Die Responsa der theologischen Fakultäten. Inhalt und Bedeutung derselben

Die schon im sechszehnten Jahrhundert aufgekommene Sitte, sich bei den theologischen Fakultäten Rat zu holen und sich Responsa erteilen zu lassen*), bildete sich in dieser Zeit so allgemein aus, dass bei allen irgend bedeutsamen Fragen Gutachten von ihnen erfordert wurden. Im nördlichen Deutschland erteilten auch die geistlichen Ministerien Lübecks, Hamburgs, Rostocks und Stralsunds Responsa, welche so wie diejenigen der theologischen Fakultäten in verdientem Ansehen standen. Dennoch aber trugen diese Gutachten nicht selten schon damals, weil die eigene Einseitigkeit des theologischen Standpunktes und die Schärfe der theologischen Gegensätze der Nüchternheit, Besonnenheit und Gewissenhaftigkeit des Urteils Eintrag taten, den Charakter von Parteischriften an sich. Insbesondere wurden Fragen, welche das ganze Gebiet der Lehre und der kirchlichen Praxis betrafen, vor die theologischen Fakultäten gebracht. Vorzugsweise häufig kamen in der letzten Beziehung Fragen zur Sprache, welche das Verhältnis des Kirchenregiments zur Obrigkeit, die Ehesachen, die Sakramentsverwaltung und die Ausübung der Kirchenzucht angingen. Auch das Dispensationsrecht der Fürsten ward, sobald eine Dispensation fraglich und ihre Gewährung sachlich zweifelhaft war, Gegenstand abzugebender Erachten und Bedenken. Konnten gleich diese Responsa keine entscheidende Autorität für sich in Anspruch nehmen, und noch weniger eine Sache zum völligen Austrage bringen, so wurde doch diesen Responsis je nach dem Ansehen, welches die Fakultät genoss, ein großes Gewicht beigelegt. Faktisch entschieden sie daher häufig die stattgehabten Kontroversen. In diesen Responsis, die oft von mehreren auf verschiedenen Standpunkten stehenden Fakultäten eingeholt wurden, spiegeln sich nicht nur die herrschenden Lehrgegensätze ab, sondern auch die gegensätzliche Stellung der verschiedenen Fakultäten zu einander, so dass unter Umständen über ein und dieselbe Angelegenheit aggressive und verurteilende wie apologetische und billigende Responsa erteilt wurden. Da damals theologische Zeitschriften als Organe bestimmter theologischer Richtungen und kirchlicher Gegensätze noch nicht bestanden, fanden diese in den Responsis ihren Ausdruck. Indem aber die Fakultäten auch die Vorkommnisse der einzelnen Landeskirchen, ihre Interna und Externa, in den Umkreis ihrer ratsamen Bedenken zogen, so bildeten diese eine nicht zu unterschätzende Macht, wenn es galt, auf die öffentliche Stimmung einer Landeskirche einzuwirken, eine Lehrfrage zur Entscheidung zu bringen, das Vorgehen einer kirchlichen Behörde zu fördern oder zu hindern, eine kirchliche Praxis zu unterstützen oder zu beseitigen.

*) Eine ältere reichhaltige Sammlung derselben ist: Der Geist der lutherischen Theologen Wittenbergs im Verlaufe des siebenzehnten Jahrhunderts, S. 2. Das akademische Leben des siebenzehnten Jahrhunderts. Abt. I. S. 77 ff.