Zweite Fortsetzung

Und derselbe Monarch, der über Dinge von so ernstafter und tiefgehender Bedeutung mit einem Scherzwort hinwegzugleiten im Stande war, konnte sich zu Ausbrüchen maßlosen Zorns und unwürdigster Härte bestimmen lassen, wenn es sich um den bloßen Schein einer Auflehnung gegen die bestehende Ordnung oder das Herkommen handelte! Die neuerdings veröffentlichten „Erinnerungen eines russischen Kadetten " berichten von einem in die ersten Regierungs-Tage des Kaisers fallenden, hierher gehörigen Zuge, dessen wahrhaft unvergleichliche Hässlichkeit unglaublich erscheinen würde, wenn sie nicht von zwei Seiten bestätigt worden wäre: durch die Person des Erzählers, eines würdigen alten Generals, und durch die kaiserliche Zensur, welche gegen den Abdruck des nachstehenden Berichtes nichts einzuwenden gehabt hat.

Dem törichten Militäraufstande vom 14. (26.) Dezember 1825 wurde bekanntlich dadurch ein Ende gemacht, dass der Kaiser auf den Rat des Grafen Toll („à mon avis il faut mitrailler cette canaille") die auf dem Isaaksplatze aufgestellten rebellischen Regimenter durch ein Paar Kanonenschüsse auseinandertreiben und den über das Eis der gefrorenen Newa fliehenden Schaaren eine Granatensalve nachsenden ließ. Von dieser Salve waren einige der unglücklichen, von ihren Offizieren verführten und denselben blindlings gehorchenden Soldaten des Finnländischen Garde-Regiments schwer verwundet worden; mit zerschmetterten Armen und Beinen lagen diese unschuldigen Opfer ihrer bornierten Subordination von Mittag bis zum späten Abend, hungernd und frierend unter den Fenstern eines dem Newa-Ufer benachbarten Kadettenhauses, bis die Schüler desselben von ihrem Chef, dem allgemein verehrten General Perski die Erlaubnis einholten, die Unglücklichen mit den Pasteten, die sie von ihrem Mittagsessen aufgehoben hatten, speisen zu dürfen. Zwei Tage später erschien der Kaiser in Person im Kadettenhause und ließ sämtliche Insassen dieser Anstalt versammeln, um den General Perski im höchsten Zorn und mit den verletzendsten Ausdrücken „wegen des schlechten Geistes seiner Untergebenen" öffentlich zur Rechenschaft zu ziehen und mit schwerer Strafe zu bedrohen. Nur mit Mühe gelang es dem ehrwürdigen Veteran, den Zöglingen Straflosigkeit zu erwirken, — dass der Kaiser die gesamte Anstalt von Stunde an mit seiner Ungnade belegte und den General dadurch herabsetzte, dass er ihn einige Zeit später einem ,,Oberkommandierenden“ sämtlicher Kadettencorps der Residenz, dem General-Adjutanten Demidow unterstellte, konnte nicht verhindert werden.


Dieses für die Art des Kaisers außerordentlich bezeichnenden Vorgangs geschieht in den oben genannten Boguslawski' schen Memoiren keine Erwähnung. Dafür teilt dieser kaiserliche Zeitgenosse einige Beiträge zu der Methode mit, nach welcher Nikolaus' besonderer Günstling und Vertrauensmann, der Graf Kleinmichel, die Erziehung in den kaiserlichen Militär-Unterrichtsanstalten leitete. Im Jahr 1843 hatten drei Schüler der „Schule für die öffentlichen Bauten" Großkopf, Petlin und Krassowski einen wegen seiner Brutalität bekannten Dujour-Offizier ausgepfiffen. In seiner Eigenschaft als oberster Chef dieser Anstalt, ließ Graf Kleinmichel diese jungen Leute (die sich zudem selbst angezeigt hatten) mit je 250 Rutenstreichen züchtigen und dann als gemeine Soldaten in die Kaukasische Armee einstellen. Die beiden Chefs der Bauschule, welche zu Gunsten ihrer Zöglinge intervenieren wollten, wurden abgesetzt und drei junge Offiziere. welche ihre unglücklichen ehemaligen Kameraden mit Geld zu unterstützen gewagt hatten, nur durch die persönliche Intervention des Großfürsten Michael vor der Strafe der Degradation und Kassation gerettet. — In demselben Jahre kam ein Zögling der Kaiserlichen Rechtsschule auf mehrere Wochen ins Irrenhaus, weil er einem Inspektor einen groben Brief geschrieben hatte und bedurfte es der Fürbitte vornehmer Verwandten dieses jungen Mannes, damit derselbe seiner Familie zurückgegeben wurde, bevor er den Verstand verloren hatte. „In den höheren Sphären war man damit keineswegs zufrieden; man hörte im Gegenteil klagen, dass die Disziplin in der Rechtsschule allzu lax und milde gehandhabt werde." Von dem Befehlshaber eines anderen Kaiserlichen Instituts, des sogen. ,,adligen Regiments", dem General Puschtschin, war bekannt, dass er Zöglingen, die zwischen dem 15. und 17. Lebensjahr standen, bis zu 200 Hieben aufzählen ließ. — Ein Pendant zu diesen Vorgängen liefert der nachstehende, gleichfalls von Boguslawski berichtete Vorgang, der für des Kaisers Neigung zum Aufbauschen kleiner Dinge höchst bezeichnend ist.

Am 9. (21.) November 1843 fand die feierliche Beerdigung des ehemaligen Generalgouverneurs von St. Petersburg, Generals der Kavallerie, Grafen Paul Golenitscheff-Kutusoff statt — eines Mannes, der wegen seiner am 14. (26.) Dezember 1825 bewiesenen Loyalität und wegen seiner streng monarchischen und konservativen Gesinnung besondere kaiserliche Gunst genossen hatte. Als der Trauerzug sich die Newski-Perspektive hinunter bewegte, entblößte alles Volk sein Haupt, nur ein modisch gekleideter, durch seinen „Ziegenbart" besonders bemerkbarer junger Mann (Kinnbärte „wie Franzosen und Juden sie tragen", waren bis zum Jahre 1856 in Russland streng verboten und wurden nur bei dem national gekleideten „gemeinen Mann" geduldet), der Sohn eines reichen Kaufmanns, behielt den Hut auf. Der Kaiser, der bei dem Anblicke fremdländisch gekleideter Stutzer bürgerlichen Standes regelmäßig in heftigen Zorn zu geraten pflegte, ließ den jungen Mann sofort durch den Oberpolizeimeister verhaften und auf zehn Tage bei Wasser und Brot in das allgemeine Polizeigefängnis stecken. Ein fernerer kaiserlicher Befehl beschied sämtliche Kaufleute St. Petersburgs zum Nachmittag desselben Tages in das Stadt aus, wo denselben Namens Sr. Majestät eine Strafpredigt gehalten und die Ermahnung gegeben wurde, größere Aufmerksamkeit auf die „religiöse Erziehung ihrer Söhne" zu verwenden.

Bedeutsamer als diese kleinen Züge aus der Geschichte jener in ihren Wirkungen noch heute fortlebenden Epoche ist ein Vorgang, den die Zeitschrift „Russki-Archiv" ans Licht gezogen und aktenmäßig belegt hat. Im Herbst v. J. hat das genannte Journal einen Brief abgedruckt, den der 1878 verstorbene Dichter und ehemalige Kollege des Unterrichtsministers Fürst P. A. Wjäsemski dem Großfürsten Michael Pawlowitsch (jüngstem Bruder des Kaisers Nikolaus) schrieb, um sich und seine Freunde von dem Verdacht zu reinigen, als sei mit den dem Dichter Puschkin erwiesenen letzten Ehren eine politische, auf Verherrlichung des Liberalismus gerichtete Demonstration beabsichtigt gewesen. Indem wir nur noch erwähnen, dass als Hauptverleumder Wjäsemskis der damalige Chef der dritten Abteilung, Graf Benckendorf, und der als Todfeind der „romantischen Schule" bekannte Herausgeber der ,,Nordischen Biene", Bulgarin, genannt wurden, und dass die misstrauisch gemachte Regierung Puschkins Leiche bei Nacht und Nebel und unter starker militärischer Bedeckung aus dessen Wohnung hatte in die Kirche schaffen lassen, geben wir die Hauptstellen des Wjäsemski'schen Briefs in wörtlicher Übersetzung wieder.

„Durch Amtspflichten in Anspruch genommen . war ich nicht zugegen gewesen, als Puschkin seinen Geist aushauchte. Als ich bald nachher sein Haus betrat, erfuhr ich, dass man bei ihm an barem Gelde nur 300 Rubel vorgefunden habe und dass Graf Stroganow, als Verwandter der Frau Puschkin, übernommen habe, die Beerdigungskosten zu tragen und alle bezüglichen Anordnungen durch seinen Intendanten besorgen zu lassen. Weder waren meine Beziehungen zum Grafen danach angetan, mir eine Einmischung in diese Angelegenheit zu gestatten, noch lag dazu irgend welche Veranlassung vor. Ob der Graf die von ihm bezahlten Feierlichkeiten mit einem gewissen Glanz umgeben wollte, war lediglich Sache seiner Freigebigkeit. Dabei muss bemerkt werden, dass die Deutung, welche man dem Umstände gegeben hat, dass für diese Feierlichkeit die Isaaks-Kathedrale gewählt worden, eine durchaus unberechtigte, auf vorgefassten Meinungen begründete gewesen ist. Unsere Petersburger Kathedralen sind, wie alle übrigen Kirchen der Residenz, Kirchspiel-Kirchen und das Haus, in welchem Puschkin gestorben war, gehört zum Isaaks-Kirchspiel; mit jedem innerhalb dieses Stadtteils verstorbenen Bettler wäre genau ebenso verfahren worden. Als der zur Leitung der Feier eingeladene Metropolit die Teilnahme an derselben verweigerte und Graf Stroganow diese Weigerung übel aufnahm und als Illegalität bezeichnete, habe ich ihm geraten, sich an den Oberprokurist des Synod, Grafen Protassow, zu wenden und durch diesen die Sache aufklären zu lassen. Es ist das der einzige Rat, den ich erteilt, das einzige Wort, welches ich in der ganzen Sache überhaupt gesprochen habe.

„Zum Behuf der Ausstellung im Sarge wurde Puschkins Leiche in einen schwarzen Frack, nicht in die Uniform (sc. eines Kammerjunkers des kaiserlichen Hofs) gekleidet. Man hat darin den Ausdruck politischer und verschwörerischer Hintergedanken gesehen und diese Gedanken mir zur Last gelegt. Ich kann nur wiederholen, dass ich — aus den oben entwickelten Gründen — auch diesem Umstände durchaus fremd geblieben bin. Leugnen will ich indessen nicht, dass ich, wenn man mich um meine Meinung gefragt hätte, für den Frack optiert haben würde. Ich räume ein, dass hohe Würdenträger und im Amte verstorbene Verwaltungsmänner auch im Sarge mit der Uniform bekleidet werden müssen, weil diese so zu sagen ihrem öffentlichen Charakter inhärent ist; für jeden Andern, insbesondere für einen Schriftsteller, wie Puschkin es war, würde ich einen solchen Gebrauch kindisch und unpassend finden. Dazu kam, dass Puschkin seine Uniform nicht liebte. Sollen die Widerwärtigkeiten des Lebens denn nicht einmal am Rande des Grabes ungestraft zurückgelassen werden können? Was Puschkin an seiner Uniform nicht liebte, war aber nicht ihre Beziehung zum Hofdienst, sondern der Umstand, dass sie eine Kammerjunker-Uniform war. Trotz meiner Freundschaft für ihn muss ich einräumen, dass Puschkin eitel und weltlich gesinnt und dass er — auch abgesehen von seiner tiefen Verehrung für die Person des Kaisers — für Gunst und Auszeichnung empfänglich war. Den Kammerherren Schlüssel hätte er zu würdigen gewusst, — bloßer Kammerjunker zu sein fand er für seine Jahre und seine Stellung um so weniger schicklich, als zahlreiche junge Leute und gesellschaftliche Anfänger denselben Rang hatten. Das ist Alles, was über Puschkins Abneigung gegen die Uniform gesagt werden kann: dieselbe hat mit Oppositionslust und Liberalismus schlechterdings nichts zu tun gehabt, sie war allein auf Eitelkeit und persönliche Bedenken zurückzuführen . . .
,,Puschkins Tod und der Vorgang, der denselben herbeiführte, waren an und für sich ausreichend , die allgemeinste Teilnahme hervorzurufen. Dieser Vorgang sprach ebenso nachdrücklich zu den höheren Ständen, wie zu den Maßen , — er rief einen plötzlichen Sturm hervor, er war ein Ereignis. Eine mehrwöchentliche Krankheit des Dichters würde das Interesse des Publikums wahrscheinlich abgeschwächt, vielleicht gar erschöpft haben, — unter den gegebenen Umständen hatte das Publikum kaum Zeit Atem zu schöpfen. Weil man dem nicht Rechnung zu tragen gewusst hat, ist man in ein wahres Labyrinth unbegründeter Unterstellungen und Verdächtigungen geraten. Ich weiß absolut Niemand, der auch nur den Versuch gemacht hätte, die Geister aufzuregen und Leidenschaften zu wecken usw." — Nach einer längeren Ausführung darüber, dass die Trauer über den Tod des Dichters Hand in Hand gegangen sei mit Empfindungen des Dankes für die dem Verstorbenen zu Teil gewordene kaiserliche Gunst, und dass berühmte Männer den Glanz der Regierungen, unter welchen sie gelebt, erhöhten und darum nicht die Eifersucht derselben wecken dürften, — heißt es zum Schluss:

„Wenn die Berichte der Polizei zu dem Inhalte dessen, was ich über diese Angelegenheit und die dieselbe begleitenden Stimmungen sage, in Gegensatz stehen sollten, so versichere ich, dass meiner festen Überzeugung nach die Polizei falsch berichtet gewesen ist und dass es sich höchstens um Zufälligkeiten , um in die Luft gesprochene vereinzelte Worte u. dgl. hat handeln können. Wie dem immer sei, Puschkins Freunde solcher Schlechtigkeit zu zeihen, ist eine Unwürdigkeit gewesen, die höchstens dem niedrigsten Pöbel zugeschrieben werden konnte. Die Maßregeln, welche man bei Gelegenheit der Überführung der Leiche in die Kirche angeordnet hatte, sind für Puschkins Freunde geradezu beleidigend gewesen. . . . Ich will von den Soldatenpiquets nicht reden, die (angeblich aus Vorsicht und behufs Aufrechterhaltung Ordnung) in den Straßen aufgestellt waren — gegen wen sind denn aber die militärischen Streitkräfte aufgeboten worden , welche in das Haus des Verstorbenen brachen, als etwa zehn der nächsten Freunde desselben versammelt waren, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen V Gegen wen bedurfte es der verkleideten und doch aller Welt bekannten Spione? Sollten unsere Seufzer und Tränen gezählt, sollte etwa gar unser Schweigen ausspioniert werden? Auch das sollen im Interesse der Sicherheit gebotene Maßregeln gewesen sein! Das mag sein, aber sind sie nicht für diejenigen beschimpfend, die ihnen zum Objekt dienten und ist eine solche Beschimpfung nicht, wenn sie unverdient war, doppelt peinlich? Natürlich ist die Sache kein Geheimnis geblieben. Von dem schmählichen Verdacht, dem wir ausgesetzt gewesen, hat alle Welt Kunde erhalten, — unsere Rechtfertigung ist aber von der Öffentlichkeit ausgeschlossen und in den Augen einer leichtgläubigen und übelwollenden Gesellschaft bleiben wir mit dem Gewicht schwerer Anklagen belastet.“

Eines Kommentars bedarf dieser Brief nicht, wenigstens hat es für die russischen Leser desselben eines solchen nicht bedurft. Bestand das Wesen des „alten Systems'' doch in der Unfähigkeit seines Trägers irgend eine von der Staatsgewalt unabhängige Autorität gelten zu lassen, in seiner Umgebung eine selbstständige Meinung, geschweige denn einen Widerspruch zu ertragen. Der bloße Schein eines solchen war hinreichend , um Männer, die sich Jahre lang der höchsten Gunst ihres Monarchen gerühmt hatten, in das Nichts zurückzuschleudern, aus dem sie emporgetaucht waren. Das eklatanteste Beispiel dieser Art hat der Fürst Wassily Wassiljewitsch Dolgorukow, wirkl. Geheimerat, Oberstallmeister, Andreasritter und vierjähriger kaiserlicher Liebling im Jahre 1842 erfahren.

Zu Ende des Jahres 1841 hatte der Kaiser Nikolaus seinen Botschafter in Paris, den Grafen Peter v. d. Pahlen nach St. Petersburg kommen lassen, weil er verhindern wollte, dass derselbe dem Könige Louis Philippe in seiner Eigenschaft als doyen d’áge des diplomatischen Corps die Neujahrsanrede halte. Als Antwort darauf war der französische Botschafter in St. Petersburg, Casimir Périer d. J. unter dem Vorwande einer Unpässlichkeit der Feier des Kaiserlichen Namenstages fern geblieben, am Abende dieses Tages aber mit einer gewissen Ostentation an der Spitze des gesamten Botschaftspersonals im Theater erschienen.

Die von dem erzürnten Monarchen getane Äußerung: „er wünsche diesen Herren nicht mehr zu begegnen", genügte dazu, dass die sämtlichen Glieder der französischen Gesandtschaft für den Winter des Jahres 1841 — 1842 in den Bann getan und unter Beiseitesetzung der elementarsten Regeln der Höflichkeit von allem gesellschaftlichen Verkehr ausgeschlossen, von niemandem der sich zur „Gesellschaft" rechnete, eingeladen oder besucht wurden. Dolgorukow, der kurz zuvor zum Adelsmarschall des
Gouvernements St. Petersburg erwählt worden war und in dieser Eigenschaft die Einladungen zu den herkömmlichen Adelsbällen zu erlassen hatte, beging die unerhörte Kühnheit den Kaiser zu fragen: ob er nicht die Franzosen einladen solle, um dadurch den Schein einer kleinlichen Empfindlichkeit des kaiserlichen Hofes zu vermeiden. Trotz der ausweichenden Antwort, welche Nikolaus gab, wurden die Franzosen wirklich zu dem Ball eingeladen, und jetzt erlebte die Gesellschaft den Skandal , dass der Kaiser, sobald er Périers ansichtig geworden war, den Adelssaal verließ. Fortan war Dolgorukow, der die Sache leicht zu nehmen versuchte, ein „toter Mann"; bei seiner Wiederwahl zum St. Petersburger Gouvernements-Adelsmarschall wurde der Fürst, obgleich er die meisten Stimmen erhalten hatte, nicht bestätigt, und durch die von allerhöchster Stelle ausgesprochene Beschuldigung: er habe gelegentlich der Herbstmanöver durch Aufschlagen eines unangemessenen kaiserlichen Zeltes seine Amtspflichten vernachlässigt, zur Einreichung seines Entlassungsgesuches genötigt. Die Entlassung wurde augenblicklich erteilt, und Dolgorukow, der dieselbe anscheinend gleichgültig aufnahm und um das Recht bat dem Herkommen gemäß die Hofuniform weiter tragen zu dürfen, genötigt die Residenz zu meiden und sich in die kleine Stadt Moshaisk zurückzuziehen.

Hand in Hand mit des Kaisers Unfähigkeit, irgend welchen Widerspruch zu ertragen, ging eine von Jahr zu Jahr gesteigerte Empfänglichkeit für Schmeicheleien und für in majorem gloriam seines Systems oder auf Unkosten Dritter ausgespielte „geistreiche" Pointen. Wortspiele und Polissonnerien einer gewissen Gattung waren durch den russischen Calenberg par excellence, den Großfürsten Michael bereits früher in die Mode gekommen und galten ihrer Zeit für sichere Mittel zur Erlangung von Rang und Ansehen, besonders wenn sie auf Herabsetzung des Auslandes abzielten.

Jubelnd wiederholte ganz St. Petersburg: Se. Majestät habe, als der Botsehafter der 48er französischen Regierung, General Leflô, bei Hofe vorgestellt worden, die Frage der Kaiserin: „Eh bien, Leflô vous apporte la république?" mit dem Racine'schen Verse beantwortet: „Le flot qui l’apporta recule épouvanté." Eben so geistreich fand man es, dass der Großfürst Michael auf eine in demselben Jahre gemachte Bemerkung über die Meisterlosigkeit der französischen Republikaner zur Antwort gab: „comment voulez vous qu'ils entendent, si l’on a perdu l’ouïe (Louis)," und dass er die aus München und Berlin gemeldeten revolutionären Vorgänge darauf zurückführte „que ces deux rois allemands par des femmes" (die Spanierin Montez und die Französin Veuve Cliquot) ruiniert worden seien. Dergleichen flache auf Unkosten der Wahrheit, aber in majorem, gloriam Russiae ausgesprochene Pointen entsprachen dem St. Petersburger Hofgeschmack jener Zeit eben so genau wie die liebdienerischen Schmeicheleien, mit welchen an die Newa verschlagene ausländische Diplomaten zu debütieren pflegten: wurden doch, nachdem der französische Botschafter Graf La Ferronnays am Schlusse der ihm gewährten ersten kaiserlichen Audienz „Je viens de voir Pierre le Grand civilisé" ausgerufen und sich dadurch die allgemeinste Beliebtheit gesichert hatte, Exklamationen solcher Art für Ausländer, die ihr Glück machen wollten unentbehrlich. Seine Beliebtheit bei Hofe hatte der große Bassist Lablache nicht sowohl seinem unvergleichlichen Talent, als der ,,korrekten u und loyalen Gesinnung zu danken, die sich in dem Ausspruch ausgeprägt hatte ,,Russland sei einer opera seria, Österreich einer opera demiseria, Frankreich aber einer opera buffa zu vergleichen."
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus der Petersburger Gesellschaft