Bayern und Deutschland

Bayern und die Deutsche Frage in der Epoche des Frankfurter Parlaments
Autor: Doeberl, Michael (1861-1928) bayerischer Landeshistoriker, Erscheinungsjahr: 1922
Themenbereiche
Abkürzungen:

M. H. A. = Münchner Hausarchiv.
M. K. A. = Münchner Kreisarchiv.
M. St.A. MA = Münchner Staatsarchiv, Deutscher Bund, Ministerialakten.
Inhaltsverzeichnis
    Einleitung.
    I. König Ludwig I. und die deutschen Bundesreformbestrebungen.
    1. In den letzten Tagen des Monats Februar 1848
    2. Dreißig Jahre früher, an jenem denkwürdigen 18. Oktober des Jahres 1817
    3. Am 27. Februar traf die Nachricht in Berlin ein. König Friedrich Wilhelm IV.
    4. In Bayern war inzwischen trotz der königlichen Proklamation vom 6. März
    II. König Maximilians II. Triasidee.
    III. König Maximilian II. und die Nationalversammlung.
    IV. König Maximilians II. Abwehrpolitik.
    V. Die bayerische Regierung in der Krisis des Frankfurter Parlaments.
    VI. Die Frankfurter Verfassungsbeschlüsse und das bayerische Volk.
    Beilagen.
Einleitung.

Wenige Jahre der deutschen und der bayerischen Geschichte haben so tiefe Spuren im Leben unseres Volkes hinterlassen wie das Jahr 1848. Wir leben noch heute in den Nachwirkungen dieses Jahres. Wer die deutsche Bewegung von 1848 — 70 sei es erlebt, sei es nachempfunden, wer die revolutionären Vorgänge der jüngsten Zeit, die Verhandlungen des Weimarer Reichstages, die Weimarer Verfassung, die ihr vorangehenden Verfassungsprojekte mit Aufmerksamkeit und historischem Verständnisse verfolgt hat: der fühlte sich immer wieder an die revolutionären Bewegungen des Jahres 1848, an die Verhandlungen des Frankfurter Parlaments, an die Verfassungsberatungen der Paulskirche erinnert.

Was ein zeitgenössischer Geschichtsschreiber vorhergesagt hat, das deutsche Volk werde einst zum deutschen Staatsgedanken zurückkehren, den sein erstes Parlament ihm vermacht habe: diese Prophezeiung ist in Erfüllung gegangen. Der deutsche Verfassungsentwurf, der noch im Jahre 1849 im Zusammenhange mit dem preußischen Unionsprojekte entstand, knüpfte an das Verfassungswerk des Frankfurter Parlamentes an. Der Norddeutsche Bund, der aus dem Bruderkriege des Jahres 1866 herauswuchs, das deutsche Kaiserreich, das auf den Schlachtfeldern Frankreichs geschmiedet wurde, wie nicht minder die deutsche Republik, die sich auf den Trümmern des Weltkrieges und der Revolution erhob, kehrten zu Verfassungsgedanken der Paulskirche zurück: solange die beiden deutschen Großmächte bestanden — ohne Österreich; seit dem Zusammenbruche der habsburgischen Großmacht — mit Österreich, wenigstens dem Geiste, der Idee nach.

Damit ist die Auswirkung der Epoche des Frankfurter Parlaments noch nicht erschöpft. Auch eine andere Prophezeiung ist trotz aller reaktionären Episoden in Erfüllung gegangen: die fortschreitende Demokratisierung des deutschen Staates. Mag man sich zur Paulskirche und zur demokratischen Staatsarbeit jener Tage innerlich stellen wie nur immer, der politisch, der staatsmännisch Denkende wird doch den Worten des Fürsten Ludwig von Öttingen-Wallerstein beipflichten müssen: „Keine Neubildung unserer Zustände wird von Dauer sein, in welcher der Demokratie nicht ein gebührender Platz eingeräumt wird.“

Trotzdem liegt bis zum heutigen Tage keine den gegenwärtigen Anforderungen entsprechende Gesamtdarstellung des Frankfurter Parlaments und der von ihm bestimmten deutschen Epoche vor. Wir besitzen wohl gute Übersichten und Studien von K. Binding, Erich Brandenburg, Erich Marcks, Veit Valentin, Ottokar Weber, Paul Wentzcke u. a. Die Epoche des Frankfurter Parlaments nimmt auch einen breiten Raum ein bei Stern, Geschichte Europas, Bd. VII, bei Sybel, Die Begründung des Deutschen Reichs, bei Erich Brandenburg, Die Reichsgründung, bei Fried jung, Österreich von 1848 — 60, bei Meinecke, Radowitz und die Deutsche Revolution. Derselbe Meinecke hat in seinem Buche „Weltbürgertum und Nationalstaat“ eine treffliche Geschichte der geistigen Vorarbeit für das Jahr 1848 geschrieben, eine ideengeschichtliche Darstellung des preußisch-deutschen Staatsgedankens. In dieser Richtung sind auch wertvoll die „Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung“. Auch auf Adolf Rapp, Das österreichische Problem in den Plänen der Erbkaiserpartei von 1848 bis 1849, möchte ich in diesem Zusammenhange schon jetzt hinweisen; andere Einzeluntersuchungen werden später genannt werden. Aber im übrigen sind wir auf Darstellungen und Erinnerungen von Mitgliedern der Nationalversammlung angewiesen: auf erbkaiserlicher Seite von K. Biedermann, R. Haym, H. Laube, G. Rümelin, W. Wichmann; auf großdeutscher Seite von K. Jürgens; auf demokratischer von Jakob Venedey. Eine allseitige, auch nur auf den wichtigsten Quellen aufgebaute Darstellung fehlt.

Sind ja auch die Quellen selbst noch keineswegs alle zugänglich. Wir besitzen wohl die höchst wertvollen stenographischen Berichte über die Verhandlungen der Frankfurter Nationalversammlung, herausgegeben von Fr. Wigard. Aber schon die Sitzungsberichte des Frankfurter Verfassungsausschusses aus dem Nachlasse eines seiner Mitglieder, Johann Georg Droysens, sind bis jetzt unzulänglich und nur zum Teil publiziert; eine neue, ausgiebigere Veröffentlichung wird von R. Hübner im Auftrage der Historischen Kommission für die Deutschen Geschichtsquellen des 19. Jahrhunderts vorbereitet. Die Staatsakten der größeren deutschen Staaten sind bis jetzt nicht oder nur fragmentarisch bekannt geworden. Wohl aber sind in jüngster Zeit in der Sammlung: „Der deutsche Staatsgedanke“ zwei Bücher erschienen, die namentlich für den akademischen Unterricht gute Dienste leisten werden: 1. „Die erste deutsche Nationalversammlung und ihr Werk, ausgewählte Reden“, eingeleitet von Paul Wentzcke. 2. „Großdeutsch und Kleindeutsch, Stimmen aus der Zeit von 1815 bis 1914“, ausgewählt und eingeleitet von Adolf Rapp.

Viel schlimmer stand es bisher um die bayerischen Geschichtsquellen und um die bayerische Geschichtschreibung für die Epoche des Frankfurter Parlaments. Die unmittelbar nach dem Tode König Maximilians II. erschienenen sehr anerkennenswerten Lebensbeschreibungen von Hauff und Söltl gründen sich natürlich in der Hauptsache nur auf das, was während der Regierung des Königs durch die Presse in die Öffentlichkeit drang.

Als ich vor Jahren zum erstenmal in der Münchner Akademie der Wissenschaften über die bayerische Politik in der Epoche des Frankfurter Parlaments berichtete, stützte ich mich vornehmlich auf die nachgelassenen Papiere des Legationsrates Karl Maria von Aretin, des Schöpfers des bayerischen Nationalmuseums, aus einem Hause, das während des Exils der Kurfürstin Therese Kunigunde, der zweiten Gemahlin Max Emanuels, plötzlich in Venedig auftaucht, aber schon in den ersten Generationen eine Reihe von hervorragenden Gelehrten, Publizisten und Staatsmännern hervorgebracht hat. Karl Maria von Aretin ging im Auftrage des Königs Maximilian II. um die schicksalsschwere Wende des Jahres 1848/49 wiederholt nach Olmütz und Wien, um Österreich von einer Trennung von Deutschland abzuhalten und eine amtliche Erklärung in diesem Sinne am Frankfurter Parlamente zu erwirken. Die in seinem Nachlasse erhaltenen Schriftstücke geben anschauliche Stimmungsbilder von Österreich aus den bewegten Jahren 1848/49; sie liefern u. a. kaum abweisbare Belege für die Tatsache, daß sich selbst Schwarzenberg eine Zeitlang ernstlich mit dem Gedanken eines engeren und weiteren Bundes befreundete. Sie geben aber auch interessante Beiträge für die deutsche Politik wie für die Persönlichkeit Maximilians II. und für die Art und Weise, wie man rseiner Eigenart geschäftlich begegnete.

Ich habe aber doch Bedenken getragen, eine auf den Nachlaß einer einzelnen Persönlichkeit aufgebaute Darstellung zu veröffentlichen, da die bis dahin bekannten Quellen, die Denkwürdigkeiten des berühmten Staatsrechtslehrers Bluntschli und die für diese Zeit überaus dürftigen Denkwürdigkeiten des Grafen Otto von Bray-Steinburg, wenig oder nicht geeignet sind zur Kontrolle oder Ergänzung des Nachlasses Aretins.

Es ist mir nun in der Zwischenzeit gelungen, zunächst eine Reihe anderer Privatnachlässe ausfindig zu machen: so den ziemlich umfangreichen Nachlaß des dem Könige von seiner Göttinger Studienzeit her persönlich befreundeten Freiherrn von Wendland, des langjährigen Geschäftsträgers und Gesandten Bayerns am Pariser Hofe; so den Nachlaß des persönlichen Sekretärs Maximilians II. und späteren Frankfurter Parlamentsmitgliedes, des Ministerialrats, Staatsrats und Mitarbeiters des Grafen Otto von Bray-Steinburg, Ludwig von der Pfordtens und Chlodwig von Hohenlohes, Sebastian von Daxenbergers, der sich auch als Schriftsteller unter dem Namen Fernau, namentlich als Verfasser des Buches „Münchner 101,“ einen achtbaren Namen gemacht hat; so den Nachlaß des Militärbevollmächtigten und späteren „interimistischen Bevollmächtigten bei der provisorischen Zentralgewalt für Deutschland“ Joseph von Xylander; so den sehr wertvollen, von meinem Neffen Anton Doeberl mir vermittelten Nachlaß des Ministers Karl von Abel, der auch nach seiner Entlassung, gerade in den ersten Jahren der Regierung Maximilians II. einen sehr starken Einfluß ausgeübt hat, an den sich der König in allen wichtigeren Fragen der auswärtigen, der deutschen und der innerbayerischen Politik wendete; schon die Zahl und die Art der Fragestellung ist interessant und bedeutsam für die deutsche Politik Maximilians II. wie für die Persönlichkeit und die wachsende Nervosität des Königs. Bezüglich des Vorsitzenden im Ministerrate des Märzministeriums, des Freiherrn von Thon-Dittmer, konnte ich feststellen, daß ein nicht unerheblicher Nachlaß von ihm erhalten ist; eine Einsicht hat die Familie bis jetzt nicht gewährt. Der sehr umfangreiche Nachlaß von der Pfordtens kommt erst für den Schluß dieser Abhandlung in Frage.

In der Zwischenzeit ist es mir aber auch gelungen, die Erlaubnis zur Benützung einer anderen, bis dahin verschlossenen Quelle zu erlangen, die für ein politisches Thema zunächst in Betracht kommt, von der man bei freier Verfügung ausgeht, der Staatsakten des Ministeriums des Äußern, die in gewissen Zeitabständen in das Geheime Staatsarchiv abgegeben werden, des unmittelbaren Arbeitsnachlasses der in der Werkstatt der äußeren Politik tätigen Kräfte.

Aber je länger je mehr überzeugte ich mich, daß auch die Staatsoder Ministerialakten das Dunkel über gewisse diplomatische Vorgänge, ihre Wurzeln, ihre letzten Gründe, nicht völlig zu enthüllen vermögen, weil die Initiative vielfach nicht von der zuständigen Zentralbehörde, sondern von anderer Seite ausging. So bin ich denn neuerdings auf die Suche gegangen und habe dank dem Entgegenkommen des Ministeriums des Äußern den Zugang zu einer anderen Quelle gefunden, die sich gerade für die Regierung König Maximilians II. oft wichtiger erweist als selbst die Staatsoder Ministerialakten: zum ebenso wertvollen als umfangreichen Kabinettsnachlasse des Königs Maximilian II., der wie die königlichen Kabinettsnachlässe überhaupt im Hausarchiv lagert und unter dem sich auch ein guter Teil des Arbeitsnachlasses seines interessantesten unverantwortlichen Mitarbeiters, des Hofrates Wilhelm von Doenniges, befindet.

Die Akten des Münchner Staatsarchivs und des Münchner Hausarchivs werden an einzelnen Stellen ergänzt durch die „Bureauakten“ des Ministeriums des Innern, die in den letzten Jahren in das Münchner Kreisarchiv abgegeben worden sind, den Aufbewahrungsort nicht bloß der oberbayerischen Kreisakten, sondern auch der Akten der beiden Ministerien des Innern, der Akten zur Geschichte der inneren Politik Bayerns überhaupt.

Über die Quellen zur Geschichte der öffentlichen Meinung, der Stimmung und Haltung des bayerischen Volkes, werde ich zu Beginn des letzten Kapitels berichten, wo ich die revolutionären Bewegungen anläßlich der Verfassungsbeschlüsse des Frankfurter Parlaments zu schildern habe.

Allen denen, die mir die genannten Quellen zugänghch gemacht haben, spreche ich an dieser Stelle den ergebensten Dank aus. Wärmsten Dank schulde ich auch Herrn Professor Dr. Max Buchner für die mühsame Durchsicht der Korrekturbogen.

München 1922.

Der Verfasser.