Spiele, Lustbarkeiten und sonstigen Vergnügungen

Bei Hochzeiten und anderen Festlichkeiten, auch während einer Epidemie, um die Angst vor Ansteckung zu verscheuchen, wurde das Spielen ohne jede Einschränkung gestattet 49). Den Frauen war erlaubt, bei einer Wöchnerin, aber erst nach zehn Tagen ihrer Genesung, zu spielen 50), wie es überhaupt Sitte war, eine solche Frau fleißig zu besuchen und ihr die Langeweile zu kürzen. Spiele um Geldgewinn waren aber immerhin gemissbilligt; man war nur hierin gelinder, wenn das Geld zu Genüssen an Festtagen verwendet werden sollte. So spielten auch die Frauen an den Neumondstagen, die noch im Mittelalter namentlich von den Frauen durch Enthaltung von Arbeit und durch sabbatliche Kleidung ausgezeichnet wurden, um den Gewinn von Eiern 51). Als ein besonders jüdisches Spiel erscheint das Spiel mit Nüssen, das schon in talmudischer Zeit in Damenkreisen sehr beliebt war. Wiewohl es am Sabbattage nicht zu gestatten sei, war man doch später geneigt, bei den Frauen hierin eine Ausnahme zu machen 52). Spielten doch Mädchen auch zur Vesperzeit des Versöhnungstages, allerdings nicht mehr wie in jener uralten Zeit in den Weinbergen um Freier 53), doch aber — um Nüsse zu gewinnen und hierbei die Mäßigung an den Tag zu legen, dass sie dieselben nicht genießen 54). Das Nussspiel war aber auch bei Männern beliebt, um darin Geld zu gewinnen, das aber in einem solchen Spiele nach einem älteren Ausspruche dem Verlierenden wieder zurückgegeben werden müsste. „Ursprünglich, heißt es in dem betreffenden Bescheide. 55), sei nur den Kindern gestattet gewesen, am ersten Pessachtage mit Nüssen zu spielen, nämlich mit den Nüssen, die man, um ihre Wachsamkeit am Sedertische zu erhöhen, ihnen am Abend gegeben hatte. Erwachsene aber sollten dergleichen Zeitverschwendungen meiden und sich vielmehr mit Wichtigerem beschäftigen“. Man unterschied im Nussspiel eine zweifache Weise 56); bei der einen, nicht näher bekannten, benutzte man den Boden eines großen Maßgefäßes, das Krotel genannt. Die andere Art war die, dass ein Nusshaufen von einer Nuss getroffen und umgeworfen werden musste. Man nannte dies vlede, eine deutsche Bezeichnung, welche noch zu erklären wäre, die entsprechende französische Benennung wird mit la pourcel („Wurfspiel“ nach. Du Cange I.) wiedergegeben. — Wie so häufig gegen das Kartenspiel, so wurde auch gegen in gewinnsüchtiger Absicht eingegangene Wetten geeifert 57). Von andern Spielen, mit denen ein Gewinn verbunden war, werden erwähnt das Spiel „Ganz oder halb“, das Reisende bei den Grönländern wiederfanden 58), ferner das Losspiel „Rück oder Schneid“ 59), bei dem ein Messer gebraucht wurde. Am meisten geehrt war und erhielt sich in Ansehen das Schachspiel 60), welches bereits im Talmud erwähnt wird, im Mittelalter vielfach besungen wurde 61), sogar zu einem Bilde der Regierung gemacht und als Spiegel für Zucht und Lebensweisheit dargestellt wurde 62). Erst später verbieten es spanisch-türkische Gelehrte und wollen es nur noch als Mittel gegen die Melancholie gestatten 63). Zu den Unterhaltungen gehörten auch Rätselaufgaben, vorzüglich für die freien Abende des 8tägigen Weihefestes; man stellte aus einer neu gebildeten Reihenfolge der einzelnen Buchstaben im Alphabete oder nach dem Zahlenwerte derselben eine Rätselschrift her, um vermittelst derselben den Namen einer Person aus der Gesellschaft oder auch die Zahl der an den Abenden des Weihefestes anzuzündenden Lichter anzudeuten. Auch verwendete man hierzu biblische Stellen oder halachische Sätze, wie aus den in einer Handschrift 64) aus dem 15. Jahrhundert aufbewahrten Proben zu erkennen ist. Diese Art von Scherz- und Rätselschrift ist jedenfalls eine Nachbildung der seit dem 13. Jahrhundert auch in der deutschen Literatur auftretenden Rätselpoesie. Allerdings war ein solches Unterhaltungsmittel nur in den Kreisen gewöhnlich, in denen die Vertrautheit mit hebräischen oder talmudischen Stellen vorhanden war; man entschädigte sich in dieser Weise für alle anderen Gewinnespiele, denen die größere Menge sich ergab. So wurde auch als ein angemessenes Unterhaltungsmittel das Spiel mit Versen aus der Schrift empfohlen, dass nämlich der Eine eine Stelle aus der Bibel hersagt, mit dessen Schlusswort der Andere eine neue Schriftstelle beginnt und so fort 65). In dieser Weise sollte einerseits für alle verpönten Spiele ein Ersatzmittel geboten, andererseits, wenn auch indirekt, eine größere Vertrautheit mit der heiligen Schrift erzielt werden. Weniger als Unterhaltungsmittel, mehr als Erforschungsversuch der Zukunft erscheint die Benutzung der Schrift vor dem Beginne eines Unternehmens. Wie man in talmudischer Zeit das aus der Schule kommende Kind nach dem Verse fragte, das es an demselben Tage gelernt hatte, um hieraus eine prophetische Deutung für bevorstehende Ereignisse zu gewinnen (s. Gittin 57b, Midrasch Echa a. m. Stellen), so benutzte man hier die heilige Schrift, indem man sie aufschlug und das erste Wort des Blattes, welches das Auge traf, als Antwort auf die Frage „ob man Dies oder Jenes unternehmen solle“ deutete 66). Einen solchen Gebrauch (unter der Bezeichnung sortes sanctorum) findet man bei den Christen bereits vor dem 8. Jahrhundert 67). Ebenso scheint die Befragung von sogenannten Losbüchern, welche darauf ausgehen, auf vorgelegte Fragen über menschliche Angelegenheiten die Zukunft vorherzusagen, indem sie zeigen, wie durch das Los in jedem gegebenen Falle aus dem Vorrat der in dem Buche enthaltenen Orakelsprüche der rechte zu finden ist, in den jüdischen Kreisen unseres Vaterlandes erst mit dem Beginne des 16. Jahrhunderts beliebt zu werden. Wenigstens sind jüdische Losbücher aus einer früheren Zeit bisher nicht bekannt geworden 68). Wir wären hier an ein sehr wichtiges Kapitel der Kulturgeschichte angelangt, das des Interessanten sehr viel bietet, nämlich das Eindringen von fremden Elementen in die jüdischen Kreise, von mancher Seite, als mit der Strenge der religiösen Anschauung nicht vereinbar, gemissbilligt, von anderer Seite dagegen als ein unschuldiges Mittel zur Beruhigung des beängsteten Gemüts (ähnlich schließt Grimm das Kapitel über den Aberglauben mit den Worten: „Wir sind froh, des vielen Aberglaubens ledig zu gehn, doch erfüllte er das Leben unserer Voreltern nicht allein mit Furcht, sondern auch mit Trost“) und daher als unabwehrbare Lebensgewohnheit oder auch als nicht zu der Zahl der im Talmud aufgeführten heidnischen Gebräuche gehörig für zulässig erachtet 59), näher darzustellen, es verdient dies aber als ein sehr wichtiger Beitrag zur Geschichte des Aberglaubens für eine besondere Abhandlung aufbewahrt zu bleiben. — Wir wollen nunmehr, nachdem wir die Vergnügungen innerhalb des jüdischen Volkslebens dargestellt haben, denjenigen Teil des geselligen Lebens in der Umgebung vorführen, bei dem die heimische Sitte, weil mit der jüdischen Anschauung durchaus nicht vereinbar, Raum und Geltung im jüdischen Kreise sich nicht erringen konnte. Hetzjagden und Tiergefechten nur als Zuschauer beizuwohnen, war zu allen Zeiten verpönt, viel weniger war es gestattet, daran Teil zu nehmen. Schon in talmudischer Zeit galten römische Theater, Zirkus und ähnliche Lustbarkeiten für wertlose Beschäftigung müßiger Köpfe, auf die der erste Vers der Psalmen anzuwenden sei 70). Wer im „Stadion“, d. h. in der Rennbahn für Wettkämpfe sitzt, der ist ein Blutvergießer, lehren die Rabbinen 71), während im zivilisierten Europa die Stiergefechte noch heute zur Ergötzung des Volkes stattfinden können 72). Man sprach dem Teilnehmer an Hetzjagden und dergleichen Belustigungen den Anteil am künftigen Leben ab 73). Nur die Rücksicht, dass durch die Anwesenheit bei den Kämpfen im „Stadion“ die Rettung eines jüdischen zum Kampfe Verurteilten bewerkstelligt werden könne, (weil er schreit, d. h. um Mitleid rufen und das Leben retten kann) ist nach einer im Talmud ausgesprochenen Meinung bedeutsam genug, um dieselbe zu gestatten 72). Hiermit dürfte in Verbindung stehen und zum Teil verständlich werden eine dunkle Stelle in einem mehrfach lückenhaften Midrasch der Peßikta ed. Buber S.191b. Man muss die Stelle daselbst in folgender Weise auffassen: „Sei von den Sehenden“, d. h. von den Zuschauern auf der Tribüne, weil man nämlich da vielleicht Gelegenheit finden dürfte, einen zum Kampfe Verurteilten retten zu können, „und nicht von den Gesehenen“, d. h. von den tätigen Teilnehmern an der Hetzjagd 74). In ähnlich charakteristischer Weise motivierte ein mittelalterlicher Autor 75) die Erlaubnis, einem Wettrennen beizuwohnen oder im Zureiten der Pferde sich zu üben, um nämlich in Gefahren leicht zu Pferde zu sein und um so rascher entfliehen zu können. Das Beispiel eines unverbesserlichen Pferdeliebhabers aus dem 15. Jahrhundert wird uns durch Moses Menz in seiner Responsen-Sammlung n. 73 aufbewahrt. Dagegen dürften wir das Beispiel eines jüdischen Jagdliebhabers wohl nicht finden, wenigstens nicht zu einer Zeit, in der sich die Ansicht geltend machte 76), dass man bei der Anschaffung eines Pelzes oder neuer Stiefel, den sonst bei neuen Kleidungsstücken üblichen Glückwunsch unterlässt, weil da immer die Tötung eines Tieres vorausgesetzt werden müsse, Gottes Liebe aber sich über alle seine Geschöpfe erstreckt. Erst bei Schudt (Denkwürdigkeiten I. 395) hören wir, dass der Graf von Hohenlohe-Oehringen seine jüdischen Untertanen „zu Jagdarbeiten employiren lässt“, und bei dem Verfasser des Node bihudo (Theil II. 2, 10) lesen wir von einer an ihn gerichteten Anfrage, ob ein Jude sich gestatten dürfe, das Vergnügen der Jagd zu genießen. R. Gzechiel Landau konnte in seiner Antwort das Befremden nicht unterdrücken, wie ein Nachkomme Abrahams, Isaaks und Jakobs an der Beschäftigung Nimrods und Esaus Gefallen finden könne. Die Mitteilung 77) im Maßebuch (ed. Nürnberg, Bl. 49), dass nämlich R. Jehuda der Fromme bis zu seinem achtzehnten Jahre ein Jagdliebhaber gewesen sei und Nichts Anderes getan habe, „als mit der Armbrust und mit Pfeilbogen zu schießen“, erst durch die eindringlichsten Vorstellungen Seitens seines Vaters dahin gebracht worden sei, der Jagd voll, ständig zu entsagen und sich dem Lernen eifrig zuzuwenden, ist selbst als Sage charakteristisch genug, um die schroffen Gegensätze zu bezeichnen, die in der Metamorphose des N. Jehuda sich kundgeben. Dagegen werden wir die Juden nicht selten in der Führung von Waffen geübt und tüchtig finden 78). War auch im Allgemeinen den Juden verboten, Waffen zu führen, so finden sich doch vereinzelte Spuren, dass sie durch Streitbarkeit und kriegerische Tüchtigkeit ihren christlichen Zeitgenossen Achtung abgewonnen. Näheres hierüber hat Karl Seifart in einem Aufsatze „Streitbare Juden im Mittelalter“ (in der Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte und hieraus in Jeschurun von Hirsch, Jahrg. 3, abgedruckt) mitgeteilt. Wir ergänzen die dortigen Angaben mit dem Hinweis auf die böhmischen Juden, von denen berichtet wird 79), dass sie stets bewaffnet einhergehen, die spanischen Juden, die mit dem Könige und seinem Heere in den Kampf ziehen, die Wormser Juden, welche, als die Stadt feindlich belagert wurde, gemäß der Entscheidung des R. Elasar selbst am Sabbat die Waffen ergreifen durften, um der Bürgerschaft Beistand zu leisten 80). Ein von Juden im Jahre 1386 zu Weißenfels veranstaltetes Turnier (vgl. Hecht in Wertheimers Jahrbuch 3 S. 169) wird auch in der Schöppenchronik von Magdeburg als ein Hof bezeichnet, „wo die Juden stachen und tornirten und da der Hof zerginge, da wurden die fremden Juden auf ihrer Heimat verhalten von Claus von Trote und Koler von Krosick und nahmen ihnen groß Gut“, allein von Sidori, die Juden in Sachsen S. 26 und nach ihm von Zunz, zur Geschichte S. 184 und synagogale Poesie S. 40 wird es nur als eine Zusammenkunft bezeichnet, zu der sich auch Juden aus entfernten Ländern hinbegaben, die aber bei ihrer Heimkehr von Raubrittern gefangen und geplündert wurden. — Kampfspiele zu Pferde bei der feierlichen Einholung des Bräutigams, wobei es nicht selten zum Zerreißen der Kleidung oder zur Verwundung der Pferde kam, waren bei den französischen und spanischen Juden 81), wie bei der dortigen christlichen Bevölkerung, heimische Sitte; von den deutschen Juden ist uns dies nicht bekannt geworden, wiewohl auch in Deutschland zur Zeit des ausgebildeten Ritterwesens bei den Hochzeiten der Vornehmen unter den Christen ritterliche Spiele ein bedeutender Teil der Unterhaltung waren.

Vögel aus Liebhaberei zu halten, rechnete man zu den unnützen, eitlen Dingen, deren Kosten besser für Arme zu verwenden wäre 82), ähnlich wie im Midrasch (Koheleth Rabba VI, 11) Affen, Katzen, Eichhörnchen, Seehunde, Falken u. a. m. zu den unnützen Dingen gerechnet werden, mit denen Manche sich beschäftigen oder an denen man Lust findet. Doch hielten die Juden der Provence abgerichtete Falken 83) und betrieben mit denselben die Beizjagd, die dort heimisch war. Nach Hai Gaons Erklärung zu Sabbat 94a, angeführt bei Aruch .... , ist auch im Talmud von dem Falken die Rede, der zur Jagd abgerichtet wird, indem der Jäger zu Pferde sitzt und den Falken bei sich hat, den er beim Anblick eines anderen Vogels loslässt. Die provençalischen Juden wurden daher ermahnt, die Schnur, mit dem der Stoßvogel festgehalten wird, nicht an den Sattelgriff zu knüpfen, weil in dieser Weise zweierlei Zeugstoffe zusammengebracht werden, was ein Verstoß gegen das Gesetz im 3. Buch Mos. 19, 19. sei.