Eine Ohrfeigen-Karriere.

Zu derselben Zeit, als des Amerikaners George Kennan Mitteilungen über die sibirischen Verbannten die ganze Welt erschütterten, wurde in Petersburg ein internationaler Gefängnis-Kongress abgehalten und von der russischen Regierung ein Preis für die beste Abhandlung über John Howards Verdienste um die Humanität ausgesetzt. Auf diesem Gefängniskongress, welchen der Zar Alexander im Beisein seiner Gemahlin und der ganzen kaiserlichen Familie eröffnete, wurden Trinksprüche und Lobsprüche auf das russische Verbannungswesen ausgebracht, das selbst den Verbrecher, den politischen wie den gemeinen, doch noch immer als Menschen behandle! . . .

Welche Ironie!


Aber diese Ironie ist eine russische Eigentümlichkeit.

Die Regierung des heiligen Zarenreiches ist in manchen Dingen zart besaitet, in anderen von roher Gefühllosigkeit. Sie tut sich etwas darauf zu gute, dass sie die Todesstrafe aus dem bürgerlichen Gesetzbuche gestrichen hat, und dafür lässt sie ungezählte Zivilpersonen und „Politische", die ihr unbequem sind, durch — Kriegsgerichte zum Tode verurteilen.

Sie zittert und zeigt sich betroffen, wenn die Verbannten in Sibirien, besonders die „politischen", die oft wegen geringfügigster Ursachen dorthin wandern müssen, des fürchterlichen Elends müde, zum letzten Bettungsmittel, zum Hungerstrike, greifen; sie tut alles Mögliche, um das qualvolle Leben dieser Gefangenen zu verlängern, und erleichtert ihre Leiden hin und wieder nur, um sie dann desto grausamer zu erhöhen.

Sie zeigt sich entrüstet über die bulgarischen Ungerechtigkeiten, über die Vergewaltigungen der Armenier seitens der Türken — und sie selbst begeht die größten Ungerechtigkeiten und Vergewaltigungen an ihren besten bisherigen Stützen, an den Balten.

Immerfort lässt sie erklären, dass Taufen von Protestanten und Juden und Katholiken nur dann gültig sind, wenn sie aus ehrlicher Überzeugung erfolgen, und sie selbst drängt Protestanten und Juden und Katholiken, nur durch materielle Gründe sich zum orthodoxen Glauben zu bekennen.

Sie sagt, sie brauche die Juden nicht zum Militär; da die Juden in Russland keine Rechte haben, sollen ihnen auch keine Pflichten auferlegt werden, und — trotzdem verlangt sie jährlich 75.000 jüdische Rekruten und lässt sogar, wenn irgendwo die Zahl nicht voll ist, heimlich Unmündige ihren Eltern entreißen und zur Soldateska pressen.

Das sind russische Rätsel, die nur durch jene Revolution gelöst werden können, welche nach bekanntem Ausspruch Russland der Welt noch schuldig ist.

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In einem so rätselhaften Staatswesen kann es nicht wunder nehmen, auf einer der höchsten Stellen des Reiches einen Mann zu finden, dessen ganze Karriere nur durch Ohrfeigen, nicht erteilte, sondern erhaltene, gemacht worden ist.

Ohrfeigen haben vielfach geschichtliche Berühmtheit, und selbst ein Marschall Talleyrand kann sich rühmen, eine schallende Backenkosung öffentlich erhalten zu haben. In jüngster Zeit ist die Ohrfeige berühmt geworden, welche der Minister Constans dem schamlosen Abgeordneten Laur in der Kammer zu Paris erteilt hat; diese Ohrfeige fand überall sympathische Zustimmung, denn gewissen Leuten gegenüber gibt es kein besseres Verteidigungsmittel als das Handrecht.

Dass aber einer, der nicht andere ohrfeigt, sondern von ehrenwerten Männern geohrfeigt wird, dass ein so entehrter Mann gerade infolge einer jeden neuen Ohrfeige, die er erhält, immer höher und höher steigt in Macht und Ansehen — das ist nur im heiligen Zarenreich möglich . . . .

Wegen Differenzen mit dem Generalgouverneur von Moskau, dem Großfürsten Sergey, musste der bisherige Polizeimeister der Kremlstadt, Oberst Alexejew, von seinem Posten zurücktreten, und an seine Stelle wurde der bisherige Polizeimeister von Riga, Alexander Alexandrowitsch Wlassowsky, berufen. Dieser Oberst Wlassowsky ist zu dem hohen Amt von Stufe zu Stufe emporgestiegen, immer infolge einer Ohrfeige.

Er war vor Jahren ein kleiner Polizeibeamter in Warschau.

Langsam rang er sich vorwärts, bis er endlich Gelegenheit fand, sich der Regierung bemerkbar zu machen. Es begann die Russifizierung Polens; als energischer Anhänger derselben zeigte sich sofort Alexander Alexandrowitsch Wlassowsky und beleidigte und beschimpfte die Polen, wo es nur ging, und als er infolgedessen einmal eine Ohrfeige erhielt, belohnte ihn die Regierung, in deren Interesse er die Ohrfeige erhalten, mit einem Orden und einem höheren Posten.

Nun kannte Wlassowskys Hochmut keine Grenzen, er lechzte nach einer neuen Ohrfeige.

Gelegenheit fand er bald. Eines Tages fuhr er in seinem Wägelchen inspizierend durch die Straßen von Warschau und kam in eine enge Gasse, wo bereits vor dem alten Palais des Grafen Zamoyski des letzteren Wagen stand, so dass ein zweiter nicht vorbei konnte.

„Platz da, Poljak!“ rief Wlassowsky dem Kutscher des Grafen zu.

„Ich erwarte meinen Herrn“, erwiderte der Kutscher.

Wütend sprang Wlassowsky aus dem Wagen, hieb auf den Kutscher des Grafen los und stürmte ohne sich melden zu lassen in das Palais, in das Zimmer des Grafen Zamoyski, der gerade wegfahren wollte.

Ohne zu grüßen schrie Wlassowsky:

„Ihr Kutscher, der polnische Hund, trotzt mir — mir! Wie der Herr, so der Knecht — aber man wird euch schon züchtigen."

Der Graf Zamoyski erwiderte nichts, erhob bloß die kräftige Hand und ließ sie wieder sinken — und Wlassowsky hatte die ersehnte Ohrfeige . . .

Solchen Schimpf konnte die Regierung nicht auf ihrem Beamten sitzen lassen, ein geohrfeigter Polizeibeamter ist unmöglich in einer polnischen Stadt. Das beste Mittel ist, dass man ihm einen Orden gibt und ihn auf eine höhere Stelle in einer anderen Stadt befördert.

Russische Logik!

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Der ruhmbedeckte Mann wurde also von seinem kleinen Polizeiposten in Warschau als — Oberpolizeimeister nach Riga versetzt. Man hatte gerade fieberhaft die Ostseeprovinzen zu slawisieren begonnen, Wlassowsky war der vortrefflichste Mann, das große Werk durchführen zu helfen. Sein Erscheinen in der ehemaligen Residenz der deutschen Schwertbrüder brachte dort auch eine gewaltige Umwandlung hervor. Unter den bisherigen Regierungsbeamten, die fast durchgängig Deutsche gewesen, hatte man schier ganz vergessen, dass man zum halbasiatischen Russland gehöre: man war von den Beamten so menschlich, so ehrlich behandelt worden. Seit Oberst Wlassowsky Beherrscher Rigas geworden, fühlte man schnell, dass man zu Russland gehöre . . . Wlassowsky führte russische Art und Weise ein, an Stelle des „Unterpolizeimeisters", der „Quartaloffiziere" und „Wachmänner" kamen russische Namen mit russischem Inhalt, kamen bissige rohe „Pristaws", „Okolodotschny" und „Gorodowoys". Und er selbst, der Chef, der kleine, ausgedörrt hagere Mann mit dem wie gebrochen vorgeneigten Haupte, in welchem die grauen spitzen Augen fortwährend schielen, ruhte nicht Tag und nicht Nacht in Erfüllung seines Berufes: im Aufstöbern sophistischer Verleumdungen, Denunziationen und Spionenriechereien. In einer engen, einsitzigen Droschke dahinsausend, tauchte er bald da, bald dort auf, inspizierte er die Wachen, überfiel er ahnungslose Bürger und vollführte eine — sagen wir Heldentat nach der anderen.

Mit seinem Hasse verfolgte Wlassowsky seit seinem Regierungsantritt besonders die „Rigasche Zeitung", welche durch 120 Jahre unangefochten in deutscher Sprache erschienen war und in würdiger Weise das deutsche Baltentum vertreten und damit die Loyalität gegen Regierung und Zarenhaus schön zu vereinigen gewusst hatte. Aber Wlassowskys Parole war — nix deutsch! Also auch: nieder mit der deutschen Rigaschen Zeitung! Wie stellt dies Herr Wlassowsky an? Im Einverständnis mit dem Gouverneur Ssinowjew lässt er durch einen seiner Hetzer bei einem Konzert einen Skandal hervorrufen, in welchen künstlich ein Redakteur der Rigaschen Zeitung hineingezogen wird, und ehe man sich's versieht, ist dieser, der an allem ganz Unbeteiligte, der Mittelpunkt des Skandals. Plötzlich zieht jener Hetzer einen Revolver und bedroht den Redakteur; dieser versetzt notgedrungen dem Angreifer einige tüchtige Hiebe und — nun erscheint Wlassowsky mit einem förmlichen Polizeiheer, erklärt den Redakteur für verhaftet, und anderen Tages ist der Unglückliche für Freunde und Verwandte aus der Liste der Lebenden gestrichen — er wandert nach Sibirien als „administrativ Verbannter" . . .

Solche Stückchen folgten Tag auf Tag. Der Chef der Rigaschen Zeitung, seines Lebens nicht mehr sicher, seit es seinem Redakteur so ergangen, entzog sich dem Hasse Wlassowskys durch die Flucht ins Ausland. Die Ernennung eines neuen Redakteurs hing von Wlassowskys Einwilligung ab; diese erfolgte bei keinem der Vorgeschlagenen, und die Rigasche Zeitung, die 120 Jahre ohrenvoll bestanden, musste zu Grunde gehen.

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Vor einiger Zeit erschien zum Gastspiel im Deutschen Theater zu Riga der berühmte Schauspieler Adolf Sonnental. Er trat auf und nahm alle Herzen im Sturm gefangen. Das Haus fasste die jubelnden Menschen kaum, die ihn hören, ihn sehen, ihn bewundern wollten. Das wurmte den Polizeimeister Wlassowsky fürchterlich. Oft hatten russische Schauspieler in Riga ihr Glück versucht, ohne etwas Erfolg zu haben. Das russische Theater in Riga findet nur ein schweres Auskommen — das deutsche Theater aber ist überfüllt, noch dazu, da ein österreichischer Jude zu Gaste ist! Das fordert doch förmlich zur Maßregelung heraus!

Sonnenthal ist Jude und Österreicher — da packt man's! Wlassowaky jauchzt. Der edle Mann erinnert sich sofort einer Verordnung, dass ausländische jüdische Kaufleute, aber auch österreichische Juden, wenn sie nicht Kaufleute sind, ohne besondere höhere Erlaubnis nicht länger als drei Tage auf russischem Gebiet weilen dürfen. Sofort schickt er einen niederen Polizeibeamten zu Sonnenthal und befiehlt ihm, Riga binnen zwölf Stunden zu verlassen.

Wie sich in der Stadt das Gerücht hiervon verbreitet, erfasst alle Leute Wut und Verdruss. Man fühlt gut, dass Wlassowaky den Schlag gegen das deutsche Theater, gegen das Deutschtum führt, dass ihm die Konfession des Künstlers nur ein willkommener Vorwand ist. Und man wendet sich an den österreichisch-ungarischen Konsul, der dem Botschafter in Petersburg, dem Grafen Wolkenstein, die Sache telegraphisch mitteilt, und umgehend kommt vom Minister des Innern der Befehl an Wlassowsky, dem Schauspieler Sonnenthal den Aufenthalt in Riga zu gestatten. Am Abend dieses merkwürdigen Tages erschien Sonnenthal auf der deutschen Bühne zu Riga als Uriel Acosta, und unter stürmischem Jubel des Publikums sagte der große Schauspieler im zweiten Akte die Worte seiner Rolle: „Ihr dürft mir fluchen, denn ich bin ein Jude", mit besonderer Betonung.

In einer Ecke des Parketts aber stand der kleine Polizeimeister Alexander Alexandrowitsch Wlassowsky, und seine spitzen grauen Augen leuchteten unheimlich, und seine verdorrten Lippen flüsterten: „Rache, Rache!" . . .

Und er rächte sich an den Glaubensgenossen des Schauspielers.

Neben Riga liegt reizend am Ufer des Meerbusens der Badeort Dubbeln, ein Paradies, das leider unter schauderhafter Wirtschaft zu keiner rechten Blüte zu gedeihen vermag, obgleich es manche Jahre recht gut besucht ist. So erinnere ich mich, dass dort anfangs der achtziger Jahre fast 60.000 Badegäste waren, unter denen sich einige Mitglieder des Kaiserhauses und der berühmte, seit kurzem verstorbene Dichter des Oblomow, Gontscharow, befanden. Einen Hauptteil des Badepublikums bilden Juden, welche dem Orte auch die Haupteinkünfte bieten. In diesem Orte nun erschien eines Tages Polizeimeister Wlassowsky mit vierzig Polizeibeamten und teilte eine Verordnung mit, laut welcher jeder Badegast, ob arm, ob reich, ob alt, ob jung, eine Steuer von 50 Kopeken zu entrichten hätte. Mit roher Gewalt fiel er in alle Häuser ein und zwang selbst die ärmsten Leute zur Bezahlung dieser improvisierten Steuer, und nachdem er das Geld einkassiert hatte, brachte er ein Gesetz zum Vorschein, wonach Juden, die nicht nach Livland oder Kurland zuständig sind, in Dubbeln nicht weilen dürfen; binnen 24 Stunden mussten zahllose Kranke und Arme, welche eben erst die Steuer entrichtet hatten, den Badeort verlassen. . . .

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In seiner ärmlichen Werkstatt in der Moskauer Vorstadt von Riga sitzt der Schachtelmacher Leb David Pass. Fleißig muss er sein, um Brot für sich und die zahlreiche Familie zu erwerben, zu erkämpfen. Es sind gar so schlechte Zeiten! Und diese Konkurrenz! Und der Neid und Hass auf Schritt und Tritt!

Düster starrt er vor sich hin, und Tränen fallen auf das kleine schwarzlockige Kind, das zu seinen Füßen kniend anfangs heftig schluchzt und dann nur noch wimmert: „Ich hab' Hunger, Vater, ich hab' Hunger" — ach, seit vielen, vielen Wochen hat das arme Kind knapp trockenes Brot zu essen bekommen . . .

Da plötzlich wird die Tür aufgerissen und herein tritt — Oberst Wlassowsky, begleitet von einigen Kosaken.

Das Kind springt schreiend auf und stürzt in die Nebenkammer zur Mutter, die bleich und erschrocken in die Werkstatt kommt. Leb David aber behält seine Ruhe, er hat ein gutes Gewissen . . .

Wlassowsky schielt den Juden an:
„Woher bist du?"
„Aus Schaulen im Gouvernement Kowno, Herr Obrist."
„Weißt du nicht, dass die Juden nur in den Städten wohnen dürfen, wo sie geboren sind? Was treibst du in Riga?"
„Ich bin Meister, Sehachtelmacher, und als solcher darf ich in ganz Russland wohnen."
„Dass du dein Handwerk verstehst, musst du erst beweisen."

Der Polizeimeister befiehlt einem Soldaten, zwei Sachverständige zu holen. Als diese, natürlich Stockrussen, erschienen sind, sagt Wlassowsky zu Leb David:

„Mache sechs Schachteln, ganz kleine, für Apothekerzwecke, in ovaler Form. Alle müssen genau ineinander passen."

Leb David sieht den Polizeimeister ruhig an:
„Gut, Herr Obrist."

Er ergreift Schere, Zirkel, Messer und Bleistift und will sich an die Arbeit machen.

Aber Wlassowsky nimmt ihm Schere und Zirkel weg und lässt ihm nur Messer und Bleistift und sagt mit sanfter Stimme:
„So wäre es ja kein Kunststück!" . . .

Leb David sieht den Polizeimeister ruhig an und sagt:
„Gut, Herr Obrist!"

Er nimmt einen Karton Holzpapier, zeichnet mit dem Bleistift die nötigen Schachteln vor und schneidet sie mit dem Messer heraus. Zum Bekleben der Schachteln befiehlt ihm Wlassowsky weißes Moirépapier zu nehmen. Als Leb David den Kleister mit dem Pinsel aufschmieren will, nimmt ihm Wlassowsky den Pinsel:

„Mach's mit den Fingern, Jud! Aber wehe dir, wenn du nur ein Fleckchen machst, dann ist deine Arbeit umsonst, dann verlässt du sofort Riga."

Leb David sieht den Polizeimeister ruhig an und sagt:
„Gut, Herr Obrist!"

Und er bringt die Arbeit fertig, eine Schachtel fügt sich in die andere. Das Bekleben macht die größte Schwierigkeit, das feine Moirépapier ist mit den schmierigen Händen so schwer zu fassen — aber mit den Lippen, mit den Nägelspitzen bringt Leb David das Kunststück zu Stande. . . . Die Sachverständigen sind befriedigt, nicht auch Wlassowsky. Und da er durchaus etwas ausgesetzt haben will, sagen die Sachverständigen, welche den Zorn des Tyrannen fürchten:
„Der Jude hätte statt Holzpapier auch Lumpenpapier nehmen können, das ist noch schwerer zu bearbeiten."

Leb David wendet ein:
„Ich hätte es auch mit Lumpenpapier machen können. Aber ich habe keins. Lassen Sie es gut sein, Herr Obrist, quälen Sie nicht noch mehr einen armen Mann, der sein Stückchen Brot mühsam genug verdient."

Aber Wlassowsky hat schon die reizend gearbeiteten Schachteln ergriffen, zu Boden geworfen und mit den Füßen zerstampft. Er befiehlt, Lumpenpapier zu holen, wirft dies dem Meister hin und sagt mit sanfter Stimme:
„Mach's noch einmal, Jude!"

Und der arme hungrige Leb David Pass sieht den Polizeimeister ruhig an und sagt:
„Gut, Herr Obrist!"

Und von neuem beginnt er die Arbeit.

Und der vielbeschäftigte Polizeimeister findet Zeit genug, sich stundenlang an der Qual des armen Mannes zu weiden — ach, er ist eifrig in seinem Beruf! . . .

Endlich, endlich ist Leb David fertig.

Nun giebt sich Wlassowsky zufrieden und zieht mit den Leuten ab.

Am andern Tage erscheint beim Schachtelmacher Leb David Pass ein Bote des Polizeimeisters und bringt dem Juden die gnädige Erlaubnis, in Riga zu bleiben. Aber unter der einen Bedingung, dass er auf seinen Rang als Meister verzichte und sich selbst zum „Podmeyster", nämlich zum Untermeister oder Gesellen degradiere, worin Pass notgedrungen willigen muss.

Was Wlassowsky davon hat?

Nun, als Geselle kann Leb David Pass nicht soviel verdienen, wie als Meister. Als Geselle darf er nur allein arbeiten, ohne Mithelfer. Und das hat für Leb David ein gar großes Unglück. Die erzählte Geschichte hat sich schnell in Riga verbreitet, und die Leute möchten den armen Mann mit Aufträgen überhäufen. Aber Leb David kann nichts übernehmen, allein vermag er nur wenig auszurichten. Er könnte jetzt mit seiner Familie ein gutes Auskommen haben, aber sie müssen darben, darben, weil der Polizeimeister es will. . . .

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Trotz seines Abscheus gegen die Juden wandte Wlassowsky alle Liebe seines Herzens einer jüdischen Maitresse zu. Trotz seines Abscheus gegen Deutsche besuchte er, mehr als seine „Amtspflicht" es erforderte, deutsche Dirnenhäuser. In einem der letzteren war es, wo er seine erste Rigasche Ohrfeige erhielt, und zwar von dem stockrussischen Kaufmannssohn Kamarin, der als Schwiegersohn des Gouverneurs Ssinowjeff, des Freundes und edlen Genossen Wlassowskys, eine solche — Vertraulichkeit sich wohl erlauben durfte.

Das gute Beispiel blieb nicht ohne Nachahmung. Als Wlasssowsky — trotz seines Abscheus gegen Deutsche — sich einer kurländischen Baronin gar zu heiß mit Liebesanträgen nahte, erhielt er von dem Gemahl der bedrängten Frau die zweite öffentliche Ohrfeige seiner Rigaschen Regierungszeit.

Wie viele klatschende Zeichen der Anerkennung für seine Tätigkeit in der alten Hansastadt Wlassowsky noch weiter bekommen hat, getraue ich mich nicht, genau zu konstatieren. Sie haben jedenfalls das höchste Maß von Verdiensten nach russischer Berechnung überschritten, da die Regierung sich veranlasst sah, den „pflichttreuen" Beamten auf eine der höchsten Stellen des Reiches, auf die Stelle eines Polizeimeisters von Moskau, zu berufen.

Und so wünsche ich dir denn, Alexander Alexandrowitsch, du Geißeltype meiner unglücklichen Heimat, dass deine Ohrfeigen-Karriere noch lange nicht abgeschlossen sei. Hoffentlich finden sich in Moskau Leute, welche dir durch schallende Beweise ihrer Hochachtung zu einem Minister-Portefeuille verhelfen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem modernen Russland.