Dritte Fortsetzung
Ein Glück für die drei Provinzen war es, dass sie bei ihren inneren und vielfach selbst verschuldeten Missständen von nun an eine Reihe von Jahren die Segnungen einer energischen und humanen Verwaltung in erhöhtem Maße genossen. Nach dem Regiment des Generalgouverneurs Golowin, das durch skrupulöse Strenge in einseitigem Verfolgen vorgefasster Meinungen zuweilen den Schein der Willkür auf sich lud und in mancher Beziehung an den Generalgouverneur Brown unter Kaiserin Katharina II. erinnerte, folgte das aufgeklarte Regiment eines Mannes, dessen Name noch jetzt, nachdem er zu einer andern Stellung berufen, den guten Klang eines Freundes der Provinzen, eines gerechten Richters, eines Helfers der Bedrückten hat. Wir meinen die vierzehnjährige Verwaltungsepoche des Generalgouverneurs Fürsten Suworow.
Nachdem gleich eine seiner ersten Handlungen gewesen war, der mit mannichfachen Lasten überbürdeten Stadt Riga einige Erleichterungen zu verschaffen, zeigte sich bald in allen Branchen der Verwaltung eine gesteigerte, aufmerksame Tätigkeit. Aus der fortlaufenden Kette von Bemühungen zur materiellen Hebung der Provinzen, erwähnen wir hier nur den unter ihm begonnenen Hafenbau in Riga, sowie die durch seine Vermittlung beschleunigte Konzession zum Bau der Riga-Dünaburger Eisenbahn. Bedeutsamer noch wurde, dass er es überhaupt verstand, durch strengen Gerechtigkeitssinn, durch stetige Wahrung der höheren geistigen Interessen der Provinzen, das in mancher Beziehung erschütterte Vertrauen wiederzugewinnen, so dass er, als er nach St. Petersburg berufen wurde, sich hätte rühmen dürfen, seinem Kaiser einen der wichtigsten und intelligentesten Landstriche des Reiches moralisch wieder erobert zu haben.
Den orientalischen Krieg, der bekanntlich auch eine Blockade der Ostseehäfen zur Folge hatte, übergehen wir hier als in die innere Entwicklung der Provinzen weniger eingreifend. Wichtig wurde aber die im Frühjahre 1855 erfolgte Thronbesteigung des jetzigen Monarchen. Während bisher vorwiegend nur eine Adelsfraktion auf die Regierung als ihren sichern Stützpunkt zurückblicken durfte, da sie ja allerdings zur Zeit Kaiser Nikolaus', „des großen Bekämpfers der Revolution und des unruhigen Bürgerstandes", wie sie ihn nannte, mehr Privilegien erhalten hatte, als unter irgend einer früheren Regierung, wandten sich jetzt die Augen aller Bevölkerungsschichten teilnehmend auf die Taten des jugendlichen Herrschers. Und die freudigen Erwartungen wurden nicht getäuscht: das Werk der Bauernemanzipation, die Purifikation des Beamtenstandes, die Reform der Rechtspflege, die Abschaffung der Branntweinpacht, die außerordentliche Tätigkeit in den Departements aller Ministerien waren Handlungen, deren Wert man zu schätzen wusste, und Vorboten einer glücklicheren Zukunft. Dezentralisation, Selbstverwaltung, Volksbildung, Entwicklung der materiellen Kräfte des Landes waren die Schlagworte geworden, welche ringsher von der ganzen russischen Presse, die mancher Fessel entledigt worden war, in allen Variationen hinübertönten. Der Wiederhall, den diese Stimmen in den Ostseeprovinzen fanden, war gewaltig.
Die Forderungen, welche mehr oder weniger ausgebildet, bereits in allen wachenden Geistern lagen, traten mit neuer Lebendigkeit hervor; was dort der erleuchtete Wille eines Einzelnen angebahnt, dazu fühlte man Kraft auf dem Wege innerer Entwicklung selbsttätig fortzuschreiten. Zudem war eine Fortexistenz in der bisherigen Weise ohnehin undenkbar.
Es ist offenbar die empfindlichste Kränkung für jeden strebenden Geist, wenn er innerhalb der staatlichen Gemeinschaft an eine gewisse Grenze gelangt, sich selber sagen muss: hier hört deine Laufbahn auf; nicht etwa, weil deine Fähigkeiten dir eine natürliche Schranke setzen, sondern — weil deine Geburt schon dich aus dem Kreise der Vollberechtigten scheidet. Wirke so viel du magst; die höchste Staffel einer weitgreifenden Tätigkeit innerhalb der Gesellschaftskreise zu erreichen, denen du angehörst, ist für dich, ja auch für deine Nachkommen unmöglich. Im glücklichsten Falle magst du dir Duldung in den höheren Kreisen schaffen, Gleichberechtigung nie. Warum das? fragt der zweifelnde Verstand, der nur zu leicht eingeschüchtert, sich selbst alle Schuld beizumessen geneigt ist. Mag mir in eigner Sache zu richten nicht geziemen, so sehe ich doch Andere die Erhebung verdienen. Von allen Seiten des Reiches tönen die Stimmen, welche die Vernichtung von Geburtsvorrechten und den Sieg des Naturrechts verkündigen, und wir sollten hier feiern, die Söhne eines Kulturvolkes im eminenten Sinne des Wortes? — Und doch weiß bis jetzt die traurige Weisheit unserer Weisen darauf keine andere Antwort als: verlasse deine Heimat, wenn dein Sinn sich nicht in ihre Ordnungen fügen will, es sind dies die gottgesetzten Schranken gegenüber eigenwilligen, ehrgeizigen Gelüsten. — Natürlich repliziert der Verstand dagegen, jene Schranken seien von ihm sehr wohlbekannten Menschen gesetzt, und älter als erschlichene Privilegien sei der Satz, dass Gerechtigkeit ein Volk erhöhe.
Nachdem gleich eine seiner ersten Handlungen gewesen war, der mit mannichfachen Lasten überbürdeten Stadt Riga einige Erleichterungen zu verschaffen, zeigte sich bald in allen Branchen der Verwaltung eine gesteigerte, aufmerksame Tätigkeit. Aus der fortlaufenden Kette von Bemühungen zur materiellen Hebung der Provinzen, erwähnen wir hier nur den unter ihm begonnenen Hafenbau in Riga, sowie die durch seine Vermittlung beschleunigte Konzession zum Bau der Riga-Dünaburger Eisenbahn. Bedeutsamer noch wurde, dass er es überhaupt verstand, durch strengen Gerechtigkeitssinn, durch stetige Wahrung der höheren geistigen Interessen der Provinzen, das in mancher Beziehung erschütterte Vertrauen wiederzugewinnen, so dass er, als er nach St. Petersburg berufen wurde, sich hätte rühmen dürfen, seinem Kaiser einen der wichtigsten und intelligentesten Landstriche des Reiches moralisch wieder erobert zu haben.
Den orientalischen Krieg, der bekanntlich auch eine Blockade der Ostseehäfen zur Folge hatte, übergehen wir hier als in die innere Entwicklung der Provinzen weniger eingreifend. Wichtig wurde aber die im Frühjahre 1855 erfolgte Thronbesteigung des jetzigen Monarchen. Während bisher vorwiegend nur eine Adelsfraktion auf die Regierung als ihren sichern Stützpunkt zurückblicken durfte, da sie ja allerdings zur Zeit Kaiser Nikolaus', „des großen Bekämpfers der Revolution und des unruhigen Bürgerstandes", wie sie ihn nannte, mehr Privilegien erhalten hatte, als unter irgend einer früheren Regierung, wandten sich jetzt die Augen aller Bevölkerungsschichten teilnehmend auf die Taten des jugendlichen Herrschers. Und die freudigen Erwartungen wurden nicht getäuscht: das Werk der Bauernemanzipation, die Purifikation des Beamtenstandes, die Reform der Rechtspflege, die Abschaffung der Branntweinpacht, die außerordentliche Tätigkeit in den Departements aller Ministerien waren Handlungen, deren Wert man zu schätzen wusste, und Vorboten einer glücklicheren Zukunft. Dezentralisation, Selbstverwaltung, Volksbildung, Entwicklung der materiellen Kräfte des Landes waren die Schlagworte geworden, welche ringsher von der ganzen russischen Presse, die mancher Fessel entledigt worden war, in allen Variationen hinübertönten. Der Wiederhall, den diese Stimmen in den Ostseeprovinzen fanden, war gewaltig.
Die Forderungen, welche mehr oder weniger ausgebildet, bereits in allen wachenden Geistern lagen, traten mit neuer Lebendigkeit hervor; was dort der erleuchtete Wille eines Einzelnen angebahnt, dazu fühlte man Kraft auf dem Wege innerer Entwicklung selbsttätig fortzuschreiten. Zudem war eine Fortexistenz in der bisherigen Weise ohnehin undenkbar.
Es ist offenbar die empfindlichste Kränkung für jeden strebenden Geist, wenn er innerhalb der staatlichen Gemeinschaft an eine gewisse Grenze gelangt, sich selber sagen muss: hier hört deine Laufbahn auf; nicht etwa, weil deine Fähigkeiten dir eine natürliche Schranke setzen, sondern — weil deine Geburt schon dich aus dem Kreise der Vollberechtigten scheidet. Wirke so viel du magst; die höchste Staffel einer weitgreifenden Tätigkeit innerhalb der Gesellschaftskreise zu erreichen, denen du angehörst, ist für dich, ja auch für deine Nachkommen unmöglich. Im glücklichsten Falle magst du dir Duldung in den höheren Kreisen schaffen, Gleichberechtigung nie. Warum das? fragt der zweifelnde Verstand, der nur zu leicht eingeschüchtert, sich selbst alle Schuld beizumessen geneigt ist. Mag mir in eigner Sache zu richten nicht geziemen, so sehe ich doch Andere die Erhebung verdienen. Von allen Seiten des Reiches tönen die Stimmen, welche die Vernichtung von Geburtsvorrechten und den Sieg des Naturrechts verkündigen, und wir sollten hier feiern, die Söhne eines Kulturvolkes im eminenten Sinne des Wortes? — Und doch weiß bis jetzt die traurige Weisheit unserer Weisen darauf keine andere Antwort als: verlasse deine Heimat, wenn dein Sinn sich nicht in ihre Ordnungen fügen will, es sind dies die gottgesetzten Schranken gegenüber eigenwilligen, ehrgeizigen Gelüsten. — Natürlich repliziert der Verstand dagegen, jene Schranken seien von ihm sehr wohlbekannten Menschen gesetzt, und älter als erschlichene Privilegien sei der Satz, dass Gerechtigkeit ein Volk erhöhe.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus der Vergangenheit und Gegenwart der Ostsee Provinzen Russlands.
045 G. Lunders, Kartenspieler
046 Qu. van Brekelenkam, Die kranke Frau
047 L. de Jonge, Familienzene
048 Jan Porcellis, Marina
049 Karl Spitzweg, Der alte Kommandant
050 A. Feuerbach, Die Kreuzabnahme
051 F. Krüger, Der Reitknecht
052 Ludwig Richter, Tiberufer bei Aqua Acetosa
054 Anton Graff, Porträt seines Töchterchens
055 Jakob Asmuß Karstens, Allegorie auf Lessing
Riga, Stadtsiegel seit 1349
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