Abschnitt. 1 - Prinzessin Augusta, Dargun, Bußkampf, Walch, Religionsstreitigkeiten, Wilhelmi, Halle, Hofkantor Jakob Rudolph, Staatsbibliothek Berlin, 1737, Viktualien, Schulgeld, Ehrenpfort, Hövet, Examenbüchlein.

Durch die Prinzessin Augusta hatte in Dargun und Umgegend der hallische Pietismus Boden gewonnen. Wir kennen die Pastoren, die ihn pflegten, wir wissen von dem Streite über die Bekehrung, über den Bußkampf, zu dem sie Anlaß gaben. Er ist von Walch im fünften Bande seiner „Historischen und theologischen Einleitung in die Religionsstreitigkeiten der lutherischen Kirche“ und von WiIhelmi im Mecklb. Jahrb. 48 ausführlich dargestellt. Zu den Freunden Halles in Dargun gehörte auch der Hofkantor Jakob Rudolph. Unter dem jüngeren Francke hatte er einst an der Saaleuniversität studiert, mit ihm blieb er in Verbindung, als er im Mecklenburgischen ein Amt gefunden hatte. Er hat von hier manchen Brief an ihn gerichtet, ihm von seinen Erfahrungen und den Verhältnissen in Dargun gemeldet. Aus diesen Schreiben, welche die Staatsbibliothek in Berlin aufbewahrt, wollen wir schöpfen. Da läßt er sich unter dem 6. Mai 1737 vernehmen:

„Ich habe eine ziemlich starke Schule und viele Arbeit in ihr, weil ich die Jugend ganz unwissend in allen Stücken gefunden. Jedoch hat es mir viele Erleichterung gewährt, daß ich mich der in den hallischen Schulen eingeführten Methode bedient. Schon merke ich, wie die Kinder im Äußerlichen viel zugenommen haben. Ich danke Ew. Hochehrw. nochmals, daß ich durch Ihre Fürsorge nicht nur Schüler, sondern auch Lehrer im Waisenhause habe sein können. Was nun das Geistliche bei meinen Kindern anlanget, so geht es mir wie sonst gewöhnlich, daß es mehr zu glauben als zu sehen gibt. Gott schenkt mir aber rechte Lust und Freudigkeit, an der mir anvertrauten Jugend zu arbeiten. Im Leiblichen hat mich Gott auch recht wohl versorgt. Meine gnädigste Fürstin mir zum jährlichen Salario 40 T. nebst anderen zur Unterhaltung nötigen Viktualien gewährt, da mein Vorgänger nur 9 T. jährlich bekommen und nur vom Schulgeld mit seiner großen Familie leben müssen. Ich habe auch die Schule in zehnmal besserem Stande als er. Unsere durchlauchtigste Fürstin ist noch recht munter, wie auch alle anderen erweckten Seelen. An Verfolgung und Verspottung fehlts bei uns eben nicht. Unsere Herren Prediger, H. Ehrenpfort 1), H. Schmidt 2), H. Hövet 3), sind neulich einer nach dem anderen im Konsistorio gewesen, und haben die Herren Rostocker ihr Heil an ihnen probiert, aber wenig ausgerichtet. Denn unsere Herren Pastoren haben die Wahrheit treulich bekannt, sonderlich H. Pastor Ehrenpfort, dem sie auch in ihrem schriftlichen Bescheid, den sie ihm erteilet, seine sonst in seinem Hause gehaltenen Betstunden verboten und ihm untersagt, etwas wieder drucken zu lassen, ob sie gleich immer eine Schmähschrift nach der anderen gegen ihn und seine Traktate drucken lassen, ob sie schon noch nichts wahrhaftiges Unrechtes finden können, welches nur einen Schein hätte. Sie handeln recht tückisch und gottlos in der Sache und wollen es nur dahin bringen, daß man glauben soll, bürgerliche Ehrbarkeit sei genug und von groben Schanden und Lastern abstehen wahre Gottseligkeit. Hingegen machen sie wahre Buße und Glauben zu einem solchen Spektakul, daß sie nicht mehr als Segen und Gnade, sondern ärger als Zuchthaus und Festungsbau dem armen Pöbel vorgemalt wird. Auf solche ihre Schriften fällt das arme Volk mit Gewalt, weil Adam sein gutes Futter darin findet. Denn äußerliches Kirchen- und Abendmahlgehen und bei unbekehrtem Herzen verrichtete gute Werke werden dem lieben Gott schon hoch angerechnet. Man hätte in Mecklenburg lange das Wort kräftig gepredigt. Die neue Buße mache tolle Leute und was dergleichen mehr, damit nur die armen Leute zurückgehalten werden. Dem allen ungeachtet gelingts doch dem Argen nicht allezeit, sondern Gott reißt immer einen nach dem anderen heraus aus ihren Stricken. Noch neulich ist ein gewisser Prediger nahe bei Rostock der Wahrheit beigetreten und scheut keine Verachtung. Ich hoffe, Gott wird noch große Proben seiner Gnade in Mecklenburg zeigen. Ich finde bei meinen Kindern dergleichen Ärgernis. Die Eltern sind ihnen sehr hinderlich, und ihre Sorge geht nur dahin, daß sie mit der neuen Lehre nicht angesteckt werden und, wenn sie im Äußerlichen bei mir nichts lernten, sollte meine Schule ziemlich leer sein. Allein Gott wird helfen, er wird dennoch helfen!“


Leider sind die folgenden Briefe des Hofkantors nicht erhalten. Das nächste Schreiben seiner Feder, das vorliegt, ist vom 8. Februar 1740 datiert. Drin meldet er:

„Meine Arbeit setze ich im Namen Gottes noch fort, obwohl unter Beschwerung des mali hypochondriaci. Ob ich nun an den armen Kindern sehr wenig Segen merke, gebühret mir doch, nicht faul, sondern desto ernstlicher und fleißiger zu sein, damit ich mein Gewissen rette. Oft denke ich zwar, daß ich ganz untüchtig zur Schule sei, doch glaube ich, daß es oft mehr eine Anfechtung als Wahrheit sei, wiewohl ich nicht viel Geschick an mir finde, so sehe ich doch, wie Gott ja immer noch Kraft dem Leibe und der Seele nach gönnet, meine Arbeit fortzusetzen, und eher kann ich meinem Herzen nicht glauben, bis Gott mir die erforderlichen Kräfte nicht mehr gibt. Und was die Schwachheit meines Leibes oft nicht zuläßt, wird er in Gnaden übersehen. Ich wollte es ja gern besser machen, wenn ich es nur könnte. Ich lerne nun durch Gottes Gnade mehr und mehr, was es heißt, aus Gnaden gerecht sein. Je älter ich werde, je mehr sehe ich mein Nichts. Aber nun sind die Worte: ,Aus Gnaden seid ihr selig worden’ und dgl. von eben der Art mir Zucker, und der Saalfeldische Auszug aus Lutheri Schriften ist fast meine tägliche Kost. Der liebe H. Becker 4) schickte mir vor etlichen Tagen das Examenbüchlein über ,Christus gestern und heute’. Ich schreibe vor Gott, als ich es las, freute sich mein Herz, und zwei Tage darauf war ich so freudig, daß ich hüpfen mußte. Ich hatte den Spruch mein Lebenlang so lebendig nicht an meiner Seele erfahren. Ei, Jesus mache doch seine Unveränderlichkeit alle Tage groß in meiner Seele, so soll gewiß kein Umstand vorfallen, worin nicht besonderer Trost aus dieser unveränderlichen Liebe Jesu haben werde. Was sonst unser liebes Mecklenburg betrifft, so scheint das Licht immer in finstern Orten und macht doch viele hell. Seit Weihnachten hat der liebe Gott viele zur Versicherung seiner Gnade gebracht.




1) Henning Christoph Ehrenpfort, seit 1734 Pastor in Röcknitz. Vgl. Willgeroth, Die Mecklb. Pfarren III, S. 1310.
2) Jakob Schmidt, Pfarrer zu Levin. Vgl. Willgeroth a. a. O. I, S. 268.
3) August Hövet, Pfarrer in Gr.-Methling. Vgl. Willgeroth a a. O. I, S. 549.
4) Joh. Hermann Becker, 1734 Archidiakonus in Rostock. Vgl. Willgeroth a. a. O. III, S. 1423.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus den Briefen des Hofkantors Rudolph in Dargun