Das Badewesen in Indien

Den alten Indern, denen Manu in dem Gesetzbuche Dharmaçâstra Vorschriften über Recht, Sitte und Kultus gegeben, wird das Bad behufs Wiedergewinnung der verlorenen Reinheit zur Pflicht gemacht. Neben der religiösen Wirksamkeit soll das Bad aber auch ausgesprochen der Körperpflege dienen, Abhärtung, Stärkung und Kräftigung und alle sonst schätzbaren Vorteile und äußerlichen Vorzüge bringen. Dazu bildete das Bad unter freiem Himmel, das kalte Flussbad ohne wesentliche Badeeinrichtungen, sicherlich die Regel. Mit den religiösen Zeremonien waren von Alters her für die Priester sowohl wie für das gläubige Volk sühnende Bäder und Waschungen verbunden deren häufige Wiederholung förmlich zu den guten Werken gerechnet wurde; deshalb mussten auch alle Tempel und sonstigen Kultstätten mit den dazu erforderlichen Einrichtungen versehen sein. Unter allen Wässern des Landes haben in dem Glauben der Inder von den ältesten bis auf unsere Tage wirksamst sündentilgende Kraft die Fluten des Ganges, seiner Nebenflüsse und des Brahmaputra, welche als heilig gelten; der heiligste unter ihnen ist der Ganges selbst. Wer an ihm wohnt, badet regelmäßig jeden Morgen im Flusse und reinigt sich mit dessen Schlamm; die entfernter Wohnenden begnügen sich mit einer Wallfahrt dahin. Wie in alter Vorzeit, so ziehen noch heute aus ganz Indien zahlreiche Pilgerscharen frommer Hindus an den Ganges, um in dem heiligen Strom zu baden, unter vielen anderen Göttern die Flussgottheit (eine Göttin) zu verehren, dem heiligen Wasser zu opfern und in ihm sich der Sünden los und ledig zu waschen. Benares ist der bevorzugte Wallfahrtsort; hier das Leben zu beschließen, sich verbrennen und seine Asche dem heiligen Strom übergeben zu lassen, ist das erstrebenswerte höchste Glück des Brahminen. Von der langen Reihe prächtiger Tempel steigen die Gläubigen ohne Zahl die Marmorstufen hinab in den Fluss, darin sie stundenlang verweilen; in Verzückung begießen sie sich, schöpfen und spielen mit dem heiligen Nass, tauchen sich feierlich in die sühnenden Wogen und wenden sich dann erst den Heiligtümern der Stadt zu, denen man nur durch solche Reinigung vorbereitet sich nahen darf. Auch heute noch wie ehedem erwartet der Kranke zuversichtliche Heilung durch das gesegnete Bad im Ganges.*)

*) Vergl. Hesse-Wartegg, Benares. Velhagen & Klasing, Monatshefte 1905.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Bäder und Badeanstalten