, damit die Bundesversammlung nicht in eine schiefe Stellung gebracht werde.

Am 7. März luden gleichzeitig Metternich und der preußische Außenminister von Canitz die deutschen Bundesregierungen zur Beschickung des Kongresses ein. Am folgenden Tage wurde als Termin der Eröffnung des Kongresses der 25. März angesetzt. Mit einem rührseligen Appell an das so lange Jahre verpönte deutsche Nationalgefühl suchte Metternich für seine Einladung zu werben: „Es wird vielleicht der Anstrengung der gesamten Kräfte dieses Vaterlandes, es wird der innigsten Vereinigung der verschiedenen Stämme Deutschlands sowie zwischen dessen Fürsten und dessen Völkern bedürfen, um uns und unseren Nachkommen die Unabhängigkeit, die Freiheit und die höchsten Güter, welche die menschliche Gesellschaft zu bieten vermag, zu bewahren. In solcher Lage der Dinge sind Befestigung des nationalen Bandes, welches alle Teile Deutschlands umschlingt, Kräftigung des vaterländischen Geistes durch Verbürgung der Güter, welche alle Deutschen unter dem Schutze des Bundes genießen und genießen sollen, Befriedigung gerechter Wünsche der Nation, insofern dieselbe mit Erhaltung der Rechte der Kronen und des wahren Volkswohls vereinbarlich ist — Gegenstände, über welche Deutschlands Fürsten und Städte sorgfältig Beschlüsse fassen müssen.“

Es war zu spät. Der Plan einer Bundesreform von Regierungswegen war nicht mehr bloß durch die nationale Propaganda, er war durch die Springflut der Revolution überholt. Um dieselbe Zeit hatten die Ereignisse in Süddeutschland den ganzen Reformplan begraben. Die deutsche Revolution fegte wie Sturmesbrausen über die deutschen Lande, wo Millionen von Menschen in wirklichen oder vermeintlichen Fesseln schmachteten. „In allen Gauen des gesamten deutschen Vaterlandes“, schrieb der Bamberger „Fränkische Merkur“, regt sich ein freierer, kräftigerer Geist und man fängt endlich an, den Mut zu gewinnen, frei und öffentlich Wünsche und Bedürfnisse laut werden zu lassen, die leider so lange zum Jammer unseres Volkes lautlos unterdrückt waren.“ Er erwartet, „daß auch der bayerische Volksstamm endlich erwache und patriotisch gesinnte Bürger aller Städte und Flecken Bayerns endlich den Mut fassen, in öffentlichen Volksversammlungen die gerechten Wünsche und dringendsten Bedürfnisse des Volkes zu beraten und dieselben auf gesetzmäßigem Wege der Petitionen an die Magistrate und durch diese vor den Thron zu bringen.“

Die Bewegung begann, wie im November 1918, im deutschen Süden. Der Hergang war überall der gleiche. Die Radikalen erheben ihr Haupt, meist Angehörige der freien Berufe, Volksschullehrer, Journalisten, Advokaten, Ärzte, aber auch Arbeiter und — im Gegensatz zu heute — besonders zahlreich Studierende. Versammlungen werden gehalten, Proteste erhoben, Bittschriften eingereicht, Forderungen gestellt: nach Berufung eines deutschen Parlaments und Ausdehnung des Wahlrechts, nach Preßfreiheit, Vereins- und Versammlungsrecht, nach Religions- und Gewissensfreiheit, nach Abschaffung der Privilegien und der Feudallasten, nach Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtsprechung, nach Schwurgerichten, nach Volksbewaffnung und Vereidigung des Militärs auf die Verfassung, nach Ministerverantwortlichkeit und Übertragung der Ministerstellen an Männer des politischen Fortschritts, nach Heranziehung der „Fähigkeiten, wo sie sich finden mögen“. „Angesichts der gegenwärtigen Weltlage“, so begründete eine vom 3. März datierte „Adresse der Bürger und Einwohner Münchens an S. M. den König Ludwig“ die Forderungen, „angesichts eines bedeutungsvollen Ereignisses jenseits des Rheins, welches den Frieden Europas in Frage stellt, können sich die unterzeichneten Bürger und Einwohner der Hauptstadt der Besorgnis nicht entschlagen, daß die Tage der Gefahr das Vaterland weniger einig und stark finden möchten, als nach den denkwürdigen Erfahrungen von 1813 und 1815 und nach mehr als dreißig Friedens jähren hätte erwartet werden müssen. Die Gefahr ist groß, aber nicht minder die Mittel, sie zu bestehen. Sie liegen in der unwandelbaren Treue und Hingebung des Volkes an König und Vaterland, aber gefestigt durch verbürgte Anerkennung und zeitgemäße Fortentwicklung seiner Rechte.“ Ahnliche, zum Teil noch weiter gehende Forderungen werden draußen in den Provinzen erhoben, in Regensburg, in Augsburg, in Nürnberg, in Würzburg, namentlich in Bamberg in den sog. vierzehn Artikeln. Hinter den politischen erhoben sich bereits sozialistische Forderungen: nach Ausgleich des Machtverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit, nach volkstümlicher Staatsverwaltung. „Das frische Leben eines Volkes bedarf freier Organe, nicht aus der Schreibstube lassen sich seine Kräfte regeln und bestimmen. An die Stelle der Vielregierung der Beamten trete die Selbstregierung des Volkes.“ „Das Proletariat ist zur Tatsache geworden, der vierte Stand ist der mächtigste von allen, zahlarm sind seine Gegner. Man lasse sie nicht unbefriedigt; ein zündender Gedanke und das ganze Gebäude des Staates wankt unter seinen Schlägen.“

Überall weichen die Regierungen vor dem Ansturm zurück. Die Revolution siegt in Baden, Württemberg, Hessen-Darmstadt, Nassau, Sachsen. Am 6. März auch in Bayern.

Wir kennen die hoffnungsvollen Anfänge König Ludwigs I., seine verfassungsfreundliche Gesinnung. Die Zeit war nicht so arm und so einseitig, wie wir heute in Unterschätzung des Gestern vermeinen. Sie hatte ihr volles, rundes, schöpferisches Leben. Selbst Ansätze eines parteipolitischen Lebens und einer parteipolitischen Presse zeigten sich in den ersten Jahren seiner Regierung.

Wir kennen aber auch den Umschwung, der sich seit dem Jahre 1831 bei ihm vollzog. Je länger, je dunkler wurden die Schatten, die auf seinen Weg fielen. Den seit dem Jahre 1819 von einer Ständeversammlung zur andern gestellten Forderungen nach Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtsprechung, nach Trennung der Justiz von der Verwaltung und Vorlage neuer Gesetzbücher, nach Aufhebung der Grundherrschaft und zeitgemäßer Fortbildung der Verfassung blieb die Erfüllung versagt. Gar nicht zu sprechen von der „Fiskalität“ der königlichen Politik gegenüber dem gedrückten Beamtentum, gegenüber den in Anfangsstellen, in Unfreiheit und Formelkram verkümmernden „Staatsdienern“. Das wurde um so schwerer empfunden, je mehr mit den wirtschaftlichen Änderungen und den dadurch veranlaßten sozialen Verschiebungen die Bevorzugung der einen Klasse die Ungerechtigkeit gegen die andere hervortreten ließ: beim adeligen Grundherrn mit dem Wegfalle dessen, was er für die Allgemeinheit geleistet hatte, zumal mit dem teilweisen Wegfall der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit, auf die in diesen Jahren ein Teil der adeligen Grundherren freiwillig verzichtete; beim Bürgertum mit dem Niedergange der älteren führenden Gewerbe und dem Aufstieg einer, wenn auch mäßigen Großindustrie und den Anfängen eines großstädtischen Proletariats, das nach politischer Gleichberechtigung verlangte; in den bäuerlichen Kreisen mit dem wirtschaftlichen Rückgange der großen Bauernhöfe und dem Aufstiege der kleineren Betriebe vermittelst rationeller Wirtschaftsmethode; bei den freien Berufen mit dem immer weiteren Hinauswachsen der berufsmäßigen Kopfarbeiter über den Kreis der Körperschaft, die sie bisher allein im Landtage vertrat, der Universität. Die Übertreibungen der radikalen Partei in der pfälzischen und fränkischen Presse, auf fränkischen und pfälzischen Versammlungen trieben den König immer tiefer hinein in die Reaktion, so daß ein Mann wie Ludwig Steub mit harter Bitterkeit von ihm urteilen konnte, er habe für den Fortschritt in den schönen Künsten ebensoviel als für den Rückschritt in allen übrigen Richtungen getan. Den Kern des Konfliktes zwischen König und Volk traf am besten eine Denkschrift aus den schicksalsschweren Februartagen des Jahres 1848, vom ersten Präsidenten der Reichsratskammer, vom Fürsten Karl von Leiningen: „Das deutsche Volk duldet in der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr, daß man ihm unter dem monarchischen Prinzip jenen patriarchalischen, wenn auch gutgemeinten Despotismus der Vorzeit, jenen bureaukratisch alles bevormundenden Staat aufdrängen will. Die eigentlichen Männer des Umsturzes, Demokraten, Republikaner, Kommunisten, sind an sich ein ohnmächtiges Häuflein, aber durch ihre Vermischung mit den Gemäßigten werden sie gefährlich.“ Hier begegneten sich die Gedanken des Fürsten Leiningen mit denen eines anderen führenden Mannes der Zeit, der sich später selbst der Demokratie anschloß, des damaligen Ministerverwesers des Äußern und des Kultus Fürsten Ludwig von Öttingen-Wallerstein: „In Deutschland besteht die Demokratie aus einer kleinen Schar Führer, aus einer größeren Geführter und Verführter und aus einer ganz großen dummen Volkes, dumm genug um zu glauben, daß man einer demokratischen oder republikanischen Regierung keine Steuern zahle, daß man überhaupt nicht zahle, was man schuldet, daß man das Eigentum nicht etwa aller, sondern nur gewisser Klassen oder einzelner Individuen teilen könne.“ Trotz allem aber werde keine Neubildung unserer Zustände von Dauer sein, in welcher der Demokratie nicht ein gebührender Platz eingeräumt werde.

Die persönlichen Blößen, die sich der König gegenüber der spanischen Tänzerin Lola Montez und den daraus entstandenen Verwicklungen gab, die zugleich infizierende und erobernde Kraft der französischen Revolution haben dann die Entwicklung beschleunigt. Das damalige Ministerium Bercks-Wallerstein besaß ebensowenig wie die damalige Polizeileitung die innere Stärke, um der Bewegung mit Erfolg zu begegnen. Bezeichnend ist eine publizistische Schrift „Bilder aus München zur Erinnerung an das Jahr 1848“ mit der Unterschrift: „Bürger: Um Gotteswillen, Herr Präsident, warum treffen Sie keine entschiedenen Maßregeln? — Präsident: Ja, was wollens denn, was habens denn, was soll ich denn tun?“

Der Ministerverweser des Innern, von Bercks, galt als eine Kreatur der Gräfin Landsfeld. Der Ministerverweser des Äußern und des Kultus, Ludwig von Öttingen-Wallerstein, hat seinen König in diesen kritischen Tagen seines zweiten Ministeriums allerdings ehrlich beraten. Er hielt ihn weder über den Charakter der Gräfin noch über das hereinbrechende Verhängnis in Unkenntnis. „Ich war Zeuge der unerhörten Art,“ schrieb er einmal an den König, „wie sie provoziert, und der noch hundertmal unerhörteren Art. in welcher Ew. Kgl. Majestät hintergangen worden . . . Mein Arm wird leider unbrauchbar gegenüber dem Verhängnis, welches Ew. Kgl. Majestät zu erfassen und von Gewaltschritt zu Gewaltschritt zu drängen scheint.“ Für ihn zeugt auch das Vertrauen, das ihm der damals in Würzburg weilende Kronprinz Maximilian durch seine Mittelsperson, seinen früheren Sekretär, den damaligen Ministerialrat Sebastian Daxenberger, entgegenbrachte. Aber auch Öttingen-Wallerstein mit seiner Politik der mittleren Linie besaß weder die Macht über den König noch befriedigte er die Parteien: der Rechten erschien er zu nachgiebig, die auf der Linken klagten, daß er nicht genug und zu langsam, zu zögernd gewähre.

Der König mußte sich zur Proklamation vom 6. März verstehen, die die Märzforderungen auch für Bayern genehmigte: Fortbildung der bayerischen Verfassung, der staatsbürgerlichen Rechte und persönlichen Freiheiten, wie der Preßfreiheit, des Versammlungs- und Vereinsrechtes, Verantwortlichkeit der Minister, Berufung eines Märzministeriums und — Initiative in der deutschen Frage. Der König gelobte vor Bayern und Deutschland: „Teutschlands Einheit durch gemeinsame Maßnahmen zu stärken, dem Mittelpunkte des vereinten Vaterlandes neue Kraft und nationale Bedeutsamkeit mit einer Vertretung der teutschen Nation am Bunde zu sichern und zu dem Ende die schleunige Revision der Bundesverfassung in Gemäßheit der gerechten Erwartungen herbeizuführen.“

Derjenige, der diese „großartige Proklamation“, wie er sie selbst nennt, verfaßt hat, Fürst Ludwig von Öttingen-Wallerstein, wies am folgenden Tage den Bundestagsgesandten von Gasser an, beim Frankfurter Bundestage für eine Bundesreform im Sinne der Proklamation vom 6. März zu wirken. Er begründete diesen Antrag ebenso wie den früheren auf Schutzmaßnahmen gegen Frankreich mit den Ereignissen im Westen. Er gab ihm eine Deutung, die trotz oder vielmehr wegen ihrer Phrasenhaftigkeit kaum überall die Billigung des Königs gefunden haben dürfte: „Nicht bloß Verstärkung der Kriegsmacht tut not. Auch jenes geistige Element muß gekräftigt werden, welches eigentlich die Heere der Befreiungsepoche hervorrief, deren Schlachten schlug und die Entscheidung zugunsten des Rechts lenkte . . . Teutsches Gesamtinteresse muß die Sonderinteressen überwiegen, das notwendig selbsttätig und automatisch bleibende Leben der einzelnen Bundesstaaten darf nicht ferner das Gesamtleben absorbieren.“ Es ist nicht ausgeschlossen, daß diese Instruktion die Entlassung des Ministers am 11. März beschleunigt hat. In die Gedankenwelt des Königs fügte sie sich schwer.

Gewiß war König Ludwig I. ein durchaus deutschnationaler Fürst. Er hat bei unzähligen Gelegenheiten seine deutsche Gesinnung bekundet und zugleich bestätigt; sein persönlicher Anteil an einer der größten deutschen Taten des 19. Jahrhunderts, an der wirtschaftlichen Einigung Deutschlands, an der Gründung des allgemeinen deutschen Zollvereins wie seines grundlegenden Vorbildes, des bayerisch-württembergischen Zollvereins, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Aber mit seinem romantisch angehauchten Deutschtum verband sich der andere Grundzug des wittelsbachischen Hauses: das Streben nach territorialer Selbständigkeit und fürstlicher Selbstherrlichkeit. Er war der selbstbewußteste und zäheste Verteidiger des monarchischen Prinzips wie der autonomen Staatspersönlichkeit des Einzelstaates, der trotz seines romantischen Deutschtums der nationalen Staatsidee kaum eine so zentrale Stellung eingeräumt, wie sie ihr die Instruktion des Fürsten von Öttingen-Wallerstein zuwies, der sich eher gegen das Einströmen solcher, das Leben der Einzelstaaten gefährdender Ideen gesträubt hätte.

Gleichwohl war der König nach wie vor entschlossen, am Programm vom 6. März festzuhalten, auch am deutschen Parlament. Das hat er in den nächsten Tagen wiederholt in bestimmtester Form zum Ausdruck gebracht. „Der falschen Politik, welche 30 Jahre lang die deutschen Stämme ihren Fürsten entfremdete“, so triumphiert eine im März 1848 zu München erschienene Flugschrift1), „ist endlich die Maske weggerissen. Entlarvt sieht sich Volk und Fürst in die Augen und jeder schaut in dem andern freudig dieselbe Begeisterung für Deutschlands Wohl und Größe. Wir schließen jetzt, 200 Jahre nach dem Westfälischen Frieden, ein neues, ein herrliches Bündnis, würdig Deutschlands großer Vergangenheit, würdig des deutschen Geistes, dem die Aufgabe ward, wie den Übergang von der alten auf die neue Zeit zu regeln so der besonnene Steuerer Europas zu sein durch die Brandungen des Jahrhunderts.“

Alle Flugschriften sind darüber einig, daß dieses Bündnis, diese Einigung der deutschen Fürsten und des deutschen Volkes nur mit einer Volksvertretung am Bunde verwirklicht werden könne. Auch die periodische Presse, voran die radikale. Sie warnt vor einer Neuauflage der Karlsbader und Wiener Ministerkonferenzen durch die Mission Radowitz: „Während das Volk gegen die Karlsbader und Wiener Ministerkonferenzbeschlüsse sich erhebt, droht eine neue Fürstenkonferenz. Videant consules, ne quid res publica detrimenti capiat! Wir sprechen die zuversichtliche Hoffnung aus, daß diese Konferenz von unserem liberalen Ministerium nicht beschickt werde und daß die Ständeversammlung eine beruhigende Erklärung sich darüber erbitten möge.“

Von bewaffneter Intervention in den von der Revolution erfaßten deutschen Gebieten konnte nicht mehr die Rede sein. Aber auch der positive Teil der Mission Radowitz, das Bundesreformprojekt, war überwunden. Die ganze Mission Radowitz, die ganze Idee eines Fürsten- oder Ministerkongresses war überholt.

Gleich in Stuttgart begegnete die Einladung der beiden deutschen Großmächte zu einem Ministerkongreß nach Dresden den schwersten Bedenken. Die bayerische Regierung lehnte die Beschickung mit aller Bestimmtheit ab2). Der Ministerverweser des Äußern, Fürst Ludwig von Öttingen-Wallerstein, schrieb in seinem Antrag an den König: „Dem Fürsten Metternich, der nichts lernt und nichts vergißt, ist es beigefallen, gegen die riesenhafte Bewegung von 1848 sein altes, morsches Rüstzeug aus den 1819er und 1833er Jahren aufzufahren. Er lädt ein. Wozu? — zu einem Ministerkongreß, und wohin? — nach Dresden. Wahrlich nur dies fehlte noch, um Deutschland vollends auf den Kopf und unterüber zu zu stellen.“ Es war eine der letzten Amtshandlungen Öttingen-Wallersteins. Der Staatsmann, der eine feine Witterung für politische Wetterstürze hatte, mochte sich den neuen Verhältnissen anpassen wollen. Der begabte und glatte Aristokrat hat vorher wie nachher bewiesen, daß er ohne viel Skrupel Programme und Überzeugungen dem Erfolge opfern konnte. Aber auch der König schrieb unter den Antrag seines Ministerverwesers: „Ministerkongresse haben ihr Ansehen verloren und nicht in Dresden, in Frankfurt, wo der Bundestag, sind die Bundessachen zu verhandeln.“ Am 12. März erging eine ablehnende Antwort an Österreich wie an Preußen und Abschriften hiervon an die süddeutschen Regierungen. Die Note verwies nach der Frankfurter Bundesversammlung, die allenfalls durch Abordnung anderer Geschäftsmänner verstärkt werden könnte.

Selbst der preußische Gesandte am Bundestage sprach jetzt gegen den Kongreß: „Ein Kongreß der Souveräne könne der Spaltung nicht mehr vorbeugen; denn er hätte nicht das öffentliche Vertrauen und überdies würden die Souveräne der konstitutionellen Länder ohnehin schon gar nicht mehr daran teilnehmen können.“ Auch der König von Preußen und sein Ministerium verhehlten sich nicht, welchen Mißdeutungen die Idee eines Fürsten- oder Ministerkongresses im gegenwärtigen Augenblick ausgesetzt sei. Aber der König täuschte sich ebenso wie sein Minister von Canitz, wenn er vermeinte, durch ein Patent, das „eine wirkliche Regeneration des deutschen Bundes“ verhieß, dieses Mißtrauen bannen zu können. Seinem wiederholten Appell an König Ludwig I. ist es ebensowenig gelungen, dessen Widerstand gegen den Ministerkongreß zu überwinden; die Art, wie ein ostensibles Schreiben der preußischen Regierung an ihren Münchener Gesandten zur bayerischen Proklamation vom 6. März und zum dortigen Versprechen einer Vertretung der deutschen Nation am Bundestage Stellung nahm, war nicht geeignet, moralische Eroberungen bei König Ludwig I. zu machen.

Die Märzbewegung in Wien, der Sturz des Ministeriums Metternich haben das Projekt einer Bundesreform von Regierungswegen vollends begraben. Vergebens machte der Preußenkönig den Versuch, die Konferenzidee zu retten durch eine Verlegung des Kongresses und zugleich des Bundestages nach Potsdam. Die gleich zu schildernden Berliner Märzvorgänge ließen selbst die Unentwegten den Glauben an ihn verlieren. Selbst Österreich erklärte jetzt im Hinblick auf die Proklamation des Preußenkönigs vom 21. März, daß die Lage der Dinge völlig verändert sei, und verwies wie Bayern die Bundesreformbestrebungen nach Frankfurt.




1) „Grundsätze bei der Bildung eines Parlaments gemäß den gegebenen Zuständen oder das Minimum dessen, was bei jetzigen Umständen gewährt werden muß.“
2) Das Folgende stützt sich auf M. St. A. MA II, 89, 90 u. 91.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Bayern und Deutschland