Abschnitt 3

Baltische Studien


Ueber die Geschichte Pommerns, ihr Verhältniß zur Deutschen Geschichte, ihre Behandlung und Darstellung.


Eine Anwendung der, in allgemeinen Umrissen angedeuteten, Methode auf die letztere, und, im vorliegenden Falle, auf die Geschichte Pommerns, wird jedoch einige nothwendige Beschränkungen erleiden müssen, und auf diese ist zunächst hinzuweisen. Es bedarf wohl keines Beweises, daß der Versuch, den geistigen Gehalt der Geschichte aufzuzeigen, nur ganz allgemein geschehen kann, und nicht so anzusehen ist, als solle auch in dem Detail der Begebenheiten, in den unbedeutendsten Erscheinungen, mithin in dem seiner Natur nach Zufälligsten, innere Nothwendigkeit und fester Zusammenhang dargethan werden. Der Stoff erscheint in den unteren Kreisen des Lebens nicht von der Idee gebunden und durchdrungen; die zahllosen Formen, welche er annimmt, sind Erzeugnisse der Willkür, des Zufalls, der Bedürftigkeit, mit einem Wort von Ursachen, die außer aller Berechnung liegen. Ist doch die Provinzial-Geschichte selbst nur die Besonderung des allgeinen Geistes und in ihren einzelnen Parthieen oft bloß ein Moment, eine Schattirung desselben. Den Gehalt der Geschichte in abstraktere Formen zu bannen, Alles in ein System zu zwingen, ist die vergeblichste Mühe, welcher sich ein Historiker unterziehen kann 2). Mit leeren Abstractionen ist in der Geschichte nichts gewonnen; sich nach ihnen zu bemühen, ist um nichts besser, ja noch schlechter, als die trockenste und sinnloseste Aufzählung und Aneinanderreihung der Fakta.
Und somit wären wir jetzt wieder bei unserer ursprünglichen Aufgabe angekommen: bei der Angabe der bestimmten Behandlung des historischen Stoffs, welcher hier kein anderer als die Geschichte Pommerns ist. Was von der Provinzial-Geschichte schlechthin gilt: sie so zu behandeln, daß ihr Verhältniß zu ihren nächsten nnd größeren Kreisen überall sichtbar und daß ihre Beziehung zur Allgemeinen Geschichte nie vermißt wird, findet nothwendig auch auf diese seine volle Anwendung. Der Schauplatz der Allgemeinen Deutschen Geschichte muß als der gemeinsame Boden auch der Provinzial-Geschichte betrachtet werden, auf welchem sich überall dasselbe, nur anders gestaltet, zuträgt; es wird alsdann nie an Anknüpfungspunkten fehlen, durch welche eine Orientirung und tiefere Einsicht allein möglich ist. Deutschlands Geschichte bildet den Mittelpunkt für sämmtliche Monographieen, welche Theile desselben behandeln; ihre Stellung und Bedeutung; die Verbindung dieser Theile mit nähern, oder ferner liegenden Verhältnissen läßt sich nur auf diese Weise genügend darstellen. Die Landes- oder Orts-Geschichte zeigt bloß in eigenthümlicher Entwickelung und weiterer Ausführung, wenn gleich im verjüngten Maaßstabe, was die allgemeine Geschichte uns vorführt. Zwischen beiden besteht eine Wechselwirknng, sie bedingen sich gegenseitig. Was die Allgemeine Geschichte in kühnen Umrissen entwirft und zu einem großen Carton componirt, malt die Provinzial-Geschichte in Miniatur-Bildern aus, die selbst den flüchtigsten Moment des Lebens festzuhalten streben, wozu freilich die Meisterschaft eines Teniers oder Ruisdael gehört. Von solchen Meisterhänden ausgeführt, wird das kleine Bild die Züge des größern nicht verleugnen und sein lokales Colorit ihm zugleich einen Reiz geben, den dieses entbehrt. Unsere besseren Provinzial-Geschichten, und unter ihnen vor allen Mösers Osnabrückische Geschichte sind in diesem Geist gearbeitet 3), und hierin allein ist der Grund zu suchen, daß sie allgemeines Interesse fanden und ein ungetheilter Beifall ihre Verfasser belohnte. Bei einer Darstellung der Geschichte Pommerns wird folglich der Einfluß der angrenzenden Gebiete auf dieses Land, und vorzüglich seine Beziehung zum Deutschen Reiche, zu schildern seyn. Hierbei wird dann ihre Eigenthümlichkeit, die durch diese gegenseitige Einwirkung zum Theil mit bedingt ist, sich sehr bestimmt kenntlich machen und auch über ihre Bedeutung sich ein Urtheil gewinnen lassen. Letztere hervorzuheben und, jedem Einwande gegenüber, zu behaupten, ist Pflicht des Historikers, dessen Aufgabe sich näher so stellt, den eigentlichen Gehalt seines Stoffs in der Form anschaulich zu machen. Für die Bedeutung der Provinzial-Geschichte nun, welche hier weder mit Stillschweigen zu übergehen, noch als bekannt voraus zu setzen ist, giebt es mehrere Gesichtspunkte, je nachdem man sie in Bezug auf rein wissenschaftliche oder praktische Zwecke betrachten will. Je vollständiger dieses Thema bereits von Vielen abgehandelt ist, und je schwieriger es hierdurch seyn würde, über dasselbe etwas Neues zu sagen, um so weniger Veranlassung findet sich, es von neuem ausführlich zu erörtern. Erst vor kurzem ist namentlich der praktische Werth der vaterländischen Geschichte herausgehoben und darauf hingewiesen worden, wie das Studium derselben ein vortreffliches Mittel sey zu Belebung und Befestigung einer patriotischen Gesinnung 4*). Oeffentliches Leben in seiner ganzen Stärke und Wirksamkeit hervorzurufen, vermag wohl sein Mittel kräftiger als gerade die vaterländische Geschichte, welche Liebe für die heimische Vorzeit und zugleich Anhänglichkeit an die Institutionen der Gegenwart erzeugt, indem sie zu der Einsicht verhilft, daß diese durch jene bedingt ist. Sie giebt dem Patriotismus erst seine bestimmte Richtung, und schafft so jenes Kleinod, welches in Deutschland Jahrhunderte hindurch nicht gekannt war. Daß in einigen benachbarten Staaten, namentlich in England und Frankreich, ein höheres Interesse an vaterländischer Geschichte vorhanden ist, als in Deutschland, und daß das Studium derselben dort ganz andere Früchte trug, hat einzig seinen Grund in dem öffentlichen Leben, welches sie besitzen. Wer auf jene Erscheinung hinweist, sollte daher ihre Ursache auch nicht verschweigen. Nur dadurch, daß die geschichtlichen Bestrebungen in den genannten Staaten sich auf einen lebendigen Mittelpunkt: auf den eigenen Staat beziehen, und sich mit seinen Institutionen und Einrichtungen beschäftigen, äußern sie eine so erfolgreiche Wirkung auf diese, ertheilen ste ihnen kräftige Regsamkeit und jene nothwendige Beweglichkeit, die eine moralische Versteinerung verhütet. Welch einen Erfolg konnten historische Studien in Deutschland haben, so lange sie der Liebhaberei der Antiquare dienten, oder von einseitigen Pragmatikern betrieben wurden, wesentliches Leben, in welchem jeder einzelne sich bethätigen darf, muß diesen Studien einen Schwung geben, den kein äußerer Antrieb, ja selbst keine Begeisterung ersetzt. Denn ein lebendigeres Wissen ruft der Gemeingeist hervor; was er schafft, gehört dem Leben an und kommt diesem zu gut. Indem er allen geistigen Bestrebungen durch die Beziehung auf den Staat einen Schwerpunkt giebt, werden diese zu einer Einheit verbunden, welche eben so sehr vor einer Absonderung und Verflüchtigung bewahrt, auch gegen jene passive Gleichgültigkeit schützt, worin sich heut zu Tage so mancher Schriftsteller gefällt. Und wenn auch herrschende Zeit-Ansichten und politische Reibungen nicht selten geschichtliche Verhältnisse in einem getrübten Lichte zeigen, und oft sogar historische Thatsachen entstellen, so wird dieser Nachtheil durch den großen Gewinn aufgewogen, den auf solche Weise betriebene Studien auf das Ganze äußern müssen. Deutschland braucht jedoch auch in dieser Hinsicht die Vorzüge des Auslandes nicht länger zu beneiden; bereits ist in ihm Sinn für öffentliches Leben geweckt, und wird durch weise Maaßregeln der Regierungen immer mehr befestigt. Wir dürfen daher in der Folge uns auch jene Früchte versprechen, die einer allemeinen Theilnahme an öffentlichen Ereignissen, am Leben des Staats folgen, und welche in den Nachbar-Ländern so üppig hervortreiben. Den Wucher entbehren wir gern; die unter sorgsamer Pflege vollgereifte Frucht werden wir mit Mäßigung und Besonnenheit genießen. Von dem Besitz einer bestimmten Verfassungs-Form ist solches Gut weniger abhängig, als von einer gediegenen Gesinnung, die sich in der Achtung vor dem Gesetz und in der Liebe zum Bestehenden bethätigt. Mag nun jene auch schon die allgemeine Sittlichkeit fordern, so ist diese dagegen nur dann mit Grund zu hoffen, wenn genaue Kenntniß der Geschichte des eigenen Staats mit demselben gleichsam befreundet hat.

,,Ohne Vaterlands-Geschichte keine wahre
Vaterlands-Liebe. 5)

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