Gesundheit - Visite in der ärtzliche Sprechstunde

Aus den Sprechstunden eines Arztes

Der Fettbäuchige und die Wespentaillige
Autor: Bock, Carl Ernst Dr. (1809-1874) deutscher Anatom, Erscheinungsjahr: 1863
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sprechstunde, Buch, Gesundheit, Sprechzeiten, Sprechzimmer, Krankheiten, Termin, Visite, Arztsprechstunde, Gesundheitsberatung
Die Gartenlaube, illustriertes Familienblatt
Sprechstunde beim Arzt

Sprechen wir aber erst einige Wörtchen mit dem Publikum und zwar über die Rücksichtslosigkeit, mit welcher nicht Wenige aus den sogenannten gebildeten Ständen ihren Arzt behandeln. Wir waren zwar früher schon so frei, über diese Rücksichtslosigkeit von der Leber weg zu sprechen, allein - das kann gar nicht oft genug geschehen, und deshalb heraus mit der Sprache!

Und wenn auch an allen Türen der ärztlichen Wohnung mit großen Buchstaben angeschrieben steht: „Sprechstunde von - bis - “, so verlangen doch gar nicht selten Kranke (zumal dicktuige Geldprotzen), die sich recht wohl mit ihren Geschäften so einrichten konnten, daß sie zur richtigen Zeit beim Arzte einzutreffen im Stande waren, daß derselbe auch nach dieser Zeit noch, auf Kosten seiner Studien- oder Erholungszeit, ihr Genörgele über unbedeutende Beschwerden mit Aufmerksamkeit anhören soll. Und warum verlangen sie das? Weil sie den Arzt für eine Art Dienstmann ansehen, der für Geld zu jeder Zeit den Leuten zu Diensten stehen muss. - In diesem Sinne honorieren sie auch sehr oft den Arzt in einer Form, die äußerst verletzend für denselben ist. Der Eine sucht in allen Taschen nach dem Portemonnaie herum und langt, wenn er’s endlich gefunden hat, mit großer Behäbigkeit die Groschens heraus, um sie dem Arzte in die Hand zu zählen. Ein Anderer wünscht auf einen Fünftalerschein vier und einen halben Taler zurück; ein Dritter drückt dem Arzte wie einem hübschen Dienstmädchen, welches ihm die Treppe herableuchtete, mit einer Art von Gefühl einen Taler in die Hand. Selbst Personen von sogenannter feiner Bildung lassen sich diese Handgelddrückerei zu Schulden kommen, anstatt das Honorar (wo möglich in ein Couvert eingeschlagen) ohne auffallendes Gebaren auf den Tisch zu legen oder nachträglich zu übersenden.

Auch von der Inhumanität solcher Kranken gegen einander, welche einen beschäftigten Arzt in seiner Sprechstunde besuchen, lässt sich Manches sagen, denn nicht nur, daß der später gekommene wohlhabendere oder höher gestellte Patient gar oft vor dem schon länger wartenden ärmern Kranken aus niedrigerem Stande den Vortritt haben will, auch in ihrer langweiligen Unterhaltung mit dem Arzte bedenken Manche gar nicht, daß im Vorzimmer noch andere Kranke auf Rath warten.

Viele Kranke nehmen den ertheilten ärztlichen Rath in einer Art und Weise hin und versprechen denselben zu befolgen, gerade als ob sie dem Arzte einen ganz besondern Gefallen damit erzeigten, für den er sich womöglich noch bedanken soll. - Von innerem Grimm kann aber der Arzt verzehrt werden, wenn Patienten, die entweder Jahre lang ihren Körper misshandelten und sich dadurch ein langwieriges Übel zuzogen, oder kürzlich von einem schweren Leiden heimgesucht wurden, dem Arzte Vorwürfe über die langsam fortschreitende Besserung machen. Vorzüglich wohlhabende Geschäftsleute sind es, die sich dies gegen den Arzt erlauben und ihr ebenso unartiges wie unverständiges Benehmen dadurch noch verletzender machen, daß sie sich auf diesen oder jenen Freund berufen, der bei einem ähnlichen Leiden wie das ihrige von diesem oder jenem Arzte weit schneller hergestellt wurde. Sie scheinen die Herstellung der Gesundheit wie eine Schuhflickerarbeit zu betrachten.

Kurz, aus dem Benehmen der Patienten gegen ihren Arzt lässt sich recht deutlich auf die Bildungsstufe derselben schließen. Nun, merken Sie sich das, geehrter Leser.

1. „Muss ich denn durchaus nach Carlsbad?“

Mit diesen Worten warf sich mein dicker, spitzbäuchiger Freund, vom Treppensteigen noch ganz außer Atem, in die Sophaecke, daß Alles krachte.

„Ein Muss ist’s nicht. Aber -“

„Nun, das ist mir lieb, denn ich möchte meine Familie und mein Geschäft nicht gern verlassen.“

„Aber dann musst du freilich zu Hause auch Alles das aufs Strengste befolgen, was Dir von deinem überflüssigen Fette verhelfen kann. Und das thun die allerwenigsten Schmeerbäuche gern. Übrigens kenne ich das schon, wenn ein solcher dicker Patron sein Geschäft als Hindernis gegen die Badereise vorschiebt; nur Bequemlichkeitsliebe und das Nichtrennenkönnen von den lieben alten Gewohnheiten halten den Herrn zu Hause fest.“

„So hat meine Frau auch gesprochen.“

„Wenn das ist, dann rate ich jedenfalls zur Badekur. Denn Gnade Gott mir und dir, wenn du auf meinen Rath hin nicht nach Carlsbad gingst und nächsten Winter wieder deine alte Staupe hättest; das Genörgele von Deiner Familie: siehst Du, nun hast Du’s, warum bist Du nicht nach Carlsbad gegangen u. s. f., nähme gar kein Ende, und ich müsste, wie immer, ganz gewiss als Sündenbock dafür herhalten, daß Du meinen ärztlichen Verordnungen nicht ordentlich nachgekommen wärst.“

„Nein! Da kennst Du meine Frau schlecht. Was Du sagst, hält sie für ein Evangelium.“

„Nun denn, ordentlich aufgepasst, denn ihr Halbkranken hört immer nur mit halbem Ohre zu. - Alle Beschwerden, von welchen fettleibige Personen, zumal solche, die schnell in wenigen Jahren fett wurden, heimgesucht werden, haben ihren Grund in widernatürlicher Fettablagerung im Innern des Körpers, ganz besonders in lebenswichtige Organe, wie das Herz, die Leber, die Gefäßwände etc. Es ist deshalb die Aufgabe jedes Fettsüchtigen, nicht nur neue Fettablagerung zu vermeiden, sondern auch das schon in zu reichlicher Quantität vorhandene Fett zum großen Teile wieder wegzuschaffen. Damit sich nun neues Fett in ungehöriger Masse nicht mehr absetzen (aus dem Blute ausscheiden) kann, muss eine solche Diät eingehalten werden, welche im Genusse fettarmer Nahrung besteht und ebenso wie fette auch fettbildende Nahrungsstoffe (z. B. Zucker, Mehlspeisen, Spirituosen) vermeidet, sodass also die Kost hauptsächlich aus magern Fleischspeisen und wässrigen Getränken zusammengesetzt sein darf. Natürlich soll nicht alles Fett, aller Zucker und alles Mehl ängstlich vermieden werden, auch schadet von Zeit zu Zeit ein Gläschen Bier oder Wein nicht, aber nur sehr mäßig ist dies Alles zu genießen.

Zum Wegschaffen des unnützen Fettes dient nun aber nichts besser als tüchtige Bewegung und kräftiges Atmen in frischer, freier und besonders sonniger Waldluft, weil dadurch der Blutlauf und die Fettverbrennung im Blutstrome sehr gefördert wird. Das Faulenzen, lange Schlafen, überhaupt das Pomadigsein muss aufhören und dafür Frühaufstehen, Spazierengehen, Hantieren im Hause oder Garten, Holzfällen, Kegeln, Turnen eintreten. Das kräftige, tiefe Ein- und Ausatmen werde ordentlich gelernt und exekutiert, auch durch enge Kleidungsstücke nicht etwa behindert.

Ein prächtiges Unterstützungsmittel dieser Entfettungskur ist sodann das Wasser, aber in größerer Menge als sonst getrunken und, weil der Magen weniger dadurch beschwert wird, von heißer Temperatur. Doch kann ein guter Magen auch kaltes Wasser vertragen. Verstopften tut ferner ein schwachabführendes Mineralwasser (wie das Carlsbader) ganz gut, nur lasse man davon ab, sobald der Appetit dadurch vermindert wird. - So einige Biergläser heißen Wassers früh vor dem Kaffee und sodann während des Spazierengehens recht fleißig und kräftig, aber langsam Ein- und Ausatmen, das räumt auf in dem Fettbauche und bewirkt eine Blutmauserung aus dem ff. Wer’s nicht glaubt, der tut mir leid.

Übrigens muss Jeder, der sich in Carlsbad mit Erfolg entfetten will, hier ebenfalls die soeben angegebenen Regeln streng beobachten; er muss fette oder fettbildende Nahrung so viel als möglich meiden und beim Abarbeiten in freier Luft kräftig atmen. Nach der Kur ist’s natürlich notwendig, wenn sich nicht von Frischem die Verfettung einfinden soll, die angeratene Entfettungsdiät, nur in etwas milderem Grade, fortzuführen.“

Mein Freund ging dick nach Carlsbad dieses Jahr - und Weib und Kinder sahen ihn dünne wieder.


2. „Ich leide an der Leber.“

„Es sollte mich wundern, wenn’s nicht umgekehrt wäre, mein Fräulein, wenn Ihre Leber nicht vielmehr an Ihnen litte. d. h. an einer schlimmen Behandlung von Ihrer Seite und zwar durch Ihre Kleider. Denn eine solche Taille, die einer Wespe keine Schande macht, kann nur das Produkt von Gewalttätigkeiten gegen die Lebergegend sein.“

„Ich habe aber auch gelbe Flecke auf der Haut.“

„Solche Flecke haben mit der Leber ebensowenig zu tun, wie die Sommersprossen und der brünette Teint. - Überhaupt sind Leberleiden, für sich als Krankheiten, äußerst selten (s. Gartenl. 1856. Nr. 29), zumal bei jungen und so wohl aussehenden Damen, wie Sie.“

„Und ärgerlich bin ich im höchsten Grade; das muss doch mit der Galle zusammenhängen.“

Das dieses leichte Ärgerlich- und Zornigwerden eine tadelnswerte Unart ist, sagt man natürlich als artiger Mann der Dame nicht, denk sich’s aber.

„Auch werde ich sehr oft von stechenden Schmerzen in der Lebergegend (unter den letzten Rippen auf der rechten Seite) gepeinigt, die besonders beim tiefen Atmen sehr heftig sind.“

„Solche Schmerzen in der Lebergegend rühren fast stets von einem Entzündungszustande der Leberkapsel her und sind bei eigentlichen Leberkrankheiten äußerst selten vorhanden.“ - Übrigens kommen wir durch unser Reden nicht zum Ziele, die Lebergegend muss durchaus mittels Beklopfens und Befühlens genau untersucht werden.

Und was ergibt sich da? In der Haut der obern Bauchgegend geht ein ziemlich tiefer, fast kleinfingerbreiter, etwas geröteter Eindruck quer von einer Seite zur andern herüber, und dieser rührt von den Unterrocksbändern (selbst wenn diese nur ganz locker gebunden werden) her. So wie in der Haut findet sich nun aber auch in der Leber selbst ein solcher Schnürstreifen, und durch diese Schnürung gerät, abgesehen von der Verunstaltung dieses Organs (s. Gartenlaube 1853. Nr. 26) und der Quetschung des Magens, die Leberkapsel in der Umgebung dieser Furche sehr leicht in einen Entzündungszustand, der jene Schmerzen veranlasst. Nicht selten hilft auch noch das Schnürleibchen beim Maltraitieren der Leber mit, insofern dasselbe die Rippen in deren weiche Substanz hineindrückt und ebenfalls zur Leberkapselentzündung Veranlassung gibt.

Mein Rath geht deshalb dahin: lassen Sie an Ihre Unterkleider entweder Achselbänder (Heben) oder recht breite Bunde mit Hefteln nähen, und schnüren Sie das Leibchen nur in seinem untern Teile, zwischen Hüfte und Brustkasten. Jedenfalls muss sich der Brustkasten im zugeschnürten Leibchen so weit als nur möglich durch tiefes Einatmen ausdehnen können.

Bei der Wiederkehr der Schmerzen sind warme Breiumschläge auf die Lebergegend zu applizieren. Blutegel, Schröpfen, Senfteige und spanische Fliegen sind unnütze Quackeleien.

Noch muss bemerkt werden, daß durch diese von fest geschnürten Schnürleibchen und von den Unterrocksbändern veranlasste Verkrüppelung der Leber auch die Tätigkeit dieses gallebereitenden Organs gestört wird, also die Reinigung des Blutes von unbrauchbaren Stoffen, die Verjüngung des Blutes und die Verdauung benachteiligt wird. Die beistehenden Abbildungen zeigen den Unterschied zwischen einer gesunden Mannsleber und einer verkrüppelten Frauenleber.