Die Judengasse nach 1360

Wenn auch nach den Quellen nicht genau festzustellen ist, um welche Zeit Juden wieder nach Frankfurt gekommen sind, so haben doch Bücher 5) und Goldschmidt 6) gegen Horovitz 7) überzeugend dargetan, dass dies im Spätsommer des Jahres 1360 erfolgt ist, denn am 3. September 1360 finden wir im Bürgerbuch eine Anzahl von Juden eingetragen mit dem Bemerken, dass sie des Reiches und unserer Herren (sc. des Frankfurter Rates) Bürger geworden sind 8).

Der Bezirk, in dem die Juden ansässig gewesen waren, hatte inzwischen ein ganz anderes Aussehen erhalten. Sein Umfang war gegen früher, da der nördliche Teil zum Bartholomäusfriedhof


5) Die Bevölkerung von Frankfurt am Main, S. 535 ff.

6) Im oben erwähnten Aufsatz in Geigers Zeitschrift.

7) Frankfurter Rabbinen I, S. 10.

8) Siehe Urkundenbuch S. 314.


gezogen war, um ein Beträchtliches kleiner geworden. Nur ein Teil der Hofstätten war wieder bebaut, hier wohnten jetzt der Bierbrauer Heinz, der Handschuhmacher Heinz, der hochangesehene Bürger Johann von Holzhausen, der anscheinend mehrere Häuser daselbst hatte bauen lassen, ferner Gerhard Rosenbusch, Johann Oertner, Johann Hochhus und andere 1). Auf einer Hofstätte hatte die Stadt die öffentliche Wage errichtet.

Dazwischen gab es noch manchen wüsten Fleck, von dem der Schutt nicht weggeräumt war, da der Rat wohl erst den Ausgang des damals noch nicht zum Abschluss gekommenen Prozesses abwarten wollte. So stieß man beim Passieren des Judenquartiers Schritt und Tritt auf Hindernisse; erst im folgenden Jahr wurde es für den Verkehr wegsam gemacht 2).

Nur eine recht bescheidene Anzahl von Juden wagte sich anfangs in die Stadt, im ganzen acht. Die Hoffnung des Rates auf baldigen stärkeren Zuzug erfüllte sich einstweilen nicht, im Gegenteil, das nächste Jahr zogen drei Juden wieder ab, wofür nur Jakob von Miltenberg eintrat. Es war augenscheinlich, den Juden erschien Frankfurt trotz seiner Bedeutung als Messeplatz nicht begehrenswert zu dauerndem Aufenthalt. Erst mit Beginn der siebziger Jahre nimmt nach Ausweis der Rechenbücher die Zahl der Haushaltungen zu 3). Aber nirgends findet sich darin — die Buchführung entspricht allerdings nicht den Anforderungen moderner Genauigkeit — , ein Vermerk, dass neu zugezogene Juden sich vom Rat Hofstätten erworben hätten. Offenbar gebot ihnen die Vorsicht, sich nicht durch den Bau eigener Häuser zu sehr an die Stadt zu fesseln. Denn noch hielten sie mit Recht die Zustände für zu unsicher. Ihr Aufenthalt in Frankfurt war nur auf Widerruf des Kaisers gestattet; auch währte der Zwist zwischen dem Rate und den Zünften noch immer, und deren den Juden wenig geneigte Gesinnung war bekannt. Sie zogen es deshalb vor, als Mieter zu wohnen. Ausdrücklich bemerkt das Bedebuch des Jahres 1362 4), dass der reiche Simon von Miltenberg in dem Hause des Johann von Wetzlar im Fürstenberg wohne und den

1) Diese Besitzer ergeben sich aus den Rechenbüchern und der Vergleichsurkunde zwischen dem Rat und dem Domkapitel. Während bis 1361 der Verkauf der Judenplätze nur spärlich erfolgte, nahm er in diesem Jahre einen reißenden Fortgang. Nach dem Rechenbuch 1361, fol. 11a (Urkundenbuch S. 220ff.) und fol. 17b erhielt die Stadt für 2 „Judenfleckin“ von Johann Hochhus 324 Heller, von den Schuhmachern 160 Heller, von Johann V. Holzhausen 90 Mark, von Wernher Vechir 6 Mark. Der Gesamterlös betrug 1361, von Judenflecken und andern geselle“ 608 ½ Heller (Rechenbuch fol. 56b und 59b).

2) Siehe Bawbuch de anno 1361; eine Reihe von Posten finden sich hier unter der Rubrik „den weg zu machene undern Juden“. Die Kosten für die völlige Herstellung der Gasse beliefen sich auf 375 ½ Heller. Frankfurter Stadtarchiv E 17, Nr. 2.

3) Siehe Bücher S. 549, Tabelle XXXV. Judensteuer 1360—1500.

4) Bedebuch Oberstadt II, 22 (Urkundenbuch S. 291). Über das Haus Fürstenberg (Fürsteneck) siehe Battonn II, 65, und III, 215ff.


Hauszins von 15 ... zahlte „von sins wegen“, d, h. im Auftrag Johannes, des eigentlichen Hausbesitzers, und für das Jahr 1366 verzeichnet das Bedebuch hinter dem Hause der Else zum Drynschenkele 1) (Dreischenkel) „die Juden huser“ ohne Angabe einer Bede, weil die Juden als Mieter davon befreit waren 2). Noch immer bevorzugen sie geistlichen Grund oder geistlichen Stiftern angehörende Häuser. So sitzen sie im Haus zum Katzenelnbogen, dem Eigentum des Katharinenklosters 3), auch entrichteten verschiedenen Juden Zins an das Bartholomäusstift 4). Am Ende unseres Zeitabschnittes geben eine Anzahl Juden auch dem Arnsburger Kloster, in dessen geräumigem Hof sie wohnen, Bede, so Joseb von Miltenberg, die reiche Zorline mit ihren Verwandten und noch andere 5).

Im Laufe der Jahre, als die Verhältnisse für die Juden sicherer geworden waren, siedelten sie sich auch wieder auf städtischem Grund und Boden an, bauten daselbst Häuser und zahlten selbstverständlich, wie die christlichen Hausbesitzer, den Zins dafür. Sie hatten dann auch das Recht, mit Bewilligung des Rates, der das Obereigentumsrecht behielt, die Häuser zu verkaufen, wie Isaak, der Sohn Kaimans, 1393 sein Haus Brückenau mit Hof, Garten und allem Zubehör für 550 Gulden an Konrad von Glauburg den Älteren und seine Frau Grede von Marburg verkauft. Der Rat bestätigte den Kaufbrief 6).

Ebenso lernen wir in den Bedebüchern einzelne Juden als echte Hausbesitzer kennen, so den Iselin von Fulda 7), Seligmann 8), Ber 9), Joseb von Lechnitz 10) und vielleicht noch andere 11).

1) Saalgasse 5 (Urkundenbuch S. 291.

2) So wohnt Joseph von Kassel im Hause des Herrn Ortwin an der Ecke, Ysaak von Worms in dem des Bierbrauers Heinz, der Schulklopfer ist Mieter bei Klaus Noyde (Urkundenbuch S. 293), die Jüdin Kele Mieterin bei Johann Hering usw., usw. (siehe Urkundenbuch S. 294—296).

3) Selmelin zahlt im Jahre 1378 an Bede 1 Heller für die Nonnen daselbst (Urkundenbuch S. 292).

4) Selmelin zahlt 1378 für die Nonnen zu der pharre 15 alde h. (1. c); 1390 zahlt Mans für dieselben 5 Engelsche (Bedebuch 59b), 1391 zahlt Gottschalk 31 ... 5 h für paffen gulde (Bedebuch 17 b); 1392 gibt Liebermann gleichfalls für paffen gulde 15 ... (Bedebuch, fol. 2b) usw.

5) Siehe Bedebuch, 1391 im Urkundenbuch S. 296, 1392 im Urkundenbuch S. 296.

6) Urkundenbuch Nr. 439, S. 203, cf. S. 204, Nr. 440.

7) 1385 zahlt Seligmann von Lenich von Iselins Hause 5 1/2 Gulden und 12 alte Heller; Seligman wohnte also als Mieter bei diesem (Urkundenbuch S. 293).

8) 1390 verbedet Seligman 2 Gulden 40 heller „von sime huse“ (Urkundenbuch S. 295).

9) 1391 zahlt Senderlin von dem Hause, das Bern ist, 18 Gulden 3 Hell.; dieser hatte es also an Senderlin vermietet.

10) 1396. Das Haus des Joseph von Lechenitz gibt an Zins 2 Gulden 40 Heller.

11) Die Ansicht Bothes in seinem Werke: Die Entwicklung der direkten Besteuerung in der Reichstadt Frankfurt usw., S. 74: „In XIVten Jahrhundert sind sie (sc. die Juden) zeitweise ganz ohne Steuer geblieben. Die Stättigkeit galt als ihr Bede“ (siehe auch Anmerkung 4 1. c), scheint mir nicht ganz zuzutreffen.


Wenn wir zusammenfassen, was unsere Quellen über die Lage und den Umfang des damaligen Judenquartiers aussagen — es ist erheblich mehr, als für den ersten Zeitabschnitt — so kommen wir zu folgendem Ergebnis:

Wie früher, waren auch jetzt die Juden gesetzlich nicht auf einen bestimmten Teil der Stadt beschränkt; sie durften überall wohnen, wenn sie auch aus leicht begreiflichen Gründen gern nahe bei einander saßen und die Gegend am Main bevorzugten. Bis in die achtziger Jahre des XIV. Jahrhunderts saßen die Juden besonders in der östlichen Saalgasse, ferner um den Lower (Löher)hof, später in ihm selbst und unweit des Komp(Färber)hauses, sodann im südöstlichen Teil der Fahrgasse. So lag das Haus „gegenüber Neu-Falkenstein“, das ebenfalls ausdrücklich als Judenhaus aufgezählt wird, Ecke Fahr- und Predigergasse; ferner wohnten Juden gegenüber dem Hause Stolzenberg 1), dann im Roseneck und im Rosenbusch, also in Häusern, die ihre alten Namen bis heute bewahrt haben. Aber in den beiden letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts rücken sie immer weiter nach Osten ; sie beziehen, wie ich bereits früher erwähnte, den dem Domkapitel gehörenden Fronhof und den Arnsburger Hof. Beide Höfe waren wohl deshalb von den Juden gesucht, weil sie gewissermaßen kleine Festungen in der Stadt bildeten; durch Tore von ihr abgesperrt, boten sie in stürmischen Zeiten besseren Schutz. Auffallend viele Juden siedeln sich im Beginn der neunziger Jahre im Fischerfeld an, 1391 nicht weniger als sieben, von denen aber nur zwei den Hauszins entrichten 1).

Einige Juden wohnten aber ganz entlegen. So erfahren wir von einem Seligmann, der in der Neustadt 2), und von einem Mose, der in der Niederstadt 3) am Goldnen Turm saß.

Etwas näher zu seinen übrigen Glaubensgenossen wohnte Simon von Seligenstadt. Das Insatzbuch des Jahres 1361 4) bemerkt von ihm, dass er zu Steinen-Wonnenberg gesessen sei, also in der Schnurgasse 43 (Ecke Kruggasse) 5). Auch Lersner 6) und Battonn geben einige Angaben über Judenhäuser, die ich der Vollständig

1) Bedebuch 1391, fol. 65b bis 66a; Bedebuch 1392, fol. 60b und 61a. Leider sind die Listen für 1396—1399 unvollständig geführt, die für die Oberstadt 1400 fehlt ganz (siehe Urkundenbuch S. 296 ff.).

2) Die Altstadt (antiquum oppidum) — also die Stadt bis zur zweiten Stadterweiterung 1333 — zerfiel in den oberen und den unteren Teil. Der Straßenzug von der Liebfrauenkirche über dem Römer bis zum Fahrtor bildete die Scheidungslinie. Auch die Neustadt zerfiel in 2 Teile, die durch die Straßen von der Eschersheimer bis zur Kathrinenpforte von einander getrennt waren. Battonn I, S. 130.

3) Bedebuch Niederstadt 1392, fol. 12b (Urkundenbuch S. 297). Der genannte Turm findet sich auf dem Belagerungsplan von 1552 hinter der Weißadlergasse, zwischen dem großen und dem kleinen Hirschgraben (Battonn I, S. 86).

4) Urkundenbuch Nr. 183, S. 75.

5) Siehe Battonn III, S. 40.

6) Chronik II, 3, 8, 28.


keit wegen anführen will. So berichtet jener, dass Fifelin von Diepurg (Dieburg) 1375 im Hause zur Glocke, also auf der östlichen Seite der Fahrgasse 1) gewohnt habe. Battonn zählt außerdem noch als Judenhäuser auf: das Haus „Zum Segen Jakobs“, das Eck an der Arnsburggasse 2), das Haus zum Wolf, nach seinem Besitzer, dem Juden Wolf, genannt 3), die Stadt Worms, früher zum Riesen, neben dem Brückhof 4). All diese Häuser standen also auf der östlichen Seite der Fahrgasse, doch ist es zweifelhaft, ob sie schon in unserem Zeitraum von Juden bewohnt waren.

***

Über das Äußere und das Innere der Judenhäuser haben wir weder Nachrichten, noch sind uns irgendwelche Reste, Möbel, Hausgeräte usw. erhalten, abgesehen von einigen Haushaltungsgegenständen, die sich bei den Ausgrabungen von 1896 in dem Brandschutt einiger, vielleicht den Juden einst gehörender Häuser gefunden haben 5). Wir haben wohl anzunehmen, dass sich ihre Häuser und Hauseinrichtungen von den christlichen kaum unterschieden. Im XIV. Jahrhundert aber glich das Frankfurter Bürgerhaus äußerlich in den wesentlichsten Stücken den Bauernhäusern der Umgegend. Es war demnach ein Fachwerkbau, „bei dem die Kopfbänder und die schrägen Streben im Vergleich zu anderen Gegenden nur in verhältnismäßig beschränktem Maße verwandt werden, und dessen Charakter dadurch wesentlich bedingt wird, dass die Ecksäulen deutlich betont und vielfach auch dekorativ ausgestaltet sind, und dass die Gefache unter den Fensterbänken durch einfach oder oft auch durch paarweise gekreuzte Diagonalbalken überspannt sind und so die Reihen unter den Fenstern durch ein reiches Zickzackmuster von braunen Holzbalken ausgefüllt sind“ 6). Die leeren Gefache zwischen den Säulen wurden durch Spränkelwerk 7) ausgefüllt. Ganze Fachwerkgeschosse hatten wohl die noch heute übliche Verschieferung. Die Dächer waren noch mit Stroh oder Schindeln gedeckt, einige vielleicht schon mit Schiefer.

Die Häuser waren unterkellert, der Kellerboden bestand, wie Thomas bei den Häusern der nördlichsten Gasse feststellte, aus Mörtelestrich.

1) Fahrgasse 12; siehe Battonn II, S. 53.

2) L. c. S.48, von dem er bemerkt: „so 1356 ein Judenhaus war“. Woher er dies hat, weiß ich nicht.

3) Fahrgasse 16.

4) Nach Battonn II, S. 53, Fahrgasse 10.

5) Siehe politische Geschichte der Juden, S. 42, Anm.

6) Siehe Prof. Dr. Lauffer, Der volkstümliche Wohnbau im alten Frankfurt a. M., in Archiv für Frankfurter Geschichte und Kunst. 3. Folge, Band X, S. 244.

7) Ein aus Staken und herumgebogenen Hölzern bestehendes Geflecht, das von innen und außen verputzt wird. Lauffer, 1. c.

8) Lauffer 1. c., S. 262.


Der Grundriss war dadurch, mitbestimmt, dass die Häuser ihre Giebelseite der Straße zuwandten.

An Steinbauten fehlte es nicht ganz in der Stadt, auch im Judenquartier werden zwei erwähnt, eins in der östlichen Fahrgasse bei der Arnsburger Gasse 1), ferner das des Joselin von Würzburg 2).

1) Battonn II, S. 48, domus lapidea judeorum.

2) Siehe darüber Kriegk 1. c, S. 445, und S. 555, Anm. 248.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus der inneren Geschichte der Juden Frankfurts