Abschnitt 2

Baltische Studien


Ueber die Geschichte Pommerns, ihr Verhältniß zur Deutschen Geschichte, ihre Behandlung und Darstellung.


Eine besondere Schwierigkeit liegt hierbei im Auffassen und Darstellen des Landschaftlich-Eigenthümlichen, wozu eine größere Meisterschaft gehört, als man gemeinhin annimmt. Den oft träge und unfruchtbar scheinenden Stoff so zu behandeln, daß die lokale Färbung desselben recht kenntlich wird, und sein Gehalt klar und bestimmt hervortritt, ist keine ganz leichte Aufgabe, und wird nur durch eine künstlerische Behandlung möglich. An den Historiker ergehet nämlich noch die weitere Forderung, seinem Gegenstande die Form und innere Gliederung eines Kunstwerks zu geben, oder vielmehr in seiner Darstellung die künstlerische Einheit und Composition nicht vermissen zu lassen, welche das organische Leben in höchster Vollendung aufzeigt. Die Vergleichung eines Geschichtswerks mit einem Kunstwerke liegt zu nahe, als daß sie nicht häufig angestellt und jenes nach ben Grundsätzen beurteilt werden sollte, welche die Kriterien für dieses bilden. Mag es auch immerhin seyn, daß nicht jeder ein richtiges Bewustsein üher das Wesen eines Kunstwerks besitzt; Takt und ein durch Beobachtung geschärfter Sinn kommen, wie sonst wohl, auch hier gut zu statten und ersetzen in gewisser Hinsicht dasselbe, da sie in ihren Anforderungen sich mit der tieferen wissenschaftlichen Erkenntniß berühren, welche überhaupt nichts zur Anschauung bringt, was nicht in dem Gefühl, wenn gleich auf eine unmittelbare, keimartige Weise vorhanden wäre, und daher nie, was einigen nur nicht einleuchten will, in Widerspruch gegen dasselbe tritt, je allgemeiner und gleichmäßiger diese Forderung an den Historiker gestellt wird, um so weniger darf er es wagen, sie zu umgehen; und es muß dies als ein Vortheil für die Geschichtschreibung betrachtet werden. Denn es spricht sich ein eben so richtiger Takt, als eine wahrhafte Einsicht in dem Verlangen aus, die Geschichte stets als ein Ganzes vor sich zu haben, dessen Theile innerlich verbunden und in ihrer Stellung und Wirkung gegenseitig bedingt sind; mehr aber enthält zunächst diese Forderung nicht. Wollte man jedoch die Sache auf die Spitze treiben, und nur deshalb, um die scharfe Abgrenzung eines plastischen Kunstwerks dem Gegenstande zu geben, ihn durchaus isoliren, so ginge aller Vortheil einer Behandlung verloren, die, mit Maaß angewendet, demselben einen hohen Grad von Anschaulichkeit verleiht. Die Landes-Geschichte weist diese Forderung nicht zurück. In ihrer bestimmten Eigenthümlichkeit aufgefaßt und dargestellt, wird sie, ungeachtet ihrer vielen Beziehungen, worin sie zu der Geschichte benachbarter Länder steht, ein in sich abgeschlossenes Ganze bilden, dem weder äußere Rundung noch innere Gliederung fehlt. Eine wahrhaft künstlerische Behandlung des Stoffs ist aber nur möglich bei einer Aufzeigung seines geistigen Gehalts, der Gedanken, welche er verwirklicht hat. Und hiermit wäre der alte Streit über Geschichtsschreibung berührt. ob eine bloße Ermittelung und Aufzählung der Fakta, wobei das Verständniß dem Leser selbst zu überlassen, oder eine Darstellung nöthig sey, in welcher, durch die Composition des Ganzen, die Kritik zugleich mitgegeben, und die Begebenheiten so auftreten, daß sie gleichsam ihr eigenes Urtheil mitbringen 1). Nun, die Meisten mögen ihre Schwäche fühlen, die ideale Seite der Geschichte anschaulich zu machen. Allein wenn der Historiker nicht berufen seyn soll, dem Leser dieses Verständniß zu erörtern, wer möchte alsdann die Fähigkeit besitzen, in dasselbe zu leiten. Die bloßen Fakta sind noch keine Geschichte; erst zu einem Ganzen verarbeitet, und in einen solchen Zusammenhang gebracht, daß in ihrer Erscheinung und Aufeinanderfolge auch zugleich ihre Bedeutung und Wirkung sichtbar ist, verdienen sie diesen Namen. Die dem gewöhnlichen Blick zu tief liegende Verkettung von Ursache und Wirkung in der Geschichte macht nur der Historiker sichtbar. Daß es ihm hierbei aber völlig gelingen werde, den Gegenständen ihr Recht, oder vielmehr keinen Zwang anzuthun, ist kaum zu behaupten. Die eigene Anschauungsweise wird sich mehr oder minder geltend machen, denn so ungetrübt wird nichts empfangen, daß sein Wiederschein nicht etwas Fremdartiges annehmen sollte. Eine Neutralität, wie beim Scheinen des Lichts, durch Glas oder Kristall, - und selbst diese ist nicht vollkonmen -, ist bei der Darstellung historischer Thatsachen, welche den Weg durch unser Bewußtseyn nehmen, nicht möglich. Allein diese Mängel auch zugegeben, welchen die bezeichnete Methode freilich unterliegt, sie darf dessen ungeachtet als die einzige ans Ziel leitende ausgesprochen werden. Nur sie enthält die Möglichkeit, den wahren, geistigen Gehalt der Geschichte zu erfassen und zur Anschauung zu bringen.Wie die Geschichtschreibung sich nun auch immer darstelle, welche Form sie annehme, die Weise ihres Erscheinens ist, wie schon erwähnt, bedingt durch die besondere Ansicht, welche der Historiker für seinen Gegenstand mitbringt. Im Leben, wie in der Wissenschaft, kommt alles auf die Ansicht an, womit wir an die Betrachtung der Dinge gehen; eine Sache ist das, wozu ich sie mache, und sie wird jedesmal eine andere, sobald ich den Gesichtspunkt wechsele, unter welchen ich sie zuvor brachte. Von einer bloß räumlichen Beziehung, wie bei dem Betrachten körperlicher Gegenstände durch Aenderung des Standpunktes entsteht, von einer hierdurch erzeugten formellen und nur scheinbaren Verwandlung, wobei die Sache ihrer Hauptbildung und ihrem Bestande nach, dieselbe bleibt, kann hier nicht die Rede seyn. In der geistigen Welt ist die andere Betrachtungsweise häufig nicht sowohl eine nur örtliche, räumliche Beziehung, als vielmehr eine fachliche. Sie betrifft das Wesen, den innersten Gehalt der Dinge, den jede neue Ansicht umschafft. Und es liegt hierbei am Tage, daß je konsequenter eine Ansicht verfolgt und durchgeführt wird, um so vollständiger auch ihre Wirkung ist, die in einer gänzlichen Umgestaltung erfolgt. Was die vorhin erwähnte Kontroverse betrifft, so vergegenwärtige man sich nur, daß jedes historische Faktum ein verkörperter Gedanke ist, und es muß alle Opposition gegen die Gedanken in der Geschichte, oder gegen die Methode, welche ihn aufzuzeichnen strebt, etwas kleinlaut werden, wo nicht ganz verschwinden, und es muß die Zumuthung verworfen werden, historische Fakta so aufzuführen, daß sie einzig diesem oder jenem untergeordneten Zecke: etwa der Chronologie, dienen, oder irgend eine Erscheinung erklären sollen. In verschiedener Zusammensetzung kann etwas als ein Kunstwerk oder auch bloß als ein Aggregat planlos vereinigter Stücke sich darstellen. Und gegen solche Planlosigkeit schützt keine Chronologie, sie reicht nicht aus; nur die wissenschaftliche Erkenntniß vermag Ordnung und Zusammenhang in der Geschichte aufzuzeigen; der Möglichkeit aber, ihr Wesen zu begreifen, wird man sich doch wohl selbst nicht berauben mögen. Der Einwand, als finde das hier angedeutete Verfahren nur bei Allgemeiner Geschichte Anwendung, ist, wenn auch zu besorgen, eben so leicht zu beseitigen. Selbst die ärmlichste Monographie must nach demselben Grundsatz wie die Geschichte eines Staats hehandelt werden, von den Theilen muß dasselbe gelten, in ihrer Trennung, wie in ihrer Vereinigung zum Ganzen. Derselbe Geist, der das leitende Prinzip, gleichsam der Träger irgend einer Zeit war, wird sich überall sichtbar machen, er durchdringt und belebt Alles, gleichwie das Göttliche in allen Dingen, den seelenhaften, wie seelenlosen, so wunderbar wirkt. Und dies ist nothwendig. Was sich in der Geschichte abspiegelt, ist göttlicher Geist, nicht rein menschlicher; das Medium, wodurch er sich äußert, reflectirt ihn nur mehr oder weniger getrübt, es ist jedoch immer derselbe göttliche Geist, so verkümmert er sich auch offenbare. Wenn daher das hier Gesagte eine allgemeine Anwendung findet, so dürfte jetzt zu untersuchen seyn, wie dasselbe sich in Bezug auf Provinzial-Geschichte äußert.

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