Im März 1868

Lieber Leser, so Du meinen ersten Bericht aus der Rostocker Heide bis zu Ende freundlichst durchgelesen, wirst Du meines Versprechens Dich erinnern, Dir ein Begleiter durch diesen herrlichen Wald in seiner winterlichen Schönheit zu sein. Zwar der Winter ist Gottlob! wie es scheint, vorbei, und wenn er fliehend auch noch bisweilen Schneeschauer sendet, dass eine Weile die Erde wieder ein winterlich Kleid anlegen muss, es gilt auch hier

doch die Sonne duldet kein Wasser.


Aber versetze Dich ein paar Wochen in der Zeit zurück, wo noch das Eis Flur und See bedeckte und der Schnee über die Erde sich breitete. Bist Du bei einem solchen Wintertage in Deiner Erinnerung angelangt, dann fahr in Deinen Paletot, zieh' wo möglich Wasserdichte an die Füße und folge mir zu einem Spaziergang zunächst für dies Mal in das Hinrichshäger Revier des Jägers Granckow, wo auch das Auge des Laien selbst deutlich erkennt, wie hier ein Beamter die Aufsicht führt, der das Große wie das Kleine mit gleicher Sorgfalt und Pünktlichkeit beachtet und wartet.

Wir gehen den Dorf-Kirchsteig entlang bei dem großen Samenhause vorbei und biegen links in einen neu angelegten Weg ein, den eine Tafel allem Fuhrwerk verbietet und am andern Ende, beim Beginn des Waldes, ein Schlagbaum unerbittlich versperrt. Zwei mächtige Eichen stehen wie riesenhafte Wächter am Eingänge der Hufen-Koppel, wie dieser Teil der Heide heißt, den wir zunächst betreten. Das Laub fehlt, aber gerade jetzt kannst Du die ganze Wucht und Gewalt der mächtigen Stämme und Äste so recht sehen und bewundern. Zeigt der Sommer Dir den Baum mehr in seiner Lieblichkeit und Pracht, so lässt ihn der Winter mehr in seiner Macht und Stärke erscheinen. Und ist auch nun von den wuchtigen Zweigen die schmückende Hülle der Blätter gefallen, die den Baum wie einen Helden im Festschmuck erscheinen ließen, ein neuer Schmuck ist ihm angetan: um den Stamm und alle Äste und Ästchen hat der Reif sich gelegt und glitzert und glänzt nun im Strahl der Sonne, die vom blauen Winterhimmel hernieder blickt, dass der Baum jetzt einem gewaltigen Recken in seiner Kampfesrüstung gleicht. Vor uns breitet sich ein Weg, schnurgrade sich in der Ferne verlierend, zu dessen beiden Seilen mächtige Stämme in solchem glänzenden Schmucke stehen, dass, lässt Du den Blick vorwärts schweifen, es scheint, als tue eine gewaltige Marmorhalle vor Dir sich auf, riesiger und gewaltiger als je ein Baumeister, auch selbst der ägyptischen Despoten, sie errichtet, denn hier ist der rechte Baumeister gewesen, der Herr ist sein Name. Aber wir wählen einen anderen Weg zunächst am Rande des Waldes. Da schweift der Blick hin über die weite schneebedeckte Fläche, deren schimmernder Glanz fast das Auge blendet. Im Vordergrund liegt Niederhagen, in dessen Fenstern die Sonne sich spiegelt, weiter hin Mönchhagen mit seiner stattlichen Windmühle und seinem Taxusbaum, vielleicht dem mächtigsten in Mecklenburg, dann hinter der Hinrichsdorfer Forst hervorragend die Türme der großen Stadt Rostock. Hast Du die Landschaft überschaut, so schreiten wir weiter.

Der Steig, den wir gewählt haben, führt uns einige Minuten durch eine Koppel junger Eichen mit prächtig graden Stämmen, dann stehen wir plötzlich vor Hinrichshagen, das seinen Namen daher haben soll, dass die vier Hausväter des ersten dort erbauten Kathens Hinrich hießen. An den Wohnungen von Sandhagen geht's vorbei, wo manch' neugieriger Blick und freundlicher Gruß auf freundlichen Gruß Dir nachgesendet wird, hinein in die fast eine halbe Stunde lange gerade Markgrafenheider Schnese oder Schlees, wie hier die Leute sagen. Zuerst stehen Tannen zu beiden Seiten, jeder Ast, jedes Zweiglein mit glitzerndem Reif bedeckt, so dass sie riesigen reich geschmückten Christbäumen gleichen. Dann folgt zur Linken ein Pflanzgarten für Nadelhölzer, wo ein Forstmann und Botaniker Dir die verschiedensten Gattungen zeigen könnte, und rechts stehen einzelne Buchen, im Hintergründe von Tannen begrenzt. Als man die großen Steine, die früher hier lagen, vom Neubau des abgebrannten Förstergehöftes zu Hinrichshagen hob, fand man hier zahlreiche Urnenscherben. Leider hat sich davon nichts erhallen, und auf vielfaches Nachforschen, ob gar keine Gerätschaften angetroffen, erfuhr ich nur von dem Jäger Granckow zu Hinrichshagen, dass er in einer zerbrochenen Urne eine kleine Kapsel von Eisen, ähnlich einem Brillenfutteral, gefunden, aus der beim Zerbrechen oxydiertes Wasser geflossen. Kann ich hier Dir zur Befriedigung Deines Fragens nichts bieten, freundlicher Begleiter, so kann ich Dir, folgst Du mir über die Steinheide in den dahinterliegenden Tannenkamp, ein Gedächtniszeichen, wenn auch nicht aus dem grauen Altertume, zeigen. Mitten in den Tannen an einem schmalen Steige steht ein bemoostes Kreuz, einfach aus eichenen Balken gezimmert, darauf die Worte eingeschnitten: Jäger Brandt, gestorben 1669, renov. 1823. Von diesem Kreuze erzählt die Sage Folgendes:

Brandt war Jäger zu Markgrafenheide. Er bemerkte einen gewaltigen Keiler in seinem Revier, und als er eines Sonntags Morgens auf dem Wege zum Gotteshause, wo er zu kommunizieren gedachte, seiner gewahr ward, drohte er ihm, am Nachmittage ihn zu treffen, dass ihm das Eingeweide aus dem Leibe hängen solle. Einige erzählen sogar, dass er nur deshalb zum heiligen Abendmahl? gegangen, um sich eine Oblate zu verschaffen und dadurch seine Flinte sicher treffend zu machen. Denn ein bekannter Aberglaube ist es, dass, wer die Hostie des Abendmahls wieder aus dem Munde nimmt und dann ins Gewehr mit ladet, Alles sicher trifft, worauf er zielt. Aber Brandt erlegte den Keiler nicht, vielmehr ward er mit aufgeschlitztem Bauche an der Stelle, wo das Kreuz steht, entseelt angetroffen. Dasselbe, nachdem ein früheres schon vergangen, ist von dem früheren Forstinspektor Becker errichtet, nachdem er durch genaue Nachforschungen die Inschrift des älteren erkundet. Weiter schreiten wir die Schnese hinunter bald durch mächtige Buchenstämme, die wieder wie Marmorsäulen im Winterschmuck erscheinen, bald grünen Tannen mit der glitzernden Schneebürde zur Seite. Durch die entlaubten Stämme und das blattlose Unterholz nicht gehemmt, schweift nun der Blick weit hinein in die Buchenhorst und erblickt die Bewohner des Waldes, die im Sommer eben der Blattschmuck dem Blick mehr oder weniger verbirgt. Dort äsen 6 bis 8 Rehe, diese lieblichen Tiere, deren Blick den freundlich milden Ausdruck nicht verliert, wenn die unbarmherzige Kugel des Jägers sie getroffen. Mit ihren zierlichen Füßen haben sie den Schnee hinweggescharrt und sind nun eifrig bemüht, das spärliche Heidekraut abzunagen. Doch ein unsicherer Tritt, ein knackender Zweig verrät ihnen unsere Nähe, und mit mächtigen Sätzen, doch eine Zeit noch dem Auge sichtbar, enteilen sie in das Tannendickicht. Nachdem wir ans Ende der Schnese gelangt, liegt Markgrafenheide vor uns, dessen Namen die Sage davon herleiten will, dass früher dort ein Markgraf gewohnt habe. Jetzt ist hier eine Baumwärterstelle, deren Inhaber das dortige Holzlager und das auf dem Moorhofe unter Aufsicht hat, und zwei Kossaten. Nach links lasse den Blick schweifen über die Wasserfläche der Radel, die, übergetreten, auch die anliegenden Wiesen in einen gewaltigen See verwandelt, den nun eine blanke Eisdecke fesselt. Auf der einen Seite begrenzt diese Fläche Buchen-Wald in seinem blinkenden Schmuck, auf der anderen hat der Blick einen Ruhepunkt erst an den Hügeln am Westufer der Warnow. Geradezu schränken Tannen die Aussicht ein, doch hinter ihnen verrät ein dumpfes Brausen die Nähe des Meeres. Wir wenden uns noch rechts auf hohem Damm, längs eines schiffbaren Kanales hinschreitend, durch die Kossatenkoppel. Niedrige knorrige Eichen, deren wunderlich geformte Äste erst jetzt das Auge recht bemerkt, sind hier in großer Menge, unter ihnen, bald sich in die Breite dehnend, bald spitz nach oben emporgeschossen, Wachholder mit seinen dunklen, jetzt reifgeschmückten Nadeln. Ein herrlicher Platz, schön im Sommer, so recht geschaffen eine Ruhestatt für ein markgräfliches Gefolge nach beendeter Jagd zu sein, wie treffend mein hochverehrter Freund, der Schilderer der sommerlichen Heide, zu mir bemerkte, — ein herrlicher Platz, schön auch im winterlichen Schmuck. Aber schon hier gewahrst Du bald mehr und mehr die Verwüstungen, welche die See bei ihrem wiederholten Durchbrechen der Düne verursacht. Mächtige Eisschollen bedecken den Boden, große Stücke Torf, losgerissenes Pfahlwerk, Heuhaufen, die bei der nassen Witterung des vorigen Herbstes nicht eingefahren werden konnten. Immer schlimmer werden die Spuren der Verheerung, je mehr mir uns den Wiesen nähern und, wieder rechts nach Süden uns wendend, in die sogen. Kuhschnese einbiegen. Hier müssen wir auf dem Eise wandeln; knack bricht es, aber nur festgehalten und rüstig empor gearbeitet aus dem Loch! Glücklicher Weise sind wir nicht nass geworden, da das Wasser drunten schon wieder verlaufen. Hier bilden gewaltige Schollen, aufeinander gestapelt, einen Wall, dort liegen andere auf den Pfählen, welche die einzelnen Wiesenkaveln zu scheiden bestimmt sind, mit der einen Kante hoch auf, mit der anderen am Boden. Gesträuche, Rohr, Heu, Pfähle sind zu einem unauflöslichen Knäuel verworren dazwischen. Durch die durchbrochene Düne war das Meerwasser über die Wiesen geströmt, ohne durch den Kanal Abfluss finden zu können, in den vielmehr aus dem Breitling durch die Radel neue Fluten andrängten. Als diese nachließen und das Wasser im Breitling sank, stürzten sich die Finten in den Kanal, alles nach dieser Seite mit fortreißend.

Nach und nach hört die Szene der Verwüstung auf, wir schreiten wieder auf festem Boden. Da, horch! es knattert und rasselt, dann folgt ein dumpfer Knall. Unwillkürlich fallen Dir die Worte des Dichters ein:

Zischend fliegt in den Baum die Axt, es erseufzt die Dryade —

denn hier sind die Holzfäller, die eine Buchenhorst abräumen. Tick, Tack tönen die Äxte, von kräftigen Händen geschwungen, die einen mächtigen Baum anhauen. Jetzt sinkt er: prasselnd und rasselnd schlagen die Zweige und Äste an den des andern, der noch hoch in die Luft ragt, dann dröhnt der Boden von dem wuchtigen Fall. Da sind andere Männer geschäftig, den mächtigen Stamm mit zahniger Säge zu zerschneiden in die 4 Fuß langen Stücke; hier spalten andere die schon zerschnittenen mit Keil und Axt, während andere wieder die Kloben und das Buschwerk aufstapeln.

Reges buntes Leben herrscht unter der Schar kräftiger, frischer Gestalten. Doch nun ist die Essenszeit gekommen. Schon hat ein großer stattlicher Mann, dem man noch den früheren Soldaten anmerkt, ein lustiges Feuer angezündet; die Schlitten, auf denen Abends über die Schneedecke die erlaubte Karre Leseholz heimgeholt wird, werden herangezogen, um als Sitz zu dienen. Ein Jeder holt seine Stiege herbei. Zuerst wird ein Stettiner Topf hervorgenommen: Suppe oder Kartoffeln und Backobst darin, im Hause zuvor gekocht, wird jetzt sorglich ans Feuer zum Aufwärmen gestellt; dann folgt ein gutes Stück kräftiges Schwarzbrot und ein tüchtiges Stück Speck, auch wohl ein Ende Wurst, etwas Schmalz oder Butter. Du siehst die leckere Kost mit verlangenden Blicken an, denn der tüchtige Marsch hat Dich hungrig gemacht. Das merken auch bald unsere Freunde, und einer räumt uns schnell den besten Platz am Feuer ein. Jeder sucht dem anderen zuvorzukommen, uns etwas von seinem Vorrat anzubieten. Greife ja tapfer zu, Du würdest durch Weigern den freundlichen Sinn der herzlichen Geber nur kränken. Wir setzen uns in den Kreis, nehmen auch ein Stück Speck und Brot, und das Mahl beginnt. Dabei wird über Alles und Neues, Nahes und Fernes, Freude und Leid geredet. Geklagt wird über die hohen Preise. 2 Thlr. 28 ßl. nimmt der Müller für den Scheffel Mehl, und jede Woche muss ein Scheffel da sein; wie kann man da durchkommen, wenn nur 12 ßl. höchstens den Tag verdient werden. „Ja, wenn wie noch man so vel verdeenten, as de Möller kreg. Unn dorto sall allens noch dürer werden, dörch den Preußen sin nieh' Anornierung. Unn uns Kinner möten ock all Soldat warren. Unn wenn se man bloß nich unner de Riders kamen. O Krögersch ehr Jung segt, dal sall dor gor to swer sin. Woto tehn wie se so meuhvoll up, as bat se sick för Bismarcken dod scheten laten. Dat wart ümmer slimmer, un mit dat Wählen, dat wie weck na Berlin schicken, dor kümmt ock nicks bi ruht. Un dat sünt ock man son Läuschen west, as se uns seggt hebben, wie süllen Poggen wählen unn Baßwitzen nich, wiel Baßwitz uppn Landag wullt har, twei Katenlür süllen man en Koh hebben; äwer Pogge har wullt, nu grar süllen se twe hebben. Wat unns poor woll in Berlin willen, dat kümmt doch all so als Bismarck dat will — oder as de lew Gott dat will, de het doch ümme noch dat letzt Wurt to reden. — Ja de ollen Tiden wiren ümmer noch beter. Süh as ick noch unner de Soldaten stünn, wat lehr uns de blag Rock mit den roden Kragen nich got, nu äwer mit de grau Busseruhn sehns ut as de Denstlühr. Dunn stünn ick in Schwerin mal vörn Arsenal Posten, un en vörnehm Dam de nickt mi so recht fründlich to, unn ick harr ehr gor nich kennt, wenn nich n' ollen Buer mit n' Kohr mie seggt har: Wat Schildwach, kennst Du den Großherzog sin Mutter nich? Dunn reep ick äwer mal: Wache heraus! dat se man so rut störten ded'n. Dat was en fründliche Dam. — Aewer he, de Großherzog is eben so. Dor stünn ick ock mal Schildwach uppen Schlosshof in Schwerin, de is so groot, dat man dor mit Kutsch un Peer ümwenn kann, unn dat was son recht pralle Sünn, und dor stellt ick mie son beten achter dat Schillerhus, un süh, dunn kömmt he, uns Großherzog, un ick spring vör unn will noch präsentieren. Wiert ene von de Offziers west, de har mi schön anranzt, äwer he winkt mie so recht fründlich to, ick söllt nu man sin laten. Ja, dat is noch 'n Kirl!“ So geht es bunt durcheinander. Da wirft einer, ein Neuling, offenbar eine Speckschwarte ins Feuer, aber wehe ihm, „dat kost en halwe Buttel Brannwien!“ Schließe nicht, dass meine lieben Hinrichshäger Trinker sind, ich weiß keinen dort, der dem Laster des Trunkes ergeben. Nein, der Grund wird allen Gliedern des Tierschutzvereins Freude machen. Alle Speisereste müssen an der Stelle, wo die Mahlzeit gehalten, bleiben, damit die Vögel hernach ihre Mahlzeit halten können. Und die Kleinen wissen das auch schon, dass ihnen hier keiner etwas tut, dass vielmehr hier mitleidige Herzen mit ihrer Not im Winter, „wo de Tag so kort un de Nacht so lang un kolt is.“ Zutraulich umflattern sie die Plätze, wo die Holzarbeiter essen, und noch während des Mahles picken sie die ihnen reichlich hingeworfenen Brocken munter auf.

Doch die Essenszeit ist vorüber, der Hudenälteste oder Schulze mahnt zum Aufbruch, jeder geht mit seinem Maat neugestärkt ans Werk. Darum weiter auch wir, lieber Leser, einen freundlichen Gruß den freundlichen treuherzigen Menschen und der Fichten dunkler Schatten nehm' uns auf. Denn nun biegen wir in einen Weg, der sich durch dichte Tannenschonungen hindurch windet; doch bald erschrickst Du, freundlicher Begleiter, über ein plötzliches Grunzen vor Dir und das Knittern der dürren Äste; denn, aufgescheucht durch unser Nahen, trottet über eine offene Stelle eine Familie wilder Schweine dahin, der Herr Eber nebst Frau Gemahlin und zwei Frischlingen. Ganz dunkel ist der Herr Papa, der den Zug eröffnet, weiß und schwarz die Farbe der Frau Mama, die ihn beschließt. Man erklärt diese scheckigen wilden Schweine daraus, dass früher die zahmen der Dorfeinwohner in das Holz auf die Mast getrieben wurden und so Kreuzungen stattfanden.

Weiter schreiten wir dann über die sogen. Jacobshorst- Schnese durch den Jungfernbruch und stehen auf dem Moorhofe. Ein gewaltiges Holzlager ist hier aufgelegt, dessen Material besonders auf die Bedürfnisse der Warnemünder und die Anwohner des Breitlings berechnet ist, denen die Abfuhr durch den bis hierher geleiteten Kanal leicht gemacht ist. Ein kleiner Pavillon, der Tempel oder auch Cavijohn von den Leuten benannt, mit Eichenrinde bekleidet, bietet dem die An- und Abfuhr beaufsichtigenden Beamten ein Obdach, und bei Auktionen auch durch dann vorhandenen Spiritus durstigen Seelen einen Labetrunk. Nach der Sage soll hier früher ein Wohnsitz einer Seeräuberbande gewesen sein, die von hier mit ihren Schiffen durch den jetzt seit einigen Dezennien versandeten und versenkten Stinkgraben, dessen Lauf in den Wiesen sich noch verfolgen lässt, leicht in die Ostsee auslaufen konnten. Gewiss ist aus alten Akten, dass hier früher ein Hof bestanden, der aber schon 1663 wüste lag. Ein weiter Blick öffnet sich über die breite Wiesenfläche, in der wie Inseln bald hier bald da kleinere oder größere Tannenbestände liegen; die Aussicht hemmt nach vorne die Düne, aber bisweilen, wo eben vor Kurzem der Durchbruch erfolgt, blickt das Meer durch, das schon längst Dir seine Nähe durch dumpfes Rauschen verriet.

Ein reges Leben herrscht hier, denn Wagen auf Wagen kommen und bringen Holz für die nächste Auktion. Dort schleppen ein Schimmel, gewiss ein stattliches Tier, und ein Brauner eine mächtige Tanne heran, die der Wind schon vor Jahren entwurzelt hat, und die nun an den Mann gebracht werden soll. Da führen die Grahler Vollbüdner Stockholz heran, das Du vielleicht kaum des Fuhrgeldes wert hältst, und das sich doch die Warnemünder noch hoch genug auftreiben werden. Zwei hübsche Füchse, von denen der eine nur mit dem Hinterfuße etwas durchtritt, bringen Buchenholz. Ein paar stattliche Braune, prächtig gepflegt, die jeden fürstlichen Marstall zieren würden, führen Tannenkluftholz herbei. Bist Du nun müde geworden von dem langen Wege, so ist jetzt Gelegenheit, den Beinen eine gute Strecke des Heimwegs zu sparen; denn der junge Knecht, der so liebevoll seine Braunen mit dem Brote futtert, das er von seiner Mahlzeit sich abgespart, fährt unsere Straße und wird uns sicher gerne auf seinem Holzwagen, so weit er kann, mitnehmen, es wäre nicht das erste Mal, dass er diesen Liebesdienst meinen müden Beinen erweist. Sieh', von dem Futtersack und den Pferdedecken hat er auch schon einen Sitz, so gut es gehen will, für uns bereitet und ladet mit freundlichen Worten ein, auf seinen Wagen zu steigen. Langsam trottieren wir an dem sogen. Pagenpanz vorüber, einen Camp niedriger Tannen, hinter denen mächtige Bäume derselben Art emporragen; hier stand früher die größte Tanne der Heide, die Tulken- (Tulpen-) Tanne genannt, da ihre Äste tulpen- oder leierförmig sich teilten, aber der große Sturm vor vier Jahren um Weihnacht hat auch sie zu Boden gestürzt. Dann geht's durch Buchen hindurch! Plötzlich knackt es und kracht es neben uns. Dor! dor! ruft unser Freund und weist nach vorne; und siehe, fünf mächtige Hirsche setzen mit gewaltigen Sprüngen wenige Schritte vor uns über den Weg; ein prächtiger Anblick, die prächtigen Tiere frei in ihrem schönen weiten Reich! Mein Freund ist auch bemüht, über die Örtlichkeit und ihre Geschichte Dich zu unterrichten. Nun sind wir in Brörerecht. Zwei Brüder kamen aus der Stadt, der eine klapperte mit Nägeln in der Tasche und prahlte, es sei Geld, das er eingenommen. Der andere verlangt Teilung, die der erstere natürlich weigert. So kommt es zum Hadern und Rechten, und der Zweite erschlägt den Bruder, klagt sich dann aber selbst vor dem Gerichte an. Jetzt biegen wir in eine lange Schnese, an deren einem Ende die weißen Kathen von Hinrichshagen Dir entgegenscheinen, indes das andere Ende sich im Walde verliert. Während wir dem Dorfe zufahren, weist unser Freund zurück: dort wo der Weg sich krümmt, ist die Fullrie, da soll sich der erste Forstinspektor einst erschossen haben. Er hatte seinen Jungen das Gewehr mit einem Hedepfropfen geladen, als sie von dem Dach des benachbarten Bauern Krähen schießen wollten, und so das Gehöft in Brand gesteckt. Darüber kam es zum Prozess, und als er den verlor, verführte ihn der Teufel, dass er sich dort das Leben nahm. „Dorum hat he ock noch ken Rauh, und weck hebben em dor mal mit sin Flint stahn sehn.“ Dein Lächeln zeigt unserem Freunde, dass Du etwas ungläubig bei seiner Spuk-Geschichte bist. „Globen Se nich an Gespenster?“, fragt er und sieht Dich voll und fragend mit seinen großen blauen Augen an; „nah de Bibel äwer giewt et weck“. Du begehrst den Schrift-Beweis, und mein bibelkundiger Freund, der fromme Sohn einer frommen Mutter, ist auch nicht verlegen ihn zu liefern.[i] „As de Herr Christus sine Jünger up dat Meer erschient, hollen se em ock för en Gespenst; gew et kene Gespenster, denn har he se äwer sonne wichtige Sack Upklärung geben möst; un as he na sine Uperstahung se werre erschient. Hollen se em vörn Geist, un dunn seggt he nich, dat et ken Geister givt, he wiest se man blos, dat he ken Geist is, wiel he Flesch un Ben hett.“[i/i] — Doch unsere Wege scheiden sich, wir müssen unseren Sitz verlassen und unserem Freunde Hans Lebewohl sagen, der, ein Liedchen pfeifend, dem Hinrichshäger Jägerhofe mit seiner Lotte und Lischen zufährt.

Unser Weg dagegen führt uns durch den Dreiort, so genannt nach seiner dreieckigen Gestalt. Hohe Tannen an der einen, niedere an der anderen Seite des Weges. Hier wächst besonders noch Heide und das wissen auch die Rehe, — denn sieh! nun wieder ist eine Schar dort, aber schnell enteilen sie in das Dickicht, als ein knisternder Strauch ihnen unser Nahen verrät.

Jetzt treten wir in einen Bestand mächtiger Tannen; doch da glaubst Du gewiss wirklich in einen Urwald geraten zu sein mit seinen kletternden Affenscharen. Denn hoch in den Kronen dreht und bewegt es sich: plötzlich gleitet eine Gestalt an dem schlanken Stamme hernieder, da klettert eine andere geschwinde empor. Doch getrost, es sind nicht die Tiere, die Herr Darwin so gerne zu unseren Ahnen machen möchte, sondern Arbeiter sind es, die hier Tannenäpfel pflücken. Um an den schlanken Stämmen emporklettern zu können, haben sie große eiserne Sporen an den Füßen, deren nach innen gewendete Spitzen sie in den Baum schlagen und so empor klimmen. Eine mühselige Arbeit, die aber für den, dem der Schwindel sie erlaubt, noch den besten Verdienst in der Heide, 20 bis 28 ßl. pro Tag. je nachdem die Tannen viele Äpfel haben, abwirft.

Wir überschreiten eine Schnese, an deren einem Ende das Hinrichshäger Schloss recht vorteilhaft sich darstellt, und treten in jenen Weg, den hinab gleich am Anfange unserer Wanderung das Auge schweifte. Der Reif hat sich vor den Strahlen der Sonne gelöst, da sieht denn Dein Auge bedauernd, wie die Eichen all ihrer unteren Äste beraubt werden, und wie die Stellen, wo sie abgesägt, mit Kohlenteer bestrichen sind. Praktisch mag es sein, denn es soll so Bauholz von besserer Qualität erzielt werden, schön für das Auge des Naturfreundes ist es nicht.

Der Steig ist durchmessen, der Schlagbaum liegt hinter uns, bald sind wir wieder im warmen Stübchen mit lahmen Beinen, aber doch frisch von der schönen, kräftigen Winterluft.

Herzlichen Dank, wer so weit mich freundlich begleitet! Auf Wiedersehen bei einem Spaziergang durch einen anderen Teil der schönen Heide. Bis dahin Gott befohlen!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus der Rostocker Heide