Kleidung und Beschäftigung der deutschen Juden im Mittelalter

Nachdem unsere Wanderungen durch das deutsche Mittelalter beinahe zu dem Ende geführt sind, welches wir uns für dieses Mal steckten, nämlich das gesellige Leben in jüdischen Kreisen jener Zeit einigermaßen kennen zu lernen, wollen wir, wie wir bisher Inneres und Äußeres zu verbinden gesucht haben, noch am Schlusse in einigen Andeutungen die Aufmerksamkeit auf Kleidung und Beschäftigung der deutschen Juden in dem Mittelalter lenken. —

Was die Kleidung betrifft, so ergeben sich allerdings manche Differenzen in dem Anzuge der Juden gegen den der Christen, doch berechtigen diese Abweichungen durchaus nicht, die Existenz einer spezifisch jüdischen Tracht anzunehmen. Bemerkt man doch, dass die Juden, besonders die Damen, regen Anteil an der Zeitmode nahmen und darin häufig sogar einen Aufwand entfalteten, gegen den die Drohungen der jüdischen Moralprediger und die Strafen polizeilicher Verordnungen sich wenden mussten. Wir nehmen Abstand, hier auf die Differenz in der Kleidung, welche die Christen selbst von den Juden forderten, indem sie in gewissen Zeiten und in manchen Gegenden mit Strenge darauf hielten, dass die Juden an ihrer Kleidung besondere Abzeichen tragen sollten, näher einzugehen.


Es sei auf das vortreffliche Werk von Stobbe „Die Juden in Deutschland“ verwiesen, wo an mehreren Stellen, besonders aber S. 274, hierüber belehrende Nachweisungen gegeben werden. Wir wollen nur ergänzend hinzufügen, dass in jüdischen Quellen der Judenzeichen selten gedacht wird. Der Verfasser des Or sarua (II. S. 39) erwähnt der Judenhüte und der Radzeichen, welche die Juden in Frankreich zu seiner Zeit an den Kleidern tragen mussten. Auch bei Samuel de Medina (Nr. 4 seiner Responsen) ist von den Judenhüten, die man damals tragen musste, die Rede. Die Differenzen dagegen, zu welcher man jüdischer Seit’s selbst sich veranlasst sah, lassen sich auf folgende Momente zurückführen:

1) Die in der Schrift (4. B. M. l5>, 38) erteilte Vorschrift, an ein Gewand mit 4 Ecken Schaufäden anzubringen, veranlasste häufig eine Abweichung von der Mode, die übrigens auch bei den Christen sehr oft gewechselt hat, in Betreff des Schnittes der Kleidungsstücke.

2) Man mied die durch das religiöse Gesetz (3. B. M. 19, 19) verbotene Mischung von Wolle und Leinen, daher auch solche Gewänder, in denen die Ärmel aus Wolle, die übrigen Teile des Kleidungsstückes aber aus Leinen bestanden, wenn sie durch eine Nat mit einander befestigt, nicht durch Knäufe lose verbunden waren 172).

3) Der jüdischen Anschauung war durchaus zuwider die im Mittelalter so sehr beliebte Halbteilung, das sogenannte mi-parti, in der Weise, dass man in der Form und Farbe des Gewandes die einzelnen Teile desselben auf das Vielfältigste wechselte. Es geschah dieses meist so, dass die Kleider der Länge oder der Breite nach mitten geteilt wurden, zuweilen wurde die eine Seite wieder gehälftet und zwar quer in der Mitte; nicht selten geschah es, dass auch die andere aus zwei Stücken bestand und das Kleid also in vier Teilen, gleich einem quadrierten Wappen, erschien. Bei der Querteilung finden sich auch drei Farben; die Streifen sind dann zuweilen schräg gelegt“ 173).

4) Die besonders durch die Halbteilung erzeugten bunten, wie überhaupt alle schreienden, grellen Farben waren bei den Juden verpönt. Man betrachtete sie als eine Anreizung zur Verletzung der Sittlichkeit 174), und empfahl daher das Tragen dunkler, schwarzer Stoffe 175). Als König Alfons den spanischen Juden Luxus in Kleidern vorwirft, antworten sie ihm: „Wir stehen vor dir in schwarzen Gewändern“, Von den deutschen Juden erzählt der Anonymus Leobiensis bei Pertz mon. germ. I. 948, dass die Juden und Bauern die onvutia (dunkle Kleider) getragen. Der Sachsenspiegel befiehlt ihnen beim Schwur „einen grawen Rock“ zu tragen; in den eigenen Kleiderordnungen sprechen es die Juden überall aus. Der Herausgeber einer solchen in den historischen Nachrichten von der Judengemeinde in der Hofmark Fürth (pag. 158) sagt: „Heut' zu Tage ist die schwarze Farb' unter dem jüdischen Volk am meisten beliebt.“ Schwarz galt überhaupt schon in den ältesten jüdischen Zeiten als Trauerfarbe. Bei den Juden des Orients dagegen scheint man mehr der Landessitte gemäß auch farbige Kleider getragen zu haben, wie dies aus dem Sendschreiben des Isaak Zarfati 176) an die Juden in Deutschland über die Vorzüge der türkischen Länder und der muhamedanischen Regierung (ed. Jellinek S. 21) hervorgeht.

5) Die in gewissen Zeiten des Mittelalters herrschende Unsitte, die Ärmel mit vielen bis zur Erde reichenden Lappen oder bandförmigen Anhängseln, Zaddeln genannt, zu versehen, war bei den Juden nicht beliebt 177).

Diese Differenzen gewöhnten die Christen zu der Annahme, dass die Juden eine spezifisch-jüdische Kleidung besaßen und nach religiösem Gesetze von derselben nicht abweichen dürften, was den Juden allerdings in Zeiten der Gefahr zu Gute kam, indem sie dann der Verkleidung (die Berücksichtigung der ersterwähnten Differenz ausgenommen) sich bedienten, um nicht als Jude erkannt zu werden. So schreibt Israel Isserlein 177), dass die Christen in den deutschen Ländern glauben, es sei den Juden eben so streng wie das von der Schrift untersagte Tragen von Wolle und Leinen, auch verboten zwei- oder dreifarbige Kleider oder solche mit Zaddeln und Lappen am Saume versehen, anzulegen. — Im Übrigen aber kleideten sich die Juden ganz nach der Weise der Christen, Sie trugen ebenfalls Kursen 178), d. h. Pelzmieder mit engen Ärmeln und kostbar gesticktem Seiden- oder Wollen-Überzug, darüber das Surkot 179), ein Festoberkleid mit einem Kopfloch und weiten Ärmeln, an den Seiten aufgeschlitzt und dafür mit Knäufen versehen.

Im 14. und 15. Jahrhundert wird vorzüglich der Gugeln erwähnt, in den jüdischen Quellen mit „Kappa 180)“ bezeichnet; es waren dies weite Übergewänder mit Ärmeln, welche die ganze Gestalt von Kopf bis Fuß verhüllten. Für den Kopf war ein besonderer Teil, in Art unserer Kapuzen, bestimmt, der auch zurückgeschlagen werden konnte, in den jüdischen Quellen mitron (mitra) genannt. An Sabbat und Festtagen wechselte man Kappa und Mitra 181). Man trug auch die Tapperte 182), einen rund geschnittenen langen Überwurf, von dem hinten ein langer Streifen auf die Erde fiel. Unter der Tapperte hatten Manche einen kleinen Mantel, den man Reisemantel nannte; die Gelehrten trugen unter der Tapperte das kleine Talith mit den Schaufäden. Isserlein (starb 1460) trug einen Obermantel, der an der Halsweite voller Krausen, mit mehreren nach unten zu sich erweiternden und nach oben hin sich verengenden Geren versehen war, fast einem Frauenmantel gleich, zur rechten Seite aufgeschlitzt, oben aber durch Schleife an der einen und durch Knäufel an der anderen Seite zusammengehalten wurde. Solche Mäntel trugen in Österreich nur die Greise, besonders die Gelehrten; während die Mantel in italienischen Gegenden, z. B. in Treviso und Maestre, von dieser Form abwichen und mit der dortigen Landessitte harmonierten 183).

In Betreff des weiblichen Anzuges haben wir bereits oben (S. 28) gelegentlich Einiges angeben können. Die dort erwähnten Kursen trugen die Frauen auch am Neumondstag und am Freitag zur Abendzeit, wo sie die Braut „Sabbat“ feierlichst erwarteten. Auch jede wirkliche Braut war damit bekleidet, wenn sie zur Trauungsfeier in den Vorhof der Synagoge geführt wurde. Am Sabbat selbst legten die Frauen die Kursen nur an, wenn sie eines Trauerfalls wegen den sabbatlichen Anzug mit dem der Werkeltage vertauschen mussten 184). An diesen Tagen trugen sie den gewöhnlichen Mantel, der sich von dem der Männer wenig unterschied. Der Frauenmantel war nur weiter und länger und wurde oben am Halssaume durch einen „Fürspann 185)“ oder „Nuschke 185)“ zusammengehalten. Es war dies eine Vorstecknadel, zuweilen ein großer, verzierter Ring, hinter welchem eine Nadel befestigt war. Sie waren den heutigen Broschen gleich und dienten zuweilen auch als Schmuckstück; häufig waren sie so eingerichtet, dass man sie vermittelst eines kleinen, aus Gold oder Silber gefertigten Schlüssels öffnete. Die vornehmen jüdischen Damen in den Rheingegenden pflegten einen solchen Schlüssel an einer vom Halse auf die Brust herabhängenden Kette von Gold oder Silber zugleich als Zierrat zu tragen 187). Die Mode, welche wahrscheinlich auch in der christlichen Damenwelt Nachahmung gefunden, war ursprünglich ein erfinderisches Mittel der Damen, um sich aus einer Verlegenheit zu helfen. Da sie nämlich nach einer gesetzlich religiösen Vorschrift die verschiedenen Schlüssel, mit denen sie ihre Behältnisse im Hause verschlossen hielten, bei ihren Spaziergängen ins Freie nicht mitnehmen durften, im Hause selbst aber die Schlüssel vor den Augen des Gesindes nicht frei umherliegen sollten, so ließen sie ein verschließbares Kästchen zur Aufbewahrung der Schlüssel anfertigen, den dazu gehörigen Schlüssel aber, aus Gold oder Silber an der Kette aus gleichem Metall, trugen sie nunmehr als Hals- oder Brustschmuck. Man sah überhaupt den Damen nach, am Sabbat auch mit gewissen Schmucksachen ins Freie auszugehen 188). Aus dem Verzeichnisse 189) der durch den Breslauer Magistrat vom 5—7. Mai 1453 in 7 jüdischen Häusern konfiszierten Gegenständen erfahren wir von manchen Luxus-Gegenständen der damaligen Damen. Außer roten Häubchen und mit Samt und Gold durchwirkten Kopfbinden, hören wir noch von korallenen Halsketten — die trug man als Schutzmittel gegen den bösen Blick — 190) von einem Gürtel mit 20 silbernen, übergoldeten Schnallen auf seidenem Gewebe von verschiedenen Farben, einer Halskette von gelbem Bernstein 191), von drei Perlketten mit Anhängseln, einer goldenen Kette u. m. a. Schmuckgegenständen. — Ein gewöhnlicher Schmuck des Hauptes und zugleich eine Verhüllung war das Kopftuch oder der Schleier, mit dessen Wäsche jüdische Putzmacherinnen auch für die christliche Damenwelt beschäftigt waren 192); in der Provence fertigten sie für sie solche Schleier und stickten sogar darein Kreuze 193). Auch Härsenir, d. h. Kettelhauben, trugen die jüdischen Damen, um das volle Haar zusammenzuhalten 194). Die Haar-Toilette der Mädchen selbst — gab es ja eine besondere Art, von der man sagte, das Haar scheiteln wie die Juden — mit den dazu gehörigen Bändern und Haarnadeln gedenken wir in einer besonderen Darstellung näher zu behandeln, wobei noch manches hierher Gehörige, wie z. B. Kopf- und Fußbedeckung der Männer, berücksichtigt werden dürfte. Wir wollen nur noch hinzufügen, dass in manchen jüdischen Handschriften neben den Vorschriften gegen den bösen Blick auch Mittel für einen guten Anblick, nämlich Anweisungen zur Bereitung von Gesichtsschminke, gegeben werden 195).