Die allgemeinen politischen und kirchlichen Zustände Deutschlands

Die erste Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts führt uns eine tief greifende Erschütterung aller kirchlichen, politischen und sozialen Verhältnisse, die daraus hervorgehende innere Zerrissenheit Deutschlands und schließlich die Neugestaltung aller kirchlichen und politischen Rechtsverhältnisse vor Augen, auf deren Grunde die kirchliche und staatliche Entwickelung Deutschlands bis in die Gegenwart hinein gestanden hat. Aber die frühere Machtstellung Deutschlands war verloren gegangen, und die alten Grundlagen des deutschen Reiches waren durch solche ersetzt worden, welche wenig mit dem noch übrig gebliebenen Organismus desselben stimmten, und jede innere kräftige Entwickelung lähmen mussten. Der dreißigjährige Krieg hat zwar unleugbar seine Wurzel und seinen eigentlichen Ausgangspunkten der Glaubensspaltung des sechszehnten Jahrhunderts, da der Passauer Vertrag und der Augsburger Religionsfriede, überdies von der katholischen Kirche als solcher nie anerkannt, nur scheinbar und vorübergehend den tiefen Riss zu verdecken und durch interimistische Zugeständnisse nur ungenügend auszugleichen im Stande waren, welcher an sich unausgleichbar und unausheilbar durch das ganze Reich deutscher Nation hindurchging. Aber es lässt sich andererseits auch in keiner Weise verkennen, dass der dreißigjährige Krieg nicht ein bloßer Religionskrieg gewesen ist, sondern dass er, selbst abgesehen von der Wechselwirkung kirchlicher und politischer Faktoren, zugleich und wesentlich als ein um politischer Interessen willen entbrannter Krieg angesehen werden muss, in dessen verschiedenen Phasen nicht selten auch die politischen Interessen, von denen er bedingt war, uns überwiegend entgegentreten. In diesem Sinne umfasst derselbe eine Reihe von einzelnen Kriegen, die eine durchaus verschiedene Tendenz hatten, je nachdem die kriegführenden Mächte sich änderten und mit ihnen auch die Zwecke, von denen sie bestimmt wurden *). Dabei macht sich die Einmischung des Auslandes vom Anfang des durch die böhmischen Utraquisten angefachten Krieges durch alle seine Wechselfalle hindurch bemerkbar. Der tiefe Gegensatz zwischen der katholischen Kirche und den Bekennern der Augsburgischen Konfession, denen die Zugeständnisse des Religionsfriedens wider Willen durch die Macht der Umstände gemacht waren, musste unzweifelhaft eben so gewiss zu einem entscheidenden Konflikte zwischen Beiden führen, als auf die Länge hin die in den öffentlichen Zuständen Deutschlands vorhandenen politischen Gegensätze, welche durch die Glaubenstrennung vielfach geschärft waren, und die fast zur völligen Unbeschränktheit der Fürsten herangewachsene Landeshoheit in Kollision mit den rechtlich noch bestehenden Prärogativen des Reichsoberhauptes geraten mussten. Auf beiden Gebieten, dem kirchlichen und dem politischen, bringt der dreißigjährige Krieg die Entscheidung.

*) A. v. Daniels, Handbuch der deutschen Reichs- und Staatenrechtsgeschichte. Bd. II. Th. 2. S. 511 ff.