Einheit der Kirche u. des Staates. Der aggressive Charakter der reformierten Kirche

Mit der Concordienformel, als dem letzten ihrer Bekenntnisse, war zwar die lutherische Kirche in sich selbst zu einem Abschlusse gekommen, und hatte gegen die von Außen eindringenden calvinischen Lehren nicht minder reagiert, als es ihr gelungen war, den melanchthonschen Typus, insoweit er sich von der rein lutherischen Lehre entfernt hatte, auszuschließen, aber es lässt sich nicht entfernt sagen, dass damit die Kämpfe zwischen der lutherischen und reformierten Konfession aufgehört oder auch nur in ihrer Schärfe nachgelassen hätten. Der aggressive Charakter der reformierten Konfession dauert auch nach der Unterdrückung des Kryptokalvinismus in Sachsen fort, und verliert keineswegs an Intensität. Überall, wo die kalvinische Konfession auftritt, macht sie auch mit größerem oder geringerem Erfolge den Versuch, die lutherische Kirche wenn nicht völlig zu verdrängen, doch jedenfalls möglichst zu beschränken und umzugestalten. In dieser Beziehung war es nicht von geringer Bedeutung, dass die reformierte Konfession wiederholt fürstliche Glieder für sich gewann. Herzog Johann Casimir, Pfalzgraf Johann von Zweibrücken und Markgraf Ernst Friedrich von Baden waren zur reformierten Kirche übergetreten. Dass die Besorgnisse der Lutheraner in dieser Hinsicht nicht ungegründet waren, zeigt der noch vor dem Ausbruche des dreißigjährigen Krieges am 25. Dezember 1613 erfolgte Übertritt des Kurfürsten Johann Sigismund von Brandenburg zum Kalvinismus. Auch der Übertritt des Prinzen Wolfgang Wilhelm von Pfalzneuburg zur katholischen Kirche, der am 23. Mai 1614 erfolgte, übte nicht nur auf den Successionsstreit über Jülich und Berg, sondern auch auf die allgemeine Stellung der Konfessionen zu einander einen bedingenden Einfluss *). Die Art und Weise aber, wie der Pfalzgraf Friedrich die ihm von den böhmischen Ständen dargebotene Krone, trotz der Abmahnung des kurfürstlichen Kollegiums angenommen, und wie er nach seiner in Böhmen erfolgten Krönung während der kurzen Zeit seines Königtums sowohl allen revolutionären Elementen und allen gegen die Sicherheit Deutschlands gerichteten Planen, als auch dem bilderstürmenden Eifer seiner calvinischen Theologen Vorschub geleistet hatte**), musste die lutherisch gesinnten Fürsten und Stände mit Argwohn und gerechter Besorgnis erfüllen.

*) Pütter, Historische Entwicklung der heutigen Staatsverfassung des teutschen Reichs. Th. II. S. 32 f.


**) Wie sehr man von katholischer Seite geneigt war, die böhmische Bewegung, so weit sie die Religion mit anging, auf die aggressiven Tendenzen des Kalvinismus zurückzuführen, zeigt ein Lied „Calvinischer Vortanz, welcher in Ober-Österreich geschmittet, zu Prag in Böhaim angefangen und wider die Papisten allenthalben gehalten worden ist“ in: Julius Opel und Adolf Cohn, Der dreißigjährige Krieg. Eine Sammlung von historischen Gedichten und Prosa-Darstellungen. Halle 1862. S. 140 ff.