Aus den Erinnerungen Anton von Werners 1870/71

Aus: Die Kunst: 31. Band
Autor: Werner, Anton von (1843-1915) Maler von Historienbildern von Ereignissen seiner Zeit, Erscheinungsjahr: 1913

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutsch-Französischer Krieg 1870-1871, Kriegerinnerungen, Kriegsbilder, Schlachtenmaler, Historienmaler, Porträt, General Moltke, Offiziere, Paris, Versailles, Waffengattungen,
In einem 1913 unter dem Titel „Erlebnisse und Eindrücke 1870—1890“ im Verlag von E. S. Mittler & Sohn in Berlin erschienenen Bande veröffentlichte Anton von Werner die Erinnerungen seines an Erfolgen und Erlebnissen reichen Lebens. Mit gütiger Genehmigung des Künstlers und des Verlegers entnehmen wir dem überaus lebendig und anschaulich geschriebenen Werke einige Stellen aus den Kapiteln, die Werners Erlebnisse im Deutsch-französischen Krieg 1870/71 schildern und heute mit besonderem Interesse werden gelesen werden.

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Werner hatte vom Schleswig-Holsteinischen Kunstverein den Auftrag erhalten, ein Bild, „General Moltke vor Paris" darstellend, zu malen und begab sich zu diesem Zweck im September 1870 nach dem großen Hauptquartier in Versailles.

„Gleich in den ersten Tagen fuhr ich mit bayerischen Offizieren nach Chatenay, wo sich das Hauptquartier des II. bayerischen Armeekorps befand, und wählte und skizzierte als Örtlichkeit für mein Bild eine Anhöhe, auf der sich Moltke einige Tage nach der Zernierung mit seinem Stabe aufgehalten hatte. In Chatenay wurde ich durch die liebenswürdigen bayerischen Offiziere auch ihrem Kommandierenden, dem General der Infanterie v. Hartmann, vorgestellt, einem prächtigen alten Herrn, der 1807 schon Schüler von P. Cornelius in Düsseldorf gewesen war, wie er mir erzählte*). Im Billardzimmer seines Quartiers hing eine Reihe Bilder von Boulanger aus dem Leben des Marschalls Pelissier, die der General aus den Händen seiner Soldaten vom Feuertode gerettet hatte.

*) Vermutlich bewohnten die Eltern des Generals das nach dem Frieden von Luneville 1801 wieder kurbayerische Düsseldorf, und der 24iährige Peter Cornelius erteilte dem 13 jährigen Knaben Privatzeichenunterricht, bevor er 1809 nach Frankfurt a. M. übersiedelte. Ich habe leider versäumt, den General über nähere Einzelheiten seines Schülerverhältnisses zu P. Cornelius zu befragen.

Ich fing dann in dem kleinen Atelier im Schloss, in dem Prof. Bleibtreu arbeitete, sofort eine Tuschzeichnung für das Moltkebild an und am 8. November besuchte mich dort General v. Moltke ganz unerwartet mit dem Major Blume, der schon am Tage vorher mit dem Oberstleutnant v. Verdy du Vernois meine Skizze besichtigt hatte. Ich sah den großen Feldherrn zum ersten Male in der Nähe und da machte er mir, als er in seiner feinen, geräuschlosen Weise eintrat, mit liebenswürdigem Händedruck mich begrüßend, doch einen ganz anderen Eindruck als alle Photographien, die ich von ihm gesehen hatte, aber keinesfalls den eines Schulmeisters, sondern durchaus den eines vornehmen Offiziers von verbindlichsten Umgangsformen und ungezwungener Haltung, und er hat mir später oft in humorvoller Weise geklagt, dass er gar nicht begriffe, warum ihn die Leute durchaus zum Schulmeister machen wollten. Das frische rosige bartlose Gesicht erschwerte in Verbindung mit der blonden Perücke und der eleganten fast jugendlichen Figur des bereits Siebzigjährigen allerdings eine Ab- oder Einschätzung seines Wesens einigermaßen. Mit sichtlicher Freude betrachtete er meine Skizze, die seinen vollen Beifall fand.

Das Atelier von Professor Bleibtreu war ein Stelldichein für viele interessante Herren, Fürsten, Offiziere und Diplomaten, die damals nicht immer voll beschäftigt waren, und es wurde fast nie ganz von Besuchern leer. Dem Herzog Ernst II. von Koburg, den ich dort kennen lernte, konnte ich mit einer Karte von Paris aushelfen, die er nicht besaß. Er wünschte, dass Bleibtreu ihn malen sollte, wie er in der Schlacht bei Wörth sein Koburger Regiment, die 95er, begrüßte, eine Szene, die aber in Wirklichkeit nie stattgefunden hatte. Bleibtreu lehnte deshalb die Aufgabe ab und ich, als sich der Herzog deshalb an mich wandte, auch, und er seufzte: „Ja, ja, wenn jetzt Feodor Dietz hier wäre, der würde das schon machen!" Dieser hatte ihn 1849 hoch zu Ross bei der Beschießung des Christian VII. und der Gefion dargestellt, wo er aber nicht gewesen sein soll, wie Bleibtreu sagte. Der alte joviale Herzog Eugen Erdmann von Württemberg, Verfasser eines größeren Epos: „Edessa", der zunächst immer mit einer wohlgefüllten Zigarrentasche bei der Hand war, der Herzog von Altenburg und der Fürst von Rudolstadt erschienen öfter bei uns, ebenso bayerische und württembergische Generale, wie Kriegsminister v. Prankh, die Generale Graf Bothmer und Frhr. v. Baumbach, die Minister v. Lutz, von Friesen und v. Freydorf und die dem kronprinzlichen Hauptquartier attachierten bayerischen Offiziere v. Freyberg und v. Stauffenberg, der württembergische Major v. Faber du Faur, und viele viele andere. Sie hatten alle soviel Zeit und Interesse für die Kunst! Auch der Kronprinz, obgleich er dienstlich stark in Anspruch genommen war, fand Zeit, uns im Atelier zu besuchen, er erschien eines Nachmittags mit zwei Adjutanten, über und über beschneit und nahm mit lebhafter Teilnahme von Bleibtreus und meinen Skizzen Kenntnis."

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„Meine Porträt- und Pferdestudien für das von Kiel bestellte Bild hatte ich nach und nach vollendet. General v. Moltke hatte mir in seiner Wohnung Rue Neuve 38 für sein Porträt gesessen, in seinem Arbeitszimmer, einem mit geschnitzten alten Eichenholz-Vertäfelungen geschmückten einfenstrigen Zimmer mit einem Eichenholztisch in der Mitte, der mit Karten von Paris und Umgebung bedeckt war. An diesem Tisch in einem bequemen Lehnstuhl sitzend, las der General die Aktenstücke und Depeschen, die ihm in großer Zahl gebracht wurden; ich habe ihn in diesem Interieur in einem kleinen Bilde dargestellt, das, 1872 auf der Berliner Ausstellung ausgestellt, in den Besitz des Kronprinzen überging.

Moltke war übrigens durchaus nicht so schweigsam, wie von ihm behauptet wurde. Während der Dejeuners, zu denen ich einige Male mit einer Einladung beehrt wurde und wobei nur sein Neffe Hauptmann v. Burt anwesend war, unterhielt er sich sehr lebhaft über Kunst, das Versailler Museum, die französischen Marschälle, deren Porträts dort hingen und „die wir in persona jetzt wohl alle in Deutschland haben“, wie er lächelnd bemerkte, über General Trochu, den er am meisten zu schätzen schien, die Pariser Moblots und vieles andere."

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Am 15. Januar 1871 erhielt Anton von Werner im Auftrag des Deutschen Kronprinzen von Hofmarschall Eulenburg die telegraphische Aufforderung, sich vor dem 18. Januar wieder nach Versailles, das er nach Beendigung seiner Studien zum Moltkebild im November 1870 verlassen hatte, zu begeben. Der Zweck seiner Reise war Werner nicht mitgeteilt worden, er blieb ihm auch dann noch verborgen, als er sich zu der Festlichkeit, denn um eine solche handelte es sich, ins Schloss begab.

„Ich begab mich um 11 Uhr ins Schloss, dessen nächste Umgebung wie die ganze Place d'armes mit Infanterie besetzt war. Auf der zur Galerie des Glaces hinaufführenden Treppe waren Kürassiere postiert, Offiziere aller Grade vom Leutnant bis zum General stiegen in ununterbrochenem Zuge die Treppe hinauf. Die zu der Galerie des Glaces führende Salle de la paix war mit Offizieren aller Waffengattungen gefüllt und in der großen Spiegelgalerie standen sie Kopf an Kopf dicht gedrängt, in der Mitte blieb ein schmaler Gang frei; es mochten 600 bis 800 Offiziere oder mehr sein, ich hatte noch nie ihrer so viele auf einem Fleck zusammen gesehen. Ich war zunächst verblüfft und fragte mich, was aus diesem Gewirr wohl „meines Pinsels Würdiges" sich entwickeln würde. Weiter gegen die Mitte des Saales vordringend bemerkte ich an der Fensterwand im Dunkeln einen Altar aufgerichtet, von sechs Geistlichen umgeben, und vor der Schmalseite der Galerie gegen die Salle de la guerre eine mehrstufige Estrade, auf der dichtgedrängt Fahnenträger mit ihren zerschossenen Fahnen und Standarten in Reih und Glied standen. Die Tür zur Salle de la guerre war mit rotem Samt verhängt. Ein besonderer Schmuck war — außer Lebruns historischer Dekoration an Decken und Wänden — in der Galerie nicht zu sehen. Die Masse der Offiziere in ihren verschiedenfarbigen Uniformen, mit den blitzenden Waffen und Orden machte zunächst einen verwirrenden Eindruck, bis sich das Auge daran gewöhnt hatte und entdeckte, dass die Gruppen bunter Uniformen und die Prachtgestalten ihrer Träger auf dem Hintergrunde der großen, die Fenster reflektierenden Spiegel der Galerie ein stark farbiges und malerisches Objekt waren. Das plötzliche Verstummen des Geschwirrs der Unterhaltung ließ darauf schließen, dass die Festlichkeit beginnen sollte, ich dachte an den 18. Januar, den Tag des Ordensfestes. Und dann nahten unter den Klängen eines Psalms in ernstem, feierlichem Zuge, so ganz ohne Pose und Zeremoniell, schlicht und einfach die deutschen Fürsten und Heerführer, voran der weißbärtige Heldenkönig und sein strahlender Sohn, der blondbärtige Kronprinz. Die hohen Herren stellten sich gegenüber dem Altar auf, in der Gegend, wo ich Platz gefunden hatte, so dass ich dicht neben dem Erbgroßherzog von Mecklenburg-Strelitz zu stehen kam und während des nun folgenden Gottesdienstes die beste Gelegenheit hatte, die fest wie Säulen stehenden Herren zu zeichnen. Vom Gottesdienst und von des Divisionspredigers Rogge Weihrede hörte ich natürlich so gut wie nichts, und auch der Erbgroßherzog von Mecklenburg-Strelitz schien seine Aufmerksamkeit zwischen der Predigt und meiner zeichnerischen Tätigkeit zu teilen. Es war ein sehr malerisches Bild: an der Fensterseite im Dunkel der Altar mit den tiefschwarzen Gestalten der sechs Geistlichen und gegenüber im Vordergrund König Wilhelm und die ihn umgebenden Fürsten in scharf beleuchteten Profilen; ich habe auch eine Skizze davon gemacht, die aber nicht zur Ausführung gekommen ist.

Der mächtig wirkende, von allen Anwesenden unter Posaunenbegleitung gesungene Choral: „Nun danket alle Gott" beendete die gottesdienstliche Feier, und nun wandten sich König Wilhelm und die deutschen Fürsten der Estrade mit den siegreichen Fahnen zu und nahmen auf derselben Aufstellung. Der Pionierhauptmann Dielitz hatte sich in liebenswürdiger Weise meiner angenommen und mich durch die dichtgedrängte Masse der Offiziere zu einem günstigen Platz geleitet, — nicht ohne von meinem späteren Freund und Gönner, dem Hofmarschall Grafen Perponcher „angehaucht" zu werden: was der „Zivilist" hier zu suchen habe?

Und nun ging in prunklosester Weise und außerordentlicher Kürze das große historische Ereignis vor sich, das die Errungenschaft des Krieges bedeutete: die Proklamierung des Deutschen Kaiserreichs! Das also war es, was der Kronprinz Friedrich Wilhelm als etwas meines Pinsels Würdiges in seinem Telegramm bezeichnet hatte!

Der Vorgang war gewiss historisch würdig, und ich wandte ihm meine gespannteste Aufmerksamkeit zu, zunächst natürlich seiner äußeren malerischen Erscheinung, notierte in aller Eile das Nötigste, sah, dass König Wilhelm etwas sprach und dass Graf Bismarck mit hölzerner Stimme etwas Längeres vorlas, hörte aber nicht, was es bedeutete, und erwachte aus meiner Vertiefung erst, als der Großherzog von Baden neben König Wilhelm trat und mit lauter Stimme in den Saal hineinrief: „Seine Majestät, Kaiser Wilhelm der Siegreiche, Er lebe hoch!" Ein dreimaliges Donnergetöse unter dem Geklirr der Waffen antwortete darauf, ich schrie mit und konnte natürlich dabei nicht zeichnen; von unten her antwortete wie ein Echo sich fortpflanzend das Hurra der dort aufgestellten Truppen. Der historische Akt war vorbei: es gab wieder ein Deutsches Reich und einen Deutschen Kaiser! Ich sah noch, wie der Kaiser den Kronprinzen umarmte und von den ihn umgebenden deutschen Fürsten beglückwünscht wurde. Eine beabsichtigte Defiliercour der anwesenden Offiziere missglückte, wie mir däuchte, und ich sah dann den Kaiser die Stufen der Estrade hinabschreiten, an Bismarck vorbei, den er nicht zu bemerken schien. Neun Jahre später, bei meinem Aufenthalte 1880 in Friedrichsruhe, gab mir Fürst Bismarck die Erläuterung zu dieser kleinen Episode, die ich damals dem nach Schluss des Staatsaktes entstandenen Durcheinander der sich auflösenden Versammlung zuschrieb.

Auch über die bis zum Abend des 17. Januar nicht gelöste schwierige Frage: ob Deutscher Kaiser oder Kaiser von Deutschland hat man inzwischen Näheres erfahren, merkwürdigerweise soll es aber nicht ganz feststehen, was eigentlich der Großherzog von Baden gerufen hat. Ich hatte den Ausdruck: Wilhelm der Siegreiche vorher nie gehört, er frappierte mich und auch Dr. Toeche-Mittler, der 1896 ein Buch über den Vorgang am 18. Januar 1871 und die dabei Anwesenden, zu denen er selbst gehörte, herausgegeben hat, stimmte mit mir überein, diese Worte gehört zu haben, teilte mir aber zu meiner größten Überraschung mit, dass der Großherzog von Baden selbst ihm erklärt habe, er habe damals gerufen: „Seine Majestät der Deutsche Kaiser lebe hoch."

„29. Januar. Meine Skizze zu dem Proklamierungsbilde habe ich gestern Abend dem Kronprinzen vorgelegt, sie hat seinen wie der Anwesenden ungeteilten Beifall gefunden. Bei der Erläuterung der Skizze entschlüpfte mir ein unbeabsichtigter Lapsus, indem ich bei der Namenbezeichnung der auf der Estrade vor den Fahnen stehenden Fürstlichkeiten hinzufügte: „Hier fehlen noch ein Stücker sechs Fürsten.“ Der Kronprinz lachte herzlich und sagte zum Großherzog von Baden: „Nu hör bloß, wie der uns per Dutzend taxiert!“

Betreffs der Größe und Ausführung des Bildes sagte mir der Kronprinz: „Am besten, Sie machen es so: sobald Sie nach Berlin kommen, sehen Sie sich im Schloss den besten Raum für ein derartiges Bild an und malen es für diesen Raum. Ich möchte nur, dass das Bild frisch, wie Sie es entworfen haben, zur Ausführung kommt und auf jede Art möchte ich vermeiden, dass Ihnen jemand da hineinredet.“

Meine Übersiedlung nach Berlin, über die ich damals durchaus noch nichts beschlossen hatte, war damit eigentlich entschieden."

König Ludwig II. von Bayern, König Karl von Württemberg, Großherzog Friedrich von Baden, König Johann von Sachsen

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18.01.1871 Verkündung der Kaiserwürde

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Bismark und Jules Favre in Versailles

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Die zweite Flotte bei Helgoland

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König Wilhelm reicht Benedetti das Extrablatt der Kölnischen Zeitung

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König Wilhelm von Preußen

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Kronprinz Albert von Sachsen

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Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen

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Preußische Artillerie 1870

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Prinz Friedrich Karl

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Schlacht bei Amiens am 27.11.1870

Schlacht bei Amiens am 27.11.1870

Schlachtenszene Frankreich 1870

Schlachtenszene Frankreich 1870

Schlachtszene Frankreich 1870

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Siegeseinzug in Berlin

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Straßburg vom Steintor aus, am Tage nach der Kapitulation dem, 28.09.1870

Straßburg vom Steintor aus, am Tage nach der Kapitulation dem, 28.09.1870

Treffen von Weißenburg 1870

Treffen von Weißenburg 1870

Wilhelm und Napoleon in Bellevue

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Schlacht bei St. Quentin 19.01.1871

Schlacht bei St. Quentin 19.01.1871