Aus unserer Vogelwelt

Aus: Gartenlaube Kalender für das Jahr 1892
Autor: Redaktion: Dr. Hermann Tischler, Erscheinungsjahr: 1892

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Vögel, Vogelwelt, Heimat, Singvögel, Zugvögel, Kreuzschnabel, Finken, Drosseln, Amseln, Enten, Gänse, Schwäne, Spatzen, Raben, Elstern, Uhu,
Januar
Not herrscht jetzt überall in der freien Natur, nur der Kreuzschnabel bietet im Eismonat das überraschendste, zauberhafteste Bild. Tief im Tannenwald liegt sein Nest mit Eiern, oft schon mit Jungen! Das Birk-, Auer- und Haselwild kommt gegen Abend aus den Dickichten, um an warmen Quellen auf Waldwiesen spärliches Futter zu suchen; fröhlich sind dagegen auf offenen Gewässern die Kinder des Nordens, das wilde Wassergeflügel. Die Rebhühner werden geschwächt durch Hunger und Kälte und von Raubvögeln, Füchsen, Mardern, auch von Krähen angefallen; sie nach Kräften zu füttern, ist also Gebot für jeden verständigen Jäger. – Vogelfutterplätze legt man jetzt an passenden Stellen zahlreich an, sie werden besucht von Spatzen, Goldammern, Haubenlerchen, Grünfinken, Berg- und Edelfinken, Hänflingen, allen Meisen, Goldhähnchen und Zaunkönigen, Amseln und Singdrosseln, vereinzelt von Rotkehlchen, hier und da auch von Staren. Gegen Ende des Monats kommen schon die ersten Feldlerchen.

Februar
Baumknospen und Blütenkätzchen nähren jetzt schon besser die großen Waldhühner, während die Rebhühner fortwährend arge Not leiden. Aber schon macht sich des Winters nahes Ende bemerklich. Singdrossel, Feldlerche und Star kehren zurück, auch die Männchen der Edelfinken; die nordischen Gäste beginnen schon wieder, schneller und immer schneller nach Norden zu wandern, oft kommen gar schon Bachstelzen. Stellt sich nun der regelmäßige Nachwinter ein, so ist des Tierfreundes Futter spendende Hand nötiger als je. Der hehre Sänger Wasserstar, der Rabe, die Elster, der Uhu bauen und bewohnen ihre Nester. Auch die Gänse beginnen zu legen.

März
Frühlingsleben herrscht nun schon in der Vögel munteren Schar. Es kommen Wanderfalke, Milane, Wiesen- und Kornweihe, Wespenbussard, Feld- und Edellerche, weiße Bachstelze, Rohrammer, Wiesenpieper, Holz- und Ringeltaube, Reiher, Blässhuhn, Bekassine, Saleschnepfe; gegen Ende des Monats: Rotkehlchen, Haus- und Gartenrotschwanz, Weidenlaubvogel, Steinschmätzer, Braunelle, Storch, Kranich, Wasserläufer, großer Brachvogel, Moor- und Knäckente, Krickente, und Haubentaucher. Nester bauen die Bachstelzen und Eisvögel, Eier haben wilde Enten, Kiebitze, Raben, Eulen, Amseln, Wanderfalken und Hühnerhabicht.
Die Hühner sollen jetzt brüten, desgleichen die Gänse; die zahmen Enten beginnen zu legen.

April
Jetzt wir es Frühling! Von unseren Zugvögeln kehren nun zurück: Wiesen- und Waldpieper, Steinschmätzer, Mönchsgrasmücke, Blaukehlchen, Hausschwalben, Wiesenschmätzer, Gartengrasmücke, Müllerchen, Nachtigall, Fitislaubvogel, Rohrsänger, Wiedehopf, Wendehals, Turmschwalben, Kuckuck, Mandelkrähen, Nachtschwalben, Wachteln, Wachtelkönig, Rohrhühner und Fliegenschnäpper. Es brüten jetzt: Lerchen, Baumläufer, Haubenmeisen, Schwanzmeisen, Mäusebussarde, Gabelweihen, Hühnerhabichte, Wanderfalken, Hohltauben, Fischreiher, Schnepfen, Kiebitze, Wasserläufer, Sägetaucher, Ammern, Finken, Drosseln, Meisen, Zaunkönige, Rotkehlchen, Kleiber, Star, Schwarzspechte, Wilde Enten, Gänse und Schwäne.

Mai
Es kommen die letzten Sommergäste aus dem Süden: die Nachtigall-Weibchen, Sperbergrasmücken, Laubvögel und der Pirol. Alle Singvögel haben nun gegen Ende des Monates Nester und Eier und sind in der höchsten Blüte und Begeisterung ihrer Gesangskunst. Das Herr der Insekten wächst riesig an und findet furchtbare Vertilger an dieser gefiederten, jetzt Tag und Nacht fresslustigen Schar.


Mahnruf der Vögel im Frühling
Die gesamte Vogelschar im Deutschen Reich hat in ihrer ersten diesjährigen Versammlung nachstehenden Mahnruf erlassen:
„Nachdem wir aus fernen, fremden Landen in unsere alte, liebe Heimat zurückgekehrt sind, in Wald und Feld, in Stadt und Land unsere früheren Wohnungen bezogen haben, gedenken wir hier einen glücklichen Hausstand zu gründen und ein friedliches, fröhliches Leben zu führen. Wir stellen uns und unsere Nachkommenschaft unter den kräftigen Schutz der Menschen und hegen die Hoffnung, dass sie insgesamt, alt und jung, groß und klein, uns an Leib und Leben weder Schaden noch Leid tun, noch das kostbare Gut edler Freiheit uns rauben werden. Insbesondere bitten wir freundlichst und dringend, die mühsam erbauten Nester niemals zu zerstören, unsere Eier nicht wegzunehmen, die junge Brut in unserer Pflege zu lassen und allzeit uns als gute Freunde zu behandeln.
Dagegen wollen wir durch munteres Hüpfen, Flattern und Fliegen, durch Pfeifen, Schnattern und Singen Euch Unterhaltung und Vergnügen bereiten, auf Baum und Busch, Strauch und Kraut, Feld und Vieh die lästigen Schmarotzer wegfangen, sodass Wald und Feld, Gärten und Auen lieblich gedeihen und die Menschen an Gottes neubelebter Schöpfungspracht Freude und Wonne finden.“
So geschehen zu Waldheimlich zwischen Ostern und Pfingsten dieses Jahres.
Im Namen der Versammlung die Bevollmächtigten:
Lerche, Star und Nachtigall.

Juni
Die Vögel sind mit Brüten oder Erziehung ihrer Jungen beschäftigt, von welchen letzteren schon viele ausgeflogen sind. Viele Vögel stellen den Gesang ein oder lassen merklich nach, so schweigen gegen Ende des Monats leider schon alle Nachtigallen, die Grasmücken, doch die Drosseln beleben noch herrlich den sommerlichen Wald und die Lerchen wirbeln ihre jubelnden Lieder hoch über Wiese und Feld.

Juli
Viele Singvögel schreiten zur zweiten Brut, bei einigen beginnt schon die Mauser.

August
Schon beginnt gewaltige Herbstahnung in der gefiederten Schar. Die Sperlinge sind in der dritten Brut, die Rebhühner in der zweiten. Auer-, Birk- und Haselhühner, Fasanen und Rebhühner führen ihre Jungen in Wald, Feld und Wiese umher. Die Kerbtierfresser streichen mit ihren diesjährigen Jungen durch Feld und Busch. Die Grasmücken, Drosseln, Rotkehlchen ergötzen sich an reifen Beeren, die Meisen an Mohnköpfen und Sonnenblumen. Sperlinge und Finken werden in den Gärten lästig. Mit Unbehagen sehen wir die trauten Freunde dann allmählich scheiden: es ziehen schon fort: die Gartenmücke, Gartenlaubvogel, Turm- und Uferschwalbe, Nachtschwalbe, Sperber- und Zaungrasmücke, Bachstelzen, Sumpfrohrsänger, Fliegenschnäpper, Nachtigall, Kuckuck, Pirol, Mandelkrähe, Storch. Sehr viele Vögel sind jetzt arg in der Mauser, andere üben sich in Scharen für die bevorstehende große Reise.

September
Der Herbst setzt seinen entvölkernden Einfluss mit Gewalt fort. Es verlassen uns jetzt: Wachtel, Dorngrasmücke, Schwalben, Rotkehlchen, Blaukehlchen, Turteltaube, Mönch, rotköpfiger Würger, Steinschmätzer, gelbe Bachstelze, Heidelerche, die Weibchen der Edelfinken, Wasserläufer, Kiebitz, Die Strichvögel schwärmen in Scharen, so namentlich Goldammern, Hänflinge, Meisen, die Stare übernachten in Unzahl in Schilf und Rohr. Die ersten nordischen Drosseln ziehen durch.

Oktober
Immer stiller wird es in Wald und Flur. Es ziehen fort die Feldlerchen, Singdrossel, Rohrammer, Wasserhuhn, Star, Holztaube, Ringeltaube, Bekassine, Zwergreiher, Weihen. Von Norden kommen zu uns die Weindrossel, Bergfink, Leinzeisig, Gimpel, Nebelkrähen, Dohlen und Pfeifenten. Die Amseln und Misteldrosseln schwelgen in den Weinbergen.

November
Die Sommergäste sind alle fort. Die Gewässer, welche vom Eise in der Regel befreit bleiben, beginnen sich jetzt mit Wassergeflügel aus nordischen Gegenden zu bevölkern. Es kommen die verschiedensten Arten Wildenten, in großen Schwärmen Saatgänse, bei starker Kälte auch schon Schwäne. Die Gärten und Parks besuchen Amseln, Mistel- und Wachholderdrosseln, Nebelkrähen, Birkenzeisige, auch zuweilen Seidenschwänze. Aber alle sind still und meist hungrig und frierend. Auf dem aufgeweichten knietiefen Boden ist schwer Nahrung zu finden, es ist so recht eigentlich die trübseligste Zeit des Jahres.

Dezember
Der Zuzug nordischer Wintergäste währt fort. Füttert die Vögel!! Im Monat des Weihnachtsbaumes sei diese Bitte allen warmherzigen Menschen nahe gelegt. Alle Meisen, die Drosseln, Goldammern, Zeisige, Kleiber, jetzt noch häufig die zurückgebliebenen Rotkehlchen besuchen die Futterplätze: in vielen Städten, so namentlich München, Leipzig, Berlin und Stuttgart, beherrschen die Amseln dieselben, welche immer zahlreicher sich zu wirklichen Standvögeln ausbilden, wo immer große Gärten und Anlagen die Städte zieren. In den wohlig durchwärmten Zimmern aber beginnen die als Stubengenossen gehaltenen Schwarzplättchen, Grasmücken, Rotkehlchen und Nachtigallen schon zu singen, ganz leise und gleichsam träumend, als gedächten sie im schneebedeckten Winter traumverloren des Frühlings Herrlichkeit. Mögen ihre Stimmen auch in nächsten Jahre meinen lieben Lesern nur heitere Stunden verschönern!

Tafel 01 Haussperling (oben Weibchen, unten Männchen), 2/3 nat. Gr.)

Tafel 01 Haussperling (oben Weibchen, unten Männchen), 2/3 nat. Gr.)

Tafel 02 Feldsperling (Männchen und Weibchen), 3/4 nat. Gr.

Tafel 02 Feldsperling (Männchen und Weibchen), 3/4 nat. Gr.

Tafel 20 Heidelerche (5/6 nat. Gr.)

Tafel 20 Heidelerche (5/6 nat. Gr.)

Tafel 03 Steinsperlinge (3/4 nat. Gr.)

Tafel 03 Steinsperlinge (3/4 nat. Gr.)

Tafel 04 Heckenbraunelle (3/4 nat. Gr.)

Tafel 04 Heckenbraunelle (3/4 nat. Gr.)

Tafel 46 Nachtigall (4/5 nat. Größe)

Tafel 46 Nachtigall (4/5 nat. Größe)

Tafel 05 Edelfink, Männchen (3/4 nat. Gr.) Im Hintergrunde brütendes Weibchen im Neste.

Tafel 05 Edelfink, Männchen (3/4 nat. Gr.) Im Hintergrunde brütendes Weibchen im Neste.

Tafel 06 Bergfink (4/5 nat. Gr.)

Tafel 06 Bergfink (4/5 nat. Gr.)

Tafel 08 Grünling; vorn Männchen, hinten Weibchen, (3/4 nat. Gr.)

Tafel 08 Grünling; vorn Männchen, hinten Weibchen, (3/4 nat. Gr.)

Tafel 7 Kernbeißer (3/4 nat. Gr.)

Tafel 7 Kernbeißer (3/4 nat. Gr.)

Tafel 09 Stieglitz (3/4 nat. Gr.)

Tafel 09 Stieglitz (3/4 nat. Gr.)

Tafel 10 Oben Erlenzeisig, unten Birkenzeisig (3/4 nat. Gr.)

Tafel 10 Oben Erlenzeisig, unten Birkenzeisig (3/4 nat. Gr.)

Tafel 11 Bluthänfling; oben Männchen, unten Weibchen (3/4 nat. Gr.)

Tafel 11 Bluthänfling; oben Männchen, unten Weibchen (3/4 nat. Gr.)

Tafel 12 Girlitz (3/4 nat. Gr.)

Tafel 12 Girlitz (3/4 nat. Gr.)

Tafel 13 Gimpel (oben Männchen, unten Weibchen), 2/3 nat. Gr.

Tafel 13 Gimpel (oben Männchen, unten Weibchen), 2/3 nat. Gr.

Tafel 14 Kreuzschnabel (2/3 nat. Gr.)

Tafel 14 Kreuzschnabel (2/3 nat. Gr.)

Tafel 15 Goldammer (altes Männchen der nordöstl. Form), 3/4 nat. Gr.

Tafel 15 Goldammer (altes Männchen der nordöstl. Form), 3/4 nat. Gr.

Tafel 16 Grauammer (3/4 nat. Gr.)

Tafel 16 Grauammer (3/4 nat. Gr.)

Tafel 17 Rohrammer (altes Männchen im Frühjahr), 3/4 nat. Gr.

Tafel 17 Rohrammer (altes Männchen im Frühjahr), 3/4 nat. Gr.

Tafel 18 Feldlerche (4/5 nat. Gr.)

Tafel 18 Feldlerche (4/5 nat. Gr.)

Tafel 19 Haubenlerche (4/5 nat. Gr.)

Tafel 19 Haubenlerche (4/5 nat. Gr.)