Das Badewesen bei den Juden in Palästina

Bei den Juden war das Badewesen hoch entwickelt, und welche Bedeutung sie ihm beilegten, ist uns aus dem mosaischen Gesetz und vielen Einzelbemerkungen des alten Testaments bekannt. Wenn auch ältere Vorbilder beeinflussend mitgewirkt haben mögen, so ist und bleibt es doch das unbestreitbare Verdienst des Moses, nicht nur den hygienischen Wert der Bäder für sein Volk richtig erkannt, sondern auch die Reinigung durch Bad und Waschung in den vielen Fällen, wo der Mensch unrein werden kann, in die Kultusgebräuche aufgenommen und auf religiöser Grundlage vorgeschrieben zu haben. Das mosaische Gesetz hat zum Wohle des jüdischen Volkes sanitäre Maßnahmen getroffen, als ob die mosaische Zeit bereits von der Krankheitsübertragung durch Keime bei Berührung der Kranken, ihrer Kleider und der von ihnen benutzten Gegenstände gewusst hätte. War schon jedermann verpflichtet, vor dem Gebet gewisse Waschungen vorzunehmen, vor dem Betreten des Tempels durch Wasser sich zu „heiligen", so waren für die Priester ganz besonders strenge Vorschriften der Reinigung verordnet; vor Beginn des Tempeldienstes hatten sie den ganzen Körper zu säubern, reine Kleider anzulegen und bei allem Zeremoniell auf peinlichste Sauberkeit zu achten. Als bauliche Einrichtung für diese Zwecke stand im Priesterhofe des Salomonischen Tempels vor dem „Heiligen“ unweit des Brandopferaltars ein großes Wasserbecken, „das eherne Meer, dass Aaron und seine Söhne ihre Hände und Füße daraus waschen“ sollten, und die ehernen Fahrstühle mit Wassergefäßen, deren Bedeutung freilich nicht ganz sicher ist; vielleicht waren sie zur Reinigung der Priester nach der Opferhandlung bestimmt.

Neben dem rituellen Gebrauch des Wassers bediente man sich bei den Juden schon in sehr früher Zeit der Bäder auch zur körperlichen Reinigung, zur Erfrischung und Pflege der Gesundheit. Naemi rät der Schwiegertochter Ruth (Ruth 3, 3), bevor sie behufs Anbahnung der Ehe zu Boas geht: „So bade dich und salbe dich“ u. s. w. Dass man von dem gewohnten Bade nur aus besonderem Anlass absah, berichtet Nehemiah (4, 23); beim Wiederaufbau der Stadtmauern von Jerusalem blieb man der Wachsamkeit wegen in den Kleidern und „ein jeglicher ließ das Baden anstehen.“ Die Sekte der Essäer hielt mit peinlicher Strenge an den gesetzlichen Bädern fest und begann sogar das Tagewerk stets mit einem gemeinsamen Bad der Männer und der Frauen.


War das Bad im lebendigen Wasser der Flüsse allgemein beliebt, so stand das Bad im Jordan schon bei den Juden der alttestamentlichen Zeit — nicht erst infolge der christlichen Taufe — hoch über allen anderen; ja es wurden ihm sogar wertvolle Heilwirkungen bei schwerer Krankheit nachgerühmt, so z. B. 2. Kön. 5, 10 bei Aussatz. In Ermangelung von Flussbädern musste man sich vielfach, und besonders in Jerusalem selbst, mit künstlichen Teichen, gemauerten Becken und Felszisternen behelfen, die unter freiem Himmel lagen. So erklärt sich, dass König David vom Dache seines Palastes aus die Bathseba badend in einem Teiche erblicken konnte, als welcher der heutige Sultansteich „Birket-es-Sultân“ gezeigt wird. So konnte Susanna während des Bades im Garten ihres Hauses überrascht werden, als sie ihre Mägde fortgeschickt hatte, um Balsam und Seife zu holen.*) Das sogenannte Patriarchenbad ist gleichfalls ein altjüdischer Teich, dessen Anlage dem König Hiskias zugeschrieben wird. Ein sehr altes Bad, dessen Heilkraft bis auf den heutigen

*) Dass das Einsalben des Körpers nach dem Bade schon in dieser frühen Zeit bekannt und gebräuchlich war, verbürgen neben der Erzählung von der Susanna noch manche Bibelstellen, z. B. Ruth 3, 2 u.s. w. Judith badet und salbt sich mit köstlichem Wasser.

Tag gerühmt wird, ist das Hammam-esch-Schifâ im Bazar zu Jerusalem, welches, mit einem ca. 10,5 m hohen Türmchen überbaut, 30 m tief (20 m unter Terrain) sein Wasser in einem teils gemauerten, teils in den Felsen gehauenen Bassin mit Abflusskanal enthält. Dieses Bad, in welchem man fälschlich den vielgesuchten Teich Bethesda hat finden wollen, ähnelt einigermaßen den deutschen Judenbädern, von denen später die Rede sein wird. In diesen erkennen wir ein Beispiel der von Moses vorgesehenen Mikvaoth, welche die periodisch zu benutzenden Frauenbäder zur Wiederherstellung der gesetzlichen Reinheit gewesen sein müssen.

Öffentliche Bäder sind bei den Juden, als sie ihre politische Selbständigkeit verloren, nach dem Zeugnis des Flavius Josephus ebenfalls vorhanden gewesen.

Auch Kurbäder im heutigen Sinne haben die Juden gekannt und als solche die nicht eben seltenen Mineral- und Thermalquellen des Landes seit alter Zeit benutzt. So war der Teich Bethesda (d. h. Gnadenort), dessen Lage in oder bei Jerusalem freilich noch nicht sicher nachgewiesen ist, ein stark besuchtes Heilbad; stundenlang verweilte man in seinem Wasser oder nahm in den umgebenden fünf Hallen Luft- und Sonnenbäder. Hoch berühmt waren heiße Quellen, am See Genezareth südlich von Tiberias gelegen, deren eine 62° warm ist. Sie enthalten Schwefel und Chlormagnesium und waren schon längst in Benutzung, als sie von den Römern in den Bau eines umfangreichen Bades einbezogen wurden, wovon noch ein Aquädukt und viele Architekturstücke übrig geblieben sind; in neuerer Zeit von den Türken restauriert, werden diese Bäder unter dem Namen Hammâm Ibrahim Pascha und Sidna Subiman heute noch stark frequentiert. Ähnlich die 62,8° warmen Quellen des Hammâm-es-Zerka, des alten Kallirrhoe, welche viel heißen Dampf ausströmen und starke mineralische Ablagerungen hervorbringen; sie waren von Alters her sehr hoch geschätzt wie heute noch bei den Arabern; auch Herodes der Große suchte bei ihnen Heilung. Als nicht minder heilkräftig werden die Thermalquellen „el Hammi“ von Amatha (Gadara) schon im Altertum und heute noch gepriesen. Ein natürliches Dampfbad „Hammâm Belkis“, auf dessen hohes Alter die Bezeichnung „Bad der Königin von Saba“ schließen lässt, hatte man in Karjaten, zwischen Damaskus und Palmyra, und schätzte seine Heilkraft bei Gicht und Rheuma. Bauliche Reste davon sind leider nicht vorhanden.

Die Reinheitsgesetze des Talmud dehnen die Anwendung der Bäder und Waschungen noch weiter aus, als das mosaische Gesetz vorgesehen hatte. Unter dem römischen Einfluss kommt sehr bald das Schwitzbad mit kalten Übergießungen hinzu; aber das Flussbad im Freien wurde ebensowenig vergessen wie das Wannenbad im Hause.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Bäder und Badeanstalten