Abschnitt. 2 - Christo, Lästerungen, Mecklenburg, Elenchum, Menschenfurcht, Menschengefälligkeit, Buße, Kuhhirt, Schwedisch-Pommersche, Bußpsalmen, Bußlieder, Generalsuperintendent, Konsistorio Rusmeyer, Greifswald, Malefikant, Pastor Hennings, Oberhofmeister von Maltzahn, Erbauungsstunde, Leinenkleider.

Es ist was sonderliches, wenn Seelen erweckt werden. Da
bleibt es nicht bei Erweckung, sondern es geht in einem
ernstlichen Gefühl des Elends bis zu Christo, und ruhen sie
nicht eher, bis sie in ihren Seelen recht versichert sind. Die ihr
Christentum nicht bis dahin bringen, bleiben nicht lange
beständig, denn Verfolgung und Lästerung ist gleich mit bei.
Unsere lieben Prediger stehen in großem Ernst und Hunger
nach Seelen. Die groben Lästerungen werden immer mehr
offenbar, daß auch viele einsehen, daß es Lügen sind, und
Beifall geben. Gott helfe, daß wir das liebe Kreuz nicht
einbüßen! Ich zweifle, daß wir gute Tage vertragen.“

Fast umgehend, schon am 22. Februar, antwortete ihm Francke und bat um eingehenderen Bericht. Diesen erstattete Rudolph erst am 16. Juni:


„In unserem armen Mecklenburg siehet es bisher noch
sehr schlecht aus, sonderlich unter den armen
Geistlichen. Man sollte es fast nicht glauben, daß in
einem solchen weiten Bezirk so gar wenige die Wahrheit
erkennen, lieben und bekennen. Die allermeisten sind
recht unverschämte grobe Lästerer, daß sie auch die
allerunverantwortlichsten Lügen nicht nur billigen,
sondern auch ihren beständigen Elenchum sein lassen
und auf eine ganz greuliche Art die armen Seelen recht
betäuben, der göttlichen Wahrheit nicht Raum zu lassen.
Wenige sind wohl etwas überzeugt von der Wahrheit,
allein Menschenfurcht und -gefälligkeit, wie auch die
Begierde nach fleischlichen Tagen verhindert sie
durchzubrechen. Diese hüten sich vor groben Lügen und
Lästerungen, predigen mehr Wahrheiten, und doch,
wenn mans recht besieht, sind sie mehr wider als für die
Sache Gottes, indem ihr Leben und Lehre ganz konträre
Dinge sind. Unsere fünf redlichen Prediger müssen also
freilich in manchen sauren Apfel beißen und manchen
Verdruß von den Übelgesinnten hinnehmen. Dem allen
ungeachtet fahren sie fleißig fort, als treue Haushalter ihr
Amt zu verwalten. Mein wertester Herr Hofprediger ist
bisher dem Leibe nach immer unpäßlich gewesen, daß er
seine Arbeit oft anderen überlassen müssen, findet sich
aber jetzo merklich gestärkt. Unsere teuerste Fürstin
befindet sich noch in gutem Wohlsein und ist noch recht
wacker, auch wohl bereit, Gut, Ehre, Leib und Leben um
der Ehre Christi willen aufzuopfern. Es werden durch
das Wort Gottes immer noch Seelen über-

zeugt, zur wahren Buße gebracht und zur Versicherung der Vergebung der Sünden geleitet. Zwei Exempel eines Kuhhirten und eines Schäfers sind besonders bemerkenswert. Da vielleicht mein lieber H. Merk von dem Kuhhirten Ihnen Nachricht gegeben, will ich einiges von dem Schäfer melden: Er ist in Mecklenburg geboren, hernach ins Schwedisch-Pommersche gezogen, hat die Schafe gehütet und seinem eigenen Geständnis nach eine sodomitische Sünde begangen. Darauf hat ihm Gott sein Gewissen sehr unruhig gemacht, er ist ganz tiefsinnig geworden, daß er seinen Beruf verlassen müssen und in Angst und Schwermut seines Herzens beständige Unruhe empfunden. Er ist zu den Predigern gegangen, die ihm bald Bußpsalmen bald Bußlieder gezeigt, daran er sich halten sollte, welche aber alle kein Genüge tun wollen. Oft hat man ihm Medikamente oder Lustbarkeiten gebracht, aber die Seele hat diese Kuren nicht empfunden, sondern ist wie ein beständig unruhiges Meer gewesen. Er ist in Stralsund bei dem Generalsuperintendenten gewesen und hat gemeint, dieser große gelehrte Mann würde was für seine bekümmerte Seele wissen. Allein er gibt ihm ein Buch von der Melancholei. Als er darinnen liest, findet er eine Stelle, wo der Verfasser geschrieben, wer reich werden wolle, müsse 60 Jahre nicht denken, daß er eine unsterbliche Seele habe. Dies nimmt ihm alles Vertrauen zu dem Buche, und er gibt es wieder zurück. Endlich sagt der Generalsuperintendent, er solle es nicht achten. Der Satan fechte ihn auch oft mit Sünden an, dafür wäre Christus gestorben. Aber er muß also ohne Trost sich von ihm begeben. Er denkt endlich, er will eine Mordtat ausüben oder eine andere Übeltat, damit man ihm das Leben nehme. Dann würde sein nagend Gewissen stille werden. Er geht hierauf zu dem Prediger, der ihn zum Abendmahl vorbereitet hatte, und bittet, es zu vermitteln, daß er der Obrigkeit in die Hände gegeben werde, daß sie ihn am Leben strafe. Dieser schickt ihn ohne Trost nach dem Konsistorio in Greifswald. H. D. Rusmeyer 5) versuchts auch mit etlichen Sprüchen, die von Vergebung der Sünden handeln, und will ihn damit trösten. Als aber der Trost nicht gleich haften will, sagt er ihm, er müsse nach Mecklenburg gehen, an den Ort, wo er geboren, und sich sein Recht tun lassen.
Da reist er auch gleich fort, kommt nun zu einem Edelmanne, dem H.
von Viereck, der in Halle studiert und oft bei uns ist, die Wahrheit
wohl erkennt, aber wenig danach tut. Als er zu ihm kommt, erzählt
er, wie ihm alle Prediger nicht zu helfen wüßten, darum so wollte er
sich hiermit in sein Gericht geliefert haben und bittet, ihn bald dem
Tode nahe kommen zu lassen. Allein der H. von Viereck sieht wohl,
daß er noch schlecht zubereitet ist, verspricht ihm zwar, ihn
anzunehmen, man wisse nicht, was Gott tun könne. Kein Prediger
aber will sich an ihn machen, er wird als ein Malefikant gehalten. Es
läßt der Edelmann auch H. Pastor Hennings holen, weil der in
sonderem Rufe stehet. Aber er fährt wieder weg, wie er gekommen,
und redet nicht ein Wort mit ihm. Als der Edelmann sieht, daß sich
niemand seiner annehmen will, schreibt er an unseren H.
Oberhofmeister von Maltzan und erkundigt sich, ob sich unsere
Prediger des armen Mannes annehmen würden. Da er die
Versicherung erhält, schickt er ihn nach Dargun und gibt Kostgeld
für ihn. Als er zu uns kam, weinte er bitterlich, als er hörte, daß er in
Dargun wäre, weil ihm der Ort längst verhaßt gemacht war. Als er
aber mit in die Erbauungsstunde ging, ward er ganz lebendig, als er
nur die Ordnung hörte, wie ein armer Sünder aus Gnaden um Christi
willen gerechtfertigt werde, wenn er nur im Glauben das Verdienst
Christi sich aneigne. Er ist ganz freundlich, ist auch mit ihm wohl
umzugehen. Seinen Bart hat er nie geschoren, denn er meinte, darin
bestünde etwas. Er trägt auch nur Leinenkleider und von
Schafsfellen, welches ihm auch noch ziemlich anhängt. Den Bart
schneidet er sich nun ab, von Kleidern wird er auch schon noch
loskommen. Es fehlt ihm nichts mehr, als daß er noch nicht recht
fest ist in der Gnade. Wir haben aber das Vertrauen zu Gott, er
werde ihn zur völligen Freude und Siege des Glaubens bringen.“




5) Michael Christian Rusmeyer (1686 - 1745), Professor in Greifswald, 1741 Generalsuperintendent.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus den Briefen des Hofkantors Rudolph in Dargun