Fortsetzung

„Ja", rief ich. „Vor zwei Jahren war es an einem warmen und heitern Sommertag, heute liegt eine dichte Schneedecke und ein grauer Nebel über der Stadt; aber das Herz ist ebenso heller und fröhlich, wie es damals traurig war."

Und aus der kasernenhaft und regelmäßig gebauten Neustadt gingen wir durch die herrliche Allee von Ulmen und Linden über den Jungfernstieg nach der noch im mittelalterlichen Styl aufgebauten Altstadt. Zu beiden Seiten des Weges goss sich in weiter Fläche die Eider aus. Der Wasserspiegel bedeckte heute eine schimmernde Eisdecke. Auf dem Jungfernstieg waren bei einigen prächtigen Bäumen die Krone und ein Teil der Äste abgeschlagen; manche trugen die Spuren von Axthieben auch an den Stämmen; drüben auf der anderen Seile des Wassers war eine lange Reihe herrlicher Ulmen in ähnlicher Weise verunstaltet. Eine prächtige Trauerweide, welche vor zwei Jahren weit über den Wasserspiegel hinabhing, fehlte heute ganz. „Wer hat denn diese prächtigen Bäume in so barbarischer Weise verunstaltet? wo ist denn die schöne Trauerweide geblieben, welche ich damals so bewunderte?" fragte ich, erstaunt über diese Verwüstung, meinen Freund.


„Glauben Sie", erwiderte er, „dass diese Barbarei Jemand anders begangen haben kann, als die Dänen? Es fiel ihnen plötzlich ein, dass die Altstadt zu Schleswig gehöre, und sie hatten die Absicht, Rendsburg nur bis „Südjütlands-Brückenkopf" zu räumen, der, wie Sie sehen, dort am Ende der Promenade des Jungfernstieges die Altstadt von der Neustadt trennt. Hinter den Forts dort wollten sie sich festsetzen und sämtliche Bäume hier! auf der Promenade niederhauen, um für ihre Kanonen freien Spielraum zu haben, wenn die Sachsen durch die Neustadt heranzögen. Sehen Sie da und dort, zwanzig Schritte weiter die Vertiefungen im Boden quer über den Weg?"

„Ja. ich sehe sie. Woher rühren sie?"

„Die Dänen hatten zwei Palisadenreihen quer über die Straße gebaut, um hinter ihnen den Durchgang zwischen den beiden Forts nach der Altstadt zu verteidigen."

„Nun, und wo sind die Palisadenreihen geblieben?"
„Es war zu lächerlich", sagte der Advokat, „zweimal haben sie die Palisadenreihen in zwei Tagen aufgebaut, und wieder niedergerissen. Ihre Unentschlossenheit war eben so groß, wie die Lust, hier, mitten in Rendsburg Halt zu machen in ihrer Retirade."

„Und wie war ihr Abzug?"

„Kläglich, ganz still und lautlos. Es lag ein dichter Nebel. Sie verschwanden fast ungesehen. Dann stieg die Sonne hinter den grauen Nebelvorhängen empor, feurig, glänzend, die Häuser und der Wasserspiegel erschienen wie in goldenes Licht getaucht. Und mit der Sonne zogen die Sachsen ein, von unendlichem Jubelruf begrüßt, und aus allen Fenstern flatterten in demselben Moment die schleswig-holsteinischen und die deutschen Fahnen. O, es war ein herrlicher Augenblick nach so langer, trüber Zeit!"

„Ist es denn wahr, dass die Dänen Alles fortgenommen und mitgeschleppt haben, was nicht niet- und nagelfest war?"

„O nein", erwiderte er lachend, „sie haben sogar das mitgenommen, was niet- und nagelfest war. Sie haben die Öfen aus den Baracken gebrochen, sie haben die Laternenpfähle dort drüben ausgerissen; in den Kasernen, im Lazarett? fehlt Alles, sie haben sogar die Nägel aus der Wand gerissen, an denen sie Kleidungsstücke aufgehängt hatten. Im Telegraphenamt fehlen alle telegraphischen Instrumente. Man erzählte mir, dass sie sogar die Fußböden aufgerissen und aus den Bietern Kisten gezimmert haben."

„Und das Geld in den Kassen?"

„Glauben Sic etwa, dass die Dänen Geld liegen lassen? Nein, das wäre doch zu naiv!"

Wir waren am „Südjütlands-Brückenkopf" angekommen. Der Name umschließt eine kolossale Frechheit, und zwar eine zweifache Frechheit, einmal, indem Schleswig „Südjütland" genannt wird, dann, indem sie mit dieser Benennung die Grenze Schleswigs bis mitten in die Stadt Rendsburg verlegen. Aber wenn es ans dänische Anmaßung ankommt, da kann man ja über gar nichts erstaunen! Nun gingen wir links an dem Fort abwärts, immer an der Eider entlang, durch den sogenannten Schlangenweg und über die Schiffbrücke nach der Schleuse zu. Im Sommer ist dieser Weg ein sehr angenehmer Spaziergang. Links schweift das Auge über die blaue Wasserfläche des Flusses, welcher sich hier zu einem weiten Becken ausdehnt, rechts erheben sich hinter duftigen Wiesen die charakteristischen Häuser der Altstadt. Heute deckte die ganze Umgebung eine weiße Schnee- und Eisdecke. „Wohin führen Sie mich? denn eigentlich hier, Freund?" fragte ich den in schnellem Schritt neben mir gehenden Advokaten.

„Wohin? nun, nach dem Kronwerk. Sie sollen doch die Hannemänner ganz in der Nähe sehen. Sehen Sie da drüben den Danebrog? Er ist auf halben Stock aufgezogen, wegen der Trauer."

Richtig, drüben am andern Ufer des Flusses flatterte lustig der Danebrog, das weiße Kreuz im roten Felde auf hoher Stange. Noch einige hundert Schritt, und wir waren im Kronwerk angekommen. Die Szenerie war sehr belebt. Hier, gleich neben uns, waren eine Kompanie sächsischer Infanterie und eine Abteilung Pioniere beschäftigt Erdschanzen aufzuwerfen. Mühsam arbeitete der Spaten in dem gefrorenen Boden. Drüben am andern Ufer des Flusses standen das Zollhaus und einige andere Gebäude, welche dänische Infanterie besetzt hielt. „O", sagte der Advokat, „kommen Sie, Sie können die Dänen noch näher haben. Auf zehn Schritte sollen Sie Hannemann sehen." Wir gingen an dem Wasserbecken entlang bis dahin, wo dasselbe durch eine Schleiche mit einem zweiten, weiten Wasserbecken verbunden war. Die Schleuse hatte eine Breite von ungefähr zwanzig Schritt. Über derselben lag eine Brücke, welche aufgezogen werden konnte. Jenseits derselben standen zwei dänische Posten. Hier, auf der anderen Seite standen ihnen zwei sächsische Posten gegenüber. Die Dänen hatten das Gebäude, welches ihnen als Wachthaus diente, durch eine hohe Palisadenreihe gegen die Brücke zu geschützt. Hier drüben hatten die Sachsen ihre Wache ebenfalls in einem hart am Ufer liegenden Gebäude eingerichtet, und eine Palisadenreihe gerade derjenigen der Dänen gegenüber erbaut. Offizier und Soldaten gingen ab und zu. Viele Soldaten standen an der Schleusenbrücke und schauten plaudernd hinüber. Vor dem sächsischen Wachthause wehten die schleswig-holsteinische und die deutsche Fahne. So nahe haben sich Deutsche und Dänen lange nicht gegenüber gestanden.

„Was meint ihr, Kinder?" fragte ich die neben uns stehenden Unteroffiziere und Soldaten, „wollen wir nicht hinüber über die Brücke und die Hannemänner aus dem Lande treiben?"

„O", erwiderte einer der Unteroffiziere, „wenn wir nur dürften, wie wir wollten, die Dänen wären auch schon aus Schleswig. Aber da stehen wir hier und dürfen nicht vorwärts, und da drüben plündern die Dänen die schleswigschen Dörfer aus. Nie dürfen wir wieder nach Dresden kommen, wenn wir die Dänen nicht aus dem Lande getrieben haben. Man wird uns verachten. Und so denken wir Alle, die Soldaten und die Unteroffiziere. Und es liegt doch nicht an uns."

„Ja, so denken wir Alle", sagte ein zweiter Unteroffizier, „alle Sachsen. Auch die Hannoveraner denken so. Wir gehen nicht wieder zurück nach Altona."

Da trat ein Rendsburger Bürger heran, als er uns bemerkte. Ich kannte ihn recht gut, noch von früher her. „Schändlich", rief er, „ist das nicht schändlich? Sehen Sie da drüben die sechs holsteinischen Dörfer, welche zwischen Eider und Sorge liegen. Bis jetzt hat kein Mensch in der Welt bestritten, dass sie zu Holstein gehören. Und die Dänen halten sie besetzt und plündern sie aus, und wir stehen hier und sehen zu, und der Bundestag — setzt keine Sitzung an. So eben erzählt mir ein Mann aus Büdelsdorf, aus dem größten Dorfe da drüben, dass gestern bereits Exekution angesagt ist wegen der eigentlich erst am 14. Januar fälligen Steuern. Es ist den Dänen plötzlich eingefallen, sie zum 5. Januar einzufordern. Und eine Requisition ist angesagt, die die Dörfer vollkommen ruinieren muss. Von Heu und Stroh soll die Hufe Landes 3—4.000 Pfund liefern. Schwertfeger, der den „Megger Koog" besitzt, soll allein eine Million Pfund Heu liefern. Und es ist so leicht, jetzt die ganze Danewerkstellung zu nehmen", fuhr er fort, „jetzt, wo die Treene und die Schley gefroren sind; fast ohne Verlust kann man sie nehmen, während, wenn das Wasser wieder auf ist, zehntausend Menschen dabei umkommen können. Es ist eine schändliche Geschichte."

„Kennen Sie die Stellung so genau?" fragte ich ihn.

„Ganz genau. Ich habe darin gearbeitet. Ich kenne jede Schanze, jedes Geschütz. Wenn Sie wollen, will ich Ihnen die Stellung ganz genau beschreiben. Aber ich muss schleunig nach der Stadt. Sic müssen mit mir zurückgehen."

Wir gingen der Eisenbahn entlang bei der Schanze, welche dort die Hannoveraner bauen, vorüber nach der Stadt. „Unsinn", murmelte der Rendsburger Bürger, als wir bei den Schanzarbeitern vorüberkamen, „diese Schanze! Was soll die Schanze? Sie wird nur angelegt, um die Leute zu beschäftigen." Auf dem Eise liefen halberwachsene Knaben Schlittschuh. Sie hatten bunte Bänder in den schleswig-holsteinischen Farben in Händen, und wenn sie ganz in der Nähe der drüben postierten dänischen Schildwachen waren, hielten sie ihnen die Bänder hin und riefen: „Hannemann, kennst Du dat?" oder: „Hannemann, kannst mi kriegen?" worauf sie dann eilig zu dem andern Ufer zurückjagten.

„Unsere Lage ist wahrlich zu ernst zu solchem Kinderspiel", sagte der Rendsburger Bürger, als wir neben dem Flüsschen hin zur Stadt zurückgingen. „Aber hören Sie jetzt, nun will ich Ihnen die Danewerkstellung schildern, Herr Doktor; aber bringen Sie's in Deutschland in die größte Zeitung. Die Dänen werden sich schändlich darüber ärgern. Allein können Sie nicht Schleswig-Holstein erobern, leider nicht; aber so geärgert hat die Dänen, wie Sie, bis jetzt selten Jemand. Also hören Sie: Friedrichsstadt bildet den rechten Flügel der Stellung. Es hat 3 Schanzen, eine starke Schanze und zwei Lünetten. Sie sind mit 13 Kanonen armiert, 6pfünder bis 84pfünder. Der Brückenkopf ist zerstört. Nun weiter nach links. Die nächsten Schanzen sind bei Hollingstedt. Zwischen Friedrichsstadt und Hollingstedt bildet die Treene die Überschwemmung des Treenetals. Zwischen Hollingstedt und Kurburg sind neun starke Schanzen. Sie sind armiert mit einem 84pfünder, zwei 24pfündern, zwei 18pfündern und zwei 6pfündern. Von Kurburg bis Danewerk sind fünf Schanzen. Sie sind ebenso armiert, wie die vorigen. Das Terrain ist dort flach. Von Danewerk bis Pustorf sind acht Schanzen. Davon sind drei Schanzen nicht armiert. Das Terrain ist hügelig. Hier ist die Stellung am leichtesten angreifbar, weil das vorliegende Terrain aus Moorgrund und Wiesen besteht und das gegenüberliegende Terrain hügelig ist. Jetzt ist das ganze Terrain gefroren. Hier ist die Stellung also bei dem gefrorenen Terrain, und weil die Schanzen nicht armiert sind, leicht zu nehmen. Bei Friedrichsberge ist eine Schanze mit vier Geschützen, zwei 18pfündern und zwei 6pfündern. Hier beginnt nun die Schley. Jetzt ist sie gefroren und haltlos. Die nächsten Schanzen sind bei Missunde. Es sind ihrer drei, jede mit acht Geschützen armiert. Bei Missunde ist die leichteste Übergangsstelle über die Schley. Die ganze Schanzenreihe hat bis Schleswig eine Länge von sieben Meilen, von Schleswig bis Missunde dritthalb Meilen. Zu ihrer Besetzung sind wenigstens 2.400 Artilleristen nötig. Es ist gar nicht zu verantworten, dass die Stellung nicht jetzt augenblicklich angegriffen wird. Wie ich Ihnen sage, sie wäre fast ohne Blutverlust zu nehmen."

„Aber warum armieren die Dänen die Schanzen nicht jetzt vollständig?" musste ich doch meinen Begleiter fragen, der sich nach und nach in eine Entrüstung hineingeredet hatte, wie sie mir bei einem Schleswig-Holsteiner noch nicht vorgekommen war.
„Das wäre ein Kunststück", rief er, „was selbst die Energie der dänischen Regierung nicht fertig bringen würde. Materiell ist die ganze Verteidigungslinie noch höchst unvollständig; vor acht Tagen waren die Pulvermagazine noch nicht fertig. Die Dänen werden auch nie im Stande sein, die Linie zu besetzen. Bei der Anlage ist auf Mitwirkung einer schwedischen Armee von 40 — 50.000 Mann gerechnet. Leider bleibt die Armee nur aus."
Wir waren wieder bei „Südjütlands-Brückenkopf" am Jungfernstieg angekommen.

Am Abend wäre ich durch einen Zufall fast den Dänen in die Hände geraten. Ich war im Begriff, vor Pahls Hotel am Paradeplatze in eine Droschke zu steigen, um nach dem Bahnhof zu fahren. Da sprang der Hauptmann von Kolb, der jetzige Besitzer des Gasthofes, der während der Feldzüge eine Kompanie der schleswig-holsteinschen Armee führte, hinzu und rief: „Was Teufel, wo wollen Sie denn hin?"

„Nun, ich will nach Kiel und fahre nach dem Bahnhof", entgegnete ich, ganz verwundert über die an dem sonst so ruhigen Hauptmann ungewohnte Hitze.

„Haben Sie denn vergessen, dass die dänische Regierung seit zwei Jahren schon befohlen hat, Sie, sowie Sie sich in den Herzogtümern betreten lassen, zu verhaften und gefangen nach Kopenhagen zu führen? Den Bahnhof haben die Dänen ja noch besetzt. Steigen Sie aus. Ich will Sie nach der Haltestelle in der Stadt fahren."

Ich ging mit dem braven Hauptmann nach der Haltestelle. Dort brachten wir noch eine halbe Stunde im Wartezimmer zu, bis der Zug ankam, um mich nach Kiel zu fahren. Das Wartezimmer war voll von Reisenden, mehrere Damen und Bürger aus Rendsburg, hannoversche Offiziere und Fremde, welche ebenfalls nach Kiel und Altona wollten. Das „Unglück im Lande" und „der verlassene Bruderstamm" in Schleswig gab zu einer Menge leidenschaftlicher Ausbrüche Veranlassung. Am heftigsten traten die Damen auf, welche von den Offizieren die Zurückforderung der in der dänischen Armee dienenden Schleswig-Holsteiner und die sofortige Vertreibung der Dänen aus Schleswig verlangten. Alle waren vollkommen miteinander einverstanden. Hätte es an den im Wartezimmer der Eisenbahnstation zu Rendsburg befindlichen Personen gelegen, die Dänen wären noch heute Abend aus den sechs holsteinischen Dörfern zwischen Eider und Sorge geworfen worden.
G. Rasch